Urteil des LG Karlsruhe vom 04.02.2002

LG Karlsruhe: freies ermessen, mieter, mietwohnung, hund, vertragslücke, mietvertrag, gefahr, form, unterlassen, rasse

LG Karlsruhe Beschluß vom 4.2.2002, 5 S 121/01
Wohnraummietvertrag: Erlaubnis zur Hundehaltung
Tenor
Der Antrag der Beklagten, ihnen zur Durchführung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Ettlingen vom 08.05.2001 – 1 C 118/01 –
Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Die Beklagten sind Mieter einer Zwei-Zimmer-Wohnung im ersten Obergeschoss des Anwesens P in Ettlingen, die sie von der
Klägerin/Vermieterin gemietet haben. Bei dem Anwesen handelt es sich um ein Mehrfamilienwohnhaus. Das Amtsgericht Ettlingen hat die
Beklagten durch Urteil vom 08.05.2001 verurteilt, es zu unterlassen, in der gemieteten Wohnung den American Pit Bull Terrier "Luzi" (geb.
"Tanja's Angel") zu halten und ihnen für den Fall der Zuwiderhandlung Ordnungsgeld und Ordnungshaft angedroht. Gegen dieses Urteil
haben die Beklagten form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese form- und fristgerecht begründet. Zur Durchführung der Berufung
haben sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Die Klägerin tritt der Berufung und dem Prozesskostenhilfeantrag entgegen und
verteidigt die amtsgerichtliche Entscheidung.
II.
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Der Antrag der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zulässig, aber nicht begründet.
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Nach § 114 ZPO kann einer Partei – unbeschadet weiterer Voraussetzungen – Prozesskostenhilfe nur dann gewährt werden, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
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Die Kammer nimmt nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage zunächst auf die in jeder Hinsicht überzeugende Begründung des
angefochtenen Urteils zustimmend Bezug und macht diese auch zum Gegenstand der vorliegenden Entscheidung. Das Amtsgericht
Ettlingen hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden und der Klage zu Recht in vollem Umfang stattgegeben. Das bisherige
Berufungsvorbringen der Beklagten ist nicht geeignet, ein für sie günstigeres Prozessergebnis herbeizuführen. Im Hinblick darauf ist
lediglich das Folgende ergänzend zu bemerken:
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1. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten einmal unterstellt, dass die in § 3 des Mietvertrages enthaltene Bestimmung
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"Der Mieter verpflichtet sich, keine Katzen und Hunde zu halten. Insoweit findet Nr. 6 AVB keine Anwendung."
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– etwa, wie geltend gemacht, wegen Verstoßes gegen das Schriftformerfordernis (§ 566 BGB a. F. / § 550 BGB n. F., § 126 BGB) –
unwirksam ist und der Mietvertrag damit eine Regelung über Tierhaltung in der Wohnung nicht enthält, steht den Beklagten kein
Anspruch zu, den American Pit Bull Terrier in der von ihnen gemieteten Wohnung zu halten. Denn die Haltung größerer Tiere –
insbesondere von Hunden – in einer Mietwohnung eines Mehrfamilienwohnhauses ist vom vertragsgemäßen Gebrauch der
Mietwohnung auch bei Nichtexistenz einer mietvertraglichen Bestimmung über ein Tierhaltungsverbot nicht umfasst und bedarf deshalb,
soll sie rechtmäßig sein, auch in diesem Fall der Erlaubnis des Vermieters (vertragsimmanenter Erlaubnisvorbehalt). Der
vertragsimmanente Erlaubnisvorbehalt rechtfertigt sich daraus, dass sich bei Hunden die Gefahr der Gefährdung oder auch nur der
Belästigung von Mitbewohnern im Haus oder von Nachbarn wegen der Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens nie ganz ausschließen
lässt (vgl. OLG Hamm OLGZ 1981, 74 (77); LG Konstanz DWW 1987, 196; Kraemer, in: Bub / Treier, Handbuch der Geschäfts- und
Wohnraummiete, 3. Aufl., Kap. III. A, Rn. 1038; Emmerich, in: Staudinger, BGB, 13. Bearbeitung, §§ 535, 536, Rn. 95; zur
Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens etwa BGHZ 67, 129 (132 f.)).
