Urteil des LG Itzehoe vom 29.03.2017

LG Itzehoe: abrechnung, treu und glauben, verbrauch, schreibfehler, energie, verjährungsfrist, zahlungsverweigerung, zugang, kostenregelung, hauptsache

1
2
3
4
5
6
7
8
Gericht:
LG Itzehoe 9.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 S 6/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 30 AVBEltV, § 30 AVBGasV,
§ 30 AVBWasserV
Abrechnung von Energie- und Wasserkosten: Zulässigkeit
der Erhebung von Einwänden gegen Rechnungen und
Abschlagsforderungen von Energieversorgern
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Pinneberg vom
10.01.2006 - Aktenzeichen: 65 C 49/05 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
I.
Die Klägerin betreibt ein Energieversorgungsunternehmen und begehrt Zahlung
für Lieferungen aus einem Energieversorgungsvertrag für Strom, Gas, Wasser und
Schmutzwasser. Das Amtsgericht hat die Klage nach teilweiser Erledigung der
Hauptsache hinsichtlich des verbliebenen Restbetrages weit überwiegend
abgewiesen und die Berufung in dem Urteil zugelassen. Die Abweisung der Klage
im Übrigen ergibt sich dabei unzweifelhaft aus der Kostenregelung sowie den
Enscheidungsgründen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren restlichen erstinstanzlichen
Zahlungsantrag weiter.
Die Klägerin ist der Ansicht, das Amtsgericht habe die Vorschrift des § 30 AVBEltV
fehlerhaft angewendet und zudem ihre Schlussrechnung vom 31.12.2004 (Anlage
K 6, Bl. 53 d.A.) rechtsfehlerhaft ignoriert. Zudem habe das Amtsgericht
rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen der Verjährung bejaht. Die Klägerin sei
berechtigt gewesen, die Zahlungen des Beklagten mit der ältesten Forderung zu
verrechnen, da keine Zahlungsbestimmung getroffen worden sei. Der Beklagte
habe nur Abschlagszahlungen, aber keine Vorauszahlungen geleistet.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Pinneberg vom
10.01.2006 zu verurteilen, an die Klägerin weitere 500,07 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.01.2005 zu
zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts
Pinneberg vom 10.01.2006 (Bl. 65- 69 d.A.) wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1
Nr. 1 ZPO).
Entscheidungsgründe
II.
9
10
11
12
13
16
17
18
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Klägerin steht über den zugesprochenen Betrag von 24,74 EUR zzgl. Zinsen
hinaus kein weiterer Anspruch auf Zahlung aus dem Energieversorgungsvertrag
gegen den Beklagten zu.
Zu Recht hat das Amtsgericht die weitergehende Klage abgewiesen, wie sich
unzweifelhaft aus der Kostenentscheidung und den Entscheidungsgründen ergibt.
1. Zutreffend geht das Amtsgericht in seinen Entscheidungsgründen davon aus,
dass der Beklagte nicht gemäß § 30 AVBEltV daran gehindert ist, Einwände gegen
die von der Klägerin vorgelegten Schlussrechnungen zu erheben.
Nach § 30 AVBEltV und den gleichlautenden Regelungen der § 30 AVBGasV sowie
§ 30 AVBWasserV darf der Kunde Einwände gegen Rechnungen und
Abschlagsforderungen des Versorgungsunternehmens nur erheben, wenn sich aus
den Umständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen, und die
Zahlungsverweigerung innerhalb von 2 Jahren nach Zugang der fehlerhaften
Rechnung geltend gemacht wird.
Ein offensichtlicher Fehler ist nach Auffassung der Kammer jedoch nicht nur dann
gegeben, wenn die in der Rechnung aufgeführten Zahlbeträge rechnerisch nicht
das geforderte Entgelt stützen, also ein bloßer Rechenfehler bei Addition der
aufgeführten Entgelte bzw. ein Schreibfehler vorliegt. Eine solche Auslegung gibt
bereits der Wortlaut der §§ 30 AVBEltV, 30 AVBGasV, 30 AVBWasserV nicht her.
Dort ist eindeutig und unzweifelhaft von offensichtlichen Fehlern die Rede, die sich
„aus den Umständen“ ergeben. Unter den Begriff der „Umstände“ sind nach
Auffassung der Kammer die gesamten Umstände des Vertragsverhältnisses zu
fassen. Die Regelung der § 30 AVBEltV, § 30 AVBGasV und § 30 AVBWasserV soll
dem Energieversorgungsunternehmen nicht die Möglichkeit einer willkürlichen
Abrechnung eröffnen. Dies wäre aber gegeben, wenn der Kunde lediglich Einwände
auf aus der Rechnung ersichtliche Additions- und Schreibfehler stützen könnte.
Denn dann könnte das Unternehmen irgendwelche fiktiven Beträge in die
Rechnung einstellen, sogar den falschen Stromzähler abrechnen, ohne dass der
Kunde Einwände erheben könnte, solange nur der Rechenweg rechnerisch korrekt
ist, also die Endsumme durch Addition der vorstehenden Beträge getragen wird.
