Urteil des LG Kassel vom 10.11.2010

LG Kassel: öffentlich, beitragsschuld, echtes unterlassungsdelikt, einfluss, zivilrecht, straftat, körperschaft, rechtsform, anhörung, betriebskrankenkasse

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Gericht:
LG Kassel 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 T 639/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 13 GVG
Leitsatz
Für die Klage auf Feststellung, dass eine öffentlich-rechtliche Beitragsschuld aufgrund
einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung nicht erfüllt worden ist, ist der Rechtsweg zu
den Sozialgerichten auch dann eröffnet, wenn klageweise nur die gen. Feststellung und
nicht zugleich auch die öffentlich-rechtliche Beitragsschuld geltend gemacht wird
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Korbach vom 24. August
2010 wird zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf 3.000,00
€.
Gründe
I.
In dem vom Beschwerdegegner geführten Betrieb war eine bei der
Beschwerdeführerin, einer Betriebskrankenkasse in der Rechtsform einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts, krankenversicherte Arbeitnehmerin
beschäftigt. Durch Beschluss des Amtsgerichts Korbach vom 2. Februar 2009 (Bl.
11 f. d.A.) wurde über das Vermögen des Beschwerdegegners das
Insolvenzverfahren eröffnet und Frau Rechtsanwältin „…“ zur Insolvenzverwalterin
bestellt. Die Beschwerdeführerin meldete rückständige
Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 7.274,86 € zur Insolvenztabelle an.
Ferner gab sie an, dass ein Teilbetrag der Forderung in Höhe von 1.870,89 € auf
einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Beschwerdegegners
beruhe. Letzterem widersprach der Beschwerdegegner, weswegen die
Beschwerdeführerin daraufhin bei dem Amtsgericht Korbach Klage erhob mit dem
Antrag festzustellen, dass die angemeldete Forderung in Höhe von 1.870,89 € aus
dem Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung gemäß § 823
Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 a StGB herrühre.
Das Amtsgericht hat nach Anhörung der Parteien durch Beschluss vom 24. August
2010 (Bl. 67 ff. d. A.) gemäß § 17a Abs. 2 GVG den Rechtsweg zu den ordentlichen
Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Kassel
verwiesen. Das Amtsgericht hat zur Begründung ausgeführt, dem Rechtsstreit
liege eine öffentlich-rechtliche Forderung der Beschwerdeführerin gegen den
Beschwerdegegner zugrunde. Der Umstand, dass die Forderung zugleich auf den
Rechtsgrund der unerlaubten Handlung gestützt werde, ändere an der Einordnung
der Streitigkeit als solche des öffentlichen Rechts und damit an der Zuständigkeit
der Sozialgerichte nichts. Dies müsse auch dann gelten, wenn in einem
Rechtsstreit ausschließlich über die Frage des Vorliegens einer vorsätzlich
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Rechtsstreit ausschließlich über die Frage des Vorliegens einer vorsätzlich
begangenen unerlaubten Handlung gestritten werde, die zugrunde liegende
Forderung auf Zahlung der Beiträge an sich aber unstreitig sei. Maßgeblich – so
dass Amtsgericht weiter – sei allein, ob der Anspruch seine Grundlage in einem
öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis habe. Nicht entscheidend sei indes, wo der
Schwerpunkt des jeweiligen Rechtsstreits liege.
Das Amtsgericht hat weiter ausgeführt, eine Zuständigkeit der Zivilgerichte könne
in ähnlich gelagerten Konstellationen nur dann angenommen werden, wenn der
geltend gemachte Anspruch erst aus § 823 Abs. 2 BGB folge, etwa weil ein Dritter
und nicht der gesetzliche Schuldner der Krankenversicherungsbeiträge sich nach §
266 a StGB strafbar gemacht habe. Schließlich sprächen auch die Motive des
Gesetzgebers sowie prozessökonomische Gründe für die einheitliche
Zuständigkeit der Sozialgerichte für sämtliche Rechtsstreitigkeiten betreffend die
Beitragsschuld eines Schuldners von Sozialversicherungsbeiträgen.
