Urteil des LG Kaiserslautern vom 29.10.2004

LG Kaiserslautern: fahrzeug, rücknahme, verzug, rückabwicklung, wandelung, auto, haus, kaufpreis, reparatur, rückgabe

Bürgerliches Recht
LG
Kaiserslautern
29.10.2004
4 O 410/04
Zur Erkundigungspflicht des gewerblichen Gebrauchtwagenverkäufers bei bekannten Vorschäden
4 O 410/04
verkündet am 29. Oktober 2004
In dem Rechtsstreit
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
gegen
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
wegen Wandelung eines Gebrauchtwagenkaufvertrages,
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern durch den Richter am Landgericht Marx als
Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 07. Oktober 2004
für R e c h t erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
13.516,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Pro-
zentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
26. September 2003 Zug um Zug gegen Rückgabe
des Fahrzeuges Renault Espace, Fahrgestell-
Nr.: 0520802945, zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte
mit der Rücknahme des Fahrzeuges seit dem
26. September 2003 in Verzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits
zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vor-
läufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
Der Kläger kaufte von der Beklagten mit mündlichem Kaufvertrag vom 28. März 2003 einen gebrauchten
Pkw der Marke Renault Espace zum Preise von 15.250,-- EUR. Der Neupreis zum Zeitpunkt der Erst-
zulassung im August 1999 betrug 26.000,-- EUR. Zum Zeitpunkt des
Verkaufs hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 46.000 km.
Das Fahrzeug erlitt Anfang 2002 einen Unfallschaden, welcher vom Autohaus K. ausweislich der
Rechnung vom 11. Februar 2002 (Anlage K 1, Bl. 5 ff. d. A.) für 7.536,08 EUR repariert wurde. Dabei
wurden unter anderem beide Stoßfänger, beide Kotflügel auf der linken Seite, die Heckklappe sowie ein
Schweller ausgetauscht und die Radhäuser links vorne und hinten instandgesetzt. Zwischen den Parteien
ist streitig, in welchem Umfang die Beklagte von dem Vorbesitzer des Fahrzeuges über das Ausmaß des
Unfallschadens informiert wurde, wobei unstreitig der Vorbesitzer der Beklagten erklärte, dass das
Fahrzeug ordnungsgemäß in der Fachwerkstatt Autohaus K. GmbH in Kaiserslautern repariert worden sei.
Anlässlich der Verkaufsverhandlungen wurde dem Beklagten zumindest mitgeteilt, dass das Fahrzeug
einen Unfallschaden erlitten habe, von dem ein Kotflügel links betroffen gewesen sei.
Das Fahrzeug erlitt Ende Mai 2004 bei einer Laufleistung von 56.000 km einen Motorschaden und
befindet sich seitdem beim Autohaus Albert in Kaiserslautern-Einsiedlerhof.
Der Kläger trägt vor,
die Beklagte sei vom Vorbesitzer vollumfänglich über den Vorschaden aufgeklärt worden, habe jedoch
ihm gegenüber lediglich darauf verwiesen, dass das Fahrzeug links einmal eine Beule am Kotflügel
aufgewiesen habe, die repariert worden sei.
Der Kläger hat mit anwaltlichem Schreiben vom 11. September 2003 die Beklagte nach erklärter
Wandelung und Rücktritt vom Kaufvertrag zur Rücknahme des Fahrzeuges und Zahlung des Kaufpreises
bis zum 25. September 2003 fruchtlos aufgefordert.
Der Kläger hatte mit der Klageschrift zunächst Rückabwicklung des Kaufvertrages ohne Berücksichtigung
einer Nutzungsentschädigung beantragt.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
15.250,-- EUR abzüglich einer Nutzungsentschädigung
in Höhe von 762,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von
5 % über dem Basiszinssatz seit dem 26. Septem-
ber 2003 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges
Renault Espace, Fahrgestell-Nr.: 0520802945, zu
zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit
der Rücknahme des Fahrzeuges seit dem 26. Septem-
ber 2003 in Verzug befindet.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor,
sie habe dem Kläger genau die Informationen weitergegeben, die sie selbst von dem Vorbesitzer erhalten
habe. Darüber hinaus habe sie das Fahrzeug in ihrer Werkstatt untersucht und dabei keine Hinweise auf
weitergehende Schäden bzw. Reparaturspuren als vom Vorbesitzer angegeben gefunden. Dieser habe
lediglich von Beschädigungen des vorderen und hinteren Kotflügels links gesprochen.
