Urteil des LG Itzehoe vom 13.03.2017

LG Itzehoe: beweislastumkehr, grobe fahrlässigkeit, unfall, persönliche freiheit, körperliche unversehrtheit, heimbewohner, aufwand, dusche, klageerweiterung, pflegepersonal

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Gericht:
LG Itzehoe 7.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 O 246/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 199 BGB, § 280 Abs 1 BGB, §
611 BGB, § 823 BGB, § 286
ZPO
Beweislast bei Unfällen in Pflegeheimen; grobe
Fahrlässigkeit bezüglich der Unkenntnis über die Person
des Täters
Leitsatz
1. Kommt es in enem Pflegeheim zu einem Unfall des Betreuten, so kehrt sich die
Beweislast für eine Pflichtverletzung der Pflegepersonals nur ausnahmsweise dann um,
wenn der Unfall bei tätigkeiten geschieht, die mit erhöten Verfahren verbunden sind.
2. Der Berechtigte befindet sich in grob fahrlässiger Unkenntnis der Person des
Schuldners, wenn er die ladungsfähige Adrese ohne großen Aufwand ermitteln kann.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus übergangenem Recht.
Die Klägerin ist eine allgemeine Ortskrankenkasse mit Sitz in Schleswig-Holstein.
Sie ist Krankenversicherer des Herrn ...
Die Beklagte zu 1. ist Trägerin des Pflegeheims ..., ... Seit 1997 lebte Herr ...
aufgrund eines Schädelhirntraumas mit Tetraplegie (Lähmung aller vier
Extremitäten) und eines Polytrauma, verursacht durch einen Autounfall in dem
Pflegeheim. Zwischen der Beklagten zu 1. und ... bestand ein Heimvertrag,
wonach im Rahmen der stationären Pflege gegen Entgelt bestimmte
Pflegeleistungen durch die Beklagte erbracht werden mussten. Herr ... erhielt die
Pflege der Stufe 3. Bis auf das tägliche Setzen in einen Rollstuhl durch das
Pflegepersonal war Herr ... bettlägerig, weder geh- noch stehfähig, zu
eigenständigen Bewegungen weitgehend außerstande und das Baden und
Duschen wurde vom Pflegepersonal übernommen. Während der Pflege des Herrn
... im Hause der Beklagten sind Fixierungsmaßnahmen nicht genehmigt oder
angewendet worden, das Pflegegutachten des medizinischen Dienstes der
Krankenkassen von 1997 hat zusätzliche Sicherungen oder Fixierungen nicht
vorgesehen
Am Morgen des 15.03.2005 kam es zu einem Unfall in den Räumen der Beklagten
zu 1. Da Herr ... von den Beklagten zu 2. und 3. geduscht werden sollte, wurde er
von den Beklagten zu 2 und 3 in einen Duschstuhl gesetzt. In der Dusche fiel er
auf den Boden und zwar entweder aus dem Duschstuhl. oder mit dem Duschstuhl
um. Wie es genau zu dem Sturz kam, ist zwischen den Parteien streitig. Bei dem
Sturz zog Herr ... sich eine dislozierte Humeruskopffraktur am rechten Arm zu. Er
musste zur ärztlichen Behandlung in ein Krankenhaus gebracht werden und blieb
dort bis zum 30.03.2005. Die durch den Unfall entstandenen Kosten wurden von
der Klägerin als Versicherer des Herrn ... übernommen und bezahlt. Der Unfall
wurde der Klägerin durch den Betreuer des Herrn ... unter dem 17.3.2005
gemeldet. Zu den Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlage 4 (Bl. 262
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gemeldet. Zu den Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlage 4 (Bl. 262
d.A.). Die Klägerin wandte sich zwecks Ausgleich einer angeblichen Forderung
wegen von ihr aufgewandter Heilungskosten in Höhe von 5.074,01 € an die hinter
der Beklagten zu 1. stehende Haftpflichtversicherung, mahnte diese mit Schreiben
vom 17.11.2005 ab und setzte eine Frist zum Ausgleich der Forderung bis zum
05.12.2005.
