Urteil des LG Karlsruhe vom 13.07.2004

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LG Karlsruhe Urteil vom 13.7.2004, 2 O 1/04
Amtshaftung: Menschenunwürdige Unterbringung eines Untersuchungshäftlings
Tenor
1. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 650,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
16.02.2004 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 96 %, das beklagte Land 4 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für das beklagte Land jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden
Betrages. Die Vollstreckung durch den Kläger kann vom beklagten Land durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils zu
vollstreckenden Betrages abgewendet werden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger macht als Amtshaftungsanspruch ein Schmerzensgeld wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen geltend.
2
Der Kläger befand sich auf Grund eines Haftbefehls des Amtsgerichts K. von 18.12.2002 bis 06.06.2003 in Untersuchungshaft in der
Justizvollzugsanstalt (JVA) K. Zuvor hatte er sich bereits etwa drei Monate in Untersuchungshaft in der JVA N. befunden.
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Mit Schreiben vom 14.02.2003 (AS.179), bei der JVA eingegangen an demselben Tag, beantragte der Verteidiger des Klägers
4
„die Unterbringung in einer Einzelzelle, hilfsweise Unterbringung zusammen mit dem Untersuchungsgefangenen M. in einer
Zweimannzelle.“
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Mit Schreiben vom 17.02.2003 antwortete die JVA:
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„Eine Einzelunterbringung ist derzeit aufgrund der Belegungssituation nicht möglich.
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Falls sich die Belegungssituation ändern sollte, wird Ihrem Mandanten unverzüglich ein Einzelhaftraum zugewiesen.
8
Eine Zusammenlegung mit dem Untersuchungsgefangenen M. wird abgelehnt, da es sich bei diesem um den Mittäter ... handelt und
dieser auf einem Einzelhaftraum besteht.“
9
Der Kläger behauptet, er sei in dem gesamten Zeitraum 18.12.2002 bis 06.06.2003 zusammen mit einem weiteren Gefangenen in einer Zelle mit
einer Grundfläche von lediglich 8,2 qm und einem Rauminhalt von ca. 20 m3 untergebracht worden, nämlich zunächst in Zelle Nr. 153, dann in
Zelle Nr. 136. Beide Hafträume seien jeweils mit einem Etagenbett (ca. 2 x 1 m), zwei Stühlen, zwei Arbeitstischen (0,5 x 0,35 m) und einem
Schrank (ca. 0,35 x 1,2 m) ausgestattet gewesen, ferner mit einer lediglich durch einen Vorhang abgetrennten und nicht gesondert zu
entlüftenden Toilette und einem Waschbecken.
10 Die räumliche Enge im Haftraum sei dadurch gesteigert worden, dass er in der Zelle habe arbeiten müssen, um in den Genuss von Taschengeld
zu kommen und hierzu die Arbeitsmaterialien (Kartons mit 5 bis 8 m³) in der Zelle hätten gelagert werden müssen. Eine Beschäftigung außerhalb
der Zelle habe er beantragt, die JVA habe ihm eine solche Tätigkeit jedoch nicht ermöglichen können.
11 Der Kläger behauptet, er habe nicht nur schriftlich über seinen Anwalt am 14.2.2003, sondern auch selbst schriftlich und mündlich um
Einzelunterbringung nachgesucht.
12 Den Haftraum habe er lediglich zu dem täglichen einstündigen Hofgang verlassen können. Sonstige Freizeitangebote habe es nicht gegeben,
jedenfalls seien sie ihm nicht zur Kenntnis gebracht worden, obwohl er mehrfach, sogar schriftlich, um die Möglichkeit nach Freizeitbetätigungen
nachgesucht habe.
13 Der Kläger behauptet, er leide noch heute unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen psychischer und psychischer Art, insbesondere unter
chronischer Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Ekel und Übelkeitsgefühlen, Rücken- und Nackenschmerzen, Hustenreiz, Nervosität, Alpträumen
und panischen Angstzuständen.
14 Nachdem die Kammer dem Kläger (lediglich) in dieser Höhe Prozesskostenhilfe gewährt hat, beantragt der Kläger,
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das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 17.100 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu bezahlen.
16 Das beklagte Land beantragt,
17
die Klage abzuweisen.
18 Das beklagte Land trägt vor, der Kläger sei vom 18.12.2002 bis 20.3.2003 in Haftraum 152 und vom 20.3.2003 bis zur Entlassung am 06.06.2003
in Haftraum 156 untergebracht gewesen. Die beiden Hafträume hätten jeweils eine Grundfläche von 8,89 qm und einen Rauminhalt von 25 m.
19 In der Zeit vom 23.5. bis 06.06.2003 sei der Kläger allerdings allein im Haftraum 136 untergebracht gewesen.
20 Neben dem Hofgang habe die Möglichkeit bestanden, die Zelle zu zahlreichen Freizeitangeboten zu verlassen. Die aus einem Freizeitplan (Anl.
B 1) ersichtlichen Angebote habe der Kläger jedoch nicht wahrgenommen.
