Urteil des LG Karlsruhe vom 22.07.2009

LG Karlsruhe (gkg, partei, streitwert, wirtschaftliches interesse, beschwerde, festsetzung, betrag, zpo, praxis, klageschrift)

LG Karlsruhe Beschluß vom 22.7.2009, 6 T 10/09
Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes: Streitwert bei Startgutschriften
Leitsätze
Bei Streitigkeiten über Startgutschriften in der Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes kann in Fällen sog.
rentenferner Jahrgänge - in Anlehnung an eine entsprechende Wertangabe in der jeweiligen Klageschrift - bei
einem ansonsten nicht weiter konkretisierbaren klägersichen Interesse der Streitwert beim Amtsgericht im
Regelfall auf einen Betrag zwischen EUR 3.000,- und EUR 4.000,- festgesetzt werden.
VBL: Zum Streitwert für Startgutschriftsfälle vor dem Amtsgericht
Tenor
1. Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der
Streitwert auf
bis zu 3.000,00 EUR
festgesetzt wird.
2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
1
Die Streitwertbeschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
2
1. Die Streitwertbeschwerde ist zulässig.
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a) Sie ist insbesondere statthaft und fristgerecht eingelegt worden. Maßgeblich ist insoweit nicht § 68 Abs.
1 GKG n.F. - im Rahmen dessen z.B. der Wert des Beschwerdegegenstands bei Fehlen einer Zulassung
der Beschwerde den Betrag von 200,00 EUR übersteigen müsste -, sondern § 25 Abs. 3 GKG a.F. (mit der
Grenze von 50,00 EUR). Auf die Streitwertbeschwerde findet nämlich wegen des hier vor dem 01.07.2004
anhängig gewordenen Rechtsstreits gem. § 72 Nr. 1 Halbs. 1 GKG das Gerichtkostengesetz in der vor
dem 01.07.2004 geltenden Fassung (GKG a.F.) Anwendung. Die Ausnahme des § 72 Nr. 1 Halbs. 2 GKG
gilt nur für Rechtsmittel in der Hauptsache, nicht auch für die im Gerichtskostengesetz geregelten
Rechtsbehelfe gegen die Streitwertfestsetzung oder den Kostenansatz (vgl. BGH, Beschluss vom
17.05.2006 - XII ZB 233/05 - NJW-RR 2006, 1504 f.; BayVGH, Beschluss vom 07.10.2005 - 1 C 05.151 -
NVwZ 2006, 150 f.; Sächsisches OVG, Beschluss vom 14.05.2008 - 5 E 28/08 - SächsVBL 2008, 217 f.).
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b) Die Beschwerde war darüber hinaus entsprechend §§ 133, 157 BGB als solche des
Prozessbevollmächtigten der klagenden Partei auszulegen. Wie bei jedem Rechtsmittel ist auch für eine
Beschwerde gegen die endgültige Festsetzung des Kostenstreitwerts eine Beschwer erforderlich. Begehrt
eine Partei die Heraufsetzung eines Streitwertes, fehlt es ihr hierfür in aller Regel an einem
Rechtsschutzinteresse, da sie dabei allenfalls mit einer höheren Kostentragungslast belastet würde.
Deshalb kann sich eine Partei nur über eine zu hohe Wertfestsetzung und - umgekehrt - ein Anwalt aus
eigenem Recht nur über eine zu niedrige endgültige Wertfestsetzung beschweren (vgl. BGHNJW-RR 1986,
737; OLG Koblenz JurBüro 2002, 310; OLG Rostock JurBüro 2008, 369 f.; LG Hildesheim NdsRpfl. 1995,
131; Hartmann/Albers, Kostengesetze, 33. Aufl. 2004, § 25 GKG a.F. Rn 5; Hartmann, Kostengesetze, 39.
Aufl. 2009, § 68 Rn 5); im Zweifel ist bei Rüge einer zu hohen Wertfestsetzung die Beschwerde als solche
der Partei auszulegen und umgekehrt (Hartmann, a.a.O.). In Anlehnung hieran hat das Gericht die
Beschwerde - weil sie zum einen nicht ausdrücklich zu erkennen gibt, in wessen Namen sie erfolgt, weil
sie zum anderen eine zu niedrige Streitwertfestsetzung durch das Amtsgericht rügt und weil sie ansonsten
ohnehin unzulässig wäre - als solche des Prozessbevollmächtigten der klagenden Partei verstanden.
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2. In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg.
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a) Maßgebend für die Wertbestimmung ist der Streitgegenstand, der gleich demjenigen ist, was die Partei
begehrt und mit ihrem Antrag erreichen will. Diesen Streitgegenstand legen Klageantrag und
Klagebegründung fest. Entscheidend ist das Interesse der klagenden Partei (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO,
27. Aufl., § 3 Rn 2). Der von der klagenden Partei bei Antragstellung geschätzte Wert (§ 23 GKG a.F./§ 61
GKG n.F.) ist weder bindend noch maßgeblich und kann jederzeit - auch auf Initiative der klagenden Partei
- geändert werden; die Wertangabe soll dem Gericht aber einen Anhalt für die Wertfestsetzung bieten (vgl.
