Urteil des LG Kassel vom 12.04.2007
LG Kassel: auflage, wohnung, zukunft, verwertung, abrechnung, auskunft, willenserklärung, form, zugehörigkeit, anfechtung
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Gericht:
LG Kassel 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 T 30/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 InsO, § 16 Abs 2 WoEigG
Freigabe von Wohnungseigentum aus der Insolvenzmasse:
Haftung des Wohnungseigentümers für Hausgeldschulden
aus der Zeit des Insolvenzbeschlags
Tenor
Der (Teil-) Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 13.12.2006 wird
abgeändert. Der Antrag vom 13.12.2006 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu
tragen, eine Erstattung der durch das Beschwerdeverfahren veranlassten
außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.
Der Beschwerdewert beträgt 6.168,15 Euro.
Gründe
I. Die Antragstellerin ist Verwalterin der eingangs bezeichneten
Wohnungseigentumsanlage und verlangt von dem Beschwerdeführer, einem
Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft, Bezahlung restlichen Hausgeldes.
Durch Beschluss vom 13.12.2004 – im Verfahren 660 IN 119/04 – eröffnete das
Amtsgericht – Insolvenzgericht – Kassel das Insolvenzverfahren über das
Vermögen des Beschwerdeführers und bestellte Herrn Rechtsanwalt ... zum
Insolvenzverwalter (vgl. Bl. 60 f. d. A.). Daraufhin meldete die Antragstellerin mit
Schreiben vom 24.05.2005 (Bl. 72 d. A.) die vom Beschwerdeführer in der Zeit
vom 01.04.2004 bis 13.10.2004 nicht entrichteten Abschlagszahlungen in Höhe
von 2.303,63 Euro zur Insolvenztabelle an. Dieser Betrag wurde in der
Schlussverteilung vom 23.01.2006 (Bl. 67 f d. A.) berücksichtigt. Bereits zuvor,
nämlich mit seinem an das Amtsgericht gerichteten Schreiben vom 08.07.2005
(Bl. 65 d. A.), hatte der Insolvenzverwalter die Freigabe der Wohnung erklärt.
In der Folgezeit beschlossen die Wohnungseigentümer in ihren Versammlungen
vom 12.07.2005 und vom 04.08.2006 nach den maßgebenden Protokollen, auf die
Bezug genommen wird (Bl. 19 f. d. A.; Bl. 14 – 17 d. A.), die Jahresabrechnungen
für die Jahre 2004 und 2005 sowie den Wirtschaftsplan für das Jahr 2006. Im
einzelnen ergab sich dabei nach TOP 3 des Protokolls vom 12.07.2005 i. V. m. der
Abrechnung vom 19.07.2005 (Bl. 18 d. A.) für das Jahr 2004 eine Forderung von
2.701,77 Euro, nach TOP 3 des Protokolls vom 04.08.2006 i. V. m. der Abrechnung
vom 17.07.2006 (Bl. 21 d. A.) für das Jahr 2005 eine Forderung von 3.458,38 Euro
sowie nach TOP 5 des Protokolls vom 04.08.2006 i. V. m. dem danach
fortgeltenden Wirtschaftsplan 2005 (Bl. 22 d. A.) eine Forderung für die Zeit vom
01.01.2006 bis 30.09.2006 von weiteren 2.610 Euro.
Unter Hinweis auf die ihr nach TOP 7 des Protokolls vom 04.08.2006 eingeräumte
Verfahrensstandschaft hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 27.09.2006
zunächst den sich daraus ergebenden Gesamtbetrag von 8.770,15 Euro nebst
Zinsen zuzüglich weiterer 8 Euro für die Einholung einer Auskunft aus dem
Melderegister (Bl. 23 d. A.) geltend gemacht. Nachdem das Amtsgericht in seiner
Ladungsverfügung vom 06.11.2006 (Bl. 24 d. A.) darauf hingewiesen hatte, dass
die Wirksamkeit des Beschlusses über die Fortgeltung des Wirtschaftsplans 2005
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die Wirksamkeit des Beschlusses über die Fortgeltung des Wirtschaftsplans 2005
für das Jahr 2006 fraglich erscheine, hat die Antragstellerin im Termin vom
13.12.2006 lediglich die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Zahlung von
6.168,15 Euro nebst Zinsen – mithin des sich aus den Abrechnungen für die Jahre
2004 und 2005 ergebenden Betrages – angestrebt. Dem ist das Amtsgericht
durch Teilbeschluss vom 13.12.2006, auf den Bezug genommen wird (Bl. 36 – 39
d. A.), gefolgt. Dagegen richtet sich das Rechtsmittel vom 11.01.2007 (Bl. 44 f. d.