Mit der Klage macht die Klägerin Ersatz ihrer behaupteten Aufwendungen für die
Behandlung des ... aufgrund des Unfalls aus übergegangenem Recht geltend.
Sie behauptet, die Beklagten seien den Nebenpflichten aus dem
Betreuungsverhältnis im Rahmen des Heimvertrages nicht nachgekommen. Die
Klägerin behauptet insbesondere, die Beklagte zu 2. und 3. hätten Herrn ... im
Rahmen der Pflegehandlung Körperreinigung in der Weise auf einen Duschstuhl
gesetzt, dass Herr ... das Gleichgewicht verloren habe und mit dem Stuhl
umgekippt sei. Sie behauptet weiter, Herr ... sei, wie sich aus dem Pflegegutachen
von 1997 ergebe, hoch sturzgefährdet gewesen. Die körperlichen
Kontrollfunktionen für ein eigenständiges Sitzen auf einem Duschstuhl seien bei
Herrn ... nicht vorhanden, er sei vielmehr außerstande eine Körperspannung
aufzubauen, um einen Sturz im Sitzen zu vermeiden. Die Beklagten hätten dies
erkennen müssen
Die Klägerin ist der Auffassung, auf Grund der körperlichen Verfassung des Herrn
..., wie sie sich aus dem Gutachten ergebe, seien die Beklagte bzw. die von ihr
eingesetzten Pfleger verpflichtet gewesen, Herrn ... während des Duschens zu
halten oder technisch zu sichern. Aufgrund der fehlenden Körperbeherrschung sei
durch das Pflegepersonal beim Duschen eine durchgängige, unfallverhindernde,
körpernahe Betreuung und unmittelbare Zugriffsmöglichkeit zu gewährleisten
gewesen, um ein Umkippen zu verhindern. Diese sei unterblieben, weswegen es zu
dem Unfall gekommen sei.
Die Klägerin behauptet, die Behandlungskosten aufgrund des Unfalls seien in der
von ihr geltend gemachten Höhe entstanden. Insbesondere die Behandlung im
Krankenhaus vom 15.03.2009 bis zum 30.03.2009 habe Kosten in Höhe von
4.039,81 € verursacht, eine Fallpauschale in Höhe von 120,75 € und unfallkausale
Kosten für Physiotherapie und Wegegebühren in Höhe von 831,50 € seien
angefallen.
Mit Schriftsatz vom 26.02.2009 hat die Klägerin die Klage auf die Beklagte zu 2.
und den Beklagten zu 3. erweitert. Weiterhin hat sie sie die Klage um 831,50 €
nebst Verzugszinsen hierauf ab Zustellung der Klagerhöhung wegen weiterer
unfallkausaler Kosten, Physiotherapie und Wegegebühren, für die Zeit vom
23.05.2005 bis zum 18.11.2005 erhöht. Am 07.04.2009 ist der richterliche Hinweis
ergangen, dass die Klageerweiterung unzulässig sein dürfte, da es an einem
vollständigen Rubrum fehle. Mit Schriftsatz vom 11.04.2009 hat die Klägerin die
Klageerweiterung bezüglich der Beklagten zu 2. und 3. gemäß Schriftsatz vom
26.02.2009 zurückgenommen und hat einen Antrag auf Nichterhebung der Kosten
wegen unrichtiger Sachbehandlung gestellt.
