Urteil des LG Karlsruhe vom 19.03.2007

LG Karlsruhe (kläger, höhe, gutachten, erstellung, beteiligung, verhältnis zu, ungerechtfertigte bereicherung, satzung, geschäftsplan, allgemeine geschäftsbedingungen)

LG Karlsruhe Urteil vom 19.3.2007, 6 O 239/04
Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder: Aufzinsung des Gegenwerts vor der 40.
Satzungsänderung
Leitsätze
§ 23 Abs. 2 VBLS in der Fassung vor der 40. Satzungsänderung vom 20.12.2001 enthält keine rechtliche
Grundlage für die Aufzinsung des von einem ausscheidenden Beteiligten zu entrichtenden Gegenwerts auf das
Ende des Folgemonats nach Erstellung des versicherungsmathematischen Gutachtens.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 1.382.480,16 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit
17.11.2004 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger, dessen Rechtsvorgänger mit Wirkung vom 01.07.2000 aus der Beteiligung bei der Beklagten
ausgeschieden ist, verlangt von dieser die Rückzahlung von „Wertstellungszinsen“, die der Kläger als Teil des
von ihm an die Beklagte zu zahlenden Gegenwertes für den Zeitraum zwischen dem Ausscheiden aus der
Beteiligung und der Erstellung des versicherungsmathematischen Gutachtens entrichtet hat.
2
Der Kläger ist durch Verschmelzung des A e.V. mit dem B e.V. entstanden. Aufgrund der Verschmelzung
endete die Beteiligung des früheren A e.V. bei der Beklagten mit Ablauf des 30.06.2000. Mit Schreiben vom
26.10.2000 (AH 9 f.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sich der von ihm für das Ausscheiden zu
entrichtende Gegenwert voraussichtlich auf DM 11.316.603,38 belaufen werde. Grundlage für diese Mitteilung
war das von der Beklagten eingeholte versicherungsmathematische Gutachten Dr. B. vom 20.10.2000 (AH 13
ff.). In diesem Gutachten wurde der Gegenwert nach der VBLS in der Fassung der 36. Satzungsänderung unter
Zugrundelegung des technischen Geschäftsplans der Beklagten vom 15.10.1996 berechnet. Einen Hinweis auf
die Aufzinsung des Gegenwerts auf das Ende des Folgemonats nach Erstellung des Gutachtens enthielt das
Gutachten nicht.
3
In der Folgezeit gab es von Seiten des Klägers Überlegungen, sich weiterhin an der Beklagten zu beteiligen,
weshalb der Kläger für die bei der ihm beschäftigten Versicherten weiterhin Umlagen und Sanierungsgelder an
die Beklagte entrichtete mit der Maßgabe, dass nach Vorliegen des versicherungsmathematischen Gutachtens
mit der endgültigen Berechnung des Gegenwertes eine Rückabwicklung stattfinden sollte.
4
Am 20.12.2001 wurde die 40. Änderung der VBL-Satzung beschlossen. Durch diese Satzungsänderung wurde
§ 23 Abs. 2 Satz 7 VBLS a.F. mit rückwirkender Geltung ab 01.01.2001 eingefügt. Die Bestimmung lautet:
5
„Der zunächst auf den Ausscheidestichtag abgezinste Gegenwert ist für den Zeitraum vom Tag des
Ausscheidens aus der Beteiligung bis zum Ende des Folgemonats nach Erstellung des
versicherungsmathematischen Gutachtens mit Jahreszinsen in Höhe des nach Satz 2 maßgebenden
Rechnungszinses aufzuzinsen.“
6
Mit Schreiben vom 27.02.2003 (AH 83 f.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass bei der
Gegenwertberechnung der Zeitraum vom Ausscheiden aus der Beteiligung am 30.06.2000 bis zur Fälligkeit des
Gegenwerts mit Wertstellungszinsen in Höhe von 5,5 v. H. pro Jahr berücksichtigt werde.
7
Mit Schreiben vom 13.09.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sich der endgültig von diesem zu
zahlende Gegenwert auf EUR 7.168.567,59 belaufe. Grundlage dieser Gegenwertberechnung war das
Gutachten Dr. B. vom 27.08.2004 (AH 99 ff.), welches nach der VBLS in der Fassung der 36.
