Urteil des LG Heidelberg vom 16.12.2016

wahrung der frist, treu und glauben, form, fonds

LG Heidelberg Urteil vom 16.12.2016, 3 O 156/16
Leitsätze
Es genügte nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung im Sinne von § 5a Abs. 2
Satz 1 VVG a.F., wenn der gebotene drucktechnisch hervorgehobene Hinweis auf die erforderliche Schriftform
des Widerspruchs zwar in einem mit den Versiche-rungsunterlagen übersandten Begleitschreiben enthalten ist,
jedoch im Versicherungsschein als dem maßgeblichen Vertragsdokument auf das Schriftformerfordernis nicht
hingewiesen wurde (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 30.07.2015 - IV ZR 63/13; OLG Karlsruhe, VersR
2016, 9081).
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 117.990,52 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.08.2016 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig
vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 130.653,24 EUR festgesetzt.
Der Streitwert ist nicht aus einer Addition der mit der Klage geltend gemachten 130.653,24 EUR sowie der
geltend gemachten Zinsen in Höhe von 50.777,47 EUR zu bestimmen.
Jedenfalls noch in der Klageschrift geht die Klägerseite davon aus, dass die Beklagte mit den eingezahlten
Beiträgen „Zinsen“ in der vorgenannten Höhe erwirtschaftet hat (AS 13). Dabei handelt es sich um
Nebenforderungen im Sinne des § 4 ZPO, die - auch in bezifferter Form - nicht streitwerterhöhend zu
berücksichtigen sind.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche der Klägerin nach erklärtem Widerspruch hinsichtlich eines
fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrags.
2 Die Parteien schlossen im April 2001 einen Versicherungsvertrag in Form des so genannten Policenmodells.
Die ursprüngliche Versicherungsscheinnummer lautete, mit Schreiben vom 29.10.2001 (Anlage K 7), wurde
der Klägerin mitgeteilt, dass der Vertrag künftig unter der Nummer geführt werde.
3 Auf Seite 3 des der Klägerin übersandten Versicherungsscheines (Anlage K 1) ist folgender Hinweis in
Fettdruck enthalten:
4
Widerspruchsrecht:
5
Nach § 5a Versicherungsvertragsgesetz steht Ihnen ein 14-tägiges Widerspruchsrecht zu. Die Versicherung
gilt auf Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den
Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als geschlossen, wenn sie nicht innerhalb von 14
Tagen nach Erhalt dieser Unterlagen der Versicherung widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die
rechtzeitige Absendung.“
6 In einem in anderen Fällen durch die Beklagte mit dem Versicherungsschein übersandten Anschreiben
(Anlage B 2), dessen Zugang bei der Klägerin vorliegend streitig ist, findet sich in Kursivdruck folgender
Hinweis:
7
Gemäß § 5a des Versicherungsvertragsgesetzes weisen wir Sie auf Ihr Widerspruchsrecht hin:
8
Der Versicherungsvertrag gilt auf Grundlage der oben genannten Unterlagen als abgeschlossen, wenn Sie
nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt dieser Unterlagen schriftlich widersprechen. Diese Frist beginnt
mit dem Tag, der auf den Tag des Erhalts dieser Unterlagen folgt. Zur Wahrung der Frist genügt die
rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“
9 Mit Schreiben vom 12.11.2015 widerrief die Klägerin den Versicherungsvertrag. Nachdem die Beklagte eine
Rückabwicklung ablehnte, ließ die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 10.02.2016 (Anlage K 3)
nochmals den Widerspruch erklären.
10 Die Klägerin zahlte auch nach erklärtem Widerspruch durchgehend die vertraglich vereinbarten
Versicherungsbeiträge, die sich zum 01.10.2016 auf insgesamt 133.067,65 EUR (AS 171, 205) summieren.
Die Beklagte hat den Sparanteil entsprechend den vertraglichen Vorgaben fondsgebunden angelegt.
Daneben fielen für die Beklagte bislang Risikokosten in Höhe von 139,56 EUR gemäß der Berechnung in
Anlage B 8 an.
11 Die Klägerin ist der Rechtsauffassung,
es fehle an einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung. Die ihr zugegangene Belehrung auf dem
Versicherungsschein entspreche nicht den Vorgaben der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen
Fassung des § 5a VVG. Selbst wenn man auf die zutreffende Belehrung in dem Anschreiben abstelle, führe
die Widersprüchlichkeit zwischen beiden Belehrungen zu einer insgesamt fehlerhaften
Widerspruchsbelehrung.