Am 14.04.2009 hat die Klägerin die Klage wiederum erweitert auf die Beklagte zu
2. und den Beklagten zu 3.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 5.905,51 €
nebst Verzugszinsen hierauf in Höhe von p.a. fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz hinsichtlich der Beklagten zu 1. allein auf 5.074,01 € ab dem
06.12.2005, sowie auf 831,50 € ab Zustellung der Klagerhöhung, zu den Beklagten
zu 2. und 3. auf 5.905,51 € ab Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, der Unfall sei nicht aufgrund eines Betreuungsfehlers
passiert. Herr ... sei, nachdem er von den Beklagten zu 2. und 3. im Duschraum
entkleidet worden sei, von beiden Beklagten gemeinsam in den Duschstuhl
gesetzt worden und in eine aufrechte Sitzhaltung positioniert worden, in der ein
Umkippen mit dem Stuhl unmöglich gewesen sei. Herr ... habe in diesem Fall, wie
grundsätzlich auch, eine sich zurücklehnende Sitzhaltung gegen die stabile
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grundsätzlich auch, eine sich zurücklehnende Sitzhaltung gegen die stabile
Rückenlehne des Stuhls eingenommen. In dieser Haltung bedürfe es zum sicheren
Sitzen keiner eigenen Körperkontrolle und keiner besonderen Fixierung. In der
Position sei Herr ..., so wie immer, verblieben und der Beklagte zu 3. habe das
Duschen begonnen. Unvorhersehbar habe Herr ... dann eine plötzliche und heftige
Bewegung mit dem Oberkörper gemacht, so dass er den Halt verloren habe. Herr
... sei dadurch aus dem Duschstuhl heraus gestürzt und zu Boden gefallen, der
Stuhl sei dabei mit umgefallen. Bis zum Zeitpunkt des Unfalls sei eine plötzlich
auftretende Bewegungsstörung bei Herrn ... beim Sitzen im Roll- oder Duschstuhl
nie aufgetreten, ebenso wenig eine willkürliche oder unwillkürliche Veränderung
seiner Bewegungsabläufe. Herr ... habe sich bei den Betreuungsleistungen immer
sehr ruhig und kooperativ gezeigt. Die Beklagten zu 2. und 3. seien schon mehrere
Jahre in der Altenpflege tätig und seien mit Herrn ... und seinem Krankheitsbild
vertraut gewesen. Die Erfahrungen mit Herrn ... und sein gesundheitlicher Zustand
hätten beim Duschen keine jederzeitige, unmittelbare Zugriffsmöglichkeit
verlangt. Die Beklagten meinen, ein Festhalten oder eine Fixierung in irgendeiner
Form wäre eine Maßnahme gewesen, die einen unnötigen und unzulässigen
Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Herrn ... bedeutet hätte.
Die Beklagten behaupten, die Anspruchshöhe sei nicht korrekt berechnet worden.
Die Beklagten meinen, dass ein eventueller Schadensersatzanspruch gegen sie
verjährt sei. Sie haben die Verjährungseinrede erhoben.
Die Beklagten zu 2. und 3. seien zumindest Herrn ... bekannt gewesen. Sie
meinen, diese Kenntnis begründe auch eine Kenntnis der Klägerin. Die Person des
Beklagten zu 3. sei der zudem Klägerin bereits bekannt gewesen, da sie diesen in
ihrer Klageschrift selbst erwähnt habe. Es sei davon auszugehen, dass ihr auch die
Beklagte zu 2. bekannt gewesen sei.
Die Klage gegen die Beklagte zu 1. ist am 26.11.2008 bei Gericht eingegangen
und wurde der Beklagten zu 1. am 21.01.2009 zugestellt. Die Klagen gegen die
Beklagte zu 2. und 3. wurden am 01.04.2009 zugestellt.
Am 24.09.2009 ist der Beschluss des Landgerichts Itzehoe ergangen, dass die
außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. und 3. der Klägerin auferlegt
werden, soweit sie durch die Klageerweiterung vom 26.2.2009 veranlasst sind.
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die jeweiligen Schriftsätze
sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 24. September 2009
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin ist klagebefugt. Mögliche Schadensersatzansprüche, die Herrn ...
gegen die Beklagten zustehen, gehen gemäß § 116 Abs.1 SGB X auf die Klägerin
als leistungspflichtigen Versicherungsträger über.
Die Klageerweiterung der Klägerin in Form einer Parteierweiterung ist zulässig. Die
Beklagten zu 1., 2. und 3. erfüllen die Voraussetzungen der §§ 59ff. ZPO und die
Erweiterung in diesem Verfahren ist sachdienlich gem. § 263 2. Alt. ZPO. Auch die
zwischenzeitlich nach Klagerücknahme erneut erweiterte Klage bezüglich der
Beklagten zu 2. und zu 3. ist gem. ZPO bis zum Beginn der mündlichen
Verhandlung zulässig, da die Beklagten den Einwand der Kosterstattung (§ 269
Abs. 3 ZPO) nicht erhoben haben.