Hartmann, Kostengesetze, 33. Aufl. 2004, § 23 GKG Rn 8 f. und 38. Aufl. 2008, § 61 GKG Rn 10; vgl.
insoweit auch Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl., § 3 Rn 16 unter „Selbständiges Beweisverfahren“ und unter
„Stufenklage“).
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b) Ausgehend hiervon entspricht es - wie der 6. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe aus zahlreichen
Berufungsverfahren bekannt ist - der gängigen und nachvollziehbaren Praxis des Amtsgerichts Karlsruhe,
den Streitwert in Fällen rentenferner Versicherter in Anlehnung an eine entsprechende Wertangabe in der
jeweiligen Klageschrift wegen des ansonsten nicht weiter konkretisierbaren klägerischen Interesses auf
einen Betrag zwischen 3.000,00 EUR und 4.000,00 EUR festzusetzen. Eine pauschale
Streitwertfestsetzung bietet sich insofern an, weil ebenso wie in zahlreichen erstinstanzlichen Verfahren
betreffend die rentenfernen Versicherten vor dem Landgericht Karlsruhe mangels Vorliegens konkreter
Fiktivberechnungen der Beklagten nähere Anhaltspunkte über die mit der Klage verfolgte konkrete
wirtschaftliche Besserstellung (um einen Betrag „X“) meist fehlen. Das Landgericht Karlsruhe bestimmt
deshalb bei Fehlen weitergehender Anhaltspunkte, ausgehend von dem bereits mit Einreichung beim
Landgericht signalisierten erhöhten wirtschaftlichen Verfolgungsinteresse der Kläger, im Regelfall den
Streitwert auf 6.000,00 EUR. Eine Streitwertfestsetzung in den amtsgerichtlichen Verfahren auf 50 %
dieses Betrages, mithin auf 3.000,00 EUR, erscheint unter Berücksichtigung dessen schon aus
allgemeinen Erwägungen als angemessen, jedenfalls aber als gut vertretbar, und ist nicht zu beanstanden.
Der Klägervertreter hat hier zudem selbst in der Klageschrift sein mit der Klage verfolgtes wirtschaftliches
Interesse auf 3.000,00 EUR geschätzt; konkrete Anhaltspunkte dafür, weshalb davon nunmehr - im
Nachhinein - abgewichen werden sollte, hat er nicht geliefert.
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Die vorstehend dargestellte Praxis des Amtsgerichts Karlsruhe wird im Übrigen auch regelmäßig durch das
Landgericht Karlsruhe in zweiter Instanz bestätigt, so etwa in den folgenden, bei dem Landgericht
Karlsruhe in jüngerer Zeit abgeschlossenen (jeweils rentenferne Versicherte betreffenden) Verfahren:
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- Az. 6 S 11/08, 6 S 29/08, 6 S 50/08, 6 S 89/08: Festsetzung des Streitwerts in erster und zweiter Instanz
jeweils auf 3.000,00 EUR,
- Az. 6 S 62/08, 6 S 123/08, 6 S 125/08, 6 S 126/08, 6 S 128/08, 6 S 130/08: Festsetzung des Streitwerts in
erster und zweiter Instanz jeweils auf 3.360,00 EUR,
- Az. 6 S 33/08, 6 S 118/08, 6 S 119/08: Festsetzung des Streitwerts in erster und zweiter Instanz jeweils auf
3.500,00 EUR,
- Az. 6 S 87/08, 6 S 88/08, 6 S 94/08, 6 S 95/08, 6 S 97/08, 6 S 103/08, 6 S 106/08, 6 S 107/08: Festsetzung
des Streitwerts in erster und zweiter Instanz jeweils auf 4.000,00 EUR.
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c) Das Vorbringen des Klägervertreters bietet keine Veranlassung, von der geschilderten, in vertretbarer
Weise ausgeübten Praxis des Amtsgerichts abzuweichen. Insbesondere ist die von dem
Prozessbevollmächtigten der klagenden Partei zitierte Vorschrift des § 23 Abs. 3 RVG verfehlt. Abgesehen
von der Nichtanwendbarkeit des RVG auf den vorliegenden Altfall (vgl. § 61 Abs. 1 S. 1 RVG) sind die §§ 8
Abs. 2 BRAGO/23 Abs. 3 RVG jedenfalls Auffangvorschriften („Soweit sich aus diesem Gesetz nichts
anderes ergibt, …“) und hier von vornherein nicht einschlägig, weil bereits die §§ 8 Abs. 1 BRAGO/23 Abs.
1 RVG für gerichtliche Verfahren - darunter auch bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten - ausdrücklich auf das
GKG verweisen (§§ 12 ff. GKG, 3 ff. ZPO) (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2002,
§ 8 Rn 3.).
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d) Ergänzend war hier zu berücksichtigen, dass sich für den Zeitraum nach einer - wie hier vorliegenden -
übereinstimmenden Erledigungserklärung der Streitwert nur noch auf das Kosteninteresse beläuft (vgl.
insofern Zöller/Herget, ZPO, § 3 Rn 16 unter „Erledigung der Hauptsache“). Auch wenn nicht ersichtlich ist,
dass sich dies im vorliegenden Fall in irgendeiner Form auswirken wird, war deshalb vorsorglich
auszusprechen, dass der Streitwert auf „bis zu 3.000,00 EUR“ festgesetzt wird.
12 3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 25 Abs. 4 GKG a.F.).