Urteil des LG Karlsruhe vom 18.01.2002

LG Karlsruhe: anstalt, aushändigung, besitz, datenträger, freizeitbeschäftigung, aufwand, sicherheit, spielkonsole, form, internet

LG Karlsruhe Beschluß vom 18.1.2002, 2 StVK 30/01
Strafvollzug: Anspruch des Strafgefangenen auf Aushändigung selbst gebrannter Spiele-CD-ROMs
Leitsätze
Ein Strafgefangener im geschlossenen Vollzug hat keinen Anspruch darauf, dass ihm selbst gebrannte CD-ROMs für eine Sony-Playstation
ausgehändigt werden. Die Anstalt kann Gefangene auf den Bezug von Datenträgern im Fachhandel beschränken.
Tenor
Der Antrag des Gefangenen, die Anstalt zur Aushändigung selbst kopierter CDs für eine Sony-Playstation zu verpflichten, wird kostenpflichtig als
unbegründet zurückgewiesen.
Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe wird zurückgewiesen.
Der Geschäftswert wird auf 300,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Gefangene verbüßt in der JVA ... eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Fünfzehn Jahre der Strafe werden am 01.07.2002
abgelaufen sein.
2
Am 31.12.2000 wandte sich der Gefangene an den Anstaltsleiter mit folgendem Anliegen:
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"Bitte erklären Sie mir, warum trotz Kontrollmöglichkeit mir der Erhalt von selbst kopierten CD's von den Effekten für Playstation verboten wird.
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Begründung seitens Hr. ... (Kammer) ' In ... nicht üblich."
5
Hierauf wurde dem Gefangenen am 02.01.2001 folgender Bescheid eröffnet:
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"Der Kontrollaufwand zur Prüfung selbst kopierter CD's wäre zu groß. Auf die Kontrollmöglichkeit kommt es dabei nicht allein an."
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Gegen diesen Bescheid hat der Gefangene mit Schreiben vom 05.01.2001 - bei Gericht eingegangen am 12.01.2001 - folgenden Antrag auf
gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG gestellt:
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"Am 2.1.01 wurde mein Antrag auf Begründung einer Ablehnung der Aushändigung von selbst kopierten CDs für Sony-Spielkonsole
folgendermaßen beschieden:
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"Aushändigung abgelehnt. Der Kontrollaufwand der beantragten CDs ist zu groß. Das Vorhandensein einer Kontrollmöglichkeit ist nicht von
Belang."
10 Der Besitz von Spiele-CDs für eine genehmigte und ausgehändigten [sic] ist nach § 70 StVollzG nicht verboten. Als alleiniger Grund für eine
Ablehnung ist der Hinweis auf den unzumutbaren Kontrollaufwand nach Callies/Müller-Dietz, Kommentare zum StVollzG, Rdnr. 3 zu § 70,
bedenklich.
11 Des weiteren führe ich an, daß sich besagte CDs bereits während meines 9-monatigen Aufenthalts in der Offenen Abteilung der JVA ohne
Beanstandungen auf meinem Haftraum befanden. Nur jetzt im geschlossenen Bereich der JVA wird mir deren Besitz versagt.
12 Ich beantrage daher, die angefochtene Ablehnung des Abteilungsleiters Herrn ... aufzuheben und die Anstalt unter Beachtung der gültigen
Rechtslage zur erneuten Entscheidung zu verpflichten. Bitte informieren Sie mich im Rahmen des rechtlichen Gehörs über den Schriftwechsel mit
dem Antragsgegner."
13 Zugleich stellte der Gefangene den Antrag, ihm Prozeßkostenhilfe zu gewähren, da sein Antrag Aussicht auf Erfolg habe und er in der JVA
unverschuldet ohne Arbeit und somit mittellos sei.
14 Die JVA ... ist dem Antrag mit Schreiben vom 10.04.2001 mit folgender Begründung entgegengetreten:
15 "Die Ablehnung erfolgte, weil in der Justizvollzugsanstalt ... aus Sicherheitsgründen Gegenstände zur Freizeitgestaltung und anderes
grundsätzlich nur vom Fachhandel unter Vermittlung durch die Anstalt beschafft werden dürfen. Gerade in einer Anstalt mit so hohem
Sicherheitsstandard - wie der Justizvollzugsanstalt ... - ist eine solche Regelung unabdingbar, um den mit der Beschaffung von Gegenständen
zur Freizeitgestaltung und anderem und insbesondere elektronischer Datenträger verbundenen Kontrollaufwand im [sic] vertretbaren und
leistbaren Grenzen zu halten.
16 Dass der Gefangene die gewünschten Datenträger in der hiesigen offenen Abteilung in seinem Gewahrsam haben durfte, ist dabei unerheblich,
weil in einer von dem geschlossenen Bereich getrennten Abteilung des offenen Vollzuges naturgemäß geringere Sicherheitsanforderungen
gelten."