Satzungsänderung unter Zugrundelegung des technischen Geschäftsplans der Beklagten vom 15.10.1996
berechnet wurde, wobei der zunächst auf den Ausscheidestichtag abgezinste Gegenwert für den Zeitraum vom
Tag des Ausscheidens aus der Beteiligung bis zum Ende des Folgemonats nach Erstellung des Gutachtens
gem. § 23 Abs. 2 S. 7 der VBL-Satzung aufgezinst wurde. Nach Berücksichtigung überzahlter Betriebsrenten
in Höhe von EUR 43.628,57 sowie zwischenzeitlich vom Kläger geleisteter Umlagen und Sanierungsgelder in
Höhe von EUR 1.131.426,98 verblieb ein Restbetrag in Höhe von EUR 6.080.769,18. Mit Schreiben vom
13.10.2004 korrigierte die Beklagte diesen Betrag auf EUR 5.562.523,06, nachdem sie festgestellt hatte, dass
sich die Summe der insgesamt vom Kläger nach Ausscheiden aus der Beteiligung gezahlten Umlagen und
Sanierungsgelder auf EUR 1.649.673,10 belief.
8
Den im Schreiben vom 13.10.2004 mitgeteilten Betrag zahlte der Kläger am 16.11.2004 unter Vorbehalt an die
Beklagte. Mit seiner auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützten Klage macht der Kläger den seiner Ansicht
nach überzahlten Teilbetrag des Gegenwerts geltend, der sich aus der Berücksichtigung von
„Wertstellungszinsen“ ergibt.
9
Der Kläger ist der Auffassung,
10 nach der VBLS zum Zeitpunkt des Ausscheidens des A e.V. aus der Beteiligung bei der Beklagten (Fassung
nach der 36. Satzungsänderung) habe keine Rechtsgrundlage für die Berechnung von „Wertstellungszinsen“, d.
h. für die Aufzinsung des Gegenwerts auf das Ende des Folgemonats nach Erstellung des
versicherungsmathematischen Gutachtens bestanden. In dem Gutachten vom 20.10.2000 habe deshalb auch
keine solche Aufzinsung stattgefunden. Der technische Geschäftsplan der Beklagten sei nicht Teil des
Vertragsverhältnisses zwischen der Beklagten und den Beteiligten und daher im Außenverhältnis nicht
bindend. Er gehöre nicht zu den anerkannten versicherungsmathematischen Grundsätzen. Vor Einführung des
§ 23 Abs. 2 Satz 7 VBLS a.F. habe es daher an einer Rechtsgrundlage für die Aufzinsung gefehlt. Bei der
Klageforderung handelt es sich um die Differenz aus den vom Kläger gezahlten EUR 5.562.523,06 und dem um
die überzahlten Renten sowie Umlagen und Sanierungsgelder bereinigten Gegenwert nach dem Gutachten vom
20.10.2000 (EUR 4.180.042,90). Ein nahezu identischer Betrag ergebe sich auch bei konkreter Berechnung der
Verzinsung ausgehend von dem Gegenwert gemäß Gutachten vom 20.10.2000 (vgl. AS 101).
11 Der Kläger beantragt,
12 die Beklagte zu verurteilen, den an sie unter Vorbehalt gezahlten Betrag von EUR 1.382.480,16 nebst 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz seit 17.11.2004 an den Kläger zu zahlen.
13 Die Beklagte beantragt,
14 die Klage abzuweisen.