Der teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht, für Klagen der
vorliegenden Art sei stets der Zivilrechtsweg eröffnet (vgl. Landessozialgericht
Baden-Württemberg, Entscheidung vom 30. August 2005, Aktenzeichen L 9 SF
863/05), könne – so das Amtsgericht abschließend – damit nicht gefolgt werden.
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen
Beschlusses verwiesen.
Gegen den der Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 7.
September 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die am 21. September 2010
per Fax eingegangene Beschwerde (Bl. 81 ff. d. A.), mit der die Beschwerdeführerin
zur Begründung anführt, streitig sei vorliegend allein die Qualifizierung der
unstreitig öffentlich-rechtlichen Forderung als solche, die auch aus dem
Rechtsgrund der unerlaubten Handlung geschuldet sei. Diese Frage, die allein im
Rahmen des Insolvenzrechts Bedeutung habe, sei nach zivilrechtlichen
Grundsätzen zu beurteilen. Eine einheitliche Zuständigkeit der Zivilgerichte oder
aber der Verwaltungsgerichte bzw. Sozialgerichte sei im vorliegenden Kontext
ohnehin nicht gegeben. Zudem bestünden auch für Feststellungsklagen gemäß §§
184, 181, 302 Nr. 1 InsO keine Bedenken gegen die Zuständigkeiten der
ordentlichen Gerichte.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren der
Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
Der zuständige Einzelrichter hat das Verfahren gemäß § 568 Abs. 2 ZPO durch
Beschluss vom 22. Oktober 2010 (Bl. 92 d. A.) der Kammer zur Entscheidung
übertragen.
II.
Die gemäß § 17a Abs. 4 S. 3 GVG i. V. m. § 567 ZPO statthafte, form- und
fristgerecht im Sinne von § 569 ZPO und auch im Übrigen zulässig erhobene
Beschwerde konnte in der Sache keinen Erfolg haben, denn das Amtsgericht hat
zutreffend die Eröffnung des Zivilrechtsweges verneint.
Gemäß § 185 InsO hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Frage,
welcher Rechtsweg für Streitigkeiten eröffnet ist, keinen Einfluss. Vielmehr sind
Klagen auf Feststellung einer streitigen Forderung zur Tabelle im Sinne §§ 180 ff.
InsO in dem jeweils zulässigen Rechtsweg zu erheben (vgl. Münchner Kommentar
zur InsO, 2. Aufl., § 185 Rn. 1; Braun, InsO, 4. Aufl., § 185 Rn. 1). Maßgeblich ist
somit - und dies hat das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss ausführlich
dargelegt -, ob Gegenstand des Rechtsstreites eine öffentlich-rechtliche
Streitigkeit oder aber eine privatrechtliche Streitigkeit ist. Weist eine Streitigkeit
sowohl zivilrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Bezüge auf, ist entscheidend,
wo der Schwerpunkt liegt.
Die vorliegende Fallkonstellation ist streitig und – soweit ersichtlich -
höchstrichterlich noch nicht entschieden. Dass der Bundesgerichtshof bereits in
ähnlichen Rechtsstreitigkeiten in der Sache entschieden hat, ohne zur Zulässigkeit
der Klage vor den ordentlichen Gerichten Stellung zu nehmen (vgl. Entscheidung
vom 18. Januar 2007, Az. IX ZR 176/05), erklärt sich aus § 17a Abs. 5 GVG. Danach
ist die Zulässigkeit des Rechtsweges in der zweiten und dritten Instanz nicht zu
prüfen, wenn die Vorinstanz in der Sache entschieden hat.
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Die Kammer teilt die Ansicht des Amtsgerichts, wonach dem vorliegenden
Verfahren (schwerpunktmäßig) eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit zugrunde liegt
und der Umstand, dass allein das Vorliegen einer vorsätzlich begangenen
unerlaubten Handlung im Streit ist, daran nichts ändert. Die Kammer schließt sich
den ausführlichen Gründen des angefochtenen Beschlusses uneingeschränkt an.