21 Während der Dauer der Inhaftierung des Klägers sei in der benachbarten JVA B. einer von vier Flügeln renoviert worden. Wegen des damit
verbundenen vorübergehenden Wegfalls von rund 100 Plätzen habe die Untersuchungshaftabteilung der JVA Bruchsal für Strafhaft genutzt
werden müssen. Die Untersuchungshaftzuständigkeit der JVA B. sei daher vorübergehend auf die JVA K. übertragen worden mit der Folge, dass
Einzelunterbringung nur in Ausnahmefällen möglich gewesen sei. Voraussetzung hierfür sei zwingend gewesen, dass der betreffende
Gefangene deutlich auf eine Einzelunterbringung hinwirkte. So sei der Mitbeschuldigte des Klägers - unstreitig - bereits fünf Tage nach seiner
Zuführung in die JVA K. für die gesamte Dauer seiner Untersuchungshaft in einem Haftraum einzeln untergebracht worden. In anderen Fällen
seien Gefangene, welche nachdrücklich auf eine Einzelunterbringung hinwirkten, auf die Möglichkeit einer Verlegung in eine andere JVA
hingewiesen und gegebenenfalls verlegt worden. Der Kläger habe sich jedoch zu keinem Zeitpunkt wirklich um eine Einzelunterbringung
bemüht und einen entsprechenden Wunsch geäußert oder einen Antrag gestellt. Lediglich ein einziges Mal habe er über seinen Anwalt mit
Schreiben vom 14.2.2003 die Unterbringung in einer Einzelzelle, hilfsweise Unterbringung mit seinem Mitbeschuldigten beantragt. Dieses
Schreiben sei lediglich als Versuch gewertet worden, eine Zusammenlegung mit seinem Mitbeschuldigten zu erreichen - einem Versuch, dem
nicht habe entsprochen werden können. Aus dem Schreiben ergebe sich auch, dass der Kläger trotz der räumlichen Verhältnisse der Zellen mit
einer Doppelbelegung einverstanden gewesen sei. Da der Kläger selbst zu keinem Zeitpunkt aktiv geworden sei, sei der in dem
Anwaltsschreiben enthaltene Halbsatz mit dem Wunsch auf Einzelunterbringung „als anwaltlicher Routineantrag“ interpretiert worden.
22 Das beklagte Land bestreitet, dass der Kläger wegen seiner Haftunterbringung unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen psychischer und
physischer Art gelitten habe oder leide. Er habe sich weder beim Anstaltsarzt gemeldet noch den psychologischen Dienst der Anstalt in Anspruch
genommen. Auch bei verschiedenen Kontakten mit dem zuständigen Sozialarbeiter habe er sich nicht ansatzweise über die Art der
Unterbringung beschwert, sondern einen zufriedenen Eindruck gemacht.
23 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll vom 13.07.2004
verwiesen.
24 Es wurde Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Regierungsdirektor X, Leiter der JVA K. Wegen des Beweisergebnisses wird
ebenfalls auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
26
Der Kläger hat nach § 839 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 34 GG Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 650,00 EUR.
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1. Rechts- und Amtspflichtwidrigkeit
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Der Kläger war unstreitig vom 18.12.2002 bis 23.05.2003 gemeinschaftlich mit jeweils einem weiteren Gefangenen untergebracht. Seine weiter
gehende Behauptung, diese Art der Haftunterbringung habe bis zu seiner Entlassung am 06.06.2003 angedauert, hat er dagegen nicht unter
Beweis gestellt. Nach der Aussage des als Zeugen vernommenen Anstaltsleiters Regierungsdirektor X war er in diesem restlichen Zeitraum
vielmehr einzeln untergebracht.
29
Die Rechts- und Amtspflichtwidrigkeit der Haftunterbringung des Klägers bis zum 23.05.2003 ergibt sich bereits aus § 119 Abs. 2 StPO. Danach
darf ein Untersuchungsgefangener mit anderen Untersuchungsgefangenen in demselben Raum nur untergebracht werden, wenn er es
ausdrücklich schriftlich beantragt. Ein solcher ausdrücklicher schriftlicher Antrag lag nicht vor. Auch die in § 119 Abs. 2 Satz 3 StPO
vorgesehene Ausnahme einer Unterbringung mit anderen Gefangenen in demselben Raum, wenn der körperliche geistige Zustand des
Gefangenen es erfordert, lag im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.
30
2. Verletztes Rechtsgut
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a. Die Haftunterbringung des Klägers im Zeitraum vom 18.12.2002 bis 23.05.2003 erfolgte unter Bedingungen, die die durch Art. 1 Abs. 1 GG
geschützte Menschenwürde und damit auch das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht verletzten, dessen Verletzung
Voraussetzung für die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes ist.
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Dieses verfassungsmäßig geschützte Recht garantiert dem Einzelnen einen Kernbereich privater Lebensgestaltung („Intimsphäre“), in den er
sich ohne Zutrittsmöglichkeit der Umwelt zurückziehen kann. Der Schutz dieser Privatsphäre umfasst auch einen räumlichen Rückzugsbereich,
in dem der Betroffene er selbst sein kann und eine vom Öffentlichkeitsdruck verursachte Selbstkontrolle ablegen kann, weil er nicht damit
rechnen muss, dass andere ihn beobachten (BVerfGE 101, 361, 382 ff.; NJW 2000, 2189; Di Fabio in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 2
Abs. 1 Rdn. 149, 158 m.w.N.).
33
b. Die Unterbringung des Antragstellers zusammen mit einem weiteren Strafgefangenen in einem Haftraum mit einer Grundfläche von 8,89 qm
muss demnach als rechtswidrige Verletzung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) angesehen werden.
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Das Bundesverfassungsgericht (3. Kammer des Zweiten Senats, NJW 2002, 2700) hat ausgeführt:
35
"In der gerichtlichen Rechtsprechung ist bereits darauf hingewiesen worden, dass der Unterbringung in kleinen Hafträumen durch die
Menschenwürde der betroffenen Strafgefangenen Grenzen gesetzt sind (vgl. OLG Frankfurt a.M., StV 1986, 27 m. Anm. Lesting). Das
Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich in noch so schwerer und
unerträglicher Weise gegen die Werteordnung der Verfassung vergangen haben (vgl. BVerfGE 72, 105, 115)."
