Urteil des LG Itzehoe vom 13.03.2017

LG Itzehoe: höhere gewalt, abnahme des werkes, negative feststellungsklage, rohbau, unternehmer, vollstreckung, wand, versicherungsrecht, aufruhr, vergütung

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Gericht:
LG Itzehoe 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 O 346/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 7 Nr 1 VOB B
Preisgefahrverteilung beim VOB-Vertrag:
Vergütungsanspruch des Bauunternehmers für
Sturmschädenbeseitigung an teilerrichtetem Haus in der
Nordseeküstenregion
Leitsatz
Windstärken von 70 - 80 km/h (9 Beaufort) sind in der Nordseeküstenregion auch im
September nicht als höhere Gewalt oder anderer unabwendbarer Umstand nach § 7 Nr.
1 VOB/B anzusehen und führen nicht dazu, dass der Unternehmer für die Beseitigung
der am bereits teilweise errichteten Werk entstandenen Schäden eine Vergütung
verlangen kann.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht zur Zahlung der Rechnung Nr. 04.156
des Beklagten vom 27.09.2004 über die Beseitigung von Sturmschäden am
Rohbau des Einfamilienhauses S.-Straße 23 in B. in Höhe von 5.011,73 EUR
verpflichtet ist.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits und die der Streithilfe.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung des
Klägers und die der Streithelferin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der
jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger beauftragte den Beklagten mit Werkvertrag vom 07.06.2004 mit
Maurer- und Betonarbeiten zur Errichtung des Einfamilienhauses S.-Straße 23 in B.
Am Sonntag den 12.09.2004 ruhten die Arbeiten an dem Bauvorhaben. Durch den
an diesem Tag herrschenden Wind, dessen Stärke zwischen den Parteien streitig
ist, stürzten eine bereits vom Beklagten errichtete, in Richtung der Garage
belegene Giebelwand im Obergeschoss des Rohbaus sowie eine hinter der
Giebelwand befindliche Querwand und eine in der Mitte des Rohbaus quer zu den
Giebeln verlaufende Wand ein. Teile des Giebels stürzten auf den Rohbau der
Garage und beschädigten das dortige Mauerwerk. Die Beklagte beseitigte diese
Schäden und verlangte von der Klägerin für diese Arbeiten mit Rechnung vom
27.09.2004 Zahlung in Höhe von 5.011,73 EUR. Bei der Streithelferin handelt es
sich um die Bauwesenversicherung des Klägers, die eine Regulierung des
Schadens ablehnte.
Der Kläger behauptet, am 12.09.2004 hätten in B. Windstärken von weniger als 7
Beaufort (Bt.) geherrscht, jedenfalls seien in Cuxhaven weniger als 7 Bt., in Hohn 8
Bt. und in Bremerhaven weniger als 7 Bt. gemessen worden. Diese Windstärken
seien für die Jahreszeit auch üblich, wie eine Auswertung des VdS
Schadenverhütung für die letzten 10 Jahre belege. Der Beklagte habe das
Mauerwerk des Rohbaus offenbar zu wenig gesichert.
Der Kläger und die Streithelferin beantragen,
festzustellen, dass der Kläger nicht zur Zahlung der Rechnung Nr. 04.156
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festzustellen, dass der Kläger nicht zur Zahlung der Rechnung Nr. 04.156
des Beklagten vom 27.09.2004 über die Beseitigung von Sturmschäden am
Rohbau des Einfamilienhauses S.-Straße 23 in B. in Höhe von 5.011,73 EUR
verpflichtet ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Angaben des Klägers zu den Windstärken seien unzutreffend, vielmehr hätten
in Spitzenböen Windstärken von 76 bis 86 km/h, entsprechend 9 Bt. geherrscht. Es
könne daher nicht mehr von normalen Witterungsverhältnissen im
versicherungsrechtlichen Sinne gesprochen werden. Die Mitarbeiter des Beklagte
hätten ausreichende Sicherheitsvorkehrungen getroffen, insbesondere eine Wand
zur Aussteifung gemauert, die Außengiebel mit U-Schalungen, Brettern und
Drempeln gesichert und die Innenwände mit Rohrstützen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet, denn der Beklagte hat keinen Anspruch auf die
gesonderte Vergütung der Beseitigung der Sturmschäden vom 12.09.2004.
I.
Das Landgericht Itzehoe ist zuständig aufgrund des nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO
bindenden Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Meldorf vom 19.08.2005 (Bl.