A.), mit dem sich der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die im Oktober 2004
erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die ihm auferlegte
Zahlungspflicht wendet. Ergänzend hat er mit Schreiben seines
Verfahrensbevollmächtigten vom 28.02.2007 mitgeteilt, dass er über die Freigabe
des Wohnungseigentums durch den Insolvenzverwalter nicht unterrichtet worden
sei. Dem ist die Antragstellerin, die sich gegen das Rechtsmittel wendet, nicht
entgegengetreten.
II. Das nach § 45 I WEG statthafte Rechtsmittel wahrt Form und Frist der §§ 21, 22 I
FGG und ist mithin zulässig. Es hat auch in der Sache Erfolg.
Wohl ist jeder Wohnungseigentümer nach § 16 II WEG verpflichtet, die Lasten des
gemeinschaftlichen Eigentums sowie die Kosten der Instandhaltung,
Instandsetzung, sonstigen Verwaltung und eines gemeinschaftlichen Gebrauchs
des gemeinschaftlichen Eigentums nach dem Verhältnis seines Anteils zu tragen.
Demgemäß haben die Wohnungseigentümer die den im Beschwerdeverfahren
streitbefangenen Forderungen zugrunde liegenden Jahresabrechnungen in den
unter Ziffer I dieser Entscheidung angeführten Eigentümerversammlungen
beschlossen. Diese Beschlüsse sind mangels Anfechtung bestandskräftig.
Dennoch war dem Rechtsmittel der Erfolg nicht zu versagen; denn der
Beschwerdeführer ist nicht Schuldner der gegen ihn erhobenen Forderungen.
Aufgrund der am 13.10.2004 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über
sein Vermögen hat der Beschwerdeführer die Befugnis, das zur Insolvenzmasse
gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, verloren, § 80 I InsO.
Daran hat sich hinsichtlich der hier streitbefangenen Forderungen auf Zahlung von
Hausgeldern für die Jahre 2004 und 2005 durch die am 08.07.2005 (Bl. 65 d. A.)
erklärte Freigabe des Wohnungseigentum aus der Insolvenzmasse nichts
geändert. Wohl hat eine solche Freigabe die Überführung eines zur Masse
gehörenden Vermögensgegenstandes in das insolvenzfreie Vermögen des
Schuldners zur Folge, der damit wieder in vollem Umfang in seine Rechte als
Wohnungseigentümer eintritt (BGH, Urteil vom 07.12.2006 – IX ZR 161/04 – Rn. 20;
ders, Urteil vom 19.01.2006 – IX ZR 232/04 – Rn. 25; vgl. auch Staudinger-Bub,
BGB, 13. Bearbeitung 2005, § 28 WEG Rn. 211; allg. Uhlenbruck, InsO, 12. Auflage,
§ 35 Rn. 23). Dies besagt jedoch nicht zugleich, dass der Wohnungseigentümer
damit Schuldner auch derjenigen Forderungen wird, die während der Dauer der
Insolvenzverstrickung seines Wohnungseigentums entstanden oder fällig geworden
sind. Allein um solche Forderungen geht es vorliegend indes; denn der
Beschwerdeführer hat unwidersprochen vorgebracht, erst im Verlauf des
Beschwerdeverfahrens Kenntnis von der Freigabe seines Wohnungseigentums
erlangt zu haben. Damit ist die Freigabe, die als empfangsbedürftige
Willenserklärung gegenüber dem Schuldner zu erfolgen hat (BGH, Urteil vom
07.12.2006 – IX ZR 161/04 – Rn. 20; Staudinger aaO. § 28 Rn. 211), erst nach
Ablauf der Zeiträume, für die vorliegend Hausgeldforderungen erhoben werden,
wirksam geworden.
Ob die Freigabe von Wohnungseigentum aus der Insolvenzmasse aber dazu führt,
dass der Wohnungseigentümer Schuldner auch hinsichtlich rückständiger
Beitragsschulden, also solcher Verbindlichkeiten, die während der Dauer des
Insolvenzbeschlags entstanden oder fällig geworden sind, wird, ist, soweit
ersichtlich, bislang nicht hinreichend geklärt. Nur vereinzelt wird dies in der
Kommentarliteratur ohne nähere Begründung bejaht (so Palandt-Bassenge, BGB.
66. Auflage § 16 WEG Rn. 16 a), regelmäßig indes nicht erörtert (vgl. etwa
Staudinger aaO. § 28 WEG 211 – 215; Weitnauer, WEG, 9. Auflage, § 16 Rn. 43;
Erman, BGB, 11. Auflage, § 10 WEG Rn. 5; Uhlenbruck aaO. § 35 Rn. 23). Lediglich
in der insolvenzrechtlichen Kommentarliteratur findet sich die – eher beiläufig –
geäußerte Auffassung, dass die Freigabe von Vermögensgegenständen aus der
Insolvenzmasse nur für die Zukunft wirke (Münchner Kommentar zur InsO, § 35 Rn.
