Urteil des LG Karlsruhe vom 09.12.2009

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LG Karlsruhe Urteil vom 9.12.2009, 6 S 1/09
Zusatzversorgung im Öffentlichen Dienst: Verrechnung von Rückforderungsansprüchen in der
Betriebsrente
Leitsätze
Die fehlende Bestandskraft des Renten- und Rückforderungsbescheids der gesetzlichen Rentenversicherung
hindert die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) nicht, aufgrund einer aktuellen Überzahlung ihre
Mitteilung entsprechend zu ändern und ihrerseits Rückforderungsansprüche auch mit künftigen Betriebsrenten des
Versicherten zu verrechnen.
VBL: Zur Verrechnung von Rückforderungsansprüchen in der Betriebsrente
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 12. Dezember 2008 - Az.: 2 C
260/08 - unter Aufhebung der Kostenentscheidung wie folgt geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision des Klägers wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Die zulässige Berufung ist vollumfänglich begründet.
A.
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(§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO):
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Wegen des Parteivorbringens in erster Instanz und der dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf
Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Lediglich ergänzend wird Folgendes angemerkt:
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Der Kläger wendet sich gegen eine Mitteilung der Beklagten, in der die Beklagte für den Zeitraum vom 01.
Februar bis 29. Februar 2007 eine Überzahlung der Betriebsrente in Höhe von 359,11 EUR annahm und diese
anteilig mit der Rente für Juli und August 2008 verrechnete, und verlangt die Auszahlung dieser Beträge.
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Der Kläger war im öffentlichen Dienst beschäftigt und bei der beklagten Versorgungsanstalt des Bundes und
der Länder (VBL) vom 01. April 1981 bis zum 30. September 2004 pflichtversichert (AH 31). Laut Mitteilung der
Beklagten vom 04. Mai 2005 erhält er von dieser eine Betriebsrente seit dem 01. Oktober 2004 (AH 21 ff.).
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Mit Bescheid vom 26. Februar 2008 forderte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) einen Betrag in Höhe von
1.023,08 EUR mit der Begründung zurück, für den Zeitraum vom 01. Februar bis 28. Februar 2008 läge eine
Überzahlung aufgrund Überschreitung der zulässigen Hinzuverdienstgrenze vor. Wegen der Einzelheiten wird
auf die Mitteilung verwiesen (I 21 ff.). Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid erhob der Kläger Klage
beim Sozialgericht Augsburg, über die noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.
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Nachdem der Beklagten dieser Rentenbescheid vorgelegt wurde, erklärte sie dem Kläger mit Mitteilung vom
21. Mai 2008 die Verrechnung der ihrerseitigen Überzahlung mit der Rente der Monate Juli und August 2008 (I
7ff).
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Dagegen wendete sich der Kläger in erster Instanz und argumentierte im Wesentlichen damit, dass die
Beklagte einen Bescheid, der nicht rechtskräftig ist, nicht als Grundlage einer Verrechnung nehmen könne.
Ausschlaggebend sei vielmehr, dass die DRV die Rente für Februar 2007 tatsächlich ausbezahlt hat. Mit dieser
Begründung begehrte er vor dem Amtsgericht Karlsruhe die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von
359,11 EUR.
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Dagegen verteidigte sich die Beklagte und stützte sich hauptsächlich auf § 41 Abs. 2 VBLS.
10 § 41 Abs. 2 VBLS lautet:
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„Ist der Versicherungsfall wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung eingetreten und wird die
Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Hinzuverdienstes nicht oder nur zu einem
Anteil gezahlt, wird auch die Betriebsrente nicht oder nur in Höhe eines entsprechenden Anteils
gezahlt.“
12 Das Amtsgericht Karlsruhe hat der Klage mit Urteil vom 12. Dezember 2008 mit der Begründung, die
Voraussetzungen des § 41 Abs. 2 VBLS würden nicht vorliegen, in vollem Umfang stattgegeben. Abzustellen
sei insoweit auf den eindeutigen Wortlaut des § 41 Abs. 2 VBLS, welcher weder auslegungsbedürftig noch
auslegungsfähig sei. Es sei nicht nach Sinn und Zweck darauf abzustellen, ob die gesetzliche Rente dem
Rentenbezieher rechtlich zustehen, da diese Frage mangels Bestandskraft des Rentenbescheids der DRV
gerade noch unklar sei.
