Urteil des LG Kaiserslautern vom 24.05.2002

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LG
Kaiserslautern
24.05.2002
2 O 759/01
An die inhaltlichen Anforderungen eines Aufforderungsschreibens des Kreditgebers im Sinne des § 12
Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VerbrKrG a. F./§ 498 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB n. F. sind strenge Maßstäbe anzulegen.
Unklarheiten gehen zu Lasten des Kreditgebers. Der Kreditgeber muss vor der Kündigung des
Verbraucherkredits im voranzugehenden Aufforderungsschreiben nicht nur die offene Forderung, sondern
auch die Gesamtrestforderung konkret beziffern. Die Kündigung muss innerhalb einer angemessenen
Frist nach Ablauf der gesetzten Nachfrist erfolgen. Bei einer Zeitspanne von mehr als einem Monat verliert
der Darlehensgeber sein Kündigungsrecht.
Landgericht Kaiserslautern, Urteil vom 24. Mai 2002 - 2 O 759/01 -
Zum Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Rückzahlung eines Verbraucherdarlehens, das ihre
Rechtsvorgängerin am 19. Oktober/16. Dezember 1992 in Höhe von 70.476,-- DM zur Finanzierung einer
Beteiligung an dem geschlossenen W..., in ... gewährt hatte. Die Darlehensrückzahlung sollte zum 1.
November 2012 durch eine fällige Lebensversicherung erfolgen, die der Beklagte mit monatlichen 110,--
DM zu bedienen hatte. Darüber hinaus bezahlte der Beklagte die für das Darlehen anfallenden Zinsen
und erhielt im Gegenzug Mieteinnahmen aus dem vom Immobilienfonds gehaltenen Objekt. Die
monatliche Gesamtbelastung des Beklagten betrug 466,90 DM. Seit April 1999 kam der Beklagte seinen
Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Klägerin nicht mehr nach. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2000
mahnte die Klägerin einen Betrag von 7.867,36 DM an und stellte in Aussicht, bei einer Nichtzahlung bis
zum 27. November 2000 die Rückzahlung der gesamten Darlehenssumme zu verlangen und die
Geschäftsverbindung gemäß Ziff 19 ihrer AGB i. V. m. § 12 VerbrKrG zu kündigen. Eine weitere Zah-
lungsaufforderung - gerichtet an die späteren Prozessbevollmächtigten des Beklagten - erfolgte durch ein
Schreiben der Klägervertreter vom 21. März 2001. Darin heißt es u. a.: "... Es besteht somit ein Rückstand
in Höhe von 10.314,47 DM per 16. März 2001. Wir fordern Ihren Mandanten hiermit auf, die
Zahlungsrückstände in oben mitgeteilter Höhe bis spätestens 10. April 2001 auszugleichen. Sollte unsere
Mandantin keine fristgerechte Zahlung feststellen können, wären wir gezwungen, die
Geschäftsverbindung zu kündigen und die Forderung gerichtlich geltend zu machen."
Mit Schreiben vom 17. Mai 2001 kündigte die Klägerin die Geschäftsbeziehung und forderte den
Beklagten erfolglos zum Ausgleich einer Gesamtforderung von 81.074,04 DM auf.
Im Laufe des Rechtsstreits hat der Beklagte mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 23.
November 2001 seine auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung vom 19.
Oktober 1992 widerrufen.
Die Klägerin behauptet, dass der Beklagte infolge ihrer wirksamen Kündigung der Geschäftsbeziehung
zur Rückzahlung von 82.043,97 DM verpflichtet sei. Der Beklagte macht demgegenüber geltend, dass die
Klägerin mit dem Fondsinitiator W... und dessen Strukturvertrieb A... kollusiv zusammengewirkt habe,
sodass sie ihm zum Schadensersatz aus § 826 BGB verpflichtet sei. Außerdem habe die Klägerin die ihr
obliegenden Aufklärungspflichten nicht hinreichend gewahrt. Ferner könne er seine Einwendungen
gegen die W. und die Gründungsgesellschafter wegen des betrügerisch manipulierten Kaufpreises der
Immobilien und der nicht offen gelegten Vertriebsprovisionen nach § 9 Abs. 3 S. 1 VerbrKrG auch gegen
die Klägerin geltend machen, da der Darlehensvertrag und der Fondskauf- und Eintrittsvertrag mit der W.
eine wirtschaftliche Einheit und somit ein verbundenes Geschäft darstelle. Schließlich sei unter
Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 13. Dezember 2001
("Heininger-Entscheidung") der Darlehensvertrag wirksam nach § 1 HWiG widerrufen.
Das Gericht hat die Klage abgewiesen.
