Urteil des LG Kassel vom 20.04.2007

LG Kassel: systematische auslegung, genossenschaft, zwischenverfügung, generalversammlung, beurkundung, quelle, empfangsbestätigung, urschrift, bilanz, dokumentation

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Gericht:
LG Kassel 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 T 20/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 UmwG, §§ 4ff UmwG, § 13
UmwG, § 17 Abs 2 UmwG
Genossenschaftsregister: Voraussetzung der Vorlage der
Schlussbilanz bei Eintragung einer Verschmelzung
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerinnen wird der Beschluss des
Amtsgerichts Fritzlar vom 08.11.2006 aufgehoben.
Das Amtsgericht wird angewiesen, durch Zwischenverfügung die
Beschwerdeführerinnen aufzufordern, die Schlussbilanz 2006 vorzulegen.
Der Beschwerdewert wird auf Euro 3.000,00 festgesetzt.
Gründe
Unter dem 20.10.2006 – beim Genossenschaftsregistergericht am 06.11.2006
eingegangen – meldete die W B eG zur Eintragung in das Genossenschaftsregister
an:
Die Vertreterversammlung der G eG ... hat am 30.08.2006 und die
Vertreterversammlung der W B eG hat am 25.09.2006 die Verschmelzung der G
eG ..., ..., ... (übertragende Genossenschaft) mit der W B eG, ..., ... (übernehmende
Genossenschaft) beschlossen.
Der Anmeldung waren beigefügt:
1. Der Verschmelzungsvertrag in notarieller Beurkundung
2. Der Verschmelzungsbericht mit Originalunterschrift
3. Das Gutachten des Prüfverbandes in Urschrift
4. Die Niederschrift des Verschmelzungsbeschlusses der Vertreterversammlung
der G eG ... vom 30.08.2006 und der Vertreterversammlung der W B eG vom
25.09.2006 in notarieller Form
5. Ein Schreiben des Betriebsrates der G eG ... vom 19. Juli 2006 und eine
Empfangsbestätigung des Betriebsrates der W B eG vom 30. Juni 2006.
Ferner teilte die Antragstellerin zu 2. dem Amtsgericht mit, dass die dem
Verschmelzungsvertrag zugrunde liegende Schlussbilanz per 31.12.2006 der G eG
... (übertragende Genossenschaft) noch zu erstellen und im Rahmen der
ordentlichen Vertreterversammlung im Jahre 2007 als Jahresabschluss per
31.12.2006 festzustellen sei. Nach Beschlussfassung durch die
Vertreterversammlung werde die Schlussbilanz per 31.12.2006 als weitere
Eintragungsvoraussetzung dem Registergericht ergänzend zu diesem
Eintragungsantrag nachgereicht.
Mit Beschluss vom 08.11.2006 hat das Amtsgericht die Anmeldung und
Eintragung der Verschmelzung zurückgewiesen. Zur Begründung führt das
Amtsgericht aus, Grundlage der Verschmelzung im Zeitpunkt der
Beschlussfassung über die Verschmelzung am 30.08. und 25.09.2006 sei die
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Beschlussfassung über die Verschmelzung am 30.08. und 25.09.2006 sei die
Schlussbilanz per 31.12.2006 gewesen, die – zwangsläufig – im Zeitpunkt der
Beschlussfassung aber noch nicht vorgelegen habe. Eine Beschlussfassung – so
das Amtsgericht – über eine noch zu erstellende Schlussbilanz sei schon begrifflich
nicht möglich, weshalb erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der in den
Vertreterversammlungen gefassten Beschlüsse bestehe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beschwerdeführerinnen mit Schriftsatz
vom 17.11.2006, beim Amtsgericht am 21.11.2006 eingegangen. Zur Begründung
führen die Beschwerdeführerinnen aus, das Umwandlungsgesetz verlange nicht,
dass bei der Beschlussfassung in der Generalversammlung/Vertreterversammlung
die Schlussbilanz bereits vorliege; das folge aus § 80 Abs. 2 Umwandlungsgesetz.
Erst bei der Anmeldung müsse gemäß § 17 Umwandlungsgesetz die Schlussbilanz
vorgelegt werden, wobei die der Anmeldung beizufügenden Unterlagen auch noch
nachgereicht werden könnten. Der Zeitpunkt der Anmeldung der Verschmelzung
beim Genossenschaftsregister sei für die übertragende Genossenschaft wichtig,
um steuerliche Verlustvorträge zu nutzen. Nur eine Anmeldung noch im Jahre
2006 gewähre die steuerlichen Vorteile.
Das gemäß § 19 Abs. 2 FGG zulässige Rechtsmittel, die Beschwerde, hat auch in
der Sache Erfolg.