13 Die Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung und trägt insbesondere vor,
14 der Wortlaut des § 41 Abs. 2 decke sich mit der Formulierung in den Rentenbescheiden, in denen auch der
Begriff „Zahlung“ verwendet werde, der ein Synonym zur Bezeichnung „zu leisten“ oder „steht zu“ sei. Der
Begriff „Auszahlung“ bleibe dem tatsächlichen Auszahlungsvorgang vorbehalten, wie § 118 SBG VI
verdeutliche, und ist von der „Zahlung“ zu unterscheiden. Die Vorschrift sei deshalb klar und nicht
auslegungsbedürftig. Würde man der Auffassung des Amtsgerichts folgen, könne § 41 Abs. 2 VBLS praktisch
nie zur Anwendung kommen, weil der Rentenversicherungsträger praktisch immer erst nach Auszahlung der
Rente Kenntnis vom Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze erlange. Die Beklagte könne ferner nicht
beeinflussen, ob die DRV die Rente noch rechtzeitig einbehalten kann oder erst auszahlt und dann
zurückfordert. Umgekehrt sei die VBL auch nicht berechtigt, erst zu zahlen, wenn ein bestandskräftiger
Bescheid der DRV vorliegt. Die VBL habe vor Vorlage des Rentenbescheids keine Möglichkeit gehabt, die
eigene Betriebsrente zu überprüfen.
15 Unter Aufhebung der Kostenentscheidung und Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils vom 12. Dezember
2008 - 2 C 260/08 - im Übrigen beantragt die Beklagte dementsprechend
16
die Klage abzuweisen.
17 Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt,
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die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.
19 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten
Schriftsätze und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2009 (AS 67 ff.) Bezug
genommen.
B.
20
(§ 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO):
21 Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg.
I.
22 Der Kläger hat gegen die Beklagte gegenwärtig keinen Anspruch auf Zahlung von 359,11 EUR. Die fehlende
Bestandskraft des Renten- und Rückforderungsbescheids der DRV hindert die Beklagte nicht, aufgrund der
derzeitigen Überzahlung ihre Mitteilung entsprechend zu ändern und ihrerseits die Forderung auch mit künftigen
Betriebsrenten des Klägers zu verrechnen.
23 1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Wortlaut des § 41 Abs. 2 VBLS („wird … gezahlt“) entgegen der Ansicht
des Amtsgerichts nicht allein auf den tatsächlichen Auszahlungsvorgang abstellt.
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a) Dem Wortlaut und Sinn und Zweck des § 41 Abs. 2 VBLS lässt sich grundsätzlich entnehmen, dass
die gesetzliche Rente und die VBL-Rente parallel laufen sollen. Der Sonderfall, dass die „gezahlte“,
also die im Regelfall bestandskräftig als zustehend berechnete und dementsprechend gezahlte
gesetzliche Rente (ausnahmsweise) nicht feststeht, ist dort nicht gesondert berücksichtigt. Der
tatsächliche Auszahlungsvorgang der gesetzlichen Rente als solcher kann bei der Ermittlung der dem
Kläger zustehenden Betriebsrente nicht allein maßgeblich sein, da die Beklagte an die Inhalte des
Bescheides des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung formell gebunden ist, unabhängig
davon, ob die Rentenzahlungen dem Versicherten danach zustehen oder nicht. Die beklagte
Versorgungsanstalt kann die Rentenerhebungen nicht selbst berechnen, sondern vollzieht diese auf
Grundlage der gesetzlichen Rente, die ihr durch den Versicherten gemäß § 33 S. 2 VBLS in Form des
Rentenbescheids mitgeteilt werden muss. § 41 Abs. 2 VBLS ist insofern systemimmanent. Auf diese
Bescheide muss sie sich aber auch verlassen und auf deren Richtigkeit vertrauen können. Ansonsten
wäre es der Beklagten nicht möglich, den Versicherten die Betriebsrente nach einem neuen
Rentenbescheid zeitnah auszuzahlen, da sie immer erst die Bestandskraft des Rentenbescheids
abwarten müsste unabhängig davon, ob dies sich für den Versicherten letztlich positiv oder negativ
auswirkt. Aus diesem Rechtsgedanken des § 33 S. 1 und S. 2 VBLS folgt dann konsequenterweise
auch eine Bindungswirkung des Rentenbescheids für die Mitteilung der Beklagten (vgl. LG Karlsruhe,
Urteil vom 24. April 2009 - 6 S 51/02). Es liegt in der Natur der Sache, dass die VBL von den neuen
Bescheiden der DRV erst verzögert erfährt und somit auch erst verzögert darauf reagieren kann.
