Urteil des LG Kiel vom 15.03.2017

LG Kiel: unlauterer wettbewerb, bayern, werbung, form, verbraucher, steuerberater, slowakei, irreführung, qualifikation, geschäftssitz

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Gericht:
LG Kiel 1. Kammer
für Handelssachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 O 70/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 57 HSchulG SH, § 43
StBerG, § 4 Nr 11 UWG, § 5
Abs 1 S 2 Nr 3 UWG
Unlauterer Wettbewerb: Führen eines Hochschultitels ohne
Hinweis auf dessen ausländische Herkunft und ohne
fachlichen Zusatz
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt, dem Beklagten zu untersagen, den Titel „Dr.“ ohne
fachlichen Zusatz zu führen, und zwar in allen Bundesländern mit Ausnahme von
Bayern und Berlin.
Der Beklagte, Mitglied der Klägerin, ist Steuerberater und hat nach abgelegter
Doktorprüfung in der Fachrichtung „Management, Spezialisierung:
Finanzmanagement und Dienstleistungen im Finanzwesen“ am 11.11.2004 in
XXX/Slowakei von der XXXUniversität den akademischen Grad „ doktor filozofie “
(Abkürzung: „ PhDr. “) verliehen erhalten (Anlage K 1). Er ist für die
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft C AG tätig und betreut von der Kieler
Niederlassung aus Mandanten im gesamten Bundesgebiet und im europäischen
Ausland. Er hat seine Hauptwohnung in Bayern und eine Nebenwohnung in D
angemeldet. Der Kläger führt den Titel „Dr.“ neben seiner Berufsbezeichnung
„Steuerberater“. Seine Mandate führt er mit diesem Titel unter dem Briefkopf der
C.
Die Klägerin hält dies für irreführende Angaben im Geschäftsverkehr i. S. d. § 5
ABs. 2 Nr. 3 UWG. Sie verweist auf § 57 Hochschulgesetz Schleswig-Holstein sowie
§ 43 StBerG und meint, der Beklagte dürfe den Titel nach Artikel 6 Abs. 1 des
deutsch-slowakischen Abkommens über die gegenseitige Anerkennung der
Gleichwertigkeit von Bildungsnachweisen im Hochschulbereich und dem Beschluss
der Kultusministerkonferenz vom 21.09.2001 in der Fassung vom 05.07.2007 nur
in der Form führen, in der er ihm verliehen sei, unter Angabe des fachlichen
Zusatzes. Bei dem dem Beklagten verliehenen Titel handele es sich um einen
„kleinen Doktorgrad“, der mit einem Diplom vergleichbar und in 1-2 Semestern zu
erhalten sei. Er sei in der Slowakei nicht der 3. Ebene der Bologna-Klassifikation
zugeordnet.
Die Klägerin beantragt,
dem Beklagten bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft
bis zu 6 Wochen oder einer jeweils festzusetzenden Ordnungshaft bis zu 6
Monaten, im Wiederholungsfall auch Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu untersagen,
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken neben seiner
Berufsbezeichnung „Steuerberater“ den slowakischen Grad „ doktor filozofie “ in
der abgekürzten Form „Dr.“ ohne fachlichen Zusatz in allen Bundesländern der
Bundesrepublik Deutschland außer den Bundesländern Bayern und Berlin zu
führen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er behauptet, der ihm verliehene Titel sei mit der 3. Ebene der Bologna-
Klassifikation, sein Erfahrungsschatz mit dem eines deutschen Doktoranden
vergleichbar. In der Slowakei sei die Führung des Titels in der Form des „Dr.“
üblich, so dass ihm dies auch hier gestattet sein müsse. Das Vorgehen der
Klägerin verstoße gegen die in Art. 39 und 43 EGV garantierten Rechte der
Freizügigkeit. Zudem könne der von der Klägerin beanspruchte Schutz des
Rechtsverkehrs nicht erreicht werden, weil das Führen des Titels in der von ihm
verwendeten Form in Bayern und Berlin – unstreitig – zulässig sei.
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klagebefugnis der Klägerin ergibt sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Der Beklagte
nimmt durch die beanstandete Titelführung aber keine unzulässigen
geschäftlichen Handlungen i. S. d. § 8 Abs. 1 UWG vor, so dass ihn die Klägerin
nicht auf Unterlassung in Anspruch nehmen kann.
Dies ergibt sich – nach § 313 Abs. 3 ZPO kurz zusammengefasst – aus folgenden
Erwägungen:
Ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG kommt hier nicht in Betracht.
Nach dieser Vorschrift handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift
zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das
Marktverhalten zu regeln.
Dabei hatte die Kammer nicht zu entscheiden, ob die Titelführung des Beklagten
gegen § 57 Hochschulgesetz Schleswig-Holstein und damit auch gegen § 43
StBerG verstößt und ob § 57 Hochschulgesetz mit europarechtlichen Regelungen
vereinbar ist. Denn bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um
Marktverhaltensregeln i. S. d. § 4 Nr. 11 UWG. Beide Vorschriften weisen erkennbar
keinen Marktbezug auf und dienen nicht zumindest auch dem Schutz der
Marktteilnehmer. Das Hochschulgesetz regelt vielmehr die Verhältnisse der
Hochschulen im Land Schleswig-Holstein, das Steuerberatergesetz stellt eine
berufsrechtliche Regelung dar.