Aus den Gründen:
Die Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin kann von dem Beklagten nicht gemäß § 607 Abs. 1 BGB die Rückzahlung einer
Gesamtdarlehenssumme in Höhe von 41.948,42 EUR (82.043,97 DM) verlangen. Eine Beendigung des
beiderseitigen Darlehensvertrages vom 19. Oktober/16. Dezember 1992 infolge der Kündigung vom 17.
Mai 2001 ist nach dem Vorbringen der Klägerin nicht anzunehmen. Die gemäß § 12 Abs. 1 VerbrKrG a.
F./§ 498 Abs. 1 BGB n. F. notwendigen Kündigungsvoraussetzungen liegen nicht vor.
Vor der Kündigung eines Teilzahlungskredits muss der Kreditgeber dem Verbraucher erfolglos eine
zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrages gesetzt und ihn darauf hingewiesen haben,
dass er bei nicht fristgemäßer Zahlung die gesamte Restschuld verlange (§ 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VerbrKrG
a. F./§ 498 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB n. F.). Mit dieser Regelung wird ein doppelter Zweck verfolgt. Zunächst
soll dem Verbraucher durch die Nachfristsetzung unmissverständlich die kritische Situation vor Augen
geführt werden, in die er durch seinen Zahlungsverzug geraten ist. Ferner wird ihm durch die Zubilligung
einer mindestens zweiwöchigen Nachfrist auch eine letzte Chance zur Rettung des Kredits eröffnet (Graf
von Westphalen/Emmerich, Verbraucherkreditgesetz, 2. Aufl., § 12 Randnr. 44). Ausgehend hiervon sind
an die inhaltlichen Anforderungen eines entsprechenden Aufforderungsschreibens des Kreditgebers
strenge Maßstäbe anzulegen. Weder das der Darlehenskündigung vorausgegangene Schreiben der
Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 21. März 2001 noch ihr Schreiben vom 30. Oktober 2000
genügt diesen Vorgaben.
Das Schreiben vom 21. März 2001 lässt zum einen nicht zweifelsfrei erkennen, dass die gesamte
Restforderung bei Nichtzahlung des rückständigen Betrages fällig gestellt werden soll. Es wird lediglich
angekündigt, bei nicht fristgerechter Zahlung "die Geschäftsverbindung zu kündigen und die Forderung
gerichtlich geltend zu machen". In dem Schreiben wird allerdings nicht zwischen den eingangs
aufgeführten Zahlungsrückständen in Höhe von 10.314,47 DM und der Restdarlehenssumme
unterschieden. Bei verständiger Würdigung des Textes erschließt sich nicht, was mit der "Forderung"
gemeint sein soll. Da dem Verbraucher aufgrund eines derartigen Schreibens jedoch klar sein muss, dass
nicht nur die bereits angemahnte Summe, sondern nach Fristablauf der gesamte Restdarlehensbetrag
umgehend zu zahlen ist, gehen die insoweit bestehenden Unklarheiten zu Lasten des erklärenden Kredit-
gebers. Unabhängig von der inhaltlichen Unklarheit des Schreibens vom 21. März 2001 ist darin die
Restforderung auch nicht konkret beziffert worden, was aber notwendig gewesen wäre. Das Gericht
verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.
Teilweise wird eine konkrete Bezifferung der Restdarlehenssumme nicht für erforderlich gehalten, da dies
der Gesetzestext nicht verlangt und dem Gläubiger unter Umständen komplizierte Berechnungen
aufgegeben werden, obwohl nicht feststeht, ob und wann es zur Kündigung des Darlehensvertrages
kommt (OLG Köln VersR 2001, 1118; Habersack, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 12 VerbrKrG,
Randnr. 16; Graf von Westphalen/Emmerich, a.a.O., Randnr. 46). Die Kammer folgt hingegen der
entgegengesetzten Ansicht (OLG Düsseldorf WM 1995, 1530, 1532; wohl auch Palandt/Putzo, BGB, 61.
