Urteil des LG Karlsruhe vom 21.07.2006

LG Karlsruhe (eintritt des versicherungsfalles, erworbene rechte, höhe, arbeitsverhältnis, zpo, arbeitnehmer, zeitpunkt, berechnung, bezug, mitteilung)

LG Karlsruhe Urteil vom 21.7.2006, 6 S 76/05
Zusatzversorgung im Öffentlichen Dienst : Berechnung der Unverfallbarkeitsfristen bei mehreren
aufeinander folgenden Arbeitsverhältnissen
Leitsätze
1. Sowohl § 1b BetrAVG als auch die Übergangsbestimmung des § 30f BetrAVG stellen bei der Berechnung der
Unverfallbarkeitsfristen jeweils auf das einzelne Arbeitsverhältnis und dessen Dauer ab.
2. Allein § 30f BetrAVG befasst sich mit der Frage, ob die mit der Gesetzesneufassung eingeführten kürzeren
Unverfallbarkeitsfristen auch für Altfälle gelten. § 30d BetrAVG betrifft die Frage, welche Version der sich ständig
ändernden VBL-Satzung für die Berechnungsdetails, auf die insbesondere § 18 Abs. 2 BetrAVG nach wie vor
verweist, gelten soll und stellt statt auf den Zeitpunkt des jeweiligen Ausscheidens generell auf den 31.12.2000 ab.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 04.11.2005, Az.: 2 C 318/05, wird
zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110
% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
I.
2
(§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO)
3
Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen. Zum besseren
Verständnis wird insoweit wiederholend und ergänzend ausgeführt:
4
Die am ....1952 geborene Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Mitteilung der Beklagten vom
26.01.2005 (I 17 ff.) und begehrt die Berechnung seiner Betriebsrente einheitlich nach § 18 BetrAVG.
5
Die Klägerin war vom 01.09.1974 bis zum 30.06.1995 bei der Beklagten aufgrund zweier aufeinander folgender
Arbeitsverhältnisse pflichtversichert, wobei das erste Arbeitsverhältnis 9 ½ und das zweite Arbeitsverhältnis 11
¼ Jahre dauerte (vgl. I 21, I 69). Am 01.08.2004 trat bei der Klägerin der Versicherungsfall ein. In der Mitteilung
vom 26.01.2005 (I 17) bezifferte die Beklagte die Startgutschrift der Klägerin zum 31.12.2001 auf EUR
159,41/brutto (= 39,85 Versorgungspunkte; I 45). Die errechnete Anwartschaft setzt sich aus zwei Teilbeträgen
zusammen (I 45): Die Beklagte legte für die Zeit des ersten Arbeitsverhältnisses eine Versicherungsrente
gemäß § 44 VBLS a.F. in Höhe von EUR 40,41 (I 37) und für die Zeit des zweiten Arbeitsverhältnisses eine
Zusatzrente nach § 18 BetrAVG n.F. in Höhe von EUR 119,00 (I 39/43) zugrunde.
6
Auf der Basis dieser Startgutschrift errechnete die Beklagte ab 01.08.2004 (unter Berücksichtigung der
vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente) eine monatliche Betriebsrente in Höhe von zunächst EUR
141,18/brutto (I 27) bzw. EUR 119,14/netto (I 17/29).
7
Die Klägerin begehrt eine Rentenberechnung nach § 18 BetrAVG auch für den Zeitraum des ersten
Arbeitsverhältnisses.
8
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 04.11.2005 (I 93), auf das Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen.
9
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
10 Die Klägerin trägt vor,
11 die Neufassung des § 18 BetrAVG verpflichte die Beklagte, diese Vorschrift in der Weise auf die Klägerin
anzuwenden, dass von der gesamten Zeit der Pflichtversicherung bei der Beklagten auszugehen sei und nicht
in unterschiedliche Arbeitsverhältnisse aufgegliedert werden dürfe. Wenn die Beklagte bei der Berechnung der
Betriebsrente wegen der Aufspaltung der Versicherungszeiten in einzelne Arbeitsverhältnisse nach ihren
Satzungsbestimmungen eine geringere Rente errechne, dann beinhalte dies einen Verstoß gegen die
Eigentumsrechte der Klägerin und gegen das Gleichbehandlungsgebot. Im Übrigen verweise die jetzige
Fassung des § 18 BetrAVG auf (den Rechtsgrund des) § 1b BetrAVG, wonach hier unverfallbare
Anwartschaften im Sinne des § 18 BetrAVG vorlägen, aus denen sich der jeweilige Rentenbetrag nach § 18
BetrAVG errechne. Die Übergangsvorschrift des § 30f BetrAVG sei auf die Arbeitnehmer des öffentlichen
Dienstes nicht anwendbar; für diese treffe § 30d BetrAVG eine abschließende Übergangsvorschrift.
12 Die Klägerin beantragt:
13 Die Entscheidung des Amtsgerichts Karlsruhe abzuändern und wie folgt zu erkennen:
14 1. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 706,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
15 2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Bescheid über die Versorgungsrente vom 26.
Januar 2005 abzuändern und die Versorgungsrente unter Berücksichtigung eines Versorgungssatzes
entsprechend des § 18 Abs. 2 Nr. 1 Betriebsrentengesetz von mind. 46,86 vom Hundert neu zu berechnen.
16 Die Beklagte beantragt,
17 die Berufung zurückzuweisen.
18 Die Beklagte trägt vor,
19 für das erste Arbeitsverhältnis lägen die Unverfallbarkeitsvoraussetzungen des § 30 f BetrAVG nicht vor.