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Mit Blick hierauf hielt es die Annahme, die gemeinsame Unterbringung von zwei Strafgefangenen in einem Einzelhaftraum von rund 8 qm
Fläche, ausgestattet mit einem Etagenbett, zwei Stühlen, einem Tisch und einem Schrank und - ohne räumliche Abtrennung - einem
Waschbecken und einem Klosett, wirke nicht diskriminierend, für jedenfalls erläuterungsbedürftig.
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Zur Feststellung einer Verletzung der Menschenwürde erscheint es nicht erforderlich, das Problem zu entscheiden, ob bereits ein Verstoß
gegen den Grundsatz der Einzelunterbringung für sich allein eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Ob die
Missachtung des Grundsatzes der Einzelunterbringung für sich allein wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG schlechthin
verfassungswidrig ist, ist streitig. Während Ullenbruch (NStZ 1999, 430) dies unter Hinweis darauf bejaht, dass sie dem Gefangenen die einzige
Nutzungsmöglichkeit nimmt, die es ihm erlaubt, als Individuum ungestört zu sein, hält das OLG Frankfurt/M. (NStZ-RR 2001, 28, 29) die
Gemeinschaftsunterbringung in einer ausreichend großen Zelle mit abgetrennter Toilette zwar für untunlich und rechtspolitisch kritikwürdig, aber
jedenfalls für Sicherungsverwahrte auch gegen deren Willen nicht für verfassungsrechtlich schlechthin verboten, da sich dem
verfassungsrechtlichen Grundsatz der Menschenwürde nur Auslegungskriterien und Mindestgrundsätze entnehmen lassen.
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Auch ist es für die Entscheidung des Falles nicht erforderlich, Grenzwerte für die einem Gefangenen zur Wahrung der Menschenwürde zur
Verfügung zu stellende Mindestraumgröße festzulegen. Immerhin ist festzuhalten, dass nach den von der Rechtsprechung hierfür angelegten
Maßstäben durchaus Bedenken angezeigt sind, ob die Mindestraumgröße nicht unterschritten wurde. So wurde bei einer Raumgröße von 7,6
qm (über die Ausstattung ist Weiteres nicht bekannt) eine Verletzung der Menschenwürde bejaht vom OLG Celle (NJW 2003, 2463); das OLG
Frankfurt/M. (NJW 2003, 2844) sieht die gemeinsame Unterbringung zweier Strafgefangener in einem Haftraum von ca. 7,5 qm mit nicht
abgetrennter und nicht gesondert entlüfteter Toilette als geeignet zur Verletzung der Menschenwürde an; eine Verletzung der Menschenwürde
wurde auch vom OLG Celle (StV 2004, 84) bei einer Gemeinschaftsunterbringung von fünf Strafgefangenen auf 16 qm mit einer nur durch eine
Stellwand abgetrennten Toilette bejaht.
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Insoweit genügt jedoch die Feststellung, dass eine Unterbringung von zwei Personen auf 8,89 qm - wovon nach Abzug der Grundfläche des
Mobiliars und der Toilette wenig mehr als die Hälfte als Lebensraum verbleibt - jedenfalls als äußerst beengt angesehen werden muss. Das
unfreiwillige nahezu ganztägige Zusammenleben mit einer weiteren Person unter diesen beengten räumlichen Verhältnissen lässt dem
Gefangenen bereits praktisch keine Intimsphäre, keinen räumlichen Rückzugsbereich, in den er sich zurückziehen und in dem er - wenigstens
zeitweise - sich unbeobachtet fühlen kann.
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Die weitere Beengung durch die Arbeitsmaterialien kommt erschwerend hinzu. Auch wenn für den Kläger keine Arbeitspflicht bestand, wurde
ihm dadurch, dass ihm lediglich Zellenarbeit ermöglicht wurde, lediglich die Wahl zwischen zwei Übeln gelassen, nämlich entweder die damit
verbundene zusätzliche räumliche Behinderung in Kauf zunehmen oder auf Arbeit - und damit auf die einzige Möglichkeit, die Haftzeit
halbwegs sinnvoll zu verbringen und sich ein Taschengeld zu verdienen - zu verzichten. Auf das genaue Ausmaß der zur Arbeit erforderlichen
Materialien kommt es hierbei nicht an.
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Denn entscheidend geprägt wird die Unterbringung dadurch, dass zu der räumlichen Enge der Umstand hinzukommt, dass die Toilette nur
durch einen Vorhang abgetrennt ist, der lediglich einen Sichtschutz, jedoch keine Geruchssperre und keine akustische Sperre bildet und daher
auch zu den intimsten Verrichtungen keinen Rückzugsbereich schafft.
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An dem Fehlen eines räumlichen Rückzugsbereichs vermögen auch Freizeitmöglichkeiten wie die in Anl. B 1 aufgeführten nichts zu ändern;
denn diese sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie in Gemeinschaft wahrgenommen werden können.
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c. Ein Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird von der Rechtsprechung (BGHZ 143, 214, 218;
128, 1, 15) unmittelbar aus § 823 BGB i. V. m. Art. 1, 2 Abs. 1 GG abgeleitet. Eine amtspflichtwidrige rechtswidrige und schuldhafte Verletzung
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann daher einen Schmerzensgeldanspruch begründen.
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d. Auf eine rechtswidrige Verletzung der Freiheit, die einen Schmerzensgeldanspruch nach §§ 839 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB begründen könnte,
kann der Anspruch nicht gestützt werden, da die Freiheitsentziehung an sich durch den gerichtlichen Haftbefehl gerechtfertigt war. Die
Haftbedingungen machen die Freiheitsentziehung nicht insgesamt rechtswidrig.
