Urteil des LG Karlsruhe vom 07.04.2004

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LG Karlsruhe Urteil vom 7.4.2004, 10 O 683/03
Gewerberaummietvertrag: Erlöschen bei Zerstörung der Mietsache
Tenor
1. Die Widerklage wird abgewiesen.
2. Auf die Zwischenfeststellungsklage wird festgestellt: Der Beklagten stehen aus der Gebrauchsüberlassung der Räume 2. OG Hintergebäude keine
Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis mehr zu.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um den Fortbestand eines gewerblichen Mietvertrages sowie die Mietzinszahlungspflicht der Kläger.
2
Zwischen den Klägern und dem Rechtsvorgänger der Beklagten wurde am 01.05.1974 ein Mietvertrag über Räume im Anwesen zur Nutzung als
Möbellager abgeschlossen. Der Mietzins betrug zuletzt monatlich 1.079,44 EUR brutto. Das Gebäude brannte in der Neujahrsnacht 2003 durch
Fremdeinwirkung und ohne Verschulden der Parteien vollständig ab. In der Folgezeit wurde das Anwesen von der Beklagten wieder aufgebaut
und nach Abschluss der Arbeiten den Klägern am 31.10.2003 die Schlüssel zu dem Möbellager übersandt.
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Zwischen den Parteien wurde nach der Wiedererrichtung des Gebäudes kontrovers diskutiert, ob der nunmehr eingebrachte Boden für ein
Möbellager geeignet ist, wer die Kosten für den Einbau einer Brandmeldeanlage zu tragen hat, die von der Gebäudeversicherung verlangt wurde
und ob aufgrund der Baumaßnahme eine Erhöhung des Mietzinses vorgenommen werden kann. Jedenfalls kündigten die Kläger mit Schreiben
ihres Prozessbevollmächtigten am 23.10.2003 den Mietvertrag fristlos. Die Beklagte ist der Kündigung entgegengetreten und hat u.a. gerügt,
dass dem Kündigungsschreiben keine schriftliche Vollmacht beigelegen habe.
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Die Kläger haben zunächst die Feststellung begehrt, dass der Mietvertrag für das genannte Anwesen beendet ist und nicht mehr besteht.
Nachdem die Beklagte im Wege der Widerklage den Mietzins für den Monat Dezember 2003 geltend gemacht hat, wurde der Feststellungsantrag
der Kläger übereinstimmend für erledigt erklärt. Nunmehr verlangen die Kläger im Wege der Zwischenfeststellungsklage, dass der Beklagten aus
dem Vertragsverhältnis keine Ansprüche mehr zustehen.
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Die Kläger tragen vor:
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Durch die Zerstörung des Vertragsgegenstandes sei die Beklagte von ihrer Gebrauchsüberlassungspflicht wegen nachträglicher Unmöglichkeit
frei geworden. Damit sei das Mietverhältnis beendet, ohne dass es einer Kündigung bedurft hätte. Jedenfalls sei der Mietvertrag durch die
fristlose Kündigung vom 23.10.2003 beendet worden. Es sei ihnen unzumutbar, die Räume als Möbellager zu benutzen, da der eingebrachte
Bodenbelag den Belastungen nicht standhalte und absehbar sei, dass er innerhalb kürzester Zeit nachhaltig beschädigt werde. Zudem sei ohne
rechtliche Grundlage eine erhöhte Miete verlangt worden.
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Die Kläger beantragen zuletzt:
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1. Auf die Zwischenfeststellungsklage wird festgestellt: Der Beklagten stehen aus der Gebrauchsüberlassung der Räume keine Ansprüche aus
dem Vertragsverhältnis mehr zu.
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2. Die Widerklage wird abgewiesen.
10 Die Beklagte beantragt:
11 1. Die Zwischenfeststellungsklage wird abgewiesen.
12 2. Die Kläger werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Beklagte 1.079,44 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 04.12.2003 zu
bezahlen.
13 Die Beklagte trägt vor:
14 Es liege kein Fall nachträglicher Unmöglichkeit vor, da hiervon nur die Rede sein könne, wenn die Leistung von niemandem erbracht werden
könne. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, da das zerstörte Gebäude zwischenzeitlich wieder aufgebaut worden sei. Zumindest führten die
Vorschriften über die Unmöglichkeit nicht zu einer Vertragsbeendigung ohne vorhergehende Kündigung. Die fristlose Kündigung vom
23.10.2003 sei unwirksam, da kein Kündigungsgrund bestehe. Bei dem eingebrachten Boden handele es sich um einen Industrieboden, der für
die Nutzung als Möbellager ideal geeignet sei. Hinsichtlich der beabsichtigten Mieterhöhung sei zu berücksichtigen, dass der Mietzins seit
Oktober 1990 nicht mehr erhöht worden sei und nur die Anpassung an die mittlerweile ortsübliche Miete begehrt werde. Da das Mietverhältnis
fortbestehe, schuldeten die Kläger den mit der Widerklage geltend gemachten vertraglich vereinbarten Mietzins für Dezember 2003 in Höhe von
1.079,44 EUR brutto.