12 Die Klägerin trägt zudem vor,
sie habe keinerlei Informationen zur Ertragslage der Beklagten, so dass sie davon ausgehe, die Beklagte
habe - ungeachtet dessen, dass es sich vorliegend um eine fondsgebundene Versicherung handle - mit den
eingezahlten Versicherungsbeiträgen mindestens eine Rendite von 4,98 % p.a. erzielt. Nähere Angaben
dazu, wie und in welcher Form diese Rendite erzielt worden sei, werden nicht gemacht, wobei die Klägerin
der Rechtsauffassung ist, es treffe sie diesbezüglich keine Darlegungslast.
13 Sie beantragt,
14
1. Die Beklagte zu verurteilen, an sie 181.430,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu
bezahlen.
15
2. Festzustellen, dass die von der Klägerin bei der Beklagten abgeschlossene
fondsgebundene Rentenversicherung nach dem Tarif LR30F zur Versicherungsschein-Nr.: S-
03784050-1 durch den Widerruf der Klägerin mit Schreiben vom 12.11.2015 beendet ist.
16
3. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 2.611,93 EUR vorgerichtliche
Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz der EZB hieraus seit Klagezustellung zu bezahlen.
17 Die Beklagte beantragt,
18
die Klage abzuweisen.
19 Sie trägt vor,
die Klägerin habe das Anschreiben Anlage B 2 zwingend mit dem Versicherungsschein erhalten. Die
Versicherungsscheine würden standardmäßig mit einem solchen Anschreiben versandt. Zudem sei nur auf
diesem Anschreiben die - bei dem Versand durch einen Glasfensterumschlag sichtbare - Adresse des
Versicherungsnehmers verzeichnet, so dass ein Zugang des Versicherungsscheins ohne Anschreiben
ausgeschlossen sei. Die ab Oktober 2001 ausschließlich verwendete neue Versicherungsnummer sei
deswegen bereits auf dem Anschreiben genannt, da intern beide Nummern im März 2001 schon parallel
verwendet worden seien (AS 137 f.).
20 Der Stand des aus den Versicherungsbeiträgen gespeisten Fondsguthabens habe im Juli 2016 117.990,52
EUR betragen.
21 Die Beklagte ist der Rechtsauffassung,
selbst bei Unwirksamkeit der Widerspruchsbelehrung auf dem Versicherungsschein berühre dies nicht den
ordnungsgemäß erteilten Hinweis auf das Widerspruchsrecht in dem beigefügten Anschreiben. Jedenfalls sei
ein Widerspruchsrecht verwirkt.
22 Wegen des weiteren Vortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Diese waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
23 Auf Antrag der Parteien wurde mit Beschluss vom 07.10.2016 in das schriftliche Verfahren übergegangen
(AS 129).
Entscheidungsgründe
24 Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsantrags unzulässig, im Übrigen in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang begründet. Die Klägerin hat wirksam den Widerspruch erklärt, da sie jedoch trotz entsprechenden
Hinweises der Kammer nicht dargelegt hat, in welcher Form die Beklagte die Versicherungsbeiträge zur
Renditeerzielung verwendet haben soll und von welchem Fondsguthaben sie selbst ausgeht, kann ihr als
auszukehrender Betrag lediglich das nicht hinreichend bestrittene Fondsguthaben nach Vortrag der
Beklagten zuerkannt werden.
I.
25 Der Feststellungsantrag gemäß Ziff. 2 ist bereits aufgrund der zugleich erhobenen, auf das gleiche
Rechtsschutzziel gerichteten Leistungsklage unzulässig.
26 Das Rechtsschutzziel der Klägerin geht erklärtermaßen auf die Durchsetzung ihrer Leistungsansprüche
gegen die Beklagte aus der Rückabwicklung des Versicherungsvertrages. Ein weitergehendes Interesse
wurde nicht dargelegt. Damit ist die Feststellungsklage jedoch gegenüber der erhobenen Leistungsklage
subsidiär.
27 Ein Feststellungsinteresse fehlt dann, wenn dem Kläger ein im Vergleich zur Feststellungsklage einfacherer,
schnellerer und kostengünstigerer Weg mit einem im wesentlichen gleichwertigen Verfahrensergebnis zur
Verfolgung seines prozessualen Ziels offen steht. Dies ist zu bejahen, wenn die Erhebung einer bezifferten
Leistungsklage möglich und zumutbar ist (
Geisler in Prütting, ZPO-Kommentar, § 256 Rn. 12).