Klageerweiterung um einen Betrag in Höhe von 831, 50 € ist gemäß § 264 Nr.2
ZPO zulässig.
Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht kein nach § 116 Abs. 1 SGB X
übergegangener Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zu.
Ein Anspruch aus §§ 280 Abs.1, 611, 278 BGB aus Verletzung einer vertraglichen
Nebenpflicht aus dem Heimvertrag oder aus unerlaubter Handlung ihrer
Pflegekräfte (§831 BGB) ist nicht gegeben.
Allerdings erwuchsen der beklagten Heimträgerin aus den jeweiligen
Heimverträgen Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der
ihre anvertrauten Heimbewohner. Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die
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ihre anvertrauten Heimbewohner. Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die
in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und
personellen Aufwand realisierbar sind (OLG München Verse 2004, 618, 619; LG
Essen VersR 2000, 893). Maßstab müssen das Erforderliche und das für die
Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein (OLG Koblenz aaO). Dabei
ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde
sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu
schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die
Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (vgl. § 2 Abs. 1
Nr. 1 und 2 HeimG)
Allerdings kann nicht generell, sondern nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung
sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden, welchen
konkreten Inhalt die Verpflichtung hat, einerseits die Menschenwürde und das
Freiheitsrecht eines alten und kranken Menschen zu achten und andererseits sein
Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen. Dass diese Schutzpflicht
vorliegend verletzt ist, ist jedenfalls nicht bewiesen Im vorliegenden Fall ist der
Unfallhergang im Einzelnen nicht mehr aufklärbar. Die Anhörung der Beklagten zu
2 nach § 141 ZPO hat keine Anhaltspunkte ergeben, die für eine Pflichtverletzung
der Beklagten sprechen, die Beklagten zu 2 und 3 haben diese vielmehr
glaubwürdig in Abrede gestellt.
Der Klägerin kommen auch keine Beweiserleichterungen im Sinne einer
Beweislastumkehr zugute. Allein aus dem Umstand, dass Herr ... im Bereich des
Pflegeheims der Beklagten gestürzt ist und sich dabei verletzt hat, kann nicht auf
eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals der Beklagten geschlossen
werden. Über den genauen Unfallhergang befinden sich die Parteien im Streit, er
ist nicht im Einzelnen aufklärbar. Darlegungs- und beweispflichtig für eine
Pflichtverletzung ist grundsätzlich die Klägerin als Anspruchsstellerin. Ein
Beweisantritt fehlt trotz Hinweis des Gerichts.
Im vorliegenden Fall ergibt sich auch keine Beweislastumkehr zugunsten der
Klägerin. Eine Beweislastumkehr unterliegt strengen Voraussetzungen und ist nur
in Ausnahmen und in den von der Rechtssprechung entwickelten Fallgruppen
zulässig. Eine solche entwickelte Fallgruppe ist die Beweislastumkehr bei der Arzt-
und Krankenhaushaftung, die auch auf eine Heimhaftung übertragbar ist (vgl. BGH
NJW 1991, 1540ff.).; Gegenteiliges lässt sich für den vorliegenden Fall insbesondere
nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 1990 (VI
ZR 169/90 = NJW 1991, 1540 f = VersR 1991, 310 f) herleiten. Der VI. Zivilsenat
hat dort ausgeführt, die Beweislastumkehr nach § 282 BGB a.F. (nunmehr § 280
Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.) könne nach dem Sinn der Beweisregel auch den Nachweis
eines objektiven Pflichtverstoßes des Schuldners umfassen, wenn der Gläubiger im
Herrschafts- und Organisationsbereich des Schuldners zu Schaden gekommen sei
und die den Schuldner treffenden Vertragspflichten (auch) dahin gegangen seien,
den Gläubiger gerade vor einem solchen Schaden zu bewahren. Daraus hat der VI.
Zivilsenat für den damals zu beurteilenden Sachverhalt die Folgerung gezogen,
wenn ein Patient im Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme
der ihn betreuenden Krankenschwester aus ungeklärten Gründen das Übergewicht
bekomme und stürze, so sei es Sache des Krankenhausträgers, aufzuzeigen und
nachzuweisen, dass der Vorfall nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der
Pflegekraft beruhe (ähnlich OLG Dresden NJW-RR 2000, 761 für die Ursache des
Sturzes einer Pflegeheimpatientin, die sich in Begleitung und Betreuung einer
Pflegekraft befunden hatte). Um eine derartige Konstellation ging es hier nicht.