15 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
16 Die zulässige Zwischenfeststellungsklage ist begründet, während die zulässige Widerklage unbegründet ist.
17 1. Die Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO ist zulässig. Nachdem die Beklagte Leistungsklage erhoben hat und die Parteien
deswegen den ursprünglichen Feststellungsantrag der Kläger übereinstimmend für erledigt erklärt haben, liegen die Prozessvoraussetzungen
für eine Zwischenfeststellungsklage vor. Zwischen den Parteien ist eine Hauptklage über den Mietzinsanspruch der Beklagten für Dezember
2003 anhängig. Innerhalb des Hauptanspruchs ist ein Rechtsverhältnis, nämlich der Fortbestand des Mietvertrages, zwischen den Parteien
streitig. Das Bestehen oder Nichtbestehen dieses Rechtsverhältnisses ist für die Hauptklage vorgreiflich, da der Fortbestand des Mietvertrages
Voraussetzung für die Mietzinszahlungspflicht der Kläger ist. Zudem rühmt sich die Beklagte weiterer Mietzinsansprüche gegen die Kläger bis
Ende 2004, was ebenfalls den Fortbestand des Mietvertrages zwischen den Parteien voraussetzt.
18 2. Die Zwischenfeststellungsklage ist auch begründet. Der Beklagten stehen keine Ansprüche mehr gegen die Kläger aus dem Mietvertrag zu, da
das Vertragsverhältnis beendet ist. Offen bleiben kann dabei, ob die fristlose Kündigung vom 23.10.2003 formgerecht erklärt wurde und die
genannten Gründe für eine fristlose Kündigung ausgereicht hätten. Das Mietverhältnis ist nämlich aufgrund nachträglicher eingetretener
Unmöglichkeit zur Gebrauchsüberlassung erloschen. Bei völliger Zerstörung der Mietsache, die unstreitig im vorliegenden Fall gegeben war,
entspricht es allgemeiner Auffassung, dass die Vorschriften des Allgemeinen Schuldrechts anzuwenden sind und nicht von den
Gewährleistungsregelungen der §§ 536 ff. BGB verdrängt werden (vgl. BGH WuM 1990, 546 ff; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und
Wohnraummiete, 3. Auflage, III. B Rn. 1192). Durch die Zerstörung des Gebäudes wurde der Beklagten die Pflicht zur Gebrauchsüberlassung der
Mietsache an die Kläger gemäß § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB unmöglich, sodass sie von ihrer Leistungspflicht frei wurde (§ 275 Abs. 1 BGB).
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob jedermann zur Leistung außerstande war, was nach der Zerstörung des
Gebäudes sogar der Fall war, da nach § 275 Abs. 1 BGB subjektive und objektive Unmöglichkeit gleich behandelt werden. Ebenso entfiel gemäß
§ 326 Abs. 1 Satz 1 BGB der Anspruch der Beklagten auf den Mietzins, da die Kläger unstreitig an der Zerstörung des Gebäudes ebenfalls kein
Verschulden traf. Ob in einer solchen Situation das Mietverhältnis automatisch erlischt, ohne dass es einer Kündigung bedarf, ist umstritten (vgl.
Bub/Treier, a.a.O. m.w.N.). Das Gericht schließt sich der überwiegend vertretenen Auffassung an, dass das Mietverhältnis endet und es keiner
gesonderten Kündigung bedarf (ebenso: Bub/Treier, a.a.O.; Münchener Kommentar BGB, 3. Aufl., vor §§ 537 bis 543 Rn. 6). Die Rechtsfolgen
der §§ 275 Abs. 1 und 326 Abs. 1 Satz 1 BGB treten kraft Gesetzes ein (vgl. Bamberger/Roth, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 275
Rn. 44 und § 326 Rn. 7), wobei allerdings die Vorschriften nur die jeweilige Leistungs- bzw. Gegenleistungspflicht betreffen. Wenn aber die
Parteien von den wechselseitigen Hauptpflichten frei geworden sind und keine Nebenpflichten mehr zu erfüllen sind, erlischt das gesamte
Schuldverhältnis (ebenso: Bamberger/Roth a.a.O., § 326 Rn. 7). Dann ist aber nicht einzusehen, weshalb beim Mietvertrag eine zusätzliche
konstitutive Kündigungserklärung erforderlich sein soll. Die Gegenauffassung begründet im Übrigen ihre Meinung nicht, sondern stellt nur fest,
dass dem Mieter oder beiden Mietvertragsparteien ein Kündigungsrecht nach § 542 BGB a.F. zusteht (vgl. Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des
gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 8. Aufl., Rn. 352; Erman, BGB, 10. Aufl. vor § 537 Rn. 10).
19 Zwischen den Parteien wurde auch nach Wiedererrichtung des Gebäudes kein neuer Mietvertrag abgeschlossen. Zwar hat die Beklagte den
Klägern die Gebrauchsüberlassung angeboten und damit zumindest konkludent ein Angebot auf Abschluss eines neuen Mietvertrages
unterbreitet, die Kläger haben dieses Angebot jedoch zu keinem Zeitpunkt angenommen. Vielmehr haben sie deutlich gemacht, dass sie kein
Interesse an der erneuten Nutzung der Lagerhalle haben. Im übrigen wurde auch keine Einigkeit über die Vertragskonditionen (Mietzinshöhe,
ordnungsgemäßer Bodenbelag, Anschluss der Brandmeldeanlage) erzielt.
20 3. Die zulässige Widerklage ist unbegründet. Die Beklagte hat keinen Anspruch gegen die Kläger auf Zahlung des Mietzinses für Dezember
2003 gemäß § 535 Abs. 2 BGB. Das Mietverhältnis wurde durch die Zerstörung des Gebäudes am 01.01.2003 - wie ausgeführt - automatisch
beendet und später kein neuer Mietvertrag abgeschlossen, sodass der Beklagten für Dezember 2003 kein Mietzins zusteht.
21 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 91 a ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat die
Beklagte ebenfalls die Kosten zu tragen, da die ursprüngliche Feststellungsklage wegen des Erlöschens des Mietverhältnisses durch die
Zerstörung des Gebäudes ebenfalls begründet gewesen wäre.
22 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.