28 Zwar behauptet die Klägerin, dass ihr die Bezifferung ihrer Ansprüche nur schwer möglich sei, da sie als
Versicherungsnehmer die zutreffende Berechnung der geschuldeten Zinsen und Nutzungsentschädigungen
nicht kenne, dessen ungeachtet hat sie aber einen bezifferten Leistungsantrag gestellt. Zudem verkennt sie,
dass die Zivilprozessordnung selbst für den Fall der tatsächlich fehlenden Bezifferbarkeit aufgrund noch
ausstehender Auskünfte die Erhebung einer Stufenklage (§ 254 ZPO) vorsieht, die ebenfalls der Erhebung
einer Feststellungsklage vorgeht (zum Vorrang der Stufenklage vgl. Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 254 Rn. 2). Die
Stufenklage erlaubt die Stellung eines unbestimmten Leistungsantrags in Verbindung mit einem
Auskunftsbegehren, dessen Ziel darin liegt, die Bestimmtheit des Leistungsantrags herbeizuführen (BGH,
Urteil vom 29.03.2011, VI ZR 117/10, NJW 2011, 1815 Tz. 8 f.). Hier stünde der Klägerin - die
Unwirksamkeit des streitgegenständlichen Vertrags unterstellt - ein Auskunftsanspruchs gem. §§ 242, 812
BGB gegen die Beklagte zu. Denn ein dem Grunde nach feststehender Bereicherungsanspruch rechtfertigt
bei einem entsprechendem Informationsdefizit auf Seiten des Bereicherungsgläubigers als schuldrechtliche
Sonderrechtsbeziehung einen Auskunftsanspruch zur Bezifferung der Bereicherung (vgl.
Krüger in MüKo
BGB, 7. Auflage 2016, § 260 BGB Rn. 28; ähnlich OLG Köln, Teilurteil vom 19.12.2014 - 20 U 150/14,
BeckRS 2015, 03092). Die Klägerin hätte daher im Rahmen der Stufenklage die Möglichkeit, auf der ersten
Stufe von der Beklagten Auskunft über die gezogenen Nutzungen und die entstandenen Kosten zu
verlangen, um dann nach Erhalt der Auskunft ihren Leistungsantrag zu beziffern. Auch danach bleibt für
einen Feststellungsantrag kein Raum.
II.
29 Die im Übrigen zulässige Klage ist nur in Teilen begründet.
30 1. Die Klägerin konnte wirksam dem Zustandekommen des Versicherungsvertrags widersprechen, da die von
Beklagtenseite erteilte Widerspruchsbelehrung - selbst bei zugunsten der Beklagtenseite unterstelltem
Zugang des Anschreibens - wegen Widersprüchlichkeit unwirksam ist.
31 a) Die Klägerin hat fristgerecht den Widerspruch erklärt. Die erteilte Widerspruchsbelehrung ist unwirksam.
32 Zwar entspricht die Belehrung in dem Anschreiben den Anforderungen der im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses gültigen Fassung des § 5a VVG. Aufgrund der diesen Vorgaben nicht genügenden
Belehrung auf dem Versicherungsschein und der dadurch entstehenden Widersprüchlichkeit der Belehrung
ist insgesamt aber keine ordnungsgemäße Belehrung gegeben.
33 aa) Die Belehrung auf dem Versicherungsschein ist unwirksam, da sie nicht auf die erforderliche Schriftform
hinweist (vgl. etwa OLG Köln, VersR 2015, 179).
34 Der Begriff des „Absendens“ ist weder deckungsgleich mit dem Begriff der Schriftform, noch ist er als bloße
Ergänzung zu dem erteilten Hinweis auf die erforderliche Schriftform zu sehen. Ein „Absenden“ des
Widerspruchs ist auch bei einer nicht den - höheren - Erfordernissen der Schriftform entsprechenden
Erklärung möglich, etwa bei einer E-Mail. Insoweit unterscheidet sich die hiesige Konstellation von
derjenigen, in welcher aufgrund geänderter Gesetzeslage zu einem späteren Zeitpunkt lediglich eine
„Textform“ des Widerspruchs erforderlich war und mithin der Begriff des „Absendens“ nicht über die hiervon
erfassten verkörperten Erklärungen hinausgeht (so OLG Karlsruhe, VersR 2016, 9081, Tz. 39, juris). Auch
wenn man der Auffassung folgt, dass bei lediglich erforderlicher Textform durch die Verwendung des Begriffs
„Absendens“ eine Unklarheit ausgeschlossen ist, gilt dies aufgrund der fehlenden Deckungsgleichheit
hinsichtlich schriftlicher Erklärungen nicht.