Aber auch die Voraussetzungen des hier somit allein noch in Betracht
kommenden § 5 UWG sind nicht erfüllt.
Das Führen des Titels „Dr.“ ohne fachlichen Zusatz stellt keine irreführende
geschäftliche Handlung – hier: Irreführung über die Person oder Eigenschaften des
Beklagten - dar.
Für die Frage, ob eine Irreführung vorliegt, ist die Auffassung der Verkehrskreise
von Bedeutung, an die sich die Werbung richtet. Maßgebend ist das Verständnis
eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers.
Hier käme eine Irreführung dann in Betracht, wenn ein erheblicher Teil des
angesprochenen Verkehrs davon ausginge, derjenige, der einen „Dr.“-Titel ohne
fachlichen Zusatz führt, verfüge über eine höhere fachliche Qualifikation als
derjenige, der den Titel mit einem fachlichen Zusatz führt. Dass dies der Fall ist, ist
für die Kammer aber nicht erkennbar.
In der Bevölkerung ist bekannt, dass ein „Dr.“-Titel nicht zwangsläufig auf dem
Fachgebiet erworben wurde, auf dem der Betreffende beruflich tätig ist. Es kann
heute auch nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sich ein durchschnittlich
informierter Verbraucher überhaupt noch konkrete Vorstellungen davon macht, ob
der „Dr.“-Titel im Inland oder im Ausland erworben wurde, in welchem Fachbereich
er erworben wurde und dass die Voraussetzungen für die Verleihung des Titels
zumindest denjenigen entsprochen haben, die an den Erwerb eines „Dr.“-Titels in
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zumindest denjenigen entsprochen haben, die an den Erwerb eines „Dr.“-Titels in
Deutschland gestellt werden. Denn zum einen ist es seit langem gängige Praxis
und allgemein bekannt, dass derartige Titel auch im Ausland nach den dort
geltenden Vorschriften erworben werden können. Zum anderen gibt es aber auch
in der Bundesrepublik Deutschland je nach Bundesland und Fachbereich durchaus
unterschiedliche Promotionsordnungen, ohne dass sich der Adressat der Werbung
Gedanken darüber machen würde, nach welcher konkreten Promotionsordnung
der Titel erworben wurde.
Darüber hinaus ist das Führen des vom Beklagten erworbenen Titels in den
Bundesländern Bayern und Berlin ohne fachlichen Zusatz zulässig. Allerdings kann
eine Werbung auch dann als irreführend angesehen werden, wenn bei regional
unterschiedlicher Auffassung jedenfalls ein erheblicher Teil der Verbraucher
irregeführt wird (vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. § 5 Rn 2.83).
Dies wäre hier aber nur dann der Fall, wenn sich das Publikum in denjenigen
Bundesländern, in denen das Führen des vom Beklagten erworbenen Titels nach
den jeweiligen landesrechtlichen Regelungen nur mit fachlichem Zusatz zulässig
ist, andere Vorstellungen von der Qualifikation des Betreffenden machen würde als
z. B. das Publikum in Bayern und Berlin, also in Bundesländern, in denen der Titel
auch ohne den fachlichen Zusatz geführt werden darf. Dies hält die Kammer aber
für ausgeschlossen. Ein Verbraucher, der den Titel „Dr.“ liest, wird sich keine
Gedanken darüber machen, dass die Landesgesetzgeber hinsichtlich der Frage
der Zulässigkeit der Titelführung unterschiedliche Regelungen getroffen haben.
Ebenso wenig wird er sich Gedanken darüber machen, in welchem Bundesland
derjenige, der diesen Titel führt, seinen Wohnsitz und/oder seinen Geschäftssitz
hat und ob die Voraussetzungen des jeweiligen Hochschulgesetzes, die zur
Führung dieses Titels mit oder ohne fachlichen Zusatz berechtigen, gerade in
diesem Bundesland erfüllt sind. Insoweit kann er auch keine falschen Vorstellungen
entwickeln.
Eine etwaige irrige Auffassung des Adressaten darüber, in welchem Fachbereich
und nach welchen fachlichen Voraussetzungen der Titel verliehen wurde, wäre aber
auch jedenfalls wettbewerbsrechtlich nicht schutzwürdig. Das Gesetz gegen den
unlauteren Wettbewerb gilt bundeseinheitlich, während die Regelungen in den
einzelnen Bundesländern zu der Frage, ob, unter welchen Voraussetzungen und
ggf. mit welchen Zusätzen das Führen eines im Ausland erworbenen Titels zulässig
ist, unterschiedlich sind. Angesichts dessen, dass ein Doktorgrad in
Personenstandsurkunden, Personalausweis und Pass aufgenommen werden kann
und ein unbefugter Gebrauch nur unter den Voraussetzungen des § 132 a StGB,
einer ebenfalls bundesweit geltenden Vorschrift, strafbar ist, kann es nicht
Schutzweck des UWG sein, unter Berücksichtigung jeweils nur landesweit geltender
Vorschriften ein Verhalten des Werbenden je nach dem Wohnort oder
Geschäftssitz desjenigen, der den Titel führt, und ggf. auch nach dem Wohnort des
Adressaten der Werbung zu gestatten oder zu verbieten.
Nach alldem ist die Klage unbegründet und daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.