Urteil des LG Kassel vom 16.01.2008

LG Kassel: wahlverteidiger, verwaltungsbehörde, rücknahme, fahrtkosten, vertretung, strafverfahren, rechtsstaatsprinzip, gerichtsgebühr, quelle, gewährleistung

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Gericht:
LG Kassel 6. Große
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 Qs 251/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 464a Abs 2 Nr 2 StPO, § 91
Abs 2 S 3 ZPO, § 91 Abs 3
ZPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 5
MRK
Gerichtliches Bußgeldverfahren: Erstattungsfähigkeit der
Kosten für zwei Wahlverteidiger
Tenor
Der Kostenfestsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts Kassel vom 17.07.2007
wird abgeändert.
Es wird richtiggestellt, dass sich das Verfahren gegen die Betroffene ... richtet.
Die aufgrund der Entscheidung des Amtsgerichts Kassel vom 29.11.2006 aus
der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen der Betroffenen betragen
insgesamt 4518,89 Euro.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Betroffene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, jedoch wird die
Gerichtsgebühr um 10% ermäßigt. In diesem Umfang fallen auch die notwendigen
Auslagen der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren der Staatskasse
zur Last.
Gründe
I.
Am 29.11.2006 hat das Amtsgericht Kassel nach erfolgter Rücknahme des
Verfallbescheides durch die Verwaltungsbehörde beschlossen, dass die Kosten des
Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen (des) der Betroffenen nach
Rücknahme des Verfallbescheides der Staatskasse zur Last fallen.
Mit Kostenrechnungen vom 30.11.2006 machte die Betroffene Anwaltskosten für
zwei Verteidiger in Höhe von 4712,78 Euro – Az. C01 2005. SC. 10858 – ... und in
Höhe von weiteren 4674,65 Euro – Az. C01 2005. FM.10858 – ... – geltend. Wegen
der weiteren Einzelheiten wird auf die Honorarrechnungen Ordner III Blatt 76 c und
77 der Akte verwiesen.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17.7.2007, in dem im Rubrum als
Betroffener unzutreffende ... in der ... in ... bezeichnet ist, wurden die von der
Staatskasse an notwendigen Auslagen der Betroffenen zu erstattenden Kosten auf
4038,15 Euro festgesetzt. Dabei wurde nur der Kostenfestsetzungsantrag über
4674,65 Euro zu Az. C01 2005. FM.10858 – ... mit der Abweichung, das die
Umsatzsteuer bei der vorsteuerabzugsberechtigten Betroffenen ohne Ansatz
blieb, berücksichtigt.
Gegen diesen am 23.7.2007 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss richtet
sich die am 26. Juli eingegangene sofortige Beschwerde der Betroffenen. Zur
Begründung wird ausgeführt, der Beschluss beziehe sich auf den falschen
Verteidiger. Der Betroffene sei falsch bezeichnet und die Kostenbeamtin habe von
dem Antrag um 24,59 Euro abgewichen, ohne dass diese Abweichung im
Kostenfestsetzungsbeschluss begründet wurde. Im Übrigen sei der
Kostenfestsetzungsantrag des zweiten Verteidigers unberücksichtigt geblieben.
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Kostenfestsetzungsantrag des zweiten Verteidigers unberücksichtigt geblieben.
Auch die Kosten des 2. Verteidigers seien zu erstatten.
Die Vertreterin der Staatskasse wurde angehört. Das Amtsgericht hat die
Beschwerde der Kammer vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt
worden. Die sofortige Beschwerde hat aber nur zu einem Teil Erfolg.
Zunächst ist das Rubrum des Kostenfestsetzungsbeschlusses dahin gehend zu
berichtigen, dass Betroffene die ... ist. Gegen diese wurde der Verfallbescheid
erlassen. Gegen sie richtet sich auch das Bußgeldverfahren. Entsprechend ist sie
im Rubrum aufzuführen und mithin sind deren notwendige Kosten nach der
Kostengrundentscheidung des Amtsgerichts erstattungsfähig.
Zu diesen notwendigen Kosten gehören nach § 464 a Abs. 2 Ziff. 2 StPO die
Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung zu erstatten sind.