35 Vielmehr ist der Begriff des „Absendens“ geeignet, die Fehlvorstellung zu erzeugen, es genüge etwa eine
nicht der Schriftform unterfallende E-Mail für einen formal ordnungsgemäßen Widerspruch. Schon deshalb ist
die Belehrung nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Urteil vom
29.07.2015 - IV ZR 384/14) nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG aF.
36 Entgegen der Ansicht der Beklagten führt es zu keinem anderen Ergebnis, wenn die Klägerin mit dem
Versicherungsschein auch das Anschreiben Anlage B 2 erhalten haben sollte. Zwar genügt die in dem
Anschreiben enthaltene Widerspruchsbelehrung mit dem Hinweis, dass der Versicherungsvertrag auf
Grundlage der genannten Unterlagen als abgeschlossen gelte, „
wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach
Erhalt dieser Unterlagen schriftlich widersprechen“, den damaligen gesetzlichen Anforderungen. Gleichwohl
verbleibt für den verständigen Versicherungsnehmer, der beide Widerspruchsbelehrungen liest, eine
erhebliche Unsicherheit und damit Unklarheit darüber, ob allein der Widerspruch in schriftlicher Form
ordnungsgemäß ist oder nicht bereits - gemäß der Belehrung im Versicherungsschein - auch ein Widerspruch
in elektronischer Form, etwa durch eine E-Mail, genügt. Im Zweifel wird er letzteres annehmen, weil es sich
bei dem Versicherungsschein - auch im Verständnis eines sorgfältigen Versicherungsnehmers - um das
maßgebliche bzw. wesentliche Vertragsdokument handelt. Jedenfalls bleibt in einem solchen Falle durch das
Nebeneinander einer richtigen und einer für sich genommen unrichtigen Widerspruchsbelehrung eine
Unklarheit bzw. Gesamtwidersprüchlichkeit, die die Belehrung als mit den Anforderungen gemäß § 5 a Abs.
2 S. 1 VVG aF nicht mehr vereinbar erscheinen lässt. Ob dies abweichend zu beurteilen wäre in dem Falle,
dass sich die unrichtige Widerspruchsbelehrung lediglich in den Allgemeinen Verbraucherinformationen, also
an eher untergeordneter und schwer auffindbarer Stelle befindet (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 30.07.2015
- IV ZR 63/13), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
37 bb) Der Widerspruch ist damit ungeachtet von § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG aF - der auch bei fehlender oder
unwirksamer Belehrung ein Ende der Widerspruchsfrist spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie
vorsah - nicht verfristet. Diese Vorschrift findet im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung in den Fällen
einer unzureichenden Widerspruchsbelehrung infolge richtlinienkonformer Auslegung keine Anwendung
(BGHZ 201, 101).
38 b) Die Klägerin hat ihr Recht zum Widerspruch auch nicht verwirkt. Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der
Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände
hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen
(Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem
Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde.
Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so
eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil
entstünde.
39 Vorliegend fehlt es jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers kann
nur bei ordnungsgemäßer Belehrung entstehen (vgl. BGHZ 201, 101; OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.5.2015 - Az.
12 U 122/12).
40 2. Hinsichtlich der Höhe des bereicherungsrechtlichen Anspruchs im Rahmen der Rückabwicklung sind die
erlangten Prämien sowie gezogene Nutzungen nach § 818 Abs. 1 BGB und Entreicherungen der Beklagten
nach § 818 Abs. 3 BGB zu berücksichtigen, was im Ergebnis dazu führt, dass lediglich das unstreitige
Fondsguthaben von 117.990,52 EUR herauszugeben ist.
41 a) Unstreitig ist zunächst die Höhe der von Klägerseite gezahlten Versicherungsbeiträge mit 133.067,65
EUR als erlangtes „etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 BGB. Dieser Betrag ist Ausgangspunkt der
bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung.
42 b) Ebenfalls unstreitig ist, dass der Sparanteil dieser Beiträge vertragsgemäß fondsgebunden angelegt
wurde, so dass nach den Regelungen des § 818 Abs. 1, Abs. 3 BGB grundsätzlich lediglich der dem
vorhandenen Fondsguthaben als commodum ex negotiatione cum re entsprechende Betrag als verbleibende
Bereicherung herauszugeben ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 01.06.2016 - Aktenzeichen IV ZR 482/14; BGH,
Urteil vom 11.11.2015 - IV ZR 513/14). Aus Fondsgewinnen resultierende Erträge sind als Nutzungen im
Sinne des § 818 Abs. 1 BGB anzusehen, Fondsverluste als Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB.
