Urteil des LG Heilbronn vom 26.09.2016

strafrichter, haftrichter, akteneinsicht, untersuchungshaft

LG Heilbronn Beschluß vom 26.9.2016, 8 Qs 39/16
Leitsätze
1. Wird dem Untersuchungsgefangenen im Rahmen der unverzüglichen Bestellung eines Verteidigers eine
Benennungsfrist gesetzt ist auch bei sprachunkundigen Ausländern eine Woche als angemessen anzusehen.
2. Die Aufhebung einer nach Ablauf der Benennungsfrist erfolgten Verteidigerbestellung setzt ein zerrüttetes
Vertrauensverhältnis oder das Vorliegen der allgemeinen Austauscherfordernisse voraus.
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Heilbronn vom 8. August 2016 wird als
unbegründet
v e r w o r f e n .
Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine insoweit entstandenen notwendigen
Auslagen.
Gründe
I.
1 Der Angeklagte ist in vorliegender Sache, nach vorläufiger Festnahme am Vortag, am 14. Mai 2016 dem
Haftrichter beim Amtsgericht Heilbronn vorgeführt worden. Dieser hat den seitens der Staatsanwaltschaft
beantragten Haftbefehl erlassen und in Vollzug gesetzt. Zeitgleich hat er den Angeklagten über die
Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO belehrt und ihm eine Frist von einer Woche
zur Benennung eines Verteidigers gesetzt.
2 Mit Beschluss vom 25. Mai 2016 hat der Haftrichter dem Angeklagten sodann Rechtsanwalt St. aus H. als
Verteidiger bestellt, nachdem die gesetzte Benennungsfrist fruchtlos verstrichen war.
3 Mit auf den 23. Mai 2016 datiertem Schreiben, welches der Angeklagte innerhalb der JVA Schwäbisch Hall
am 25. Mai 2016 zur Weiterbeförderung übergeben hat und welches am 27. Mai 2016 bei der
Staatsanwaltschaft Heilbronn und nach Weiterleitung am 30. Mai 2016 beim Amtsgericht Heilbronn einging,
hat der Angeklagte beantragt, ihm Rechtsanwältin S. aus T. als Pflichtverteidigerin zu bestellen. Der
Haftrichter hat dem Angeklagten hierauf Gelegenheit gegeben, Gründe für die verspätete Benennung und
den nunmehr notwendigen Austausch des Pflichtverteidigers vorzutragen. Hierauf hat der Angeklagte über
Rechtsanwältin S. mitgeteilt, dass die gesetzte Frist in Ansehung seiner Sprachunkundigkeit unangemessen
kurz gewesen sei.
4 Mit Beschluss vom 13. Juni 2016 hat der Haftrichter den Pflichtverteidigeraustausch abgelehnt.
5 Mit Schriftsatz seines neuen Verteidigers Rechtsanwalt Sch. vom 18. Juni 2016 hat der Angeklagte sodann
beantragt, dieser möge ihm nunmehr, unter gleichzeitiger Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt St.,
zur Seite gestellt werden. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Bestellung von Rechtsanwalt St. sei
rechtsfehlerhaft erfolgt und dieser habe ihn überdies noch nicht besucht.
6 Mit Schreiben vom 23. Juni 2016 hat er sodann "Einspruch" eingelegt und nochmals die Bestellung von
Rechtsanwalt Sch. beantragt. Zur Begründung hat er weiter vorgetragen, er habe die im Rahmen der
Haftvorführung erteilte Belehrung so verstanden, dass ihm eine zweiwöchige Benennungsfrist eingeräumt
worden sei.
7 Die Staatsanwaltschaft Heilbronn hat mit Anklageschrift vom 17. Juni 2016, eingegangen beim Amtsgericht
Heilbronn am 21. Juni 2016, Anklage vor dem Strafrichter erhoben.
8 Mit angefochtenem Beschluss vom 8. August 2016 hat der Strafrichter den Pflichtverteidigeraustausch
abgelehnt.
9 Mit Schriftsatz von Rechtsanwalt Sch. vom 28. August 2016 hat der Angeklagte Beschwerde gegen den
abgelehnten Pflichtverteidigeraustausch eingelegt. Zur Begründung verweist er auf seinen bisherigen
Vortrag.
10 Mit Beschluss vom 29. August 2016 hat der Strafrichter zwischenzeitlich die Anklagen der
Staatsanwaltschaft Heilbronn vom 17. Juni 2016 und 15. Juli 2016 zugelassen und das Hauptverfahren
eröffnet.
II.
11 Die Beschwerde ist zulässig.
12 Ihrer Statthaftigkeit steht § 305 S. 1 StPO nicht entgegen. Die umstrittene Frage, ob die Bestellung
und/oder Entpflichtung von Verteidigern überhaupt § 305 S. 1 StPO unterfällt, ist vorliegend deshalb nicht
entscheidungsrelevant, weil der Strafrichter zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung
noch nicht erkennender Richter i.S.v. von § 305 S. 1 StPO war, sondern erst mit der nachfolgenden
Eröffnung des Hauptverfahrens geworden ist.
13 Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
1.