15 Die Beklagte behauptet und ist der Auffassung,
16 ihr technischer Geschäftsplan habe bereits vor der 40. Satzungsänderung die danach in § 23 Abs. 2 Satz 7
VBLS a.F. geregelte Ab- und wieder Aufzinsung des Gegenwertes vorgesehen. Die Notwendigkeit der
Aufzinsung auf den Zeitpunkt der Zahlung des Gegenwertes (und nicht lediglich Abzinsung auf den Tag des
Ausscheidens) ergebe sich aus versicherungsmathematischer Sicht daraus, dass die Beklagte erst ab diesem
Zeitpunkt aus dem Gegenwert Erträge erwirtschaften könne. Bis zur Zahlung des Gegenwertes habe dagegen
der ausgeschiedene Beteiligte diese Möglichkeit. Da der Zahlungszeitpunkt bei der Gegenwertberechnung noch
nicht feststehe, werde statt dessen pauschal auf das Ende des Folgemonats nach Erstellung des
versicherungsmathematischen Gutachtens abgestellt, der in etwa dem Fälligkeitszeitpunkt des Gegenwerts
gemäß § 23 Abs. 4 VBLS a.F. entspreche. Der technische Geschäftsplan der Beklagten gehöre zu den nach §
23 Abs. 2 Satz 2 VBLS a.F. maßgeblichen versicherungsmathematischen Grundsätzen. § 23 Abs. 2 Satz 7
VBLS a.F. habe daher lediglich klarstellenden Charakter. Die Erwähnung dieser Vorschrift im Gutachten vom
27.08.2004 sei versehentlich geschehen. Maßgeblich für die Berechnung sei ausschließlich die Satzung in der
Fassung der 36. Satzungsänderung in Verbindung mit dem technischen Geschäftsplan gewesen. Im übrigen
sei die Höhe der Klagesumme nicht nachvollziehbar.
17 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
18 Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
19 Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB auf Rückzahlung
eines überzahlten Gegenwertes in Höhe der Klageforderung.
20 1. Eine Rechtsgrundlage für die Aufzinsung des von der Beklagten berechneten Gegenwertes auf das Ende
des Folgemonats nach Erstellung des versicherungsmathematischen Gutachtens ist im Verhältnis zum Kläger
nicht ersichtlich.
21 Die Bestimmung des § 23 Abs. 2 Satz 7 VBLS a.F. wurde erst durch die 40. Satzungsänderung mit Wirkung
ab 01.01.2001 in die Satzung der Beklagten aufgenommen. Die Beteiligung des A e.V. bei der Beklagten
endete demgegenüber bereits mit Ablauf des 30.06.2000, so dass § 23 Abs. 2 Satz 7 VBLS a.F. für die
Berechnung des vom Kläger zu zahlenden Gegenwerts keine Rolle spielen kann, was zwischen den Parteien
auch unstreitig ist.
22 Die am 30.06.2000 gültige Satzung der Beklagten in der Fassung der 36. Satzungsänderung enthielt keine
entsprechende Regelung über die Aufzinsung des Gegenwerts. Ob sich eine solche Aufzinsung aus dem
technischen Geschäftsplan der Beklagten vom 15.10.1996 ergibt, konnte von der Kammer nicht überprüft
werden, da die Beklagte diesen technischen Geschäftsplan nicht vorgelegt hat. Im Ergebnis kommt es hierauf
jedoch auch nicht an. Der Auffassung der Beklagten, ihr technischer Geschäftsplan gehöre zu den nach § 23
Abs. 2 Satz 2 VBLS a.F. maßgeblichen versicherungsmathematischen Grundsätzen kann nämlich jedenfalls
insoweit nicht gefolgt werden, als sich die Aufzinsung aus diesem technischen Geschäftsplan ergeben soll.
23 Bei den Regelungen in der Satzung der Beklagten handelt es sich im Verhältnis zu den einzelnen Beteiligten
um allgemeine Geschäftsbedingungen. Diese müssen nach dem nunmehr in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB
verankerten, aber bereits zuvor von der Rechtsprechung allgemein anerkannten Transparenzgebot so klar und
verständlich gefasst sein, dass ein aufmerksamer und sorgfältiger Vertragspartner des Verwenders deren Inhalt
erfassen kann (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., Rdn. 16 ff.). Dabei ist nicht auf die
Erkenntnismöglichkeiten eines Versicherungsmathematikers, sondern auf diejenigen eines durchschnittlichen
Vertragspartners des Verwenders abzustellen. Bei einem durchschnittlichen Beteiligten der Beklagten kann
jedenfalls nicht erwartet werden, dass dieser aus dem Begriff „versicherungsmathematische Grundsätze“ den
Schluss zieht, dass der Gegenwert vom Zeitpunkt des Ausscheidens bis zum Ende des Folgemonats nach
Erstellung des versicherungsmathematischen Gutachtens aufzuzinsen ist.