43 Denn auch Vermögensnachteile des Bereicherungsschuldners sind berücksichtigungsfähig, wenn sie bei
wirtschaftlicher Betrachtungsweise adäquat-kausal auf der Bereicherung beruhen (BGH, Urteil vom 29. 7.
2015 - Aktenzeichen IV ZR 384/14 Rn. 42; BGH, VersR 2016, 33). Die Fondsverluste sind vorliegend
insoweit adäquat kausal durch die Prämienzahlungen der Klägerin entstanden, als die Sparanteile der
Prämien vereinbarungsgemäß in Fonds angelegt worden sind.
44 c) Zu der Höhe dieses Fondsguthabens wird von Klägerseite nichts vorgetragen, insbesondere wird weder
die Höhe des Guthabens dargelegt noch wird auch nur ansatzweise auf die Entwicklung vergleichbarer
Fonds abgestellt.
45 aa) Dies ist insofern noch unschädlich, als dann zwar von gezogenen Nutzungen aus dem Sparguthaben
nicht ausgegangen werden kann, es aber grundsätzlich bei den eingezahlten Beiträgen als
Bereicherungsgegenstand verbleibt.
46 bb) Durch die Beklagtenseite wird allerdings eine Entreicherung im Sinne des § 818 Abs. 3 BGB behauptet,
indem für den Juli 2016 ein deutlich unter den eingezahlten Beträgen liegendes Fondsguthaben von nur
117.990,52 EUR vorgetragen wird. Dieser Vortrag ist nach den oben dargelegten Kriterien beachtlich, als
hier im Rahmen der Rückabwicklung relevante Vermögensnachteile dargelegt werden.
47 (1) Das von Beklagtenseite für den Juli 2016 mit 117.990,52 EUR angegebene - geminderte -
Fondsguthaben wird durch die Klägerseite nicht hinreichend bestritten, so dass die damit behauptete
Entreicherung gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen ist.
48 Die Klägerin behauptet lediglich pauschal, sie wisse nicht, wie sich ihr Fondsguthaben entwickelt habe. Sie
legt dabei jedoch nicht dar, weshalb sie trotz grundsätzlich bestehender jährlicher Unterrichtungspflicht
gemäß § 155 VVG und der Tatsache, dass es sich bei dem Fondsguthaben um einen Bestandteil ihres
eigenen Vermögens handelt, nicht in der Lage sei, Angaben zu der Höhe des Fondsguthabens zu machen.
Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist jedoch nur dann zulässig, wenn zuvor einfach zugängliche Informationen
abgefragt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 19. 4. 2001 - I ZR 238/98). Letzteres ist hier weder vorgetragen
noch sonst ersichtlich.
49 (2) Aufgrund des damit unstreitigen Fondsguthabens zeitnahe zu dem Zeitpunkt, der dem Schluss der
mündlichen Verhandlung entspricht, und mangels jeglichen Vortrags zu einer etwaigen Veränderung ist der
von Beklagtenseite vorgetragene letzte Stand des Guthabens als maßgeblich zugrunde zu legen.
50 d) Dazu, dass und ggf. in welchem Umfang die Beklagtenseite über die in dem Fondsguthaben angelegten
Sparanteile hinaus bereichert ist, trägt die Klägerseite - worauf die Kammer bereits mit Verfügung vom
30.09.2016 (AS 117) hingewiesen hat - nichts vor.
51 Insbesondere fehlt es an jeglichem Vortrag dazu, ob und, wenn ja, in welcher Höhe von der Beklagten neben
dem Deckungsbeitrag zur Todesfallabsicherung aus den Versicherungsbeiträgen Anteile entnommen wurden,
mithin der zum Erwerb der Fondsanteile verwendete Sparanteil nicht der Summe der eingezahlten Beiträge
entspricht.