Herr ... befand sich nicht in einer konkreten Gefahrensituation, die gesteigerte
Obhutspflichten auslöste und deren Beherrschung einer speziell dafür
eingesetzten Pflegekraft anvertraut worden war. Vielmehr ging es hier (lediglich)
um den normalen, alltäglichen Gefahrenbereich, der grundsätzlich in der
eigenverantwortlichen Risikosphäre der Geschädigten verblieb. Soweit die Klägerin
dem gegenüber meint, es bestehe eine generelle Beweislastumkehr, wird
verkannt, dass es bei der Beweislastumkehr jeweils nur darum gehen kann, ob in
der konkreten Unfallsituation eine Sicherungspflicht bestanden hatte, die gerade
die Schädigung ausschließen sollte. Demgegenüber bestehen gegen die Annahme
einer generellen Beweislastumkehr durchgreifende auch grundrechtliche
Bedenken.
Vielmehr bedarf die Annahme eine Beweislastumkehr einer Reduzierung auf Fälle,
in denen sich evident eine Verletzung der Fürsorgepflichten durch den
Heimbetreiber bzw. dessen Personal aufdrängt. Die generelle Annahme einer
Beweislastumkehr für Pflegetätigkeiten ist nämlich geeignet, dem Interesse der
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Beweislastumkehr für Pflegetätigkeiten ist nämlich geeignet, dem Interesse der
behinderten Heimbewohner an möglichst großer Erhaltung der ihnen verbliebenen
Beweglichkeit, Selbstbestimmung und Menschenwürde zu schaden. Muss nämlich
der Heimbetreiber im Streitfall nachweisen, dass bei Unfällen anlässlich von
Pflegetätigkeiten ein Pflichtverletzung seitens seines Personals nicht vorliegt,
könnte er schon aus Gründen der Beweissicherung und, um eine ungerechtfertige
Inanspruchnahme zu vermeiden, dazu neigen, den Heimbewohner in möglichst
weitem Umfang in seiner Bewegungsfreiheit zu beschränken. Da die
Krankenversicherer mitunter, wie auch im vorliegenden Fall die Pflegekräfte mit
verklagen, , sie somit als Zeugen nicht zur Verfügung stehen, begründet die
Annahme einer Beweislastumkehr die Gefahr, dass Heimbetreiber weit über den
gebotenen Umfang hinaus nicht nur die Kontrolldichte durch die Pflegekräfte
erhöhen, sondern mechanische Fixierungen der Heimbewohner veranlassen.
Dementsprechend hat in der Vergangenheit in der Folge, weniger der oben
genannten Entscheidung des BGH als der teils noch weitergehenden
Rechtsprechung einzelner Instanzgerichte eine massive Erhöhung der Zahl der
Anträge auf gerichtliche Genehmigung von Fixierungen stattgefunden, unter
Berufung auf die Haftungsrisiken der Heimbetreiber,. Eine Rechtsprechung, die
den Grund jedenfalls aber eine Vorwand liefert Heimbewohner möglichst in Ihrer
Bewegungsfreiheit zu beschränken, ist letztlich nicht geeignet, die Würde sowie die
Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und
die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der
Bewohner zu wahren und zu fördern (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HeimG), Sie dient
damit letztlich nicht dem Interesse des Heimbewohners und Vertragspartners des
Heimbetreibers sondern dem finanziellen Interesse der Krankenversicherer im
Schadensfall Rückgriff nehmen zu können.
Dementsprechend wird für vergleichbare Unfallhergänge auch in der
Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eine Beweislastumkehr abgelehnt (OLG
Hamm NJW-RR 2003, 30, 31; OLG München aaO).