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e. Eine Gesundheitsverletzung hat der Kläger jedenfalls nicht nachgewiesen. Den angekündigten Beweis durch Vorlage ärztlicher Atteste hat er
nicht angetreten.
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3. Verschulden
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Ein Verschulden der Bediensteten des beklagten Landes ist zu bejahen. Spätestens seit dem Beschluss des BVerfG vom 27.02.2002 musste
ihnen bekannt sein, dass das Ermessen hinsichtlich der Ausgestaltung und Belegung von Hafträumen durch die Achtung der Menschenwürde
der Gefangenen begrenzt ist (vgl. LG Hannover StV 2003, 569). Das beklagte Land kann sich auch nicht darauf berufen, seit Bekanntwerden
dieser Entscheidung sei zu deren Umsetzung und zur Schaffung geeigneter Haftplätze nicht ausreichend Zeit gewesen. Denn bereits der
Beschluss des OLG Celle vom 05.11.1998 hatte in der Fachöffentlichkeit Aufsehen erregt (vgl. Ullenbruch NStZ 1999, 429 m.w.N.; ferner
Lesting, StV 2003, 570). Wenn im Hinblick auf das hierdurch geweckte Problembewusstsein der zuständigen Stellen bereits eine
entsprechende Unterbringung von Strafgefangenen als unvertretbar anzusehen war (Lesting a.a.O.), so galt dies angesichts der im Vergleich zu
§ 18 StVollzG viel klareren und eindeutigeren Regelung in § 119 StPO erst recht für den Vollzug der Untersuchungshaft.
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4. Einwilligung des Klägers
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a. Eine die Rechtswidrigkeit ausschließende Einwilligung des Klägers liegt nicht vor. Nach der klaren Regelung des § 119 Abs. 2 StPO hätte sie
ausdrücklich und schriftlich erfolgen müssen.
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b. Allerdings könnte auch eine konkludente Zustimmung des Klägers jedenfalls die Verletzung der Menschenwürde und damit des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts ausschließen. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
51
Die Voraussetzung der ausdrücklichen schriftlichen Zustimmung in § 119 Abs. 2 StPO stellt lediglich eine Formvorschrift dar. Materiell kann die
Wahrung der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts nicht von der Einhaltung dieser Form abhängen.
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Das subjektive Empfinden der Beeinträchtigungen durch die Freiheitsentziehung sowie die in Frage stehenden Umstände der Unterbringung
kann individuell sehr unterschiedlich ausfallen: Mag es der Eine als unerträglich empfinden, mit einer anderen Person auf engem Raum
"zusammengeschlossen" zu sein, so wird es der Andere als noch schlimmer empfinden, von anderen "weggesperrt" sein. Die
Freiheitsentziehung als solche schneidet einen Gefangenen bereits weitgehend von Kontakten zur Außenwelt ab und beschränkt stark seine
Kommunikationsmöglichkeiten. Dies wird durch eine Einzelunterbringung noch erheblich gesteigert, denn diese nimmt während des
Aufenthalts im Haftraum (abgesehen von einer bekanntlich nicht unüblichen, aber schwierigen Verständigung durch Klopfzeichen und Rufe
durch das Zellenfenster) praktisch fast jede Möglichkeit zwischenmenschlicher Kommunikation. Diese - unter den Bedingungen der
Einzelunterbringung nicht vermeidbare - Vereinsamung kann je nach individueller Veranlagung als so beeinträchtigend empfunden werden,
dass der Betroffene eher bereit ist, stattdessen die Unzuträglichkeiten einer Gemeinschaftszelle in Kauf zu nehmen. Dies wird auch dadurch
bestätigt, dass - und zwar sowohl für die Untersuchungshaft in § 119 Abs. 2 StPO als auch für den Strafvollzug in § 18 StVollzG - die Möglichkeit
der Gemeinschaftsunterbringung gesetzlich bei Zustimmung eröffnet ist.
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c. Für die Annahme einer konkludenten Zustimmung des Klägers fehlt es jedoch an hinreichenden Anhaltspunkten. Soweit das beklagte Land
darauf verweist, der Kläger habe sich zu keiner Zeit über die Unterbringung beschwert, so steht dem das Anwaltsschreiben vom 14.02.2003
entgegen, mit dem die Unterbringung in einer Einzelzelle, hilfsweise die Unterbringung mit seinem Mitbeschuldigten beantragt wurde. Auch
darin, dass der Kläger Zellenarbeit akzeptiert hat, ergibt sich keine Zustimmung zur Art seiner Unterbringung. Unstreitig war die Arbeitswilligkeit
Voraussetzung für die Gewährung von Taschengeld. Unstreitig hat sich der Kläger auch erst dann mit der Zellenarbeit einverstanden erklärt,
nachdem ihm die in erster Linie angestrebte Zuweisung von Hausarbeit nicht ermöglicht wurde.
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5. Billigkeit
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Eine Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um einen
schwerwiegenden Eingriff handeln und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise ausgeglichen werden kann. Das OLG Celle (StV 2004, 84)
hat unter diesem Gesichtspunkt wegen der kurzen Dauer von zwei Tagen und unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger
"hafterfahren" war, und im Hinblick auf die prekäre Haushaltslage in Niedersachsen einen Anspruch abgelehnt. Auch vom Hanseatischen OLG
Hamburg (zitiert nach Juris KORE707342002 ) ist ein Schmerzensgeldanspruch unter diesem Gesichtspunkt bei einer vorübergehenden
Doppelbelegung eines Einzelhaftraums abgelehnt worden, da diese auf eine akute Mangellage an Hafträumen zurückzuführen sei und der
Vollzugsbehörde nicht vorgeworfen werden könne, dass sie eine nachhaltige Beseitigung der Mangellage schuldhaft versäumt habe.