Unter Berücksichtigung beider Kostenfestsetzungsanträge vom 30.11.2006 mit
den jeweils angegebenen Kosten über 4712,78 Euro (Az. C01 2005. SC.10858 – ...)
und 4674,65 Euro (Az. C01 2005. FM.10858 – ...) sind für die anwaltliche
Vertretung im Bußgeldverfahren in Übereinstimmung mit der Bezirksrevisorin
folgende Gebühren und Auslagen gerechtfertigt und zu erstatten:
Umsatzsteuer ist auf diesen Betrag nicht zu erstatten, weil die Betroffene
vorsteuerabzugsberechtigt ist. Es verbleibt bei dem Betrag von 4518,89 Euro.
Da mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts
Kassel vom 17.07.2007 lediglich 4038,15 Euro festgesetzt wurden, ist der
Beschluss abzuändern um weitere 480,74 Euro, mithin der Gesamtbetrag der zu
erstattenden Auslagen auf insgesamt 4518,89 Euro festzusetzen.
Die weitergehende Beschwerde hat keinen Erfolg.
Sie ist unbegründet und insoweit zurückzuweisen. Denn die Kosten für ein zweiten
Verteidiger der Betroffenen gehören nicht zu den nach § 464 a Abs. 2 StPO zu
erstattenden notwendigen Auslagen der Betroffenen.
Die Kosten mehrerer Verteidiger, werden außer in dem nicht vorliegenden Falle
eines notwendigen, vom Betroffenen nicht zu vertretenen Anwaltswechsels, nur
insoweit erstattet, als sie die Kosten eines Rechtsanwaltes nicht übersteigen (§
464 a Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO). Dies gilt grundsätzlich
auch in umfangreichen und schwierigen Verfahren (vergleiche hierzu Meyer-
Goßner, StPO, § 464 a, Rn. 13 mit weiteren Nachweisen; KK-Franke, StPO, 5. Aufl. §
464 a Rn. 13 mit weiteren Nachweisen). Das vorliegende Bußgeldverfahren, das
einen Verfallbescheid zum Gegenstand hatte, gibt keinen Anlass zu einer anderen
Beurteilung. Der Umstand, dass es bei dem Bußgeldverfahren um einen größeren
Betrag ging und deswegen die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel stehen sollte,
was indes nur pauschal mit der Beschwerde erwähnt wird, ist dabei unerheblich.
Denn § 464 a Abs. Nr. 2 StPO i. V. m. § 91 Abs. 3 ZPO macht insoweit keine
weiteren Ausnahmen und auch ansonsten liegen keine besonderen Gründe vor,
wonach selbst aus verständiger Sicht der Betroffenen ein Verteidiger allein zur
ordnungsgemäßen Verteidigung nicht ausreichend gewesen ist.
§ 464 a Abs. Nr. 2 StPO i. V. m. § 91 Abs. 3 ZPO verstößt, soweit er entsprechend
die Erstattung der Kosten für mehrere Wahlverteidiger auf die Kosten begrenzt, die
bei der Vertretung durch einen Verteidiger angefallen wären, schließlich auch nicht
gegen das Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren
(BVerfG, NJW 2004, 3319). Dieser durch Art. 2 I GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes gewährleistete Anspruch umfasst zwar
das Recht des Beschuldigten bzw. Betroffenen, sich im Strafverfahren oder
Bußgeldverfahren – wie hier – von zwei Anwälten seines Vertrauens verteidigen zu
lassen (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3319, BVerfGE 39, 156, 163).
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lassen (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3319, BVerfGE 39, 156, 163).
Daraus folgt aber nicht, dass dem nicht verurteilten Beschuldigten/Betroffenen in
jedem Fall die gesamten Auslagen für seine Wahlverteidiger zu erstatten wären.
Das Recht, bis zu drei Verteidiger zu wählen, ist dem Beschuldigten jedenfalls auch
dann nicht verwehrt, wenn nicht alle Aufwendungen hierfür als erstattungsfähig
anerkannt werden (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3319; BVerfGE 68, 237, 255). Zur
Gewährleistung eines rechtsstaatlich fairen Verfahrens genügt es regelmäßig,
wenn ihm ein Verteidiger zur Seite steht, dessen Kosten im Falle eines Freispruchs
bzw. einer Einstellung grundsätzlich erstattet werden.
Dementsprechend sind nach § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO in Verbindung mit § 91
Abs. 2 S. 3 ZPO nur die Kosten eines Rechtsanwalts zu erstatten, so dass die
weitergehende Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.