Das Oberlandesgericht Koblenz weist nicht ohne Grund darauf hin, dass dasjenige,
was sich dem medizinischen Dienst der im Schadensfall eintrittspflichtigen
Krankenkasse an Sicherungsmaßnahmen nicht aufdrängt, sich bei unverändertem
Befund auch der Leitung eines Altenheims nicht aufdrängen muss. Dies gilt trotz
des Umstandes, dass das Gutachten der Feststellung der Pflegebedürftigkeit und
der Zuordnung zu der entsprechenden Pflegestufe diente. Dieser beschränkte
Zweck des Gutachtens ändert nichts daran, dass dort auch Vorschläge zur
Versorgung in der stationären Pflegeeinrichtung sowie zur Ausstattung mit
Pflegehilfsmitteln vorzusehen waren und derartige Empfehlungen auch - in
anderen Bereichen - tatsächlich erteilt wurden. Dass aus der Sicht des
Pflegepersonals keine besonderen weitergehenden Maßnahmen ergriffen zu
werden brauchten, wird indiziell dadurch bestätigt, dass in der Folgezeit, nach
Erstattung des Gutachtens Herr ... über einen Zeitraum von mehr als acht Jahren
sturzfrei geblieben war.
Hinzu kommt folgendes: Die von der Klägerin geforderten Sicherungsmaßnahmen
hätten, da sie nicht durch eine konkrete, einzelfallbezogene Gefahrensituation
gefordert wurden, nur abstrakt-generalisierend, d.h. auf Dauer, getroffen werden
müssen, um die allgemeine Gefahr eines Sturzes zu bannen. In gleicher Weise
hätte Herr ... auch im Rollstuhl fixiert oder festgehalten, jedenfalls aber ständig von
vorn kontrolliert werden müssen, da auch in einem solchen das gleiche Risiko
besteht. Damit aber hätten sie den Charakter von Maßnahmen erhalten, die ihn
über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen und deshalb
der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht bedurft hätten ( § 1906 Abs.
4 BGB ). Die Beklagte hatte indessen aus den vorgenannten Gründen keinen
hinreichenden Anlass, von sich aus auf eine derartige Entscheidung des
Vormundschaftsgerichts hinzuwirken. Unstreitig hat es trotz der
Schwerpflegebedürftigkeit des Herrn ... in den 8 Jahren zuvor keinen Unfall
gegeben.
Die Forderung, unaufgefordert in dem Umfang wie es die Klägerin Für erforderlich
hält, Hilfe zu leisten, würde auf eine lückenlose Überwachung durch die Mitarbeiter
des Pflegeheims hinauslaufen. Dies würde über das einem Pflegeheim
wirtschaftlich Zumutbare hinausgehen und zudem auch den verfassungsrechtlich
geschützten Interessen der Heimbewohner an der Wahrung ihrer Privatsphäre
widersprechen.
Grundsätzlich entscheidet über die ihn beeinträchtigende, seine Bewegungsfreiheit
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Grundsätzlich entscheidet über die ihn beeinträchtigende, seine Bewegungsfreiheit
einschränkende Maßnahme der Betreute selbst, sofern er dazu (noch) in der Lage
ist (vergl. Staudinger-Bienwald, BGB § 1906 Rn 419). Solche Maßnahmen sind
keine vertraglich geschuldeten Leistungen; sie gehören nicht zur
Betreuungsleistung der Einrichtung, solange nicht der Betreute mit ihnen als
vertraglicher Leistung einverstanden ist (Eingriffsgestattung).
Die Voraussetzungen für eine derartige Beweislastumkehr liegen in diesem Fall
jedoch nicht vor. Die Tatsache, dass der Unfall sich im Bereich des Pflegeheims
ereignete, begründet noch keine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten. Eine
Beweislastumkehr nach der vorbenannten Rechtsprechung setzt vielmehr voraus,
dass es sich um Risiken handelt, die von dem Träger des Heims und des Personals
voll beherrscht werden können. Diese Risiken liegen zum Beispiel in Bezug auf die
Organisation und Koordination des Behandlungsgeschehens vor.
Nicht ausreichend für eine Beweislastumkehr sind Billigkeitgründe im Einzelfall,
denn "Unbilligkeiten" als solche sind mit jeder Beweislastentscheidung verbunden.