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In der Berufungsbegründung vom 07.08.2001 konzedieren die Beklagten dem Gebot des § 138 Abs. 1 ZPO genügend, dass eine
förmliche Erlaubnis zur Haltung des American Pit Bull Terrier nie erteilt wurde. Sie meinen jedoch, dass die Klägerin mit Schreiben vom
06.06.1997 eine Hundehaltung geduldet habe und sie deshalb bei der Anschaffung des American Pit Bull Terriers nicht damit hätten
rechnen müssen, dass dieser Hund auf einmal nicht mehr erlaubt würde; zeitweise hätten sie sogar zwei Hunde gehalten. Diese
Rechtsauffassung der Beklagten geht fehl. Zum einen hatte die Klägerin im Schreiben vom 06.06.1997 lediglich "zunächst" auf weitere
Schritte "bezüglich der unerlaubten Hundehaltung" verzichtet, zum anderen hatte sich diese Duldung auf einen anderen Hund bezogen,
der überdies auch einer anderen Hunderasse angehört(e). Eine (konkludente) Erteilung der Erlaubnis zur Haltung des American Pit Bull
Terrier "Luzi" in der Mietwohnung kann darin nicht erblickt werden.
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2. Ob die Klägerin einer Hundehaltung zustimmt oder nicht, liegt im vorliegenden Fall in ihrem freien Ermessen; etwas anderes mag
möglicherweise in anderen Fällen gelten, in denen der Mieter auf den Hund notwendig angewiesen ist – z.B. ein blinder Mieter auf
einen Blindenhund –, was hier jedoch nicht gegeben ist. Die Klägerin darf dieses Ermessen lediglich nicht rechtsmissbräuchlich
ausüben. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist für eine Abwägung der Interessen der Klägerin an der Unterlassung der
Hundehaltung mit den Interessen der Beklagten an der Beibehaltung der Hundehaltung vorliegend kein Raum. Etwas anderes käme
nur in Betracht, wenn angenommen werden müsste, dass die Parteien der Klägerin in Bezug auf die Hundehaltung kein freies
Ermessen einräumen wollten, sie die Klägerin vielmehr in der Ausübung ihres Ermessens hätten binden wollen, und wenn insoweit
bezüglich der dabei anzuwendenden Maßstäbe eine Vertragslücke vorläge (vgl. OLG Hamm, a. a. O., 76). Eine durch ergänzende
Auslegung zu schließende Vertragslücke liegt jedoch nur dann vor, wenn ein Vertrag innerhalb des tatsächlich gesteckten Rahmens
oder innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen der Parteien ergänzungsbedürftig ist. Die ergänzende Vertragsauslegung muss
sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem ganzen Zusammenhang des Vereinbarten ergeben, so dass ohne die
vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrages tatsächlich Vereinbarten
stehen würde (vgl. OLG Hamm, a. a. O., 76 ff.). Hiervon kann vorliegend nicht die Rede sein. Dass die Klägerin eine Hundehaltung über
mehrere Jahre unter Vorbehalt geduldet hat, reicht hierfür nicht aus, zumal es hier nicht um einen jahrelang tolerierten, sondern um
einen erst Ende 1999 / Anfang 2000 angeschafften Hund geht, der zudem einer anderen Rasse als sein "Vorgänger" angehört, welche
überdies von verschiedenen Bundesländern abstrakt als gesteigert gefährlich für Mensch und Tier eingestuft wird, so etwa in § 1 Abs. 2
der Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums Ländlicher Raum Baden-Württemberg über das Halten gefährlicher
Hunde vom 03.08.2000, GBl. S. 574. Der Umstand des Bestehens der Verhaltensprüfung nach § 1 Abs. 4 der vorgenannten
Polizeiverordnung wenige Tage vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils spielt für die Auslegung des privatrechtlichen Mietvertrages der
Parteien keine Rolle. Die Klägerin hat das ihr hinsichtlich der Erteilung oder Versagung der Zustimmung zur Hundehaltung zustehende
freie Ermessen auch nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt, selbst wenn man davon ausgeht, dass mittlerweile alle Mieter des Anwesens
P in Ettlingen ihr Einverständnis mit der Hundehaltung der Beklagten erklärt haben. Die Klägerin ist deswegen nicht gehalten, auch
ihrerseits derselben zuzustimmen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sie eine Beschränkung der künftigen Vermietbarkeit des
Anwesens nicht hinnehmen muss; manch potentieller Mietinteressent wird nämlich von einem Mietangebot sogleich wieder Abstand
nehmen, wenn er erfährt, dass er Gefahr läuft, im Treppenhaus einem American Pit Bull Terrier zu begegnen, mag die öffentlich-
rechtlich normierte Verhaltensprüfung auch bestanden sein.
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3. Das Unterlassen der Hundehaltung in der Mietwohnung verstößt schließlich – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht gegen ihr in
Art. 2 Abs. 1 GG verbrieftes Persönlichkeitsrecht, weil die Beklagten in Ausübung der ihnen gleichfalls durch Art. 2 Abs. 1 GG
verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertragsfreiheit den Mietvertrag mit der Klägerin geschlossen und darin – in freier Entscheidung –
weder ein Recht zur Hundehaltung in der Mietwohnung noch einen Anspruch, unter bestimmten Umständen eine Erlaubnis hierzu zu
erhalten, vereinbart haben (vgl. BVerfG WuM 1981, 77).