Urteil des LG Kassel vom 27.04.2010

LG Kassel: elektrische anlage, mangel, fahrzeug, werkstatt, hauptsache, taxi, vorbenutzung, kopie, pflegebedürftiger, rückabwicklung

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Gericht:
LG Kassel 7.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 O 2091/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 323 BGB, § 433 BGB, § 434
BGB, § 437 Nr 2 BGB
Leitsatz
Die Tatsache, dass ein Pkw beim Vorbenutzer von wechselnden Fahrern für
Einsatzfahrten zur Betreuung pflegebedürftiger Personen eingesetzt wurde, stellt dann
keinen Mangel dar, wenn sich die Nutzung im üblichen Rahmen bewegt hat.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der
Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird festgesetzt auf 6.750,48 €.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Rückabwicklung eines PKW-Kaufvertrages.
Die Klägerin bestellte am 23.08.2007 bei der Beklagten einen Pkw „…“ mit der
Fahrgestellnummer „…“ Erstzulassung: 14.01.2005, zum Kaufpreis von 6.880,00
€. In dem Bestellformular gab die Beklagte an, dass das Fahrzeug laut Vorbesitzer
nicht als Taxi/Miet-/Fahrschulwagen genutzt wurde. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Kopie des Bestellformulars, Blatt 9 der
Akte.
Vorbesitzer des Wagens war der „…“, bei dem er von wechselnden Fahrern für
Einsatzfahrten zur Betreuung pflegebedürftiger Personen eingesetzt worden war.
Die Beklagte hatte den Wagen vor Veräußerung an die Klägerin als
Leasingfahrzeug von dem Zweckverband zurückgekauft.
Die Klägerin zahlte den vereinbarten Kaufpreis an die Beklagte und erhielt den
Wagen am 30.08.2007 mit einer Laufleistung von 27.007 km übergeben. Bei
Übergabe schlossen die Parteien einen Servicegarantievertrag für
Gebrauchtwagen.
Am 09.10.2007 brachte die Klägerin den „…“ in die Werkstatt der Beklagten und
rügte ein mangelhaftes Leistungsvermögen des Motors in bestimmten
Fahrsituationen. Die Werkstatt prüfte die elektrische Anlage des Fahrzeugs und die
Kompression der Zylinder. Einer der Zylinderköpfe wurde nachgeschliffen (vgl.
Kopie der Rechnung vom 11.10.2007, Bl. 19 d. A.).
Erneut gab die Klägerin den Wagen am 08.01.2008 in die Werkstatt der Beklagten
rügte weiter eine unregelmäßige Motorleistung und gab zur Verlängerung der
Servicegarantie eine Inspektion in Auftrag (vgl. Kopien von Auftrag und Rechnung,
Bl. 13 f. d. A.).
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Mit dem Verlangen auf Nachbesserung brachte die Klägerin das Fahrzeug am
02.04.2008 nochmals zur Werkstatt der Beklagten. Die Zylinderköpfe wurden
wiederum überprüft und ein Zylinderkopf erneuert (vgl. Kopie der Rechnung vom
24.04.2008, Bl. 15 f. d. A.).
Am 24.04.2008 fuhr die Klägerin mit dem Fahrzeug ein weiteres Mal zur Werkstatt
der Beklagten und rügte Ausfallerscheinungen des Motors. In der Werkstatt wurde
die elektrische Anlage überprüft und die Lambdasonde ausgetauscht (vgl. Kopie
der Rechnung vom 24.04.2008, Bl. 17 d. A.).
Weitere Reparaturverlangen der Klägerin lehnte die Beklagte in der Folgezeit mit
der Begründung ab, es liege kein Mangel vor.
Mit Anwaltsschreiben vom 29.07.2008 (Bl. 22 ff. d. A.) erklärte die Klägerin
„Wandlung des Fahrzeugkaufs“ und forderte die Beklagte auf, 6.827,80 € bis zum
11.08.2008 Zug um Zug gegen Rückgabe des „…“ zu erstatten.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei nach Wandlung des Vertrages zur
Rückzahlung des Kaufpreises (6.880,00 €) abzüglich gezogener Nutzungen
(165,12 €) in Höhe von 6.714,88 € sowie zum Ersatz der Zulassungskosten in
Höhe von 35,60 € Zug um Zug gegen Rückübereignung des „…“ verpflichtet und
befinde sich mit der Rücknahme des PKW in Annahmeverzug.
Dazu behauptet die Klägerin, die Beklagte habe bei ihr den Eindruck erweckt, dass
das Fahrzeug vor Ankauf nicht gewerblich genutzt worden sei. Sie ist der Ansicht,
damit habe die Beklagte einen ihr bekannten wertmindernden Faktor arglistig
verschwiegen. Hätte die Beklagte über den Umstand des wechselnden
Fahrereinsatzes aufgeklärt, hätte sie den Wagen erst gar nicht erworben.