Der Umstand, dass zu dem öffentlich-rechtlichen Beitragsschuldverhältnis
aufgrund der gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 a StGB als zivilrechtlich
einzustufenden Verletzung des Vermögens der Beschwerdeführerin ein
zivilrechtlicher Anspruchsgrund hinzutritt, kann - jedenfalls in der vorliegenden
Konstellation - nicht dazu führen, dass für die öffentlich-rechtliche Beitragsschuld
die Sozialgerichte und für die Einkleidung genau dieser öffentlich-rechtlichen
Beitragsschuld in den zivilrechtlichen Haftungsanspruch die ordentlichen Gerichte
zuständig wären. Schwerpunktmäßig handelt es sich auch im letztgenannten Fall
um die öffentlich-rechtliche Beitragsschuld, die lediglich in einem anderen
rechtlichen Gewand erscheint. Durch das Hinzutreten der zivilrechtlich relevanten
Straftat ändert sich die ursprüngliche Beitragsschuld nicht so wesentlich, dass der
Schwerpunkt der Rechtsstreitigkeit nunmehr im Zivilrecht zu sehen wäre. Die
Beitragsschuld bestimmt sich auch im Rahmen der Haftung nach §§ 823 Abs. 2
BGB, 266 a StGB allein nach den Vorschriften des öffentlich-rechtlichen
Sozialrechts. Bei der Strafvorschrift des § 266 a StGB handelt es sich um ein sog.
echtes Unterlassungsdelikt, bei dem sich der Beitragsschuldner – beim Vorliegen
weiterer Voraussetzungen – bereits durch bloßes Nichtstun strafbar macht.
Insgesamt ist es damit nicht gerechtfertigt, den Schwerpunkt des zwischen den
Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnisses aufgrund des Hinzutretens der
Straftat nunmehr im Zivilrecht zu sehen.
Soweit teilweise ausgeführt wird (vgl. Landgericht Verden NZS 2010, 527), es
ginge in Fällen der vorliegenden Art nicht um die Höhe der zu zahlenden Beträge,
sondern nur um die Voraussetzungen der Feststellung der Forderung zur
Insolvenztabelle als aus dem Rechtsgrund der vorsätzlich unerlaubten Handlung
begangen, so kann dem nur bedingt gefolgt werden. Zwar ist auch im
vorliegenden Verfahren die Forderung grundsätzlich zur Tabelle angemeldet und
nicht bestritten, so dass es allein um die genannte Feststellung geht. Indes hat
auch in dem isolierten Feststellungsverfahren eine Prüfung dahingehend zu
erfolgen, ob die geltend gemachte Forderung dem Grunde nach überhaupt
besteht. Der Umstand, dass dies – wie auch vorliegend - unstreitig ist, entbindet
das erkennende Gericht nicht davon, dies rechtlich zu prüfen. Die Rechtsbeziehung
zwischen den Beteiligten hat also auch in dem Feststellungsverfahren ihren
Schwerpunkt im öffentlichen Recht (nach der Ansicht in Braun, InsO, 4. Aufl., § 185
Rn. 7, ist der Sozialversicherungsträger sogar berechtigt, die Feststellung durch
Verwaltungsakt zu bestimmen).
Soweit die Beschwerdeführerin anführt, bei Feststellungsklagen der vorliegenden
Art gehe es nicht um die Beitragsschuld an sich, sondern um die Vermeidung der
Restschuldbefreiung und ferner auf das Eingreifen unterschiedlicher
Verjährungsvorschriften verweist, handelt es sich lediglich um die wirtschaftlichen
Hintergründe bzw. die Folgen, die auf die Frage der Einordnung der
Rechtsstreitigkeit keinen Einfluss haben.
Die Beschwerde konnte damit keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge
des § 91 ZPO zurückzuweisen.
Den Gegenstandswert hat die Kammer nach § 47 GKG festgesetzt und sich dabei
am Regelstreitwert orientiert.
Gemäß § 574 Abs. 3 S. 1 ZPO war die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.