Urteil des LG Karlsruhe vom 14.11.2003

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LG Karlsruhe Urteil vom 14.11.2003, 6 S 98/02
Rechtsstreit um Zusatzversorgung im Öffentlichen Dienst: Wirkungslosigkeit eines trotz teilweiser Klagerücknahme ergangenen Urteils;
Rechtmäßigkeit des Rentenberechnung für Teilzeitbeschäftigte
Leitsätze
1. Aufgrund wirksamer teilweiser Klagerücknahme ist ein dennoch ergangenes Urteil insoweit wirkungslos Nach dem Grundsatz der
Meistbegünstigung konnte das Urteil insoweit mit der Berufung angegriffen werden. Das Berufungsgericht konnte die Wirkungslosigkeit des Urteils
insoweit feststellen.
2. § 43a Abs. 5 S. 4 in Verbindung mit § 41 Abs. 4 VBLS a. F., die sich mit der Höhe der Mindestgesamtversorgung bei Teilzeitbeschäftigten
befassen, ist nicht zu beanstanden.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 19.04.2002, Az.: 2 C 709/01, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass die Wirkungslosigkeit dieses Urteils wegen Klagerücknahme festgestellt wird, soweit es die Abweisung des im Tatbestand dieses Urteils unter
Ziffer 1 aufgeführten Klageantrags angeht.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil
vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Allerdings war die Wirkungslosigkeit
des klageabweisenden amtsgerichtlichen Urteils festzustellen, soweit es den erstinstanzlich zurückgenommenen Klageantrag Ziff. 1 angeht.
I.
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Das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe ist wirkungslos, soweit es den im dortigen Tatbestand aufgeführten Klageantrag Ziff. 1 angeht. Denn der
Klageantrag Ziff. 1 war bereits mit Schriftsatz vom 21.03.2002 (I, 127) wirksam einseitig zurückgenommen worden, da die erste mündliche
Verhandlung des Amtsgerichts erst am 28.03.2002 stattfand (vgl. I, 133). Aufgrund der wirksamen Klagerücknahme ist das ergangene Urteil
insoweit wirkungslos (Musielak, ZPO, 3.Auflage, 2002, § 269 Rnr. 10). Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung konnte das Urteil insoweit mit
der Berufung angegriffen werden. Das Gericht konnte die Wirkungslosigkeit des Urteils insoweit feststellen (vgl. LG Itzehoe, Beschluss vom
07.09.1993, NJW-RR 1994, 1216).
II.
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Hinsichtlich des in zweiter Instanz allein weiterverfolgten Ziels der Zuerkennung eines Gesamtbeschäftigungsquotienten von 100 % wurde die
Klage zu Recht vom Amtsgericht abgewiesen.
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1. § 43a Abs. 5, Satz 4 in Verbindung mit § 41 Abs. 4 VBLS a. F., die sich mit der Höhe des Mindestruhegehaltes bei Teilzeitbeschäftigten
befassen, sind nicht wegen Verstoßes gegen Artikel 3 GG verfassungswidrig, soweit die Regelung nicht in vollem Umfang die Regeln des
Beamtenversorgungsgesetzes übernimmt. Denn mit der von der Beklagten nach der alten Fassung zur Verfügung gestellten Versorgung sollte
zwar eine Annäherung an die Beamtenversorgung erreicht werden. Dies bedeutet aber nicht, dass das Versorgungssystem der Beklagten völlig
und in allen Punkten mit der Beamtenversorgung übereinstimmen muss (OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.07.2000, 12 U 22/00, ZTR 2001, 131-
133). Im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen, dass auch im Beamtenversorgungsrecht nicht alle teilzeitbeschäftigten Beamten eine
Vollversorgung erreichen können.
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2. Unmaßgeblich ist, ob sich die Klägerin dadurch, dass sie in den Jahren 1973 bis 1975 einer Teilzeitbeschäftigung nachgegangen ist, im
Hinblick auf die ihr zustehende Gesamtversorgung schlechter gestellt hat, als wenn sie in dieser Zeit überhaupt nicht gearbeitet hätte.