Eine Offensichtlichkeit, also eine ins Auge springende Fehlerhaftigkeit der
Rechnungen liegt jedoch nach Auffassung der Kammer nach den Umständen
zumindest dann vor, wenn unstreitig in dem Abrechnungszeitraum geleistete
Zahlungen ersichtlich nicht vollständig in der Rechnung aufgeführt werden.
Insofern bedarf es keines Sachverständigengutachtens oder umfangreicher
Tatsachenfeststellungen, deren Erfordernis einen offensichtlichen Fehler
ausschließen würden (vgl. LG Berlin ZMR 2003, 678), sondern nur der Überprüfung
der in der Rechnung aufgeführten Zahlungen.
Hier hat die Klägerin selbst vorgetragen, dass der Beklagte im Jahr 2004
Zahlungen in Höhe von insgesamt 2.290,75 EUR geleistet habe. Aus ihrer
Abrechnung Anlage K 1 (Bl. 3 d.A.) ergibt sich dieser Betrag jedoch nicht. Dort sind
vielmehr nur Zahlungen in Höhe von 1.475,19 EUR aufgeführt. Wenn aber
unstreitig ist, dass weitaus höhere Zahlungen geleistet wurden, ergibt sich aus den
Umständen des Vertragsverhältnisses ein offensichtlicher Fehler der Abrechnung.
Denn es wird gerade nicht deutlich, was die Klägerin mit dem Restbetrag getan
hat. Offenbar wusste die Klägerin dies noch nicht einmal selbst, wenn sie zunächst
mit Schriftsatz vom 09.06.2005 behauptete, die Rückstände des Beklagten für die
Vorjahre hätten sich auf 618,29 EUR belaufen und seien mit den restlichen
Zahlungen verrechnet worden, dann erklärte, die Rückstände hätten 655,56 EUR
betragen und schließlich in der letzten Abrechnung Rückstände in Höhe von
815,56 EUR aufführte.
2. Auch wenn die Klägerin diesen Fehler der Abrechnung in der zuletzt vorgelegten
Abrechnung vom 31.12.2004 (Anlage K 6) korrigiert hat, führt dies nicht zu einem
weitergehenden Erfolg, als ihn das Amtsgericht zuerkannt hat. Denn der
Zahlungsanspruch der Klägerin ist jedenfalls in Höhe von 500,07 EUR verjährt, und
auch bei Berücksichtigung der letzten Abrechnung vom 31.12.2004 (Bl. 53 d.A.)
ergibt sich kein weitergehender Zahlungsanspruch der Klägerin, als ihn das
Amtsgericht zuerkannt hat.
a. Die Regelung der §§ 30 AVBEltV, 30 AVBGasV, 30 AVBWasserV schließt nach
18
19
20
21
22
23
24
25
a. Die Regelung der §§ 30 AVBEltV, 30 AVBGasV, 30 AVBWasserV schließt nach
Auffassung der Kammer nicht die Erhebung der Einrede der Verjährung aus. Der
Regelung der §§ 30 AVBEltV, 30 AVBGasV, 30 AVBWasserV liegt die Intention
zugrunde, dass der Kunde abgesehen von offensichtlichen Fehlern die Rechnung
zunächst bezahlen soll und seine Einwände dann erst im Rückforderungsprozess
geltend machen kann. Es widerspräche aber Treu und Glauben, den Kunden zu
etwas verurteilen zu lassen, was dieser sogleich zurückfordern könnte, weil die
Forderung ersichtlich verjährt ist. Dieser der Rechtsordnung immanente Grundsatz
(dolo agit qui petit quod statim redditurus est) wird durch die Regelung der §§ 30
AVBEltV, 30 AVBGasV, 30 AVBWasserV nicht ausgehebelt.
Die von dem Beklagten erhobene Einrede der Verjährung führt dazu, dass der
Klägerin kein Anspruch über den nach dem amtsgerichtlichen Urteil zuerkannten
Betrag hinaus zusteht.
Zu Recht hat das Amtsgericht den Rückstand, welcher aus den Energielieferungen
für die Jahre bis einschließlich 2000 resultierte, mit 500,07 EUR festgestellt. Dabei
handelt es sich exakt um jenen Betrag, welchen die Klägerin selbst in der
unstreitigen Auflistung ihrer Forderungen vom 30.12.2003 (Anlage K 4 (Bl. 24-26a
d.A.) aufgeführt hat. Dort heißt es auf Seite 3 der Aufstellung (Bl. 26 d. A.)
ausdrücklich „Restforderung aus Rg. 2000: 500,07 €“. Dass die Klägerin ihre
Abrechnungen für die jeweiligen Abrechnungszeiträume jährlich erstellt und mithin
spätestens im Jahr 2001 für das Jahr 2000 erteilt hat, bestreitet sie selbst nicht.