Insofern muss sie in manchen Fällen zunächst mehr ausbezahlen als dem Versicherten zusteht, was
er der Beklagten zurückzahlen muss; manchmal zahlt sie weniger aus, weshalb sie dann
nachbezahlen muss. Ein Abstellen auf die tatsächliche Auszahlung durch die DRV oder die
Entscheidung darüber, ob die Rente dem Versicherten rechtlich zusteht, ist wie oben erörtert, für
keinen Beteiligten sinnvoll und nicht praktikabel im Gegensatz zum formalen Abstellen auf den
Rentenbescheid.
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b) Auf den tatsächlichen Auszahlungsvorgang kann es im Übrigen auch aus einem weiteren Grund
nicht ankommen: Sollte das Sozialgericht letztlich zu der Ansicht gelangen, dass der Rentenbescheid
vom 26. Februar 2008 Bestand hat, so ist davon auszugehen, dass die Beklagte - unabhängig davon,
ob und wann die DRV ihre zunächst ausgezahlte Rente zurückfordert oder verrechnet - die
Betriebsrente des Klägers entsprechend sofort neu berechnen darf, genau so, wie sie es in der
Mitteilung vom 21. Mai 2008 getan hat, obgleich dies überhaupt nichts daran ändern würde, dass die
DRV dem Kläger die Rente für den Monat Februar 2007 tatsächlich zunächst „gezahlt“ hat. Auch der
Kläger gesteht ausdrücklich zu, dass „eine Nichtzahlung der Betriebsrente … in Betracht kommt, wenn
eine - rechtskräftige - Entscheidung über die Nichtzahlung der gesetzlichen Rente vorliegt“ (so
Klägerschriftsatz vom 07.04.2009, S. 2).
26 2. Ob die Betriebsrente der Beklagten dem Kläger auch rechtlich zusteht, steht in diesem Fall zwar gerade
noch nicht fest, dies ist aber für die Verrechnung der Betriebsrente durch die Beklagte auch keine
Voraussetzung. Die Beklagte darf den - angegriffenen - Rentenbescheid der DRV vom 26. Februar 2008 als
Grundlage für die Aufrechnung heranziehen, unabhängig davon, ob die DRV die dem Kläger eventuell
zustehende Rente für Februar 2007 ausgezahlt hat oder nicht. Die Rückforderung der Beklagten ist im
vorliegenden Fall bereits fällig, ihr steht keine Einrede entgegen.
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a) Der Rentenbescheid ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG. Der Widerspruch und die
Anfechtungsklage gegen diesen haben nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Der
Verwaltungsakt ist allerdings auch bei Einlegung eines Widerspruches und Erhebung der
Anfechtungsklage existent und wirksam. Der Suspensiveffekt bezieht sich dabei nämlich nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht auf den Eintritt der Wirksamkeit des
Verwaltungsaktes oder des Inkrafttretens der durch ihn getroffenen Regelung, sondern nur auf seine
Vollziehbarkeit (vgl. BVerwGE 13, 1 (5 ff); BVerwGE 24, 92 (98)).