Maßgeblich sei die Dauer der Zugehörigkeit zu ein und demselben Arbeitgeber. Die Festsetzung der Rente
durch die angegriffene Mitteilung sei nicht zu beanstanden.
20 Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
II.
21 (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO)
22 Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
23 Zu Recht und unter Angabe von zutreffenden Gründen, auf die zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen
Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht eine Verpflichtung der Beklagten zur Errechnung der Betriebsrente
der Klägerin gem. § 18 BetrAVG unter Berücksichtigung auch der Zeiten vom 01.09.1974 bis 31.03.1984
verneint (s.a. Kammerurteil vom 21.07.2006, Az. 6 S 75/05).
24 Ein weitergehender Anspruch unmittelbar aus § 18 BetrAVG käme für die Klägerin nur dann in Betracht, wenn
ihre Anwartschaften im Sinne dieses Gesetzes unverfallbar geworden wären. Da der Klägerin die hier streitigen
Leistungen der betrieblichen Altersversorgung vor dem 01.01.2001 zugesagt worden sind, ist auf sie die
Übergangsvorschrift des § 30 f BetrAVG anzuwenden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift für die
Unverfallbarkeit ihrer Anwartschaften ist beim ersten Arbeitsverhältnis nicht erfüllt (vgl. die
Versicherungsübersicht, I 21).
25 1. Ein Anspruch auf Zusatzrente nach den Bestimmungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen
Altersversorgung (BetrAVG) besteht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des
Versicherungsfalles nur bei eingetretener Unverfallbarkeit im Sinne der §§ 1b und 30f BetrAVG. Sowohl § 1b
BetrAVG als auch die Übergangsbestimmung des § 30f BetrAVG stellen hierbei jeweils auf das einzelne
Arbeitsverhältnis und dessen Dauer ab. Auch wenn der Kläger in beiden streitgegenständlichen Zeiträumen
jeweils bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes beschäftigt war, so handelte es sich hierbei eben doch
um verschiedene Arbeitsverhältnisse bei verschiedenen Arbeitgebern (Gilbert/Hesse, Die Versorgung der
Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, Stand: 01.08.2002, § 44a, Blatt B 183h;
Kiefer/Langenbrinck, Das Versorgungsrecht für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, Stand: Juni 2002,
§ 44a, Blatt B 106.9; Blomeyer/Otto, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, 3. Auflage,
2004, § 1b, Rn. 283 u. Rn. 317).
26 Die Klägerin verkennt den Regelungsinhalt der § 30d und § 30f BetrAVG. Allein § 30f BetrAVG befasst sich mit
der Frage, ob die mit der Gesetzesneufassung eingeführten kürzeren Unverfallbarkeitsfristen auch für Altfälle
gelten. § 30d BetrAVG betrifft die Frage, welche Version der sich ständig ändernden VBL-Satzung für die
Berechnungsdetails, auf die insbesondere § 18 Abs. 2 BetrAVG nach wie vor verweist, gelten soll und stellt
statt auf den Zeitpunkt des jeweiligen Ausscheidens generell auf den 31.12.2000 ab (s. Blomeyer/Otto, Gesetz
zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, 3. Auflage, 2004, § 30d, Rn. 2). Den Anwendungsbereich
des § 30f BetrAVG auf die Privatwirtschaft beschränken zu wollen, rechtfertigt sich daher - entgegen der
klägerischen Argumentation - nicht aus gesetzessystematischen Gründen und insbesondere nicht wegen einer
angeblich abschließenden Regelung in § 30d BetrAVG.
27 2. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 12 GG ist nicht zu erkennen. Zum einen sind §§ 1b und 30f
BetrAVG auf die Arbeitnehmer der Privatwirtschaft ebenso anzuwenden wie auf die Arbeitnehmer des
öffentlichen Dienstes (vgl. § 18 Abs. 1 am Ende BetrAVG); zum anderen stellt die Betriebszugehörigkeit
(bezogen auf ein und denselben Arbeitgeber) einen sachlichen Rechtfertigungsgrund für die unterschiedliche
Behandlung dar. Mit der jeweiligen Versorgungszusage soll die Treue des Arbeitnehmers zum Betrieb dieses
Arbeitgebers belohnt werden. Dabei wird nicht verkannt, dass im früheren Zusatzrentensystem im öffentlichen
Dienst bei Pflichtversicherungen im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles eine Versorgungsrente
unter Zusammenrechnung aller Umlagezeiten bei verschiedenen Arbeitgebern gewährt wurde (vgl. § 46 ZVKS
a. F.; vgl. § 55 VBLS a. F.). Das Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst vor Eintritt des Versicherungsfalles
stellt auch hier einen sachlichen Rechtfertigungsgrund für die unterschiedliche Behandlung dar.
28 Eine Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) scheitert daran, dass die Eigentumsgarantie nur den
konkreten Bestand an vermögenswerten Rechten vor ungerechtfertigten Eingriffen schützt. Die Nicht-
Anwendung des § 18 BetrAVG n.F. und die Anwendung des § 44 VBLS a.F. greifen nicht in erworbene Rechte
der Klägerin ein. Weitergehende Anwartschaften bei Nichterreichung der Unverfallbarkeitsfristen, als sie durch
die Satzung - hier: § 44 VBLS a.F. - begründet werden, standen der Klägerin zu keinem Zeitpunkt zu (vgl.
Kammerurteil vom 11.07.2006, AZ. 6 O 524/05, sub II.3.).
29 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
30 Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
31 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen angesichts des klaren Gesetzeswortlautes nicht
vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).