Urteil des LG Kiel vom 14.03.2017

LG Kiel: grobe fahrlässigkeit, stand der technik, fahrzeug, reparatur, zustand, beweiswürdigung, verkehrsunfall, unterlassen, beschädigung, hersteller

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Gericht:
LG Kiel 5.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 O 232/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 839a BGB
Haftung des gerichtlichen Sachverständigen: Anspruch
gegen einen Sachverständigen wegen eines auf Grund
einer Fahrzeugbeschädigung errichteten Gutachtens
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten, einem Sachverständigen, der in einem
Gerichtsverfahren, an dem u. a. auch die Klägerin beteiligt war, tätig war,
Schadensersatz mit der Behauptung, er habe in diesem Verfahren ein unrichtiges
Gutachten erstattet.
Die Klägerin machte in einem Zivilprozess vor dem Landgericht Kiel
Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, bei dem ihr
Fahrzeug beschädigt wurde. Der Beklagte wurde vom Landgericht Kiel beauftragt,
ein schriftliches Sachverständigengutachten zu der Behauptung der Klägerin, bei
den Beschädigungen an ihrem Fahrzeug handele es sich um erhebliche
Beschädigungen, sodass auch bei fachgerechter Reparatur der frühere Zustand
des Fahrzeuges nicht annähernd wiederhergestellt werden könne, zu erstatten.
Das Gutachten wurde am 03.09.2003 erstellt und durch eine schriftliche
Stellungnahme vom 12.11.2003 ergänzt. In der mündlichen Verhandlung vom
12.05.2004 erläuterte der Beklagte sein Gutachten (Landgericht Kiel, Aktenzeichen
9 O 431/02). Abschließend kam er zu dem Ergebnis, dass nach einer
fachgerechten Reparatur des Schadens ein einwandfreier Zustand des Fahrzeuges
wieder herzustellen sei und an dem Fahrzeug keine Schönheitsfehler verbleiben
würden. Die volle Sicherheit sei gewährleistet.
Mit Urteil vom 02.06.2004 wies die 9. Zivilkammer des Landgerichts Kiel die Klage
der Klägerin ab. Zur Begründung wurde u. a. angeführt, dass der Beklagte
schlüssig dargelegt habe, dass nach Ausführung einer fachgerechten Reparatur
durch eine Fachwerkstatt keine Unsicherheitsfaktoren hinsichtlich der
Verkehrssicherheit oder auch hinsichtlich des Auftretens weiterer Schäden
verbleiben würde. Auf das Gutachten, die ergänzende Stellungnahme, das
Protokoll vom 12.05.2004 sowie das Urteil wird Bezug genommen.
Die Klägerin legte Berufung ein, die sie mit Schriftsatz vom 08.07.2004
begründete. Die Klägerin rügte die Verletzung materiellen Rechts und
beanstandete die Beweiswürdigung des Gerichts, insbesondere die Verwertung
des Gutachtens des Beklagten ohne Einholung eines Obergutachtens. Mit
Beschluss vom 15.03.2005 wies das Oberlandesgericht Schleswig darauf hin, dass
der zuständige Senat beabsichtige, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen
Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da konkrete Anhaltspunkte,
die vernünftige Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der im ersten
Rechtszug festgestellten Tatsachen zu wecken geeignet sind, nicht ersichtlich
seien. Unter Bezugnahme auf diesen Beschluss wurde die Berufung mit Beschluss
vom 11.04.2005 nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Auf die
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vom 11.04.2005 nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Auf die
Berufungsbegründung, den Hinweisbeschluss sowie den Zurückweisungsbeschluss
wird Bezug genommen
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Klagforderung aus dem
Verkehrsunfallprozess in Höhe von 8.812,93 €, die Gerichtskosten dieses
Verfahrens von 2.037,73 €, die eigenen Rechtsanwaltskosten von 1.886,46 € sowie
die Rechtsanwaltskosten der Gegenseite von 1.741,97 € und die nicht
anrechenbaren Gebühren eines Rechtsanwalts in Höhe von 449,96 €, insgesamt
14.929,05 €. Ihre Klage gründet die Klägerin auf ein außergerichtlich eingeholtes
Gutachten des Sachverständigen vom 01.08.2002, auf das Bezug genommen
wird.
Mit Schriftsatz vom 17.05.2005 lehnte der Beklagte seine Haftung ab.
Die Klägerin behauptet:
Das Gutachten des Beklagten sei fehlerhaft. Der Beklagte habe in seinem
Gutachten nicht sämtliche vorhandenen erheblichen Beschädigungen am
klägerischen Fahrzeug aufgenommen bzw. das Schadensbild anders bewertet.