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a) Denn möglicherweise verringerte sich aufgrund dieser zusätzlichen Dienstzeiten der Gesamtbeschäftigungsquotient der Klägerin. Allerdings
erhöhen sich aufgrund dieser zusätzlichen Dienstzeiten die Umlagemonate der Klägerin, was im Falle der Beanspruchung einer
Versicherungsrente von erheblichem Vorteil gewesen wäre. Ferner erhöhte sich die Anwartschaft aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Somit erhöhten sich die Ansprüche der Klägerin, die auf einer eigenen Leistung beruhen und daher höheren eigentumsrechtlichen Schutz im
Vergleich zu den aus rein sozialpolitischen Gründen gewährten Anwartschaftsteile genießen.
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b) Bei der Errechnung der Gesamtversorgung sorgte die Beklagte bereits in ausreichendem Umfang für die Berücksichtigung der
Besonderheiten der Teilzeitbeschäftigung.
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Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es alleiniger Sinn und Zweck der Sondervorschrift des § 41 Abs. 4 VBLS a. F. war, Schwankungen des
Arbeitsentgelts in dem gemäß § 43 Abs. 1, Satz 1 VBLS a. F. maßgeblichen Drei-Jahres-Zeitraum auszugleichen (vgl. Gilbert/Hesse, die
Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, B § 41, B 151b, Stand: 01.08.2002).
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Ferner darf nicht übersehen werden, dass auch die gesamte Regelung des mit der 18. Satzungsänderung eingeführten § 43a VBLS a.F. für
Teilzeitbeschäftigte gerade dann erhebliche Entlastungen mit sich gebracht hat, wenn sie wie die Klägerin vor dem gemäß § 43 I 1 VBLS a.F.
maßgeblichen Drei-Jahres-Zeitraum auch in erheblichem Umfang vollzeitbeschäftigt waren. Das OLG Karlsruhe (a.a.O.) spricht insoweit davon,
dass die Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten vom Ansatz her deshalb besser gestellt sind, weil bei ihnen nicht auf das
durchschnittliche monatliche versorgungspflichtige Entgelt während der letzten drei Kalenderjahre vor Eintritt des Versicherungsfalls abgestellt,
sondern von einem hochgerechneten Entgelt ausgegangen wird
10 Zu weiteren Sonderregelungen innerhalb der Ausnahmevorschriften des § 41 IV VBLS a.F. bzw. § 43a V 4 VBLS a.F. etwa dahingehend, dass
innerhalb der Gruppe derjenigen, die von der Ausnahmevorschrift profitieren, individuelle Unterscheidungen nach dem Zeitpunkt der
Teilzeitbeschäftigung getroffen werden, ist die Beklagte nicht verpflichtet. Die weitere Verkomplizierung des Satzungsrechts der Beklagten stößt
nämlich auch auf verfassungsrechtliche Grenzen (Vgl. BVerfG, Beschluss v. 22.03.2000, NJW 2000, 3341; LG Karlsruhe, Urt. v. 27.06.2003, Az. 6
= 326/02, S. 50/51).
11 Die Beklagte sorgte daher schon in einem ausreichenden Umfange dafür, dass Gehaltsschwankungen sich nicht als Härte auswirken. Ein
Anspruch auf Berechnung der Zusatzversorgung nach einer Methode, die die Klägerin am meisten begünstigt, besteht nicht.
12 c) Ein Anspruch darauf, dass das Erwerbsleben der Klägerin gänzlich unberücksichtigt bleibt, sondern allein nur noch auf fiktive Zahlen
abgestellt wird, besteht ebenso wenig (vgl. LG Karlsruhe, Urt. v. 13.10.2000, Az. 6 S 6/00). Nach Auffassung der Kammer ist es nicht möglich, aus
der Lebensbiographie einer bei der Beklagten Versicherten willkürlich Teile „herauszuschneiden“ und so zu errechnen, was geschehen wäre,
wenn die jeweilige Versicherte der Beklagten eine andere Lebensbiographie gehabt hätte.