103). Dem schließt sich die Kammer an; denn nur diese Ansicht steht im Einklang
mit dem geltenden Insolvenzrecht und berücksichtigt zugleich angemessen die
Besonderheiten, die sich aus dessen Zusammentreffen mit den rechtlichen
Gegebenheiten, denen ein Wohnungseigentümer angesichts seiner zwingenden
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Gegebenheiten, denen ein Wohnungseigentümer angesichts seiner zwingenden
Zugehörigkeit zu einer Wohnungseigentümergemeinschaft unterliegt.
So bezieht sich nach dem Gesagten die Freigabe auf Gegenstände, die zur
Insolvenzmasse gehören (vgl. Uhlenbruck aaO. Rn. 23; Münchner Kommentar aaO.
Rn. 100). Zugleich wird die Insolvenzmasse von Verbindlichkeiten – in der Regel
dinglichen Belastungen – frei, die sich auf das freigegebene Recht beziehen. Bei
den hier streitbefangenen Beitragsforderungen handelt es sich indes nicht um
dingliche Lasten sondern um Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen
Eigentums, vgl. § 16 II WEG, die der Wohnungseigentümer auf der Grundlage der
von der Eigentümergemeinschaft gefassten Beschlüsse zu tragen hat. Sie sind
mithin persönlicher Natur (vgl. zu all dem AG Mannheim NZM 2004, 800 m. w. N.).
Wollte man dennoch die Freigabe von Wohnungseigentum rückwirkend auf die
während der Dauer des Insolvenzbeschlags entstandenen Beitragsforderungen
erstrecken, wären zugleich zwischenzeitlich gezogenen Nutzungen aus der
Insolvenzmasse frei- und an den Wohnungseigentümer herauszugeben; denn für
eine unterschiedliche Handhabung von aufgelaufenen Verbindlichkeiten einerseits
und gezogenen Vorteilen andererseits fehlt es an jedem sachlichen Grund. Eine
solche Herausgabe von gezogenen Nutzungen aus der Masse sieht das
Insolvenzrecht indes nicht vor. Schließlich führte eine Rückwirkung der Freigabe in
letzter Konsequenz dazu, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das
Vermögen eines Wohnungseigentümers allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht
käme. Zu beachten ist nämlich, dass der Insolvenzverwalter – entgegen des ihm
sonst nach § 103 InsO zustehenden Wahlrechts – gehindert ist, ohne Veräußerung
des Wohnungseigentum aus der Wohnungseigentümergemeinschaft
auszuscheiden und sich so den aus § 16 II WEG ergebenden Zahlungspflichten zu
entziehen; denn die Mitgliedschaft an einer Wohnungseigentümergemeinschaft
wird kraft Gesetzes allein durch den Erwerb von Wohnungseigentum begründet
und durch deren Verlust beendet (vgl. nur Palandt-Bassenge aaO. WEG Einleitung
Rn. 3 a. E.). Kommt aber eine Verwertung des Wohnungseigentum durch
Veräußerung nicht in Betracht, weil, wie es nicht selten der Fall sein dürfte, der
Wohnungseigentümer die ihm zu Sondereigentum zugewiesene Wohnung selbst
bewohnt und das Wohnungseigentum über den Verkehrswert hinaus belastet ist,
wird dies der Insolvenzverwalter regelmäßig zum Anlass nehmen, das
Wohnungseigentum aus der Insolvenzmasse freizugeben, weil die Aktivmasse
durch die Verwertung des Wohnungseigentum nicht vermehrt werden kann (vgl.
das Beispiel bei Staudinger aaO. § 28 WEG Rand-Nr. 211). Führte eine solche
Freigabe indes dazu, dass der Wohnungseigentümer auch die rückständigen,
während der Dauer des Insolvenzbeschlags entstandenen, Beitragsforderungen
schuldete, wäre ihm die Herbeiführung eines Insolvenzverfahrens über sein
Vermögen praktisch verwehrt. Deshalb kann die Freigabe von Wohnungseigentum
nur für die Zukunft Wirkungen entfalten (so wohl auch KG Berlin, Beschluss vom
20.08.2003 – 24 W 142/02 – Rn. 10 a. E. – zitiert nach Juris), während Schuldner der
während des Insolvenzbeschlags des Wohnungseigentum entstandenen
Forderungen der Insolvenzverwalter bzw. die Masse bleibt.
Danach waren die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der vorliegend
allein verfahrensgegenständliche Antrag vom 13.12.2006 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 47 WEG. Da die Antragstellerin im
Beschwerdeverfahren unterlegen ist, entsprach es billigem Ermessen, ihr die
insoweit entstandenen Gerichtskosten aufzuerlegen. Für eine Auferlegung auch
der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers bestand indes kein Anlass.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.