Urteil des LG Karlsruhe vom 10.12.2003
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LG Karlsruhe Urteil vom 10.12.2003, 14 O 117/03 KfH III
Irreführende Werbung für ein Online-Branchenverzeichnis: "Komplettes Verzeichnis aller Gewerbetreibenden und Freiberufler in
Deutschland"
Tenor
1. Der Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs
Monaten, die Ordnungshaft zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern, für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das über die Internet-Adresse www...de abrufbare Branchenverzeichnis mit der
Behauptung, es sei ein „kompletten Verzeichnis aller Gewerbetreibenden und Freiberufler in Deutschland“ zu bewerben oder bewerben zu lassen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 100.000,00 vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin, ein in ... geschäftsansässiges, in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführtes Unternehmen, nimmt die Beklagte auf
Unterlassung - im Klageantrag näher bezeichneter - Werbeaussagen für das von der Beklagten vertriebene Internet-Branchenverzeichnis in
Anspruch.
2
Die Klägerin betreibt im Internet ein unter der Domain www...de abrufbares Branchenverzeichnis. Sie steht im unmittelbaren Wettbewerb mit der
Beklagten, einem in der Rechtsform der GmbH geführten Unternehmen mit Geschäftssitz in ..., welches ebenfalls ein Internet-
Branchenverzeichnis unter der Domain www...de zum weltweiten Abruf bereit hält. Die Beklagte ist nach ... Bekunden Herausgeberin der vormals
„...“ genannten Fernsprechbücher in Deutschland. Sie ist ein 100%iges Tochterunternehmen der ..., von der sie die erforderlichen
Telefonteilnehmerdaten bezieht.
3
Am 01.04.2003 veröffentlichte die Beklagte auf ihrer Homepage unter der Adresse www...de eine Presseerklärung, wonach ihr
Branchenverzeichnis „mit ca. 3,5 Millionen Einträgen das umfassendste Branchenverzeichnis Deutschlands“ sei. Ferner wird in dieser
Presseerklärung ausgeführt, dass das von der Beklagten vertriebene Branchenverzeichnis das „komplette Verzeichnis aller Gewerbetreibenden
und Freiberufler in Deutschland“ darstelle. Diese Presseerklärung (Anlage K 8, Anlagenheft der Klägerin) stammt nicht von der Beklagten selbst,
sondern von der in ... geschäftsansässigen ..., die auf der angeführten Presseerklärung als „...“ der Beklagten bezeichnet wird.
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Die Klägerin macht geltend, die Beklagte nehme mit der hier in Rede stehenden Werbeaussage eine Alleinstellung in Anspruch, die sachlich
unzutreffend sei. Der Beklagten komme nicht die von ihr beanspruchte Spitzenstellung zu, da sie nur diejenigen Gewerbetreibenden und
Freiberufler in ihr Verzeichnis aufnehme, die durch einen eigenständigen gewerblichen Telefonanschluss zu erreichen seien.
Gewerbetreibende, die keinen Telefonanschluss hätten oder keinen benutzen wollten, habe die Beklagte in ihr Verzeichnis nicht aufgeführt.
Demgegenüber habe die Klägerin in ihrem Verzeichnis sämtliche ...-Filialen als eigenständige Adressen aufgeführt. Gleiches gelte für die ...-
Filialen. Zudem weise das Verzeichnis der Klägerin auch Gewerbetreibende oder Freiberufler auf, die keinen eigenen Telefon-Anschluss
besäßen. Entgegen der Ansicht der Beklagten könne die Bezeichnung „Branchenverzeichnis“ nicht darauf beschränkt werden, dass hierunter
lediglich ein Telefonverzeichnis verstanden werden könne.
5
Die Klägerin beantragt:
6
Die Beklagte wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6
Monaten, die Ordnungshaft jeweils zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern, für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt
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im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das über die Internet-Adresse www...de abrufbare Branchenverzeichnis mit der
Behauptung, es sei ein komplettes Verzeichnis aller Gewerbetreibenden und Freiberufler in Deutschland“ zu bewerten oder bewerten
zu lassen.
8
Die Beklagte tritt der Klage entgegen. Sie macht geltend, entgegen der Ansicht der Klägerin nehme sie keine wettbewerbsrechtlich unzulässige
Spitzenstellung für sich in Anspruch. Die Beklagte beschreibe lediglich mit der hier in Rede stehenden Aussage die Beschaffenheit eines von ihr
in Zusammenarbeit mit Partnerverlagen herausgegebenen Produkts, nämlich des Branchentelefonbuchs unter der Internet-Adresse www...de.