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Im vorliegenden Fall liegt allerdings weder eine vergleichbar kurze Dauer vor, noch handelt es sich um eine lediglich vorübergehende akute
Mangellage, auch nicht unter Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten, dass infolge der Baumaßnahmen in der JVA Bruchsal von dort
zusätzlich Untersuchungsgefangene aufgenommen werden mussten. Denn die hierdurch besonders angespannte Situation dauerte nach den
Angeben des Zeugen Regierungsdirektor X während der gesamten Dauer der Haftunterbringung des Klägers an. In Baden-Württemberg
standen im Jahre 2003 für 8604 Gefangene (im Jahresdurchschnitt) zum Jahresanfang 8188, zum Jahresende 8368 Haftplätze zur Verfügung
(Pressemitteilung des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 19. März 2004: "Um den jüngsten Anforderungen des BVerfG an eine
rechtmäßige Unterbringung im Vollzug gerecht werden zu können, sind deshalb mindestens 1200 zusätzliche Haftplätze im Land notwendig").
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Der Umstand, dass der Kläger sich - abgesehen von dem durch seinen Verteidiger gestellten Antrag vom 14.02.2003 - nach den glaubhaften
Angaben des Zeugen X nicht über die Umstände seiner Unterbringung beschwert und unauffällig geführt hat, spricht zwar dafür, dass er diese
nicht als unerträglich empfunden hat. Andererseits lässt sich nicht ausschließen, dass die Ursache für seine Zurückhaltung darin zu suchen ist,
dass er die Erfolgsaussichten von Beschwerden im Vergleich zu den Vorteilen eines unauffälligen Verhaltens als gering eingeschätzt und sich
nur deshalb gefügt hat. Da es um ein zentrales Recht des Klägers und die wesentliche Verpflichtung aller staatlichen Gewalt zu Achtung und
Schutz der Menschenwürde geht, lässt sich nach Auffassung der Kammer ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht
verneinen (vgl. Lesting StV 2003, 571).
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6. Ausschluss nach § 839 Abs. 3 BGB:
59
Der Anspruch des Klägers ist jedoch teilweise nach § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, da der Kläger es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen
hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
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a. Als Rechtsmittel i.S. dieser Bestimmung sind alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne anzusehen, die sich gegen die pflichtwidrige
Amtshandlung richten und die Beseitigung oder Berichtigung der Anordnung und zugleich die Abwendung des Schadens bezwecken und
ermöglichen. Selbst Einwendungen gegen eine fehlerhafte Auskunft, Hinweise, Dienstaufsichtsbeschwerden und Gegenvorstellung fallen
hierunter, allerdings nicht selbstständige Verfahren, die nicht der Überprüfung der beanstandeten Amtshandlung oder dem Tätigwerden der
Behörden dienen, wie etwa der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (Palandt/Sprau, BGB, 63. Aufl., § 839 Rdnr. 73).
Bedient sich der Geschädigte der Tätigkeit von Hilfspersonen, etwa eines Anwalts, so muss er sich deren Verschulden entsprechend §§ 254
Abs. 2 S. 2, 278 BGB zurechnen lassen (RGZ 138, 114, 117; OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 1245; MK/Papier, BGB, 4. Aufl., § 839 Rdn. 335).
61
b. Als zulässige Rechtsbehelfe kamen vorliegend ein bei der Anstaltsleitung zu stellender Antrag auf Einzelunterbringung und/oder vor allem
die Anrufung des nach § 119 Abs. 6 Satz 1 StPO hierfür zuständigen Haftrichters (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 191) in Frage.
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c. Der Kläger hat derartige Rechtsbehelfe (zunächst) bis zum 14.02.2003 nicht ergriffen. Nach den glaubhaften Angaben des Zeugen
Regierungsdirektor X enthält die Gefangenenpersonalakte des Klägers (außer dem Anwaltsschreiben vom 14.02.2003) keinen auf eine
Einzelunterbringung abzielenden Antrag. Der Kläger hat auch - bis auf seine damit als widerlegt anzusehende in der mündlichen Verhandlung
vorgebrachte Behauptung, im Januar 2003 einen schriftlichen Antrag eingereicht zu haben - Anträge auf Einzelunterbringung nicht konkret
dargelegt.
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d. Diese Untätigkeit ist als schuldhaft im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB anzusehen. Das OLG Celle (StV 2004,84) sah zwar ein derartiges
Unterlassen als nicht schuldhaft an mit der Begründung, angesichts der unstreitigen chronischen Überbelegung der JVA habe ein Antrag auf
Einzelunterbringung von vornherein als aussichtslos angesehen werden müssen. Hier kann aber nicht von vornherein von Aussichtslosigkeit
ausgegangen werden, da unstreitig der gleichzeitig mit dem Kläger in die JVA K. zugeführte Mitbeschuldigte auf seinen entsprechenden Antrag
bereits nach fünf Tagen in eine Einzelzelle verlegt wurde. Auch dem Kläger kann nicht verborgen geblieben sein, dass ein Teil der anderen
Gefangenen in der JVA nicht gemeinschaftlich untergebracht waren, diese Möglichkeit also nicht ausgeschlossen war.