Zudem ist allgemein bekannt, dass Energieversorgungsunternehmen ihre
Abrechnungen jährlich stets nach Ablauf eines Kalenderjahres erteilen. Dies hat
die Klägerin unstreitig auch im vorliegenden Fall getan, wie die vorgelegten
Abrechnungen der Jahre 2004 und 2003 zeigen. Insofern war es ausreichend, wenn
der Beklagte sich auf die Erhebung der Einrede der Verjährung beschränkte. Denn
die Anknüpfungstatsachen für die Berechnung der Verjährungsfrist, welche
Rechtsfrage ist, waren unstreitig. Die Ausführungen des Amtsgerichts in dem
angefochtenen Urteil zu der Berechnung der Verjährungsfrist lassen keinen
Rechtsfehler erkennen. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem
angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Zu Recht hat das Amtsgericht auch ausgeführt, dass die Einrede der Verjährung
hinsichtlich der Altforderungen nicht deshalb ins Leere geht, weil die
Altforderungen schon getilgt worden wären. Denn der Beklagte hat konkludent
eine Zahlungsbestimmung dahingehend getroffen, die laufenden
Vorauszahlungen bzw. Abschlagszahlungen für das Jahr 2004 zu bedienen, so dass
die Klägerin nicht berechtigt war, seine im Jahr 2004 geleisteten Zahlungen auf die
Rückstände zu verrechnen.
Unstreitig - dies hat der Beklagte bereits in der Klageerwiderung unbestritten
vorgetragen - hat der Beklagte seit Jahren versucht, die Diskrepanzen in den
Abrechnungen der Klägerin zu klären. Gerade weil er sich über die Diskrepanzen
bereits seit Jahren beschwerte, durfte und konnte die Klägerin nicht davon
ausgehen, dass der Beklagte auf die alten Abrechnungen leisten wollte. Vielmehr
durfte sie seine Zahlungen nur dahingehend verstehen, dass dieser die
fortlaufenden Entgelte bedienen wollte, aber gerade nicht die Rückstände.
Fehl geht die Ansicht der Klägerin, bei den Zahlungen des Beklagten habe es sich
um Abschlagszahlungen im Sinne von Zahlungen auf die Rückstände des
Vorjahres gehandelt. Die Klägerin hat in der Abrechnung vom 26.01.2004 für das
Jahr 2003 (Bl. 40 d.A.) ausdrücklich ausgeführt: „Für das nächste Abrechnungsjahr
ergeben sich aus Ihrem bisherigen Verbrauch folgende neue Abschläge“ und hat
damit die Abschlagszahlungen für das kommende Abrechnungsjahr 2004, also das
hier streitgegenständliche Abrechnungsjahr angefordert. Schon aus der
eindeutigen Zahlungsaufforderung ergibt sich, dass die Zahlungen „für das
nächste Abrechnungsjahr“, also den Zeitraum nach der letzten Abrechnung
geleistet werden sollten, mithin für 2004 und gerade nicht für den abgerechneten
Abrechnungszeitraum des Jahres 2003.
Soweit die Klägerin rügt, dass das Amtsgericht ihre zuletzt eingereichte
Abrechnung nicht berücksichtigt hat, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg der
Berufung. Diese Abrechnung führt zwar formal die geleisteten Zahlungen des
Beklagten im Jahr 2004 vollständig auf. Der Beklagte kann der Abrechnung
gleichwohl die Einrede der Verjährung entgegenhalten, insoweit wird auf
obenstehende Ausführungen Bezug genommen.
b. Selbst wenn man die Abrechnung vom 31.12.2004 (Bl. 53 d.A.) sowie die
25
26
27
28
29
30
b. Selbst wenn man die Abrechnung vom 31.12.2004 (Bl. 53 d.A.) sowie die
eingetretene Verjährung berücksichtigt, ergibt sich auch kein höherer
Zahlungsanspruch der Klägerin.
Betrachtet man die Abrechnung, ergibt sich ein Verbrauch für das Jahr 2004 in
Höhe von 2.515,32 EUR, dem aufgeführte Zahlungen in Höhe von insgesamt
2.290,75 EUR gegenüberstehen. Insofern verbleibt eine Restforderung für das Jahr
2004 in Höhe von 224,57 EUR. Der Beklagte hat während des Prozesses 515,32
EUR gezahlt, womit er jedoch - wie das Amtsgericht zutreffend erkannt hat - nach
dem objektiven Empfängerhorizont keine Zahlung auf die Rückstände, sondern
nach seinem Vorbringen für das Jahr 2004 leisten wollte. Es ergibt sich mithin ein
Guthaben zugunsten des Beklagten in Höhe von 290,75 EUR.
Dem steht ein Rückstand aus den Vorjahren bis einschließlich 2003 in Höhe von
insgesamt 815,56 EUR gegenüber, von welchem 500,07 EUR verjährt sind. Mithin
besteht ein unverjährter Rückstand in Höhe von 315,49 EUR. Abzüglich des
Guthabens von 290,75 EUR ergibt sich mithin der vom Amtsgericht zuerkannte
restliche Betrag von 24,74 EUR.
Im Übrigen wird auf die zutreffenden Gründe des amtsgerichtlichen Urteils
ergänzend Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10,
711, 713 ZPO.