13 Eine solche Fiktion berücksichtigt nicht, dass sich die Lebens- und Versichertenbiographie möglicherweise auch ganz anders gestaltet hätte,
wenn die Klägerin beispielsweise in den Zeiten, in denen sie mit einem Beschäftigungsquotient von weniger als 1,0 gearbeitet hatte, nicht
gearbeitet hätte. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Beklagte, falls sie in einer bestimmten Zeit nicht gearbeitet hätte und aus
gearbeitet hätte. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Beklagte, falls sie in einer bestimmten Zeit nicht gearbeitet hätte und aus
irgendwelchen Gründen ein Versicherungsfall eingetreten wäre, allenfalls noch Anspruch auf eine Versicherungsrente, nicht aber auf eine
Versorgungsrente gegenüber der Beklagten gehabt hätte. Zum anderen ist auch zu berücksichtigen, dass der berufliche Werdegang einer
Person, die zeitweise aus dem Dienstverhältnis ausscheidet, durchaus anders sein kann als der berufliche Werdegang einer Person die
durchgängig, wenngleich zeitweise „nur“ als Teilzeitkraft, beschäftigt ist.
14 Im Rahmen der Beurteilung der Lebensbiographie müssen die Jahre, die die Klägerin nunmehr „entfernt“ haben möchte, bleiben. Mit ihnen
waren nicht nur der Vorteil der faktischen Berufstätigkeit und der fortlaufenden Versicherung, sondern auch die Chancen auf Gehaltserhöhung,
Beförderungschancen, die Möglichkeit, Fähigkeiten während der Arbeit fortzuentwickeln, und vieles mehr verbunden. Die Klägerin musste
gerade nicht die Schwierigkeiten eines beruflichen Wiedereinstiges auf sich nehmen, die jemand hatte oder gehabt hätte, wenn er einen
Versicherungsverlauf wie die Klägerin ohne die Zeiten der Teilzeitbeschäftigung gehabt hätte.
15 3. Die Regelung des § 43a Abs. 5, Satz 4 VBLS a. F. verstößt auch nicht gegen Artikel 141 des EG-Vertrages (vgl. LG Karlsruhe, Urt. v.
29.09.2000, Az. 6 S 8/00). Durch diese Satzungsbestimmung kommt es nicht zu einer rechtswidrigen Ungleichbehandlung von Frauen
gegenüber Männern allein aufgrund ihres Geschlechts. Es ist zwar anerkannt, dass auch rechtlich selbständige Pensionskassen wie die
Beklagte im Sinne des Art. 141 EG-Vertrages als Arbeitgeber angesehen werden können (BAG, Urt. v. 19.11.2002, Az. 3 AZR 631/97, NZA 2003,
380-383). Zutreffend ist auch, dass sogenannte „mittelbare Diskriminierungen“ unter das Verbot des Artikel 141 EG-Vertrag fallen (vgl.
Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band II, Artikel 141 EGV, Rnr. 28 f.). Ferner ist auch anzuerkennen, dass es gerade im Bereich
der Teilzeitbeschäftigung zu verdeckten Diskriminierungen kommen kann.
16 Andererseits ergibt sich jedoch daraus, dass Teilzeitbeschäftigte nur eine geringere Anzahl von Arbeitsstunden ableisten können, eine geringere
Intensität der Betriebstreue der Teilzeitbeschäftigten. Der Europäische Gerichtshof hat ausdrücklich anerkannt, dass die Dauer der
Betriebszugehörigkeit eine objektive Rechtfertigung für eine mittelbare Diskriminierung darstellen kann (EuGH, Rechtsprechungssammlung
1997, I - 5253, 5287, Rdz. 42; Grabitz/Hilf a.a.O., Rnr. 36). Durch die Ermittlung des Gesamtbeschäftigungsquotienten wird die von der Beklagten
sicherzustellende Gesamtversorgung in ein direkt proportionales Verhältnis zum Maß der Beschäftigung gesetzt. Hierdurch wird die Gleichheit
des Arbeitsentgelts für eine nach Zeit bezahlte Arbeit gewährleistet (LG Karlsruhe, Urt. v. 29.09.2000, Az. 6 S 8/00). Selbst wenn der Klägerin der
Nachweis einer mittelbaren Diskriminierung gelungen wäre, läge jedenfalls eine objektive Rechtfertigung für diese vor.
III.
17 Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
18 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 708 Nr., 711 ZPO.
19 Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 1, Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.