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e. Hätte der Kläger bei seiner Zuführung in die JVA K. eine Einzelunterbringung beantragt oder sich sogleich gegen die gemeinschaftliche
Unterbringung - etwa beim zuständigen Haftrichter - beschwert, hätte dies nach spätestens einer Woche zum Erfolg geführt. Hiervon ist die
Kammer aufgrund der Zeugenaussage des Anstaltsleiters überzeugt. Dieser hat angegeben, derartigen Anträgen, die nur in geringer Zahl
gestellt worden seien, habe trotz der im fraglichen Zeitraum schwierigen Belegungssituation (im Februar 2003 180 Gefangene bei einer
Belegungsfähigkeit von 111) unter Ausnutzung der hohen Fluktuation in kurzer Zeit entsprochen werden können; eine entsprechende
Anordnung des Haftrichters wäre innerhalb weniger Tage, notfalls durch eine Verlegung in die Außenstelle der JVA in Rastatt oder in eine
andere JVA, befolgt worden. Die Kammer hält dies für glaubhaft, zumal der Mitbeschuldigte des Klägers, der gleichzeitig mit dem Kläger in die
JVA K. zugeführt wurde und seine Einzelunterbringung verlangte, nach fünf Tagen einzeln untergebracht wurde. Dass dem Antrag des Klägers
vom 14.02.2003, obwohl er von einem Rechtsanwalt gestellt wurde, keine Folge gegeben wurde, ist demgegenüber nach den Angaben des
Zeugen damit zu erklären, dass die Zielrichtung dieses Antrags - zumal sich der Kläger bis dahin und auch weiterhin völlig unauffällig verhalten
hatte - so eingeschätzt wurde, dass er in erster Linie mit seinem Mitbeschuldigten zusammengelegt werden wollte, und der Antrag auf
Einzelunterbringung deshalb nicht ernst genommen wurde. Auch wenn die Kammer diese Einschätzung des Antrags vom 14.02.2003 nach
dessen eindeutigem Wortlaut nicht teilen kann, erscheint die Erläuterung des Zeugen nachvollziehbar.
65
f. Erst mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 14.02.2003 hat der Kläger eine Einzelunterbringung beantragt. Auch wenn entgegen der
Ansicht des beklagten Landes dieser Antrag nicht als unbeachtlich angesehen werden kann (und zwar auch dann nicht, wenn er als
"anwaltlicher Routineantrag" anzusehen wäre), ist es dem Kläger bzw. seinem Anwalt, dessen Verschulden er nach § 278 BGB zu vertreten hat,
als Versäumnis anzulasten, nachdem dem Antrag vom 14.2.2003 keine Folge gegeben wurde, ebenfalls weiter nichts unternommen zu haben.
Bereits bei Lektüre des Gesetzestextes (§ 119 Abs. 1, 2, 6 StPO) hätte auffallen müssen, dass - da die einzige gesetzliche Ausnahme nach §
119 Abs. 2 S. 3 StPO) nicht vorlag und die Belegungssituation unerheblich ist - eine gemeinschaftliche Unterbringung unzulässig war und die
JVA selbst im Übrigen nach § 119 Abs. 6 StPO jedenfalls für eine abschlägige Verbescheidung eines Antrags auf Einzelunterbringung gar nicht
zuständig war. Naheliegenderweise hätte daher wenige Tage nach Zugang des Antwortschreibens der JVA vom 17.02.2003 der Haftrichter
angerufen werden müssen.
66
g. An dieser Einschätzung vermag der Umstand nichts zu ändern, dass die JVA den Antrag vom 14.02.2003 wohl von sich aus an den nach §
119 Abs. 6 StPO zuständigen Haftrichter hätte weiterleiten müssen. Denn aus der vertröstenden Mitteilung, bei Änderung der
Belegungssituation werde der Kläger unverzüglich einzeln untergebracht werden, war zu entnehmen, dass eine Vorlage an den Haftrichter
nicht beabsichtigt war. Auch die Vertröstung auf eine Änderung der Belegungssituation selbst lässt die Untätigkeit des Rechtsanwalts nicht als
unverschuldet erscheinen. Denn weder war klar zu erkennen, was konkret mit einer „Änderung der Belegungssituation“ gemeint war, noch ob
mit einer solchen in absehbarer Zeit zu rechnen war.
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h. Eine Anrufung des Haftrichters hätte spätestens bis zum 28.02.2003 die Einzelunterbringung des Klägers bewirkt. Bei der klaren
Gesetzeslage hätte der Haftrichter zweifellos unverzüglich die Einzelunterbringung angeordnet. Eine solche richterliche Anordnung hätte die
JVA nach der Zeugenaussage des Anstaltsleiters auch so schnell wie irgend möglich befolgt, sodass auch bei schwieriger Belegungssituation
innerhalb weniger Tage eine Einzelunterbringung erfolgt wäre.
68
i. Es verbleibt daher lediglich eine Haftung des beklagten Landes für die erste Woche der Haft des Klägers in der JVA K. und zwei weitere
Wochen ab 14.02.2003.
69
7. Höhe des Anspruchs:
70
Die Kammer hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 650,00 EUR für angemessen.
71
Die Höhe des Schmerzensgeldes soll zwar dem hohen Stellenwert der Menschenwürde und dem verfassungsrechtlich geschützten
Persönlichkeitsrecht gerecht werden. Andererseits erscheint es angezeigt, durch eine zurückhaltende Bemessung des Schmerzensgeldes
deutlich zu machen, dass der Kläger nicht für die Unbill des Gefängnisaufenthaltes insgesamt zu entschädigen ist, sondern lediglich für die
Umstände, die den Unterschied zwischen einer menschenunwürdigen und einer (gerade noch) menschenwürdigen Haftunterbringung
ausmachen.