Vielmehr unterliegt eine Beweislastumkehr strengen Voraussetzungen und ist nur
in den von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen möglich, weil das
Prozeßrisiko kalkulierbar bleiben muss, ( BGH, Urteil vom 17.12.1996, NJW-RR
1997, 892 ). Im Streitfall ist danach eine Beweislastumkehr zwar nicht von
vorneherein ausgeschlossen. Vielmehr trifft es zwar zu, dass auf die Heimhaftung,
um die es hier geht, die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für eine
Beweislastumkehr im Rahmen der Arzt- und Krankenhaushaftung ( hierzu BGH,
Urteil vom 18.12.1990, VersR 1991, 310 ) anwendbar sind. Deren
Voraussetzungen sind aber nicht dargetan. Denn eine Beweislastumkehr setzt
nach der vorgenannten Entscheidung voraus, dass es um Risiken geht, die von
dem Träger des Heims und dem dort tätigen Personal voll beherrscht werden
können, (BGH, a.a.O.). Dass die Schädigung der Versicherten im voll
beherrschbaren Gefahrenbereich der Beklagten erfolgt ist, lässt sich aber dem
Vortrag der Klägerin nicht entnehmen.
Allein der Umstand, dass die Versicherte in den Räumlichkeiten der Beklagten zu
Schaden gekommen ist, besagt noch nicht, dass sich dieser Vorgang auch in
ihrem beherrschbaren Gefahrenbereich abgespielt hat. Die Klägerin verkennt
insoweit, dass bei der Beurteilung der Frage, ob ein Behinderter zu seinem
eigenen Schutz beim Duschen technisch zu sichern, wie es die Klägerin nennt oder
gar festzuhalten ist, wie es die Klägerin fordert, der Wille des Behinderten seine
Menschenwürde und sein Grundrecht auf persönliche Freiheit, dass Recht
alleingelassen zu werden, maßgeblich sind, nicht aber das Interesse seines
Versicherers an der Vermeidung von Unfällen. Ein körperbehinderter Mensch hat
demgemäß dass Recht, selbst darüber zu bestimmen, ob er unter der Dusche
festgehalten oder gar fixiert wird. Etwas anders könnte allenfalls dann gelten, wenn
der Behinderte beim Duschen besonderen Gefahren ausgesetzt wäre, die er nicht
übersehen. kann.
Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr sind danach nicht gegeben.
Der Unfall ereignete sich vorliegend zwar im generellen Gefahrenbereich der
Beklagten, nämlich beim Ausführen einer Pflegemaßnahme, dem Duschen. Der
Unfall war aber keine spezifische Gefahr, die sich aus dem Betreuungsverhältnis
zwischen Herrn ... und den Beklagten realisierte. Der Unfall hätte genauso bei
einem gesunden Menschen passieren können. Es ist ein Risiko, welches jeden
treffen kann. gerade deshalb von der Beklagten zu 1. und ihren Pflegern im
allgemeinen keiner besonderen Sicherungsmassenahmen bedurfte .Beherrschbar
mit allen zumutbaren Maßnahmen zu kontrollieren war die Situation nur, wenn das
und
entsprach unter der Dusche fixiert , festgehalten oder auch nur unmittelbar
räumlich dicht kontrolliert zu werden.. Dies ist jedoch vorliegend nicht dargetan
oder sonst ersichtlich. Vielmehr hat die Beklagte hierzu vorgetragen, dass Herr ...
in den 8 Jahren seines Aufenthalts in gleicher Weise geduscht hat, wie im
streitgegenständlichen Fall, die haben die Beklagten zu 2 und 3, soweit es in ihrer
Kenntnis war , glaubhaft bestätigt. Unstreitig hat Herr ... während des
vorangegangenen Zeitraums keine Unfall erlitten. Ebenso wenig hat die Klägerin
dargetan, dass Herr ..., der sich zwar schwer artikulieren kann aber geistig nicht
behindert ist, Hilfe unter der Dusche begehrt hätte und nicht ungestört duschen
wollte.