24 Bestandteil des allgemeinen Transparenzgebots im Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen ist auch ein
Konkretisierungs- und Bestimmtheitsgebot, wonach der Verwender gehalten ist, den Klauselinhalt möglichst
weitgehend zu konkretisieren und hinreichend bestimmt zu fassen (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht,
10. Aufl., § 307 BGB Rdn. 338 ff.). Die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen müssen so genau
beschrieben werden, dass zum einen für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume
entstehen und zum anderen der Vertragspartner ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte und
Pflichten feststellen kann. Diese Voraussetzungen erfüllt die generalklauselartige Verwendung des Begriffs
„versicherungsmathematische Grundsätze“ in § 23 Abs. 2 Satz 2 VBLS a.F. nicht.
25 Zwar dürfen die Anforderungen an die Transparenz allgemeiner Geschäftsbedingungen vom Gericht nicht
überspannt werden. So besteht insbesondere die Verpflichtung des Verwenders, den Inhalt der AGB-
Regelungen klar und verständlich zu formulieren, nur im Rahmen des tatsächlich Möglichen (vgl.
Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 307 BGB Rdn. 348 f.). Man wird daher nicht verlangen
können, dass die Beklagte jeden einzelnen Rechenschritt bei der Gegenwertberechnung in der Satzung
offenlegt, zumal hierdurch eine Informationshypertrophie entstehen könnte, die ihrerseits wiederum zu einer
Unverständlichkeit und damit Intransparenz der entsprechenden Satzungsbestimmungen führt. Wie die mit der
40. Satzungsänderung eingefügte Vorschrift des § 23 Abs. 2 Satz 7 VBLS a.F. zeigt, wäre es jedoch ohne
weiteres möglich gewesen, eine entsprechende Aufzinsungsregelung bereits zuvor in die Satzung
aufzunehmen. Wenn die Beklagte dies gleichwohl unterlassen hat, obwohl die Aufzinsung einen wesentlichen
Faktor bei der Gegenwertberechnung darstellt, so kann dies vor dem Hintergrund des Transparenzgebotes
nicht zu Lasten der Beteiligten gehen.
26 2. Die Höhe des überzahlten Gegenwertbetrages entspricht der Klageforderung, wie sich aus den Darlegungen
des Klägers ergibt. Der Kläger hat den im Schreiben der Beklagten vom 26.10.2000 mitgeteilten Gegenwert um
überzahlte Betriebsrenten sowie Umlagen und Sanierungsgelder bereinigt, wie dies die Beklagte selbst in ihren
Schreiben vom 13.09.2004 und vom 13.10.2004 hinsichtlich des dort berechneten Gegenwerts getan hat, und
die Differenz zwischen dem gefundenen Ergebnis und dem von ihm tatsächlich an die Beklagte gezahlten
Betrag gebildet. Den auf diese Weise ermittelten Überzahlungsbetrag untermauert der Kläger durch eine
konkrete Berechnung der Verzinsung, ausgehend von dem Gegenwert gemäß Gutachten vom 20.10.2000,
woraus sich ein nahezu identischer Betrag ergibt.
27 Das Bestreiten der Richtigkeit dieser Berechnungen durch die Beklagte ist unbeachtlich. Die Kammer hat
bereits in der mündlichen Verhandlung vom 06.10.2006 darauf hingewiesen, dass die Darlegungs- und
Beweislast für Grund und Höhe des Aufzinsungsbetrages bei der Beklagten liegt. Der Grund hierfür besteht
darin, dass allein die Beklagte über alle notwendigen Daten zur Gegenwertberechnung verfügt. Dieser
Darlegungspflicht ist die Beklagte nicht nachgekommen. Zwar hat sie mit Schriftsatz vom 13.03.2007 ihrerseits
Beträge genannt, die sich von denjenigen des Klägers nur unwesentlich unterscheiden. Die Berechnung dieser
Beträge hat die Beklagte jedoch nicht in substantiierter und für das Gericht nachvollziehbarer Weise dargelegt.
28 3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 BGB.
II.
29 Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
30 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.