17 Diese Stellungnahme wurde dem Gefangenen am 12.04.2001 eröffnet und ausgehändigt. Er erwiderte darauf am 19.04.2001 wie folgt:
18 "Der mit der Stellungnahme beauftragte Beamte ... bezieht sich in seiner Begründung ausschließlich auf Sicherheitsgründe. Er legt jedoch nicht
dar, weshalb bzw. in welcher Form bei den von mir beantragten CDs Sicherheitsbedenken einer Aushändigung entgegenstehen.
19 In der VA werden alle Gegenstände zur Freizeitbeschäftigung vor der Aushändigung an Gefangene von den dafür speziell zuständigen Beamten
überprüft. Elektrogeräte werden versiegelt bzw. mit Plomben versehen, CDs von einem extra dafür bestimmten Beamten auf deren Inhalt
überprüft.
20 Somit stünde einer Überprüfung der beantragten CDs nichts im Wege.
21 Eine Mißbrauchsgefahr besteht auch nicht, weil aufgrund der Beschaffenheit meiner Spielekonsole ich der einzigste Gefangene bin, der für diese
CDs eine Verwendung hat.
22 Somit kommt ein Verkauf oder ein Ausleihen an Mitgefangene nicht in Betracht.
23 Auch dem Inhalt der CDs kommen keine Sicherheitsbedenken zu, da es sich ausschließlich nur um Spiele für Play-Station handelt. Der
Kontrollaufwand der CDs hält sich zudem in durchaus vertretbaren Grenzen, da die CDs als 'lose' vorliegen, also ohne zu überprüfende Hüllen
oder Verpackungen.
24 Zudem ist davon auszugehen, dass pro CD nur etwa max. 5 Minuten benötigt werden, um deren Inhalt zu überprüfen.
25 Abschließend ist noch anzuführen, daß der bis jetzt aufgebrachte zeitliche Aufwand des Beschwerdeverfahrens den Kontrollaufwand der CDs um
etliches schon überstiegen hat."
II.
26 1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig (§§ 109 Abs. 1 u. 2, 112 StVollzG), aber nicht begründet. Die Ablehnung der beantragten
Aushändigung von selbst kopierten CDs für Sony-Playstation ist nicht rechtswidrig und verletzt den Gefangenen demzufolge auch nicht in seinen
Rechten.
27 Gemäß § 70 Abs. 1 StVollzG darf der Gefangene in angemessenem Umfange Bücher und andere Gegenstände zur Fortbildung oder zur
Freizeitbeschäftigung besitzen. Zu diesen Gegenständen können grundsätzlich auch selbst kopierte CDs für eine Spielkonsole gehören. Dass im
Freizeitbeschäftigung besitzen. Zu diesen Gegenständen können grundsätzlich auch selbst kopierte CDs für eine Spielkonsole gehören. Dass im
konkreten Fall durch die Zulassung derartiger Gegenstände der von § 70 Abs. 1 StVollzG vorgesehene angemessene Umfang überschritten
würde, ist nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.
28 § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG schränkt das Recht des Gefangenen zum Besitz von Gegenständen zur Freizeitbeschäftigung jedoch für den Fall ein,
dass der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des Gegenstandes die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde. Bei dem
Gefahrbegriff in dieser Vorschrift handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der grundsätzlich voller gerichtlicher Überprüfung
unterliegt (Schwind/Böhm, Strafvollzugsgesetz, 3. Aufl., § 70 Rn. 3). Im vorliegenden Fall ergibt die Überprüfung, dass die Überlassung selbst
kopierter CDs den Tatbestand dieser Vorschrift erfüllen würde.
29 Von elektronischen Datenträgern wie CDs und CD-ROMs geht grundsätzlich eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung einer Anstalt des
geschlossenen Vollzuges aus, weil damit insbesondere die Möglichkeit einer schwer kontrollierbaren Nachrichtenübermittlung nach innen
besteht (vgl. Schwind/Böhm, a.a.O. Rn. 9 für den vergleichbaren Fall von Schallplatten und Musikkassetten). Dies gilt auch für Speichermedien,
die für Spielkonsolen bestimmt sind. Dem Gericht ist aus der Werbung der entsprechenden Hersteller bekannt, dass derartige Spielkonsolen
nicht nur für Spiele benutzt werden können, sondern dass damit grundsätzlich etwa auch Audiodateien abgespielt werden können. Darüber
hinaus ist aber nicht völlig auszuschließen, dass die Spielesoftware selbst zur Nachrichtenübermittlung manipuliert werden könnte. Schließlich ist
auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass Spiele selbst die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährden, etwa weil sie einen Gewalt
verherrlichenden Inhalt haben.
