Urteil des LG Kassel vom 01.07.2010

LG Kassel: örtliche zuständigkeit, vergleich, vollstreckungstitel, zwangsvollstreckungsverfahren, androhung, unterlassen, fax, anhörung, zwangsgeld, hausordnung

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Gericht:
LG Kassel 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 T 272/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 72 Abs 2 GVG, § 890 ZPO
Leitsatz
Wird die Zwangsvollstreckung gemäß § 890 ZPO aus einem Vollstreckungstitel (hier:
Vergleich) betrieben, der in einem Wohnungseigentumsverfahren geschaffen worden
ist, ist das besondere Berufungs- und Beschwerdegericht i.S.v. § 72 II GVG für das
Beschwerdeverfahren örtlich zuständig. Dies gilt auch, wenn das
Wohnugseigentumsverfahren vor dem 01.07.2007 anhängig geworden ist, solange das
Vollstreckungsverfahren erst danach eingeleitet worden ist.
Tenor
Das Landgericht Kassel ist örtlich unzuständig.
Das Verfahren wird an das Landgericht Frankfurt/Main als gemeinsames
Berufungs-/Beschwerdegericht für Wohnungseigentumssachen abgegeben.
Gründe
I. Die Beteiligten sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft „…“ in
„…“. Mit Antragsschrift vom 27.12.2006 (Bl. 1 ff. I d.A.), die tags darauf bei Gericht
eingegangen ist, strebte die Beschwerdeführerin – sinngemäß – die Verpflichtung
der Beschwerdegegnerin an, zur Vermeidung von Schallübertragung den
Trittschallschutz sach- und fachgerecht herzustellen und Lärmbeeinträchtigungen,
die durch Trampeln, Lärmen, Toben und Schreien entstehen, zu unterlassen. Die
Beteiligten legten ihren Streit durch den ihm Termin vom 04.11.2008
protokollierten Vergleich (Bl. 193 f. I d.A.) einvernehmlich bei. Die im vorliegenden
Zusammenhang allein maßgebliche und unter Ziffer 2 des Vergleichs getroffene
Regelung lautet wie folgt: „Die Parteien sind sich darüber einig, dass sowohl die
Antragsgegnerin als auch die Antragstellerin Sorge dafür trägt, dass entsprechend
der Hausordnung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 15.00 Uhr und ab 22.00 Uhr
störende Geräusche, wie Trampeln, an Heizkörper schlagen, Gegenstände
mutwillig auf den Boden fallen lassen, Poltern, nicht mehr schuldhaft verursacht
werden“.
Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 13.05.2009 (Bl. 1 ff. II d.A.)
beantragte die Beschwerdeführerin die Androhung von Ordnungsmitteln und führte
zur Begründung aus, die Beschwerdegegnerin habe mehrfach gegen die von ihr in
dem Vergleich eingegangene Unterlassungsverpflichtung verstoßen. Diesem
Begehren entsprach das Amtsgericht durch Beschluss vom 28.09.2009 (Bl. 87 f.
d.A.).
Daraufhin hat die Beschwerdeführerin unter dem 24.09.2009 (Bl. 82 ff. II d.A.) die
Festsetzung von „Zwangsgeld“ beantragt und zur Begründung auf zahlreiche in
einem „Lärmprotokoll“ (Bl. 84 f. II d.A.) niedergelegte Beeinträchtigungen
verwiesen. Nach persönlicher Anhörung der Beteiligten und Vernehmung mehrerer
Zeugen hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 23.03.2010, auf den Bezug
genommen wird (Bl. 139 ff. II d.A.), den Antrag zurückgewiesen. Gegen die ihren
Verfahrensbevollmächtigten ausweislich Empfangsbekenntnis (Bl. 157 II d.A.) am
01.04.2010 zugestellte Entscheidung richtet sich das Rechtsmittel vom 15.04.2010
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01.04.2010 zugestellte Entscheidung richtet sich das Rechtsmittel vom 15.04.2010
(Bl. 159 f. d.A.), das per Fax am selben Tag bei dem Amtsgericht eingegangen ist
und mit dem die Beschwerdeführerin ihr ursprüngliches Begehren weiterverfolgt.
Daraufhin hat das Amtsgericht die Verfahrensakten der Kammer vorgelegt.
Der zuständige Einzelrichter hat das Verfahren am 29.06.2010 der Kammer nach §
568 II ZPO zur Entscheidung übertragen.
II. Die Beschwerdekammer bei dem Landgericht Kassel ist für die Entscheidung
über das erhobene Rechtsmittel örtlich nicht zuständig, vielmehr ist die
Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt eröffnet. Dies folgt aus § 72 II GVG.
Danach ist gemeinsames Berufungs- und Beschwerdegericht in Streitigkeiten nach
§ 43 Nr. 1 bis 4 und 6 des Wohnungseigentumsgesetzes das für den Sitz des
Oberlandesgerichts zuständige Landgericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts,
in dem das Amtsgericht seinen Sitz hat.