14 Soweit der Angeklagte vorträgt, bereits die ursprüngliche Bestellung von Rechtsanwalt St. zum
Pflichtverteidiger sei rechtsfehlerhaft, ist dies unzutreffend. Vielmehr ist dem unverteidigten Beschuldigten
in Fällen zu vollstreckender Untersuchungshaft gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO unverzüglich ein Verteidiger
zu bestellen (§ 141 Abs. 3 S. 4 StPO). Zwar ist dem Angeklagten eine Benennungsfrist einzuräumen, wenn
er dies wünscht oder Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass er sich der Tragweite eines
Benennungsverzichtes nicht bewusst ist (OLG Düsseldorf NJW 2011, 1618; OLG Koblenz StV 2011, 349).
Vorliegend wurde dem Angeklagten jedoch auf seinen Wunsch eine einwöchige Benennungsfrist eingeräumt
und abgewartet. Die Behauptung, eine solche sei insbesondere bei sprachunkundigen Ausländern zu kurz,
ist unzutreffend, da sie sich nicht mit der gesetzgeberischen Intension verträgt, dem in Untersuchungshaft
befindlichen Beschuldigten zeitnah einen Verteidiger zur Seite zu stellen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59.
Auflage, § 141 Rn. 3a).
15 Der weitergehende Vortrag, der Angeklagte habe die Belehrung und Fristsetzung nicht verstanden, ist
unwahr. In Ansehung des Protokolls der haftrichterlichen Vernehmung kann kein Zweifel daran bestehen,
dass der Angeklagte, der sich umfangreich zur Sache eingelassen hat, mit Hilfe des Dolmetschers in der Lage
war, das ihm vorgehaltene und mitgeteilte intellektuell zu erfassen und hierauf angemessen zu reagieren.
Er hat vielmehr die ihm gesetzte Frist schlicht versäumt.
2.
16 Wenn jedoch - wie dargelegt - die Bestellung rechtsfehlerfrei erfolgt ist, ist ein Austausch des gerichtlich
bestellten Verteidigers grundsätzlich nur dann möglich, wenn vorgetragen und glaubhaft gemacht wird, dass
das Vertrauensverhältnis zwischen Angeklagtem und Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und
deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann (BGHSt
39, 310; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 207).
17 Der Angeklagte hat jedoch keine Umstände vorgetragen, die diese Annahme in objektiver Hinsicht
rechtfertigen würde. Soweit hierzu vorgebracht wird, Rechtsanwalt St. habe den Angeklagten nicht
unmittelbar nach dessen Inhaftierung besucht, weshalb die gerichtliche Fürsorgepflicht seine Entpflichtung
gebiete, überzeugt dies nicht. Vielmehr müssen gewichtige Gründe dargetan werden, die aus der Sicht eines
verständigen Angeklagten einen nachhaltigen Vertrauensverlust begründen. Zwar ist in Fällen
schwerwiegender Inhaftierungsgründe, in denen der bestellte Verteidiger über einen Zeitraum von zwei
Monaten gar keinen Kontakt zum Beschuldigten aufnimmt, die Annahme eines zerstörten
Vertrauensverhältnisses naheliegend (OLG Braunschweig StV 2012, 719). Vorliegend hat Rechtsanwalt St.
jedoch sofort nach seiner Bestellung schriftlichen Kontakt zum Angeklagten aufgenommen und ihm
mitgeteilt, dass er Akteneinsicht beantragen und ihn nach Erhalt der Akte besuchen werde. Diese
Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden. Vielmehr handelt der Verteidiger gar kostenrechtlich sinnvoll,
wenn er ein Gespräch, für welches überdies ein Dolmetscher erforderlich ist, erst dann führt, wenn er nach
genossener Akteneinsicht die Einzelheiten des Falles mit dem Beschuldigten sinnvoll besprechen kann.
18 Im Ergebnis ist daher in Ermangelung entgegenstehender Tatsachen davon auszugehen, dass Rechtsanwalt
St. nach wie vor für eine sachgerechte und ordnungsgemäße Verteidigung Gewähr bietet.
3.
19 Liegen die Voraussetzungen eines zerstörten Vertrauensverhältnisses - wie hier - nicht vor, ist ein
Austausch des Pflichtverteidigers zuletzt nur dann möglich, wenn der bisherige Verteidiger seiner
Entpflichtung zustimmt, durch den Verteidigerwechsel keine Verfahrensverzögerung eintritt und der
Angeklagte die der Staatskasse entstehenden Mehrkosten durch nach § 58 Abs. 3 RVG verrechenbare
Vorschusszahlung ausgleicht und dies durch Vorlage entsprechender Zahlungsbelege dem Gericht
nachweist.
20 Ein Gebührenverzicht des bisherigen oder des neu zu bestellenden Verteidigers ist dabei gemäß § 49b Abs. 1
S. 1 BRAO unzulässig (OLG Bremen NStZ 2014, 358; OLG Naumburg, Beschluss vom 14.04.2012, 2 Ws
52/10; OLG Köln, StV 2011, 659 und StraFo 2008, 348; OLG Jena, JurBüro 2006, 365).
21 Auch das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist derzeit nicht ersichtlich.
4.
22 Eine Entpflichtung des bestellten Verteidigers wäre abschließend allenfalls dann vorzunehmen, wenn der
nach wie vor ein Wahlmandat führende Rechtsanwalt Sch. anzeigen würde, dass er dieses bis zum
Verfahrensabschluss fortführen werde. Dies erscheint jedoch in Ansehung des gestellten Entpflichtungs- und
Bestellungsantrages derzeit fernliegend. Frau Rechtsanwältin S. hat die Beendigung ihres Wahlmandats
bereits angezeigt.
III.
23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.