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b) Die Hemmung der Vollziehbarkeit alleine hindert die Beklagte nicht daran, den wirksamen
Verwaltungsakt als Grundlage der Aufrechnung zu nehmen. Die Aufrechnung mit einer Gegenforderung
stellt keine Vollziehung eines die betreffende Forderung konkretisierenden Leistungsbescheides dar.
Eine Handlung, die der Erfüllung der eigenen Verbindlichkeit dient und dabei gleichzeitig die
Befriedigung einer eigenen Forderung bewirkt, ist keine Maßnahme durch die der Verwaltungsakt
vollzogen wird. Die Vollziehung eines Verwaltungsaktes ist eine selbständige und grundsätzlich
hoheitliche Maßnahme zur Durchsetzung einer getroffenen Anordnung im Wege des Zugriffs - auch in
Form der Gestaltungswirkung - auf Rechtsgüter des Adressaten dieses Verwaltungsaktes. Die
Aufrechnung ist hingegen ein im Ausgangspunkt von der Privatrechtsordnung gewährleistetes Mittel
der Rechtsverteidigung gegenüber einem vom Gegner erhobenen Anspruch (s. auch BGH Urteil vom
11. November 1971 - VII ZR 57/70) und dient zugleich der Befriedigung des eigenen Anspruchs. Die
aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs im Sinne des § 80 Abs. 1 VwGO ist dem Rechtsinstitut der
Vollziehung und damit dem öffentlichen Recht und grundsätzlich seinem hoheitlichen Bereich
zuzuordnen. Sie hindert deshalb nicht die jedenfalls nicht dem hoheitlichen Bereich zuzurechnende
Erklärung der Aufrechnung. Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung hat keine rechtsgestaltende
Wirkung dahin, dass der Verwaltungsakt als vorläufig nicht existent zu behandeln wäre. Infolgedessen
bleiben die Rechtswirkungen des Verwaltungsaktes, die vor seiner Anfechtung bereits eingetreten
waren, auflösend bedingt wirksam. Die Behörde darf nur aus einem Verwaltungsakt keine Maßnahmen
treffen, die rechtlich als Vollziehung des nach wie vor wirksamen Verwaltungsakts zu qualifizieren
sind. Um eine solche Maßnahme handelt es sich - wie dargelegt - nicht bei der Aufrechnung. (vgl. dazu
BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1982 - 3 C 6/82 (BVerwGE 66, 218-224; JA 1983, 332-334)).
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Dieser Auffassung schließt sich die erkennende Kammer an. Die Beklagte rechnet hier mit einer
fälligen Forderung auf; daran ändert gerade nichts, dass die Vollziehbarkeit des Rentenbescheids
auflösend bedingt ist durch die - künftige - Entscheidung des Sozialgerichtes.
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c) Der Kläger ist auch hinreichend vor unrechtmäßiger Inanspruchnahme durch die Beklagte geschützt.
Denn diese ist verpflichtet, die Aufrechnung rückgängig zu machen und dem Kläger die bislang
vorenthaltene Rente für Februar 2007 zurückzuzahlen, wenn das Sozialgericht zugunsten des Klägers
entscheidet, dass der Rentenbescheid der DRV vom 26. Februar 2008 rechtswidrig ist und die DRV auf
dieser Grundlage einen neuen Bescheid erlässt. Die Mitteilung vom 21. Mai 2008 ist dementsprechend
abänderbar (vgl. LG Karlsruhe, Urteil vom 15. Mai 2009 - 6 O 356/05).
II.
31 Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
32 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
33 Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Zwar gibt
es eine Vielzahl vergleichbarer Sachverhalte, dennoch ist eine Revision zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung und Fortbildung des Rechts nicht erforderlich, da die Grundsätze dieser Entscheidung - die
zulässige Aufrechnung auf Grundlage eines wirksamen, wenn auch nicht vollziehbaren Verwaltungsaktes -
bereits durch das genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 1982 - 3 C 6/82 -
höchstrichterlich entschieden wurde. Insofern fehlt der Rechtssache auch die grundsätzliche Bedeutung.