Außerdem habe der „…“ bereits bei Übergabe am 30.08.2007 einen Mangel
aufgewiesen. In bestimmten Fahrsituationen liege ein mangelhaftes
Leistungsvermögen vor, indem der Motor unvermittelt, wie von Geisterhand, seine
Leistung während laufender Fahrt kurzfristig drossele. Beim Anfahren an
Lichtzeichenanlagen komme es vor, dass der Motor zunächst nicht ziehe, keine
volle Leistung bringe und nur heftig stotternd anfahre. Bei gleichbleibender
Betätigung des Gaspedals verliere es in Kurvenfahrten oder auch auf der
Autobahn plötzlich an Leistung.
Das Nachschleifen des Zylinderkopfs am 09.10.2007 habe die Motorleistung nicht
verbessert. Dadurch sei der Mangel noch verstärkt worden. Nach Abholung des
Fahrzeugs am 08.01.2008 habe sich die Motorleistung weiter verschlechtert, der
Leistungsabfall habe sich danach auch häufig während freier Fahrt eingestellt. Der
Motor habe plötzlich gestottert und beim Anfahren geruckelt. Beim Anfahren oder
Abbremsen sei der Motor auch häufiger ausgegangen. Auch nach dem
Werkstattaufenthalt vom 02.04.2008 seien die Ausfallerscheinungen der
Motorleistung gleich geblieben. Nachdem sie das Fahrzeug am 24.04.2008 von der
Werkstatt in Empfang genommen habe, sei der Mangel schon auf der Heimfahrt
erneut aufgetreten.
Die Klägerin hat ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die
Klägerin 6.750,48 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit 30.08.2008, Zug
um Zug gegen Übergabe des „…“ mit der Fahrgestellnummer „…“ zu bezahlen,
und festzustellen, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet.
Sodann hat sie mit Schriftsatz vom 06.04.2010 die Hauptsache für erledigt erklärt,
da die Fehlfunktion des PKW durch Austausch der Zündspule am 25.08.2009
beseitigt worden ist.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beklagte widerspricht der Erledigung und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, es sei kein Rücktrittsgrund gegeben. Sie behauptet,
das Fahrzeug leide nicht an einem mangelhaften Leistungsvermögen. Die von der
Klägerin behauptete Fahrweise entspreche dem Fahrzeugtyp und sei nur nach
dem subjektiven Empfinden der Klägerin ein Mangel, da sie von einem
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dem subjektiven Empfinden der Klägerin ein Mangel, da sie von einem
Mittelklassewagen auf den preiswerten und sparsamen, auf den
Kurzstreckenverkehr ausgelegten „…“ umgestiegen sei. Das eher
untermotorisierte Fahrzeug verfüge nur über einen kleinen Hubraum und eine
geringe kw-Stärke, die von der Klägerin geschilderten konstruktionsbedingten
Besonderheiten und Eigentümlichkeiten beeinträchtigten nicht die
Gebrauchstauglichkeit oder die Verkehrssicherheit. Sie habe sich intensiv mit den
von der Klägerin gerügten Mängeln befasst, aber nach mehrfacher technischer
Überprüfung keinerlei Fehler festgestellt.
Selbst wenn der von der Klägerin behauptete Mangel bei Übergabe vorhanden
gewesen sein sollte, so sei der Mangel durch die von ihr durchgeführten
Reparaturen behoben worden.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird Bezug genommen auf ihre
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Verhandlungsprotokolle vom 17.03.2009
(Bl. 79 f. d.A.).
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 17.03.2009 (Bl. 82 ff.
d.A.).
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das bei
den Akten befindliche schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl. Ing. „…“
vom 12.11.2009.
Nachdem sich die Parteien auf die gerichtliche Anfrage vom 12.02.2010 (Bl. 155 d.
A.) hin mit den Schriftsätzen vom 17.02.2010 und 08.03.2010 (Bl. 157 und Bl. 159
d. A.) einverstanden erklärt haben, hat das Gericht durch Beschluss vom
15.03.2010 (Bl. 163 d. A.) das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO
angeordnet.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
1. Das Gericht legt die einseitige Erledigungserklärung der Klägerin im Schriftsatz
vom 06.04.2010 als zulässige Klageänderung auf Feststellung, dass sich der
Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat, aus.
2. Eine Erledigung der Hauptsache war allerdings nicht festzustellen, weil die Klage
bereits anfänglich unbegründet war und nicht durch ein (nach Rechtshängigkeit
eintretendes) erledigendes Ereignis unbegründet geworden ist.