Die Produktbeschreibung der Beklagten sei nicht unzutreffend. Insbesondere sei damit keine wettbewerbswidrige Irreführung der
angesprochenen Verkehrskreise verbunden, da diese Verkehrskreise die Angabe von Gewerbetreibenden und Freiberuflern ohne
Telefonanschluss, auf welche die Klägerin abstelle, von dem Branchentelefonbuch der Beklagten überhaupt nicht erwarteten. Im Hinblick auf den
Umstand, dass es sich bei dem hier in Rede stehenden Branchenverzeichnis lediglich um ein Telefonbranchenverzeichnis handele, sei ferner zu
berücksichtigen, dass die Beklagte über den offiziellen Datenbestand der ... verfüge. Es sei ausgeschlossen, dass es mehr gewerbliche
Telefonanschlüsse gebe, als in diesem Datenbestand enthalten seien. Demnach sei die Möglichkeit auszuschließen, ein Adresssammelwerk mit
gewerblichen Einträgen umfangreicher zu gestalten als das von der Beklagten angebotene Branchenverzeichnis.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
10 Die Verfahrensakten des einstweiligen Verfügungsverfahrens LG Karlsruhe ... einschließlich OLG Karlsruhe ... lagen vor und waren gleichfalls
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
11 Die zulässige Unterlassungsklage ist in vollem Umfang begründet.
12 Die Beklagte ist gemäß § 3 UWG verpflichtet, die hier in Rede stehende Behauptung, das von ihr unter www...de angebotene Verzeichnis, sei ein
komplettes Verzeichnis aller Gewerbetreibenden und Freiberufler in Deutschland, zu unterlassen. Die Aussage beinhaltet eine Spitzenstellung
im Sinne von § 3 UWG, die der Beklagten auch nach ihrem eigenem Vorbringen nicht zukommt.
13 Entgegen der Ansicht der Beklagten kann die verwendete Bezeichnung „Verzeichnis“ vorliegend nicht einschränkend dahingehend verstanden
werden, dass damit lediglich ein Telefonverzeichnis angesprochen wird. Der Begriff Telefonverzeichnis wird auf der hier maßgeblichen Erklärung
ausweislich Anlage K 8 überhaupt nicht benutzt, vielmehr sind die Bezugsbezeichnungen allgemein gehalten und wesentlich weiter gefasst, was
sich insbesondere aus den in diesem Zusammenhang angeführten Stichworten Einträge, Branchenstichwörter, Verzeichnis, Adressen sowie
Branchenbegriff ergibt. Die insoweit angesprochenen Verkehrskreise - Gewerbetreibende und sonstige Marktinteressenten - verstehen demnach
den hier verwendeten Begriff Verzeichnis umfassend, jedenfalls in dem hier im Vordergrund stehenden Sinn als Branchenverzeichnis, was sich
nicht nur auf diejenigen Gewerbetreibenden und sonstigen Anbieter erstreckt, die über einen Telefonanschluss verfügen. Gerade unter
Berücksichtigung kaufmännischer Gepflogenheiten ist dieses Verständnis für Gewerbetreibende nach Ansicht der in voller Besetzung
entscheidenden Kammer (§ 114 GVG) zwingend. Die Kammer hält in diesem Zusammenhang ausdrücklich an ihrer bereits im
Verfügungsverfahren LG Karlsruhe ... vertretenen Ansicht fest, wonach die Begriffe Branchenbuch oder Branchenverzeichnis für hiermit
angesprochene Verkehrskreise - ob Gewerbetreibende, Verbraucher oder sonstige Marktinteressenten ist nicht unterschiedlich zu beurteilen -
auch die Auffindbarkeit von Gewerbetreibende unter verschiedenen Branchenzuordnungen, was eine Auflistung nach Anschrift und/oder
Telefoneinträgen voraussetzt, erfassen (vgl. Urteilsumdruck S. 8 in dem von den jetzigen Prozessparteien betriebenen Verfügungsverfahren ...).
Der für Wettbewerbssachen zuständige Fachsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat sich dieser Auffassung im Berufungsverfahren
(Urteilsumdruck S. 4, ...) ausdrücklich angeschlossen.
14 Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten erfasst ihr Verzeichnis nur Gewerbetreibende und Marktteilnehmer, die über einen eigenen
Telefonanschluss verfügen. Damit ist offensichtlich, dass das von der Beklagten beworbene Verzeichnis nicht als komplettes, alle
Gewerbetreibende und Freiberufler umfassendes Verzeichnis angesehen werden kann. Ein komplettes Verzeichnis ist bereits nach dem
Sprachsinn nur dann gegeben, wenn dieses eine vollständige, alle maßgeblichen Bereiche erfassende Auflistung darstellt. Demnach hat die
Beklagte gemäß § 3 UWG die hier in Rede stehende Behauptung zu unterlassen.
15 Ein Nachschieberecht war der Beklagten auf den Schriftsatz der Klägerin vom 03.12.2003 nicht einzuräumen. Soweit in diesem Schriftsatz neuer
Sachvortrag enthalten ist, ist dieser für die hier getroffene Entscheidung nicht erheblich. Unter diesen Umständen ist ein zusätzliches
Schriftsatzrecht zugunsten der Beklagten nicht veranlasst.
16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
17 Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.