Das Fahrzeug der Klägerin erziele im reparierten Zustand nicht annähernd den
Wert im Zustand vor dem Verkehrsunfall. Er habe das tatsächliche Ausmaß der
Beschädigungen am klägerischen Fahrzeug verkannt. Es sei grob fahrlässig, dass
sich der Beklagte nicht mit den geltend gemachten Einwendungen
auseinandergesetzt habe. Er habe nicht erkannt, dass der Rahmenlängsträger
hinten links stark beschädigt gewesen sei. Die Behauptung auf Seite 8 seines
Gutachtens, dass lediglich eine Erneuerung des Endstückes erforderlich sei, sei
definitiv falsch. Außerdem könne beim Einschweißen von tragenden Teilen nicht
davon gesprochen werden, dass das Fahrzeug wieder in den vom Hersteller
gefertigten Zustand versetzt werde. Von den Schweißpunkten würden im Übrigen
Korrosionsschäden entstehen.
Außerdem habe er es grob fahrlässig unterlassen, die Anknüpfungstatsachen
ordnungsgemäß aufzunehmen. Er habe weder mit dem außergerichtlich tätig
gewesenen Sachverständigen telefoniert noch mit der reparierenden Werkstatt
telefoniert, noch das klägerische Fahrzeug nachbesichtigt.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 14.929,05 € nebst Zinsen mit 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 04.09.2003
zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet,
er habe den eingetretenen Unfallschaden am Fahrzeug der Klägerin, den er nur
anhand der Fotos des Erstgutachtens zu bewerten gehabt habe, nachvollziehbar
dargestellt. Das Gutachten sei richtig. Er habe nachvollziehbar auf Seite 13 ff
seines Gutachtens den Stand der Technik bei Karosserieinstandsetzungsarbeiten
erläutert. Bereits das Erstgutachten lasse keine Zweifel zu, dass eine Reparatur
ohne Weiteres fachgerecht durchgeführt werden könne. In seiner ergänzenden
Stellungnahme vom 12.11.2003 sei er auf den im Wesentlichen streitigen Punkt
des Rahmenlängsträgers ausführlich eingegangen. Die Schweißtechnik gehöre
heute nicht nur in der Reparatur, sondern auch in der Neufahrzeugproduktion zum
normalen Standard.
Selbst wenn das Gutachten fehlerhaft wäre, so habe er keinesfalls grob fahrlässig
gehandelt.
Im Übrigen beruhe das Urteil des Landgerichts Kiel nicht auf seinem Gutachten.
Hinsichtlich des weiteren Parteivortrag wird ergänzend auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Akten des Landgerichts Kiel mit dem Aktenzeichen 9 O 431/02 waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung und wurden beigezogen.
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Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Gemäß § 839a BGB ist ein vom Gericht ernannter Sachverständiger zum Ersatze
des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche
Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht, wenn er vorsätzlich oder
grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet. Diese Voraussetzungen sind
im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Vorsätzliches Handeln des Sachverständigen scheidet aus. Grobe Fahrlässigkeit
kann nach dem klägerischen Vortrag nicht bejaht werden. Grobe Fahrlässigkeit
setzt voraus, dass der Beklagte die bei der Erstellung seines Gutachtens
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, ganz
naheliegende Überlegungen nicht angestellt und dasjenige nicht beachtet hat, was
im vorliegenden Fall jedem einleuchten musste. Zudem müssen subjektive
Momente hinzukommen, die eine gesteigerte Vorwerfbarkeit begründen (vgl. OLG
Rostock, Beschluss vom 21.03.2006, IBR 2006, S. 406 unter Hinweis auf Palandt-
Heinrichs, BGB-Kommentar, 65. Aufl., § 277, Rdnr. 5). Allein aus der Tatsache,
dass der Beklagte zum Teil von den Feststellungen des Privatgutachters abweicht,
ergibt sich der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens nicht ohne Weiteres.
Unterschiedliche fachliche Auffassungen zu einzelnen Punkten unter
Sachverständigen sind in der gerichtlichen Praxis nicht ungewöhnlich und geben
keinen Grund zu der Annahme, der Sachverständige habe grob fahrlässig ein
unrichtiges Gutachten erstattet (vgl. OLG Rostock, a. a. O.). Hinzu kommt, dass
das Landgericht und das Oberlandesgericht in der Ursprungssache keinen Grund
gesehen haben, die Gutachten des Beklagten in Zweifel zu ziehen, sodass der
Kläger näher hätte erläutern müssen, warum auch die Gerichte nicht nur
übersehen haben sollen, dass sie ihrer Entscheidung in Teilen unrichtige
Gutachten zugrunde legen, sondern dass dies auch jedem, also auch den
entscheidenden Richtern, aufgrund naheliegender Überlegungen hätte einleuchten
müssen (vgl. hierzu ebenfalls OLG Rostock, a. a. O.). Unerheblich ist hierbei der
Vorwurf der falschen Beweiswürdigung durch das Landgericht., denn diese ist allein
im vorgesehen Instanzenzug zu überprüfen und nicht im Rahmen des § 839a BGB.