Der Klägerin stand der geltend gemachte Anspruch auf Rückabwicklung des
Kaufvertrages gemäß §§ 433, 434, 437 Nr. 2, 323 BGB bereits anfänglich nicht zu,
da die Kaufsache („…“) im maßgeblichen Zeitpunkt des Gefahrübergangs (bei
Übergabe des PKW an die Klägerin am 30.08.2007) nicht mangelhaft war.
a. Bezüglich der Fehlfunktion des PKW (mangelndes Leistungsvermögen bzw.
Stottern des Motors) steht dies zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der
Ausführungen des Sachverständigen „…“ fest. Der Sachverständige hat in seinem
Gutachten folgende Ausführungen gemacht: „Aufgrund der Eindeutigkeit und der
relativ leichten Diagnosefähigkeit des vorliegenden Mangels geht der
nicht
August 2007 vorgelegen hat. Dieser Mangel, also der Isolationsfehler an der
Zündspule, kann dazu führen, dass das Fahrzeug stottert und insbesondere beim
Anfahren an Lichtzeichenanlagen es auch zum Absterben des Motors kommt.“
Diesen in sich schlüssigen, ohne weiteres nachvollziehbaren und überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen schließt sich das Gericht an, so dass zwar
feststeht, dass der streitgegenständliche PKW einen Mangel in Form eines
Isolationsfehlers an der Zündspule aufwies (was dadurch bestätigt wird, dass der
PKW nach Austausch der Zündspule wieder einwandfrei funktioniert), dass dieser
Mangel aber im Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht vorgelegen hat, sondern
erst später aufgetreten ist.
b. Darüber hinaus wies der PKW im Zeitpunkt des Gefahrübergangs auch keine
anderen Mängel auf.
Die Tatsache, dass der (seinerzeit geleaste) PKW beim Vorbesitzer - dem „…“ -
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Die Tatsache, dass der (seinerzeit geleaste) PKW beim Vorbesitzer - dem „…“ -
von wechselnden Fahrern für Einsatzfahrten zur Betreuung pflegebedürftiger
Personen eingesetzt worden war, obwohl die Beklagte im Bestellformular
angegeben hat, dass das Fahrzeug vom Vorbesitzer nicht als Taxi/Miet-
/Fahrschulwagen genutzt wurde, stellt keinen Mangel dar.
Zum einen wurde der PKW – wie von der Beklagten korrekt angegeben – nicht als
Taxi oder Miet- bzw. Fahrschulwagen, sondern als Firmenwagen genutzt. Selbst
wenn man aber die für Taxen und Mietwagen entwickelten Grundsätze – wegen
einer grundsätzlich vergleichbaren Interessenlage - auch auf Firmenwagen
anwenden würde, ergäbe sich im vorliegenden Fall kein Mangel.
Ob eine atypische Vorbenutzung des Fahrzeugs zu einer Beeinträchtigung
und/oder Wertminderung geführt hat und daher einen Mangel darstellt, hängt von
dem jeweiligen Einzelfall ab. Entscheidend ist dabei auf Kriterien wie z.B. Alter,
Fahrleistung, Art des Motors, Dauer der atypischen Vorbenutzung abzustellen (vgl.
Reinking/Eggert, Der Autokauf, 7. Auflage, Rdn. 1610).
Bei einer mehrjährigen ununterbrochenen Nutzung als Taxi, einem langjährigen
ununterbrochenen Einsatz als Fahrschulwagen oder auch als Mietwagen wird beim
Verkauf regelmäßig eine Offenlegung der Vorbenutzung erfolgen müssen (vgl.
BGH, BB 1977, 61 ff.; OLG Nürnberg, MDR 1985, 672; OLG Köln, NJW-RR 1990,
1144). Denn eine derartige atypische Vorbenutzung stellt einen die Wertbildung
negativ beeinflussenden Faktor dar und löst in der Regel einen merkantilen
Minderwert des Fahrzeugs aus.
Die Umstände des vorliegenden Falls führen indessen zur Verneinung eines
merkantilen Minderwertes und damit zur Verneinung eines Mangels, da keine
langjährige Nutzung durch den Voreigentümer als Firmenwagen erfolgt ist und sich
die Laufleistung mit 27.007 km innerhalb von 2,5 Jahren im üblichen Rahmen
bewegt.
II. Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich hinsichtlich der Kosten
aus §§ 91 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708
Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
III. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 3 ZPO. Hierbei geht das Gericht
davon aus, dass sich der Streitwert auch nach der einseitigen
Erledigungserklärung der Klägerin mit dem Streitwert des ursprünglichen
Klageantrags in der Hauptsache deckt (vgl. OLG Brandenburg, NJW-RR 1996, 1472;
OLG Frankfurt, JurBüro 82, 914; OLG Köln, MDR 1995, 103; OLG Koblenz, JurBüro
1984, 282; OLG Düsseldorf, JurBüro 1994, 114; OLG München, JurBüro 85, 1084).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.