30 Lässt sich somit einerseits eine Gefährlichkeit solcher elektronischen Datenträger nicht leugnen, so wäre andererseits aber auch ihr
vollständiges Verbot bedenklich, weil angesichts ihrer Verbreitung und Bedeutung in der heutigen Gesellschaft durch ein solches Verbot die von
§ 70 Abs. 1 StVollzG garantierten Möglichkeiten der Gefangenen zur Fortbildung und Freizeitbeschäftigung übermäßig beschnitten würden.
Unter diesen Umständen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Anstalt einem Gefangenen im geschlossenen Vollzug keine derartigen
Datenträger aushändigt, wenn sie nicht unter Vermittlung der Anstalt durch den Fachhandel bezogen worden sind. Es liegt auf der Hand, dass
der Kontrollaufwand bei Datenträgern, die aus grundsätzlich vertrauenswürdigen Quellen stammen, erheblich geringer ausfallen kann. Auch hier
sind Manipulationen zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, jedoch erheblich weniger wahrscheinlich als bei Datenträgern, die von
Gefangenen selbst hergestellt worden sind; außerdem lässt sich der Inhalt des Datenträgers anhand der üblicherweise mitgelieferten
Produktbeschreibungen erheblich einfacher überprüfen. Zwar weist der Gefangene im Prinzip zu Recht darauf hin, dass in der Literatur zum
Strafvollzugsgesetz bezweifelt wird, ob es der bloße Kontrollaufwand als solcher rechtfertigt, die Überlassung von Gegenständen zu versagen,
da es sich hierbei nicht um einen in § 70 StVollzG aufgeführten Versagungsgrund handelt. Diese Frage spielt jedoch im vorliegenden
Zusammenhang keine Rolle. Denn dass der Kontrollaufwand als solcher kein Versagungsgrund sein mag, bedeutet keineswegs, dass er für die
Frage, ob Gegenstände zugelassen werden können, obwohl sie an sich einen gesetzlich vorgesehenen Versagungsgrund - nämlich § 70 Abs. 2
Nr. 2 StVollzG - erfüllen, keine Rolle spielen würde. In welchem Verhältnis der Aufwand, der für die Kontrolle der selbst gebrannten CDs
erforderlich wäre, zu dem Aufwand steht, den die entsprechenden Anträge des Gefangenen verursachen, ist völlig ohne Belang. Wäre dies
anders, dann hätte es jeder Gefangene in der Hand, durch Stellung übermäßig arbeitsintensiver Anträge die Herausgabe auch von
Gegenständen mit besonders hohem Kontrollaufwand zu erzwingen.
31 Der Gefangene wird dadurch, dass ihm die Aushändigung selbst gebrannter CDs verweigert wird, in seinen Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung
auch keineswegs übermäßig eingeschränkt. Ihm bleibt im vollem Umfang die Möglichkeit, kommerziell erhältliche Spielesoftware durch
Vermittlung der Anstalt im Fachhandel zu beziehen. Dem Gericht ist aus eigener Erfahrung bekannt, dass häufig auch sogenannte Freeware-
und Shareware-Programme, die über das Internet vertrieben werden, in Form von relativ preisgünstigen Kompilationen im Handel erhältlich sind.
Soweit die CDs, deren Aushändigung der Gefangene begehrt, Software enthalten sollten, die - wie bei selbst gebrannten CDs nach der
Lebenserfahrung häufig der Fall - unter Verletzung des Urheberrechts vervielfältigt worden ist, berührt die Versagung einer Aushändigung
ohnehin keine schutzwürdigen Interessen des Gefangenen; vielmehr kann die Benutzung derartiger Raubkopien ihrerseits eine Straftat nach §§
106 Abs. 1, 69c S. 1 Nr. 1 UrhG darstellen, gegen die die Anstalt gegebenenfalls einzuschreiten hätte. Eine Beeinträchtigung erheblicher
Interessen des Gefangenen durch die Verweigerung der begehrten CDs ist vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen.
32 Dass der Gefangene die selbst gebrannten CDs im Rahmen des offenen Vollzuges beanstandungslos in seinem Besitz gehabt hat, ist
unerheblich, da die Sicherheitsanforderungen im geschlossenen Vollzug, in den der Gefangene nunmehr zurückgekehrt ist, naturgemäß höher
sind als im offenen Vollzug.
33 2. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe muss zurückgewiesen werden, da es der Rechtsverfolgung des Gefangenen von vornherein an der nötigen
Erfolgsaussicht (§ 120 Abs. 2 StVollzG i.V.m. § 114 ZPO) gefehlt hat.
34 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 S. 1 StVollzG, die Festsetzung des Geschäftswertes auf §§ 48a, 13 GKG.
35 Hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung (Rechtsbeschwerde) wird auf die Anlage verwiesen. Die Ablehnung des Antrages auf Gewährung von
Prozesskostenhilfe ist nicht anfechtbar (§§ 120 Abs. 2 StVollzG, 127 Abs. 2 S. 2, 567 Abs. 3, 4 ZPO).