Der Beklagte hat sich in seinem Ergänzungsgutachten ausführlich mit dem
Gutachten des Sachverständigen auseinandergesetzt und ist auf die Einwände des
Klägervertreters in seinem Gutachten eingegangen. Er hat den Reparaturweg zum
Ersetzen des Endstückes des Rahmenlängsträgers beschrieben, hat ausdrücklich
erklärt, es handele sich hierbei um den fachgerechten und auch wirtschaftlich
vernünftigen Reparaturweg und auf Seite 9 seines Ergänzungsgutachtens
differenziert, welche Bauteile der selbsttragenden Karosserie beschädigt wurden.
Außerdem hat er sich mit der Frage der Wiederherstellung des vom Hersteller
gefertigten Zustandes auseinandergesetzt. Der Hinweis des Sachverständigen in
der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2004, dass der Schaden anders
einzustufen wäre, wenn der Rahmenlängsträger beschädigt wäre, zeigt eindeutig,
dass der Sachverständige sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt hat. Der
Sachverständige hat in seiner mündlichen Erörterung ausdrücklich erklärt, dass
weitergehende Beschädigungen des Rahmenlängsträgers auf den ihm vorgelegten
Fotos nicht zu erkennen seien, sodass er eine weitergehende Beschädigung des
Rahmenlängsträgers nicht feststellen könne.
Bei dieser intensiven Auseinandersetzung des Beklagten insbesondere mit der
Frage der Beschädigung des Rahmenlängsträgers kann nicht festgestellt werden,
dass der Sachverständige schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen
nicht angestellt hat. Hierfür spricht auch der nochmals erfolgte ausdrückliche
Hinweis des Sachverständigen am Ende seines Ergänzungsgutachtens darauf,
dass das Gutachten bezüglich der Beurteilung des Schadensumfanges und des
fachgerechten Reparaturweges falsch sei.
Die Auseinandersetzung im letzten Absatz des Ergänzungsgutachtens mit der
Frage, ob es für eine Neupreisabrechnung erheblich sei, ob der reparierte Bereich
mit dem Fertigungszustand zu vergleichen sei, ist eine Rechtsfrage. Weder die
Tatsache, ob der Sachverständige noch, wie er diese beantwortet hat, kann als
grob fahrlässig angesehen werden. Denn die Beantwortung von Rechtsfragen ist in
jedem Fall Aufgabe des Gerichts.
Der Vorwurf der Klägerin, das Landgericht habe eine falsche Beweiswürdigung
vorgenommen, kann eine grobe Fahrlässigkeit des Sachverständigen nicht
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vorgenommen, kann eine grobe Fahrlässigkeit des Sachverständigen nicht
begründen. Mit dieser Frage hatte sich das Oberlandesgericht auseinander zu
setzen. Dieses hat dargelegt, dass es keine Zweifel an der Richtigkeit und
Vollständigkeit der im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen habe und eine
erneute Tatsachenfeststellung nicht notwendig sei.
Der Vorwurf der Klägerin, der Beklagte habe es grob fahrlässig unterlassen, die
Anknüpfungstatsachen ordnungsgemäß aufzunehmen, er hätte insbesondere das
Fahrzeug nachbesichtigen müssen, führt ebenfalls nicht zu einer groben
Fahrlässigkeit. Weder aus dem Gutachten des Beklagten noch aus seiner
ergänzenden Stellungnahme, noch aus seinen mündlichen Erörterungen ergibt
sich, dass ihm die Besichtigung des Fahrzeugs gefehlt habe. Das Gutachten ist in
sich schlüssig und nachvollziehbar und setzt sich sowohl mit sämtlichen
Einwendungen der Klägerseite auseinander, als auch mit dem Gutachten . Zu
berücksichtigen ist weiter, dass sich aus dem Beweisbeschluss weder ergibt, dass
das Fahrzeug besichtigt werden kann, noch, dass es besichtigt werden sollte. Die
Frage der Nachbesichtigung ist weder in der ersten noch in der zweiten Instanz
erörtert worden. Bereits aus diesem Grunde scheidet grobe Fahrlässigkeit aus, da
sie voraussetzt, dass der Sachverständige das nicht beachtet hat, was im
gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Weder die in der ersten und
zweiten Instanz beteiligten Richter noch die in diesen Instanzen tätig gewesenen
Prozessbevollmächtigten haben auf die Möglichkeit der Besichtigung hingewiesen.
Es kann also nicht davon ausgegangen, dass die Notwendigkeit einer
Nachbesichtigung jedem hätte einleuchten müssen.
Nach alledem kann eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten nicht festgestellt
werden. Die Klage ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.