Das Amtsgericht hätte die Anmeldung der Verschmelzung deshalb nicht
zurückweisen dürfen, weil diese lediglich unvollständig war.
Der Stichtag der Schlussbilanz ist insoweit von Belang, als das Registergericht die
Verschmelzung nur eintragen darf, wenn die Schlussbilanz, die zum Register des
Sitzes jedes der übertragenden Rechtsträger einzureichen ist, auf einen höchstens
8 Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist (§ 17 Abs. 2
Satz 4 UmwG).
Dem Wortlaut des Gesetzes ist nicht entnehmen, dass die Schlussbilanz bereits zu
dem Zeitpunkt vorliegen muss, in dem die General- oder Vertreterversammlung
der übertragenden Genossenschaft den Verschmelzungsbeschluss nach § 13
UmwG fasst. Aber auch eine historische und systematische Auslegung steht im
Einklang mit der Auslegung des Gesetzeswortlauts.
Nach §§ 362 Abs. 3, 366 Abs. 3, 386 Abs. 2 Aktiengesetz a. F., 11 Nr. 1, 24 Abs. 2
Nr. 2 lit. a UmwG 1969 musste die Schlussbilanz der Versammlung der
Anteilsinhaber von Rechtsträgern anderer Rechtsform als der Genossenschaft
vorliegen, wenn der Verschmelzungsbeschluss gefasst wurde. Jedoch hat der
Gesetzgeber diese ausdrückliche Regelung nicht in das Umwandlungsgesetz 1994
übernommen. Auch das zeigt mit aller Deutlichkeit, dass die Schlussbilanz auf der
Grundlage des Umwandlungsgesetzes 1994 gerade nicht mehr bereits dann
vorliegen muss, wenn die Versammlung der Anteilsinhaber über die
Verschmelzung beschließt.
Aber auch eine systematische Auslegung des Gesetzes führt zu diesem Ergebnis.
Denn das Umwandlungsgesetz erwähnt die Schlussbilanz weder in den
Vorschriften über den Verschmelzungsvertrag (§§ 4 – 7) noch beim
Verschmelzungsbeschluss (§ 13), sondern erst in § 17 abs. 2 als Anlage der
Anmeldung. Dieser eindeutige Regelungsort innerhalb des sorgfältig vorbereiteten
Umwandlungsgesetzes wäre nicht gewählt worden, wenn die Schlussbilanz
Gegenstand oder Anlage des Verschmelzungsvertrages oder -beschlusses hätte
sein sollen (so Beuthien/Wolff in: Beuthien, Genossenschaftsgesetz mit
Umwandlungsrecht, 13. Auflage 2000, §§ 2 ff. Umwandlungsgesetz Rn. 55; siehe
auch Luther § 5 Umwandlungsgesetz Rn. 31).
Diese systematische Auslegung des Gesetzes verkennt nicht, dass sich bei
eingetragenen Genossenschaften die Geschäftsguthaben im übertragenden
Rechtsträger zwingend aus dessen Schlussbilanz ergeben (§§ 87 Abs. 3, 1 Abs. 3
Satz 1 UmwG).
Daraus lässt sich aber nicht herleiten, dass die Schlussbilanz spätestens mit dem
Verschmelzungsbeschluss von der Generalversammlung festgestellt werden
muss. Hierzu führt Beuthien zu Recht aus, dass es den Genossen frei steht, die
Unsicherheit einer noch nicht erstellten Schlussbilanz auf sich zu nehmen
(Beuthien, Betriebsberater, 2001, 2126).
Nach alledem regelt § 17 Abs. 2 Satz 4 nur den – spätestens – Stichtag der
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Nach alledem regelt § 17 Abs. 2 Satz 4 nur den – spätestens – Stichtag der
Aufstellung der Schlussbilanz, nicht dagegen, wann sie dem Gericht vorgelegt
werden muss. Geschieht das nicht – wie vorliegend – mit der Anmeldung, ist diese
unvollständig. Die Schlussbilanz ist dann nach Zwischenverfügung (so Bork in
Luther Rn. 7) nachzureichen, ehe der Anmeldung entsprochen werden kann. Ist die
Bilanz prüfungspflichtig, die Prüfung aber noch nicht abgeschlossen, kann sie auch
noch nach Ablauf der Achtmonatsfrist abgeschlossen und der Prüfungsvermerk
nachgereicht werden.
Nach alledem hat das Amtsgericht durch Zwischenverfügung die
Beschwerdeführer aufzufordern, die Schlussbilanz 2006 vorzulegen, ehe die
Eintragung der Verschmelzung dann durchgeführt werden kann.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2,
31 Abs. 1 Satz 2 KostO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.