72
Unter dem Gesichtspunkt der Ausgleichsfunktion kann auch die weitgehende Passivität des Klägers nicht unberücksichtigt bleiben, da sie
Zweifel daran erweckt, dass er seine Unterbringung als völlig unerträglich empfunden hat.
73
Unter dem Gesichtspunkt der Genugtuungsfunktion kann berücksichtigt werden, dass bereits das Schmerzensgeldbegehren des Klägers als
erstes einer Reihe von zahlreichen gleichartigen oder ähnlichen Begehren mit Zutun des Klägers in den Medien ein erstaunliches Echo
gefunden und mit dazu beigetragen hat, die politische Diskussion über die Herstellung menschenwürdiger Haftbedingungen zu beleben.
74
Unter dem Gesichtspunkt der Genugtuungsfunktion mag es auch genügen, wenn die Rechtswidrigkeit der Unterbringung durch eine eher
symbolische Entschädigung deutlich gemacht wird. So hat das OLG Celle (StV 2004, 84), das einen Schmerzensgeldanspruch wegen der
kurzen Dauer und unter Berücksichtigung des Umstands, dass der dortige Kläger "hafterfahren" war, bereits mehrfach gemeinsam mit anderen
Gefangenen in vergleichbaren Hafträumen untergebracht war und im Hinblick auf die prekäre Haushaltslage in Niedersachsen abgewiesen
hat, in einer Hilfserwägung ausgeführt, dass allenfalls eine Entschädigung in Höhe von 50 EUR " - quasi als symbolische Wiedergutmachung -"
in Betracht komme. Allerdings können sich auch Tagessätze von 50 EUR nach Auffassung der Kammer zu mehr als symbolischen Beträgen
summieren.
75
Unter dem Gesichtspunkt der Präventivfunktion ist zu berücksichtigen, dass die zuständigen Behörden einschließlich der politischen
Entscheidungsträger in jüngster Zeit - wenn auch offenbar erst unter dem Eindruck der Entscheidungen des BVerfG und der nachfolgend
ergangenen gerichtlichen Entscheidungen und mit erheblicher Verzögerung - für die Problematik der menschenwürdigen Haftunterbringung
sensibel geworden sind und nun mit Nachdruck eine deutliche Steigerung der Haftplätze durch Neubauten vorantreiben (vgl. Justiz-intern 1/04;
Pressemitteilung des Justizministeriums Baden-Württemberg v. 19.03.2004).
76
Es erscheint im Hinblick darauf, dass die vorliegende Klage die erste einer Reihe von zahlreichen gleichartigen oder ähnlichen Begehren
darstellt, auch nicht fern liegend, insoweit den Gedanken zu berücksichtigen, dass durch zahlreiche Schmerzensgeldansprüche in erheblicher
Höhe dem Land die notwendigen Mittel zur Schaffung zusätzlicher Haftplätze entzogen werden könnten.
77
An vergleichbaren Fällen aus der Rechtsprechung sind lediglich die des LG Hannover (StV 2003, 569: 200 EUR für zwei Tage) und die
abändernde Berufungsentscheidung des OLG Celle (a.a.O.) ersichtlich. Nicht vergleichbar erscheinen dagegen Entscheidungen, bei denen der
Ausgleich für rechtswidrige Freiheitsentziehung im Vordergrund stand (LG Bonn NJW-RR 1995, 1492: 15.000 DM für viereinhalb Monate
unrechtmäßiger Untersuchungshaft infolge einer leichtfertigen Strafanzeige; OLG München zitiert nach Juris KORE570279200 : 2000 DM für
vier Tage unrechtmäßige Beugehaft; Court of Appeal London zitiert nach Juris KORE541489500 : 350 Pfund für eine 15-jährigen Jugendlichen
wegen acht Stunden unrechtmäßigen Polizeigewahrsams mit der Folge andauernder psychischer Beeinträchtigungen; LG München NJW-RR
1997, 279: 50 DM für rechtlich nicht notwendigen Polizeigewahrsam - "Münchner Kessel"-). Nicht zum Vergleich herangezogen werden kann
ferner der nach § 5 des allgemeinen Kriegsfolgengesetzes von der Bundesrepublik zu erfüllende Schmerzensgeldanspruch für KZ-Haft bis zu
150 DM monatlich und das nach § 7 Abs. 3 StrEG zu leistende Schmerzensgeld für Freiheitsentziehungen von 11 EUR je Tag. Es ist anerkannt,
dass diese Beträge für Ansprüche aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen, insbesondere aufgrund § 839 BGB, nicht maßgebend ist (vgl. BGH
NJW 1963, 1549).
78
Der Kammer erscheint eine Bemessung des Schmerzensgeldes nach vollen Wochen vorzugswürdig gegenüber einer tageweisen Bemessung.
Denn so kann eher dem Umstand Rechnung getragen werden, dass nur kurzfristige, vorübergehende Beeinträchtigungen nicht
schmerzensgeldwürdig erscheinen (vgl. OLG Celle a.a.O.). Auch erscheint es angemessen, durch eine leichte Staffelung einem bei längerer
Dauer eintretenden Gewöhnungs- und Abstumpfungseffekt Rechnung zu tragen.
79
Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände erscheint es angemessen, für die erste Woche 250,00 EUR und für die späteren Zeiten 200,00
EUR je Woche, insgesamt also 650,00 EUR zuzusprechen.
80
8. Art. 5 Abs. 5 MRK i.V.m. § 253 Abs. 1 BGB
81
Der Kläger hat keinen weiter gehenden Anspruch aufgrund Art. 5 Abs. 5 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (MRK).