Soweit die Klägerin demgegenüber allein darauf abstellen will, ob Herr ... objektiv
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Soweit die Klägerin demgegenüber allein darauf abstellen will, ob Herr ... objektiv
eines Festhaltens oder einer Fixierung oder Kontrolle auf dem Duschstuhl bedurft
hätte, verkennt sie die Reichweite der Grundrechts des Herrn ... auf
Menschenwürde und freie Selbstbestimmung, das “Grundrecht, allein gelassen zu
werden”, das notwendig verbunden ist mit bestimmten Gefahren. (vergl hierzu
OLG Saarbrücken, 4 U 318/07). Dem diesbezüglichen Beweisantritt war daher nicht
nachzugehen.
Die Klägerin konnte danach nicht nachweisen, dass der Sturz auf einer
Pflichtverletzung der Beklagten zu 2.und 3. und somit auch gemäß § 278 BGB der
Beklagten zu 1. zurechenbaren Handlung beruhte. Sie ist diesbezüglich
beweisfällig geblieben;
Aus den vorgenannten Gründen ist auch kein Anscheinsbeweis des Inhalts
anzunehmen, dass der Beklagte nicht ordnungsgemäß auf den Duschstuhl
gesetzt worden ist. Denn es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass nur wer
nicht ordnungsgemäß auf einen Stuhl gesetzt worden ist, von diesem herunter fällt
oder mit diesem umfällt. Vielmehr kann dies durch jede unwillkürliche Bewegung
ausgelöst werden.
Der Klägerin steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs.1 BGB gegenüber den
Beklagten zu 2. und 3. und aus § 831 Abs.1 BGB gegenüber der Beklagten zu 1.
zu. Hinsichtlich des Beklagten zu 3 wäre der Anspruch ohnehin verjährt. Denn die
Klägerin hatte bereits mit Eingang der Schadenmeldung Kenntnis, jedenfalls
grobfahrlässige Unkenntnis von den Tatsachen, die nach ihrer Auffassung eine
Haftung begründen. Grob Fahrlässige Unkenntnis von der Person des Schädigers
liegt nämlich schon dann vor wenn der Anspruchsinhaber dessen Namen kennt,
seine ladungsfähige Anschrift ohne erheblichen Aufwand ermitteln kann und
Tatsachen kennt, nach denen sich seine Beteiligung an der (vermeintlich)
schädigenden Handlung aufdrängt.
So liegt es hier jedenfalls hinsichtlich des Beklagten zu 3. Denn bereits in der
Schadenmeldung ist der Beklagte zu 3 als beim Unfall gegenwärtiger Pfleger
benannt, unter Nennung der Beklagten zu 1 als Arbeitgeber. Dessen
ladungsfähige Anschrift war demgemäß ohne Aufwand über die Beklagte zu 1 zu
ermitteln, wenn nicht am Arbeitsplatz zugestellt werden konnte. Dass er nur als
Zeuge bezeichnet ist, ist unerheblich da er als anwesender Pfleger bezeichnet war
und andere nicht in Betracht kamen. Es hätte sich danach, wenn die Klägerin
Zweifel gehabt, hätte jedenfalls aufgedrängt, nachzufragen. Dass dies nicht
geschehen ist, ist als grob fahrlässig anzusehen,
Die Klage scheitert jedenfalls an einer Beweisführung für eine Pflichtverletzung der
Beklagten, die die Klägerin aus den genannten Gründen zu erbringen hatte. Eine
Beweislastumkehr kommt insoweit ohnehin nicht in Betracht, weil die Beklagten zu
2 und 3 keine vertraglichen Pflichten gegenüber dem Herrn ... trafen.
Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1,709 ZPO. Soweit die
Klägerin Niederschlagung der durch die von Ihrem Prozessbevollmächtigten
zunächst zurückgenommene Klagerweiterung auf die Beklagten zu 2 und 3
beantragt, war dem nicht zu entsprechen. Unabhängig davon dass besondere, von
der Klägerin zu erstattende Gerichtskosten nicht entstanden sein dürften, fehlt es
für eine Niederschlagung schon deshalb an einer Grundlage weil die Kosten allein
dadurch verursacht worden sind dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die
Klage zurückgenommen hat, anstatt den unvollständigen und damit unwirksamen
Schriftsatz hinsichtlich seiner Mängel nachzubessern, was unproblematisch
möglich ist und keinerlei Kosten ausgelöst hätte.