Aufl., § 12 VerbrKrG, Randnr. 4). Ausgehend von dem gesetzgeberischen Zweck des § 12 VerbrKrG a. F./§
498 BGB n. F., dem Schuldner auch eine letzte Chance zur Rettung des Kredits zu gewähren, muss dem
Verbraucher aufgrund der Erklärungen des Kreditgebers bewusst werden, dass er sich bei Nichtzahlung
des rückständigen Betrages der Gefahr aussetzt, eine deutlich höhere Summe innerhalb kurzer Zeit
zahlen zu müssen. Diese Signalwirkung wird dadurch erreicht, dass nicht nur pauschal auf eine
Restforderung oder gar nur auf eine Forderung hingewiesen wird, sondern indem ein konkreter Betrag
genannt wird, aus dem sich das Kritische der Situation für den Verbraucher unzweifelhaft ergibt. Gerade
bei einem Kredit mit langer Laufzeit und niedrigen Raten wird dem Verbraucher bei einer
Gegenüberstellung von einigen 100 Euro Rückstand und einer Restforderung von einigen 10.000 Euro
der Ernst der Lage deutlich bewusst werden und ihn ggfs. noch veranlassen, alles Erdenkliche zu
unternehmen, den geringeren Betrag auszugleichen und eine deutliche Verschlechterung seiner Finanz-
situation zu verhindern. Die konkrete Bezifferung der Restforderung im Aufforderungsschreiben wird zwar
nach dem Wortlaut von § 12 VerbrKrG a. F./§ 498 BGB n. F. nicht verlangt. Dies gilt aber ebenfalls für den
rückständigen Betrag. Gleichwohl wird allgemein verlangt, dass eine wirksame Nachfristsetzung die
konkrete Bezifferung des Rückstandes erfordert, wobei eine Zuvielforderung regelmäßig gar zur Unwirk-
samkeit der Nachfristsetzung führt (Graf von Westphalen, a.a.O., Randnr. 45, 48; Habersack, a.a.O.;
Anwaltskommentar zum Schuldrecht, § 498, Randnr. 6). Diese Wirksamkeitsvoraussetzung ist ebenfalls
aus dem Zweck der Norm abzuleiten, wobei nicht übersehen werden kann, dass der rückständige Betrag
für den Verbraucher noch eher durch eigene Überlegungen (Addition der ausstehenden Raten zuzüglich
eines gewissen Aufschlags für Verzugszinsen nach § 11 Abs. 1, 2 VerbrKrG a. F./§ 497 Abs. 1, 2 BGB n.
F.) nachzuvollziehen ist. Wird vom Kreditgeber eine derartige, im Gesetz nicht vorgesehene Berechnung
verlangt, ist konsequenterweise auch die Bezifferung der Restdarlehenssumme zu fordern. Dies stellt den
Kreditgeber - regelmäßig ein Bankinstitut - nicht vor unangemessene organisatorische Schwierigkeiten,
da Bankinstitute über entsprechende EDV-Einrichtungen nebst Programmen verfügen.
Eine andere Bewertung ergibt sich ferner nicht daraus, dass das Schreiben vom 21. März 2001 der
Prozessbevollmächtigten des Beklagten zuging. Als Zugangsvertreterin war es nicht ihre Aufgabe,
anstelle der Klägerin die Nachfristsetzung zu konkretisieren und dem Beklagten plausibel zu machen.
Der Wirksamkeit der Kündigung vom 17. Mai 2001 steht weiterhin entgegen, dass sie nicht innerhalb
angemessener Frist erklärt wurde. Das nach Ablauf der Nachfrist entstehende Recht des Kreditgebers zur
fristlosen Kündigung des Kreditvertrages unterliegt zeitlichen Schranken. Dem Kreditgeber steht, da er
das objektive Vorliegen des Kündigungsgrundes mit Ablauf der Nachfrist kennt, mit Rücksicht auf das
Gewissheitsinteresse des Verbrauchers lediglich eine Bedenkfrist von wenigen Tagen zu (Habersack,
a.a.O., Randnr. 21; Graf von Westphalen, a.a.O., Randnr. 64; BGH WM 1984, 1273; WM 1980, 380). Die
erst mehr als einen Monat nach Ablauf der Nachfrist erklärte Kündigung erfolgte nicht mehr innerhalb der
zuzubilligenden Frist, sodass die Klägerin ihr Kündigungsrecht verloren hat.
Im Hinblick auf den vorgenannten Umstand und die fehlende Bezifferung der Restforderung konnte auch
das Schreiben der Klägerin vom 30. Oktober 2000 nicht die Voraussetzungen für eine wirksame
Darlehenskündigung schaffen.
Schließlich kann sich die Klägerin nicht erfolgreich auf ihr Kündigungsrecht nach Ziffer 19 ihrer
Allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen. Wird der Kreditvertrag - wie hier - wegen des
Zahlungsverzugs des Verbrauchers gekündigt, richten sich die Kündigungsvoraussetzungen
ausschließlich nach den Regelungen des § 12 VerbrKrG a. F./§ 498 BGB n. F. Hiervon kann zu Ungunsten
des Verbrauchers nicht abgewichen werden, § 18 VerbrKrG a. F./§ 506 BGB n. F.
Auf die Frage, ob der beiderseitige Darlehensvertrag wegen des nach § 1 HWiG erklärten Widerrufs des
Beklagten nicht zustande gekommen ist, braucht vorliegend nicht eingegangen zu werden, da die
Klägerin ihre Klageforderung nicht auf einen Bereicherungsanspruch stützt.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 und 2 ZPO.
(Mitgeteilt von Richter Jens Leube)