Allerdings ist eine Streitigkeit i.S. der genannten Vorschriften nicht Gegenstand
des vorliegenden Beschwerdeverfahrens; denn durch den Vergleich vom
04.11.2008 hat das schon im Jahr 2006 anhängig gemachte
Wohnungseigentumsverfahren sein Ende gefunden. Im hier gegebenen
Zusammenhang streiten die Beteiligten vielmehr um die Zwangsvollstreckung
nach § 890 ZPO; denn in dem damals geschaffenen Vollstreckungstitel hat sich die
Beschwerdegegnerin verpflichtet, bestimmte Handlungen in Zukunft zu
unterlassen. Maßgebend für dieses Verfahren ist - wie schon nach § 45 III WEG a. F.
(dazu OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.11.2007 - 20 W 173/07 m.w.N.) - die
Zivilprozessordnung. Dennoch führt dies nicht zur Zuständigkeit des Landgerichts
Kassel.
Dies könnte nämlich nur dann der Fall sein, wenn dem
Zwangsvollstreckungsverfahren eine besondere sachliche Nähe zu dem
vorangegangenen Erkenntnisverfahren fehlte. Eine solche Sachnähe ist etwa dann
zu verneinen, wenn streitbefangen die Zwangsvollstreckung durch einen
Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist. Selbst wenn der zugrundeliegende
Vollstreckungstitel in einem Wohnungseigentumsverfahren erstritten worden ist,
ist für das Rechtsmittel der Beschwerde in dieser Konstellation die Zuständigkeit
des dem Amtsgericht nach § 72 I GVG übergeordneten Landgerichts eröffnet (so
zutreffend OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.08.2008 – 15 AR 23/08).
Damit ist die hier vorliegende Fallgestaltung jedoch nicht vergleichbar. Anders als
bei der Vollstreckung einer Geldforderung oder anderer vermögensrechte, die
nach § 828 ZPO dem Amtsgericht als Vollstreckungsgericht zugewiesen ist, hat
über die hier in Rede stehende Zwangsvollstreckung gemäß § 890 I ZPO das
Prozessgericht zu entscheiden. Damit weist ein solches Vollstreckungsverfahren
eine deutliche Nähe zum vorangegangenen Erkenntnisverfahren auf; denn die
Zuweisung solcher Vollstreckungsverfahren an das Prozessgericht kann nur
bezwecken, sich der im Vergleich zum Vollstreckungsgericht besseren Sachkunde
des Prozessgerichts zu bedienen. Dies rechtfertigt es aber auch, in der hier
gegebenen Fallgestaltung die Entscheidung über Beschwerden den Landgerichten
zuzuweisen, denen der Gesetzgeber durch § 72 II GVG die Bearbeitung von
Rechtsmitteln in wohnungseigentumsrechtlichen Erkenntnisverfahren übertragen
hat (OLG Oldenburg, Beschluss vom 17.10.2008 – 5 AR 41/08 – für eine
Vollstreckung nach § 827 ZPO; vgl. auch OLG Karlsruhe aaO.); denn in dem einen
wie dem anderen Fall geht es darum, der durch die Konzentration der Verfahren u.
a. beabsichtigten Qualitätssteigerung Geltung zu verschaffen. Damit ist für die
vorliegende Fallgestaltung nicht die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Kassel
sondern diejenige des Landgerichts Frankfurt eröffnet.
Dem steht letztlich nicht entgegen, dass das Wohnungseigentumsverfahren
bereits im Dezember 2006 und mithin vor dem 01.07.2007 anhängig gemacht
worden ist. Zwar hätte über ein Rechtsmittel im Rahmen des Erkenntnisverfahrens
– noch – das Landgericht Kassel zu befinden gehabt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss
vom 04.09.2007 – 20 W 325/07), das hier streitbefangene
Zwangsvollstreckungsverfahren ist aber vom Erkenntnisverfahren unabhängig und
stellt ein eigenständiges Verfahren dar. Maßgeblich ist deshalb nicht etwa der
Zeitpunkt, zu dem das Erkenntnisverfahren anhängig gemacht worden ist,
sondern der Antrag i.S. von § 890 ZPO. Dies ist hier der 25.09.2009 (vgl. Bl. 82 II
d.A.) gewesen. Damit ist die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am
Main als gemeinsames Berufungs- und Beschwerdegericht i.S. von § 72 II GVG
eröffnet. Daran änderte sich im Ergebnis nichts, wollte man auf den Antrag auf
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eröffnet. Daran änderte sich im Ergebnis nichts, wollte man auf den Antrag auf
Androhung von Ordnungsmitteln abstellen; denn auch dieser ist nach dem
30.06.2007, nämlich am 14.05.2009, anhängig gemacht worden (Bl. 1 II d.a.).
Danach war das Verfahren an das Landgericht Frankfurt abzugeben.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.