23 d.A.). Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der negativen
Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO sind gegeben. Der Beklagte hat sich mit
der Rechnungsstellung vom 27.09.2004 einer Forderung gegen den Kläger
berühmt und der Kläger hat ein berechtigtes Interesse daran, dass gerichtlich
festgestellt wird, dass diese Forderung nicht besteht.
II.
Die negative Feststellungsklage ist auch begründet, denn die von dem Beklagten
geltend gemachte Forderung besteht nicht.
Nach allgemeinem Werkvertragsrecht trägt der Unternehmer die Preisgefahr bis
zur Abnahme des Werkes, § 644 Abs. 1 S. 1 BGB. Selbst wenn, wie von dem
Beklagten behauptet, im vorliegenden Fall die VOB/B Anwendung fände, so hätte
der Beklagte gleichwohl keinen Vergütungsanspruch für die Beseitigung der
Sturmschäden vom 12.09.2004, denn die Voraussetzung für den Übergang der
Preisgefahr auf den Kläger nach der insoweit allein in Betracht kommenden
Vorschrift des § 7 Nr. 1 VOB/B liegen nicht vor. Hiernach hat der Unternehmer
einen gesonderten Vergütungsanspruch, wenn die von ihm bereits ganz oder
teilweise ausgeführte Leistung vor der Abnahme durch höhere Gewalt, Krieg,
Aufruhr oder andere objektiv unabwendbare vom Auftragnehmer nicht zu
vertretende Umstände beschädigt oder zerstört wird. Bereits die Auflistung der
Umstände, die zum Übergang der Preisgefahr auf den Auftraggeber führen, zeigt,
dass es sich um ganz außergewöhnliche und für niemanden vorhersehbare
Umstände handeln muss. Solche Umstände lagen aufgrund der Windverhältnisse
in Brunsbüttel am 12.09.2004 nicht vor. Selbst wenn man die Angaben des
Beklagten als richtig unterstellt und davon ausgeht, dass in Spitzenböen
Windstärken von 86 km/h, entsprechend 9 Bt., geherrscht haben, so ist dies für die
Nordseeküstenregion im September nicht ungewöhnlich und schon gar nicht als
Umstand anzusehen, der mit anderen Umständen höherer Gewalt wie Krieg und
Aufruhr vergleichbar wäre (vgl. Ingenstau/Korbion-Oppler, VOB, 15. Aufl. 2004, § 7
VOB/B Rn. 15). Auf die Behauptung des Beklagten, der Kläger habe vorprozessual
davon gesprochen, dass Windstärken von 11 Bt. geherrscht haben, kommt es
nicht an, denn der Kläger hat diese Behauptung im Rechtsstreit nicht
aufrechterhalten, sondern geht von 7 - 8 Bt. aus. Der Beklagte hat sich die
Behauptung auch nicht ausdrücklich zu eigen gemacht und auch nicht selbst
dargelegt, dass derartige Windverhältnisse geherrscht haben. Vielmehr geht der
Beklagte von 9 Bt. aus. Es kann daher auch dahinstehen, ob dem OLG Bremen
(BauR 1997, S. 854) in seiner Auffassung zu folgen ist, in der Küstenregion der
Nordsee sei in den Wintermonaten sogar mit Stürmen von bis zu 12 Bt. zu
rechnen. Jedenfalls sind in dieser Region auch im September Windstärken von 9 Bt.
keine Seltenheit und daher vorauszusehen. Dies gilt umso mehr, als sogar in der
Region Niederrhein mit derartigen Windverhältnissen gerechnet werden muss (OLG
Düsseldorf, NJW-RR 1992, 1440).
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Es kommt auch nicht darauf an, ob die Mitarbeiter des Beklagten die behaupteten
Sicherungsmaßnahmen getroffen haben. Wenn das Mauerwerk bereits bei einer
Windstärke von 9 Bt. eingestürzt ist, dann ergibt sich bereits hieraus, dass die
Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend waren.
Schließlich ist auch unerheblich, dass im Versicherungsrecht bereits bei
Windstärken von 8 Bt. nicht mehr von „normalen Witterungseinflüssen“
gesprochen wird. Denn es geht vorliegend nicht um einen Anspruch aus einer
Sachschadenversicherung, sondern um die Verteilung der Preisgefahr zwischen
Auftraggeber und Auftragnehmer eines Werkvertrages. Die Regelung in § 7 Nr. 1
VOB/B setzt andere Maßstäbe als die des § 1 Nr. 2 der Allgemeinen Bedingungen
über die Sturmversicherung (AStB) oder § 8 Nr. 1 der Allgemeinen
Wohngebäudeversicherungsbedingungen (VGB).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 101 ZPO. Die übrigen
Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.