82
a. Art. 5 der MRK lautet:
83
(1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich
vorgeschriebene Weise entzogen werden:
84
a) rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
85
c) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht,
dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an
der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
86
(2) Jeder festgenommenen Person muss unverzüglich in einer ihr verständlichen Sprache mitgeteilt werden, welches die Gründe für ihre
Festnahme sind, und welche Beschuldigungen gegen sie erhoben werden.
87
(3) Jede Person, die nach Absatz 1 Buchstabe c) von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, muss unverzüglich einem Richter...
vorgeführt werden; sie hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während des Verfahrens...
88
(4) Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über
die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet...
89
(5) Jede Person, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, hat Anspruch auf Schadensersatz.
90
b. Die Vorschrift ist innerstaatlich geltendes Recht im Range eines einfachen Gesetzes. Art. 5 Abs. 5 MRK gewährt dem Betroffenen einen
unmittelbaren Schadensersatzanspruch, wenn seine Freiheit entgegen Art. 1 Abs. 1 MRK beschränkt wurde (BGHZ 45, 46; 122, 268). Dieser
Anspruch umfasst auch den Ersatz immateriellen Schadens, da es sich bei Art. 5 MRK um ein Gesetz im Sinne von § 253 Abs. 1 BGB handelt
(BGHZ 122, 268). Der Anspruch ist unabhängig von den Voraussetzungen des § 839 BGB, insbesondere verschuldensunabhängig (BGH a. a.
O.).
91
c. Die Garantien des Art. 5 MRK beziehen sich allerdings nur auf die Freiheitsentziehung als solche, nicht auf die Modalitäten des Vollzuges der
Untersuchungs- oder Strafhaft (BGHZ 122, 268). Daher ergeben sich aus ihr keine Rechte von verhafteten Personen in Bezug auf ihre
Behandlung in der Haft. Die Umstände des Vollzuges können aber die Rechtmäßigkeit der Haft in Frage stellen. Dies gilt nach der
Rechtsprechung des BGH (a. a. O.) jedenfalls in Fällen, in denen die im Vollzug zur Verfügung stehenden Fürsorgemittel nicht ausreichen, um
von der Haft ausgehende Gesundheitsbeeinträchtigungen abzuwenden; da damit die Vollzugstauglichkeit zur Voraussetzung für die
Rechtmäßigkeit der Haft wird, hat der BGH (a. a. O.) bei Mangel der Vollzugstauglichkeit den Vollzug insgesamt als rechtswidrig angesehen und
einen Anspruch nach Art. 5 Abs. 5 MRK bejaht.
92
Im vorliegenden Fall erscheinen jedoch lediglich die Modalitäten der Haftunterbringung rechtswidrig, nicht die Haft als solche. Denn der Kläger
stellt nicht in Frage, dass er auf Grund eines in rechtmäßigem Verfahren ergangenen Haftbefehls inhaftiert wurde. Die Umstände seiner
Haftunterbringung, die diese als rechtswidrig und menschenunwürdig erscheinen lassen, waren durch einfache Maßnahmen behebbar: durch
die Verlegung des Klägers in eine Einzelzelle oder die seines Mitgefangenen in einen anderen Haftraum wäre die Rechtswidrigkeit, durch die
Verlegung beider in einen geräumigeren Haftraum mit abgetrennter Toilette wohl zumindest die Verletzung der Menschenwürde entfallen. Die
zu beanstandenden Umstände können daher - anders als bei Missachtung einer Vollzugsuntauglichkeit - nicht dazu führen, die Haft als von
vornherein rechtswidrig anzusehen.
93
Ob § 839 Abs. 3 BGB oder § 254 BGB - der ebenfalls gebieten kann, einen belastenden hoheitlichen Akt durch geeignete Rechtsbehelfe
abzuwehren (BGHZ 90, 17,31) - auf einen Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 MRK anwendbar sind (offen gelassen in BGHZ 122, 268), muss daher
nicht entschieden werden.
94
9. Art. 3 MRK
95
Auch auf Art. 3 MRK kann ein weiter gehender Anspruch nicht gestützt werden.
96
a. Art. 3 MRK lautet:
97
Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
98
b. Über die in dieser Vorschrift enthaltene Unterlassungspflicht hinaus erwachsen dem Staat aus ihr auch Gewährleistungspflichten: er muss
innerstaatlich sicherstellen, dass alle seine Organe das Verbot der Folter und der unmenschlichen Behandlung beachten. Dies erfordert vor
allem einen ausreichenden Strafrechtsschutz, laufende Kontrollen der staatlichen Organe und tatkräftiges Einschreiten gegen bekannt
gewordene Verstöße sowie effektive Rechtsbehelfe für Betroffene; dazu wird auch die Verpflichtung gezählt, im innerstaatlichen Recht einen
Anspruch auf Entschädigung vorzusehen (Gollwitzer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., MRK Art. 3 Rdnr. 11).
99
c. Im Gegensatz zu Art. 5 MRK, der in seinem Abs. 5 selbst einen Entschädigungsanspruch gewährt, ergibt sich ein solcher demnach nicht
unmittelbar aus Art. 3 MRK. Die Vorschrift enthält daher selbst keine Anspruchsgrundlage.
100 d. Mit dem Anspruch aus §§ 839, 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG enthält das deutsche Recht jedoch eine Anspruchsgrundlage für einen
Entschädigungsanspruch. Dass eine Einschränkung des Entschädigungsanspruchs bei schuldhafter Versäumung eines Rechtsmittels (§ 839
Abs.3 BGB) bei einem Verstoß gegen Art. 3 MRK unzulässig wäre, lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen.
101 Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.