Die Beklagte ist der Auffassung, sie sei vom Vorbesitzer über den Umfang des Unfallschaden getäuscht
worden und zu weiteren Nachforschungen nicht verpflichtet gewesen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Klage ist in dem im Tenor genannten Umfange begründet.
1. Der Kläger kann gemäß § 311 a Abs. 2 BGB Rückabwicklung des Kaufvertrages unter Anrechnung
einer angemessenen Nutzungsentschädigung verlangen.
Denn das streitgegenständliche Fahrzeug war gemäß § 434
Abs. 1 BGB mangelhaft, weil es nicht die vereinbarte Beschaffenheit besaß. Der von der Beklagten dem
Kläger nach
eigenem Vortrag mitgeteilte Umfang des Unfallschadens be-
treffend links zwei Kotflügel entsprach nicht dem tatsächlichen Schadensumfang, nach dem darüber
hinaus u. a. Schweller, Stoßstangen und Hecktüre ausgewechselt wurden sowie Instandsetzungsarbeiten
an beiden linken Radhäusern stattfanden. Wegen dieses Sachmangels steht dem Kläger gemäß
§ 437 Ziff. 3, § 311 a BGB ein Schadensersatzanspruch zu. Dieser umfasst im Rahmen des sogenannten
großen Schadensersatzes auch die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Dabei bedarf es weder einer
Fristsetzung noch einer Aufforderung zur Nacherfüllung, da das Leistungshindernis (ganz erheblicher
Unfallschaden) nicht behebbar ist.
Gemäß § 311 a Abs. 2 Satz 2 BGB ist der Schadensersatzanspruch des Klägers auch nicht deswegen
ausgeschlossen, weil die Beklagte keine Kenntnis vom tatsächlichen Umfang des Unfallschadens hatte.
Denn die von ihr vorgetragene Unkenntnis ist von ihr fahrlässig zu vertreten.
Die Beklagte als Gebrauchtwagenhändlerin trifft nämlich - falls ihr Anhaltspunkte für einen Unfallschaden
bekannt sind - nicht nur die Pflicht, diese Anhaltspunkte dem Käufer mitzuteilen, sondern im Rahmen ihrer
Untersuchungspflicht nahe-
liegende weitere Nachforschungen anzustellen (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., Rdn. 1477).
Diese Pflicht besteht im vorliegenden Fall deswegen, weil die Angaben des Vorbesitzers als Laie zu Art
und Ausmaß des Unfallschadens ("Kotflügel vorn und hinten betroffen") sehr vage waren, andererseits
aber die Reparatur des Fahrzeuges durch das Autohaus K. mitgeteilt worden war. Unter diesen Um-
ständen lag es für die Beklagte auf der Hand, sich von dem Vorbesitzer die Reparaturrechnung,
gegebenenfalls auch das Gutachten (Anlage K 2, Bl. 10 ff. d. A.) vorlegen zu lassen oder Nachfrage beim
Autohaus K. zu halten. Zumindest eine entsprechende Nachfrage beim Autohaus K. hätte der Beklagten
Gewißheit über Art und Ausmaß der Unfallbeschädigungen gebracht, wie dies auch im Nachhinein
geschehen ist.
Soweit sich die Beklagte darauf beruft, sie habe ihrer Untersuchungspflicht dadurch Rechnung getragen,
dass sie das Fahrzeug untersucht habe und dabei Reparaturspuren bzw. Beschädigungen, die über das
nach ihrer Behauptung vom Vorbesitzer angegebene Ausmaß hinausgingen, nicht gefunden, konnte
diese Maßnahme allenfalls Auskunft über die Ordnungsgemäßheit der vorgenommenen Reparatur geben.
Keine Gewißheit konnte sich jedoch die Beklagte dadurch - gerade bei einer ordnungsgemäßen
Instandsetzung - über das Ausmaß des Unfallschadens verschaffen. Dazu war die dargestellte Nachfrage
die
naheliegendste, einfachste und sicherste Möglichkeit.
Die Beklagte kann sich auch nicht dadurch entlasten, dass sie nach ihrer Behauptung vom Vorbesitzer
durch Verschweigen des tatsächlichen Schadensumfanges getäuscht wurde. Denn angesichts der vagen
Angaben des Vorbesitzers einerseits und der naheliegenden Möglichkeit sich Gewißheit zu verschaffen
andererseits, trifft die Beklagte der Vorwurf der fahr-
lässigen Unkenntnis vom Umfang des Unfallschadens gemäß
§ 311 a Abs. 2 Satz 2 BGB. Erfährt nämlich ein gewerblicher Gebrauchtwagenverkäufer vage von einem
Unfallschaden des Vorbesitzers, kann sich aber unschwer durch Einsicht in die Reparaturrechnung
Gewißheit über den genauen Schadensumfang verschaffen, so ist er im Rahmen seiner
Untersuchungspflicht gehalten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.
2. Der Kläger muss sich jedoch den von ihm gezogenen Nutzungsvorteil des Fahrzeuges
entgegenhalten lassen.
Der Kläger hat das Fahrzeug bis Ende Mai 2004, mithin insgesamt ca. 14 Monate genutzt und dabei mit
dem Fahrzeug ca. 10.000 km zurückgelegt. Dabei schätzt das Gericht den Nutzungswert nach dem
Verhältnis der zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges zu der Laufleistung während der Be-
sitzzeit des Klägers. Ausgehend von einer durchschnittlichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges von ca.
150.000 km entspricht die Laufleistung während der Besitzzeit des Klägers 1/15 der Gesamtlaufleistung.
Unter Zugrundelegung eines Neupreises von 26.000,-- EUR zum Zeitpunkt der Erstzulassung des
Fahrzeuges im August 1999 ergibt sich daraus ein Nutzungswert von 1.733,33 EUR. Dieser Betrag ist vom
Kaufpreis abzuziehen. Danach kann der Kläger einen restlichen Kaufpreis in Höhe von 13.516,67 EUR
zurückverlangen. Die Klage war abzuweisen, soweit der Kläger die Bezahlung eines höheren Betrages
begehrt.
Dagegen kommt ein weiterer Abzug wegen des bei dem Fahrzeug Ende Mai 2004 aufgetretenen
Motorschadens nicht in Betracht. Denn zu diesem Zeitpunkt befand sich die Beklagte mit der Rücknahme
des Fahrzeuges in Verzug. Gemäss § 300 Abs. 1 BGB hat der Schuldner während des Verzuges des
Gläubigers (mit der Rücknahme des Fahrzeuges) nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Dass
der Motorschaden auf Vorsatz
oder grober Fahrlässigkeit des Klägers beruht, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Minderwert des
Fahrzeuges wegen des Motorschadens geht damit zu Lasten der Beklagten.
3. Nachdem sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges durch das klägerische Schreiben vom
11. September 2003 in Verzug befand, ergibt sich das Feststellungsinteresse des Klägers insoweit aus §
274 BGB und kann der Kläger Verzugszinsen gemäß § 288 Abs. 1 BGB verlangen.
4. Die Beklagtenschriftsätze vom 22. und 25. Oktober 2004 geben der Kammer keine Veranlassung zur
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Sie ändern nichts an der nach den vorliegenden
Umständen festgestellten Pflicht der Beklagten zur Einsichtnahme in die Reparaturunterlagen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf
§ 709 ZPO.
gez. Marx