52 Auch wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung mit gewisser Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein
dürfte, dass solche Anteile entnommen wurden, ist die Kammer ohne auch nur den Ansatz eines Vortrags
hierzu gehindert, von sich aus einen Abzug, etwa für Verwaltungskosten und Provisionszahlungen,
vorzunehmen. Da es bereits an dem bloßen Behaupten derartiger Abzüge fehlt - die lediglich dem Begriff
nach einmal, aber ohne erkennbaren Zusammenhang erwähnt werden (AS 113) -, ist auch die
Beklagtenseite nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast nicht gehalten, ihrerseits weiter
vorzutragen. Die sekundäre Darlegungslast führt lediglich dazu, dass ein in sich schlüssiger, aber pauschaler
Klägervortrag dann nicht pauschal bestritten werden kann (mit den Folgen des § 138 Abs. 3 ZPO), wenn
erkennbar ist, dass die Klägerseite aufgrund eines Informationsdefizits und fehlender
Aufklärungsmöglichkeiten zu einer näheren Substantiierung nicht in der Lage ist, die Beklagtenseite aber
über die zur Sachverhaltsaufklärung erforderlichen Informationen verfügt (vgl. BGH, NJW 1986, 3193
m.w.N.). Von den Anforderungen an einen schlüssigen Vortrag auf Klägerseite selbst befreit die nachrangige
Darlegungslast der Beklagtenseite nicht.
53 e) Der einzige vorhandene Vortrag der Klägerseite, dass die Beklagtenseite trotz Anlage jedenfalls der
Sparanteile in den vertraglich vereinbarten Fonds mit den gesamten (!) Versicherungsbeiträgen eine
jährliche Rendite von 4,98 % erzielt habe und deshalb inklusive gezogener Nutzungen nach § 818 Abs. 1
BGB eine verbleibende Bereicherung von 181.430,71 EUR bestehe, ist bereits aus sich heraus nicht
nachvollziehbar und daher unschlüssig.
54 Eine Wertsteigerung des Fondsguthabens um durchschnittlich 4,98 % p.a. wird gerade nicht behauptet,
vielmehr wird ausdrücklich vorgetragen, die Klägerin könne sich nicht zu dem Wert des Fondsguthabens
äußern. Wodurch sich der behauptete Gewinn sonst ergeben soll, kann mangels jedweden Vortrags nur
gemutmaßt werden; eine Vermutung dafür, dass bei Anlage der Versicherungsbeiträge in vertragsgemäß
bestimmten, ihrer Natur nach volatilen Fonds stets ein Gewinn durch das Versicherungsunternehmen erzielt
wird, besteht nicht (BGH, NJW 2016, 1388). Dahingehend, dass die Beklagtenseite die
Versicherungsbeiträge vertragswidrig nicht fondsgebunden angelegt, sondern frei am Kapitalmarkt investiert
und damit die entsprechende Rendite erzielt habe, kann der Vortrag angesichts der unbestritten
gebliebenen Einzahlung in die entsprechenden Fonds nicht verstanden werden.
55 f) Da über das unstreitige Guthaben zum Juli 2016 hinaus die Klägerin weder zu der Höhe des
Fondsguthabens noch zu einer sonstigen verbleibenden Bereicherung oder zu den gezogenen Nutzungen
einen schlüssigen und in sich nachvollziehbaren Vortrag gehalten hat, ist ihr Bereicherungsanspruch auf das
Guthaben von 117.990,52 EUR beschränkt.
56 3. Ohne Anhaltspunkte für die Höhe eines der Klägerin zustehenden Rückzahlungsanspruchs im Zeitpunkt
des Widerspruchs fehlt es auch an der Berechenbarkeit der Höhe vorgerichtlicher Anwaltskosten, so dass
auch diesbezüglich die Klage als unschlüssig anzusehen ist.
57 4. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB. Auch hier kann, da ein zu verzinsender Betrag erst ab August
2016 feststellbar ist, frühestens ab diesem Zeitpunkt eine Verzinsung zuerkannt werden.
III.
58 Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
59 Im Rahmen der Kostenentscheidung ist aufgrund der erheblichen Zinsforderungen ein fiktiver
Gesamtgebührenstreitwert einschließlich der geltend gemachten Zinsen zu bilden. Zwar bleiben diese nach
§ 4 Abs. 1 ZPO bei der Streitwertberechnung unberücksichtigt, soweit sie, wie hier, als Nebenforderungen
geltend gemacht werden; daraus folgt aber nicht, dass Zuvielforderungen in diesem Bereich auch im
Rahmen der Kostengrundentscheidung ohne Bedeutung bleiben. Für die Anwendung des § 92 ZPO ist es
vielmehr ohne Bedeutung, ob eine Partei mit einem Haupt- oder Nebenanspruch teilweise obsiegt bzw.
unterliegt, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt (vgl. bereits RGZ 42, 83, 85; BGHZ 104,
240 m.w.N.). Insofern ist bei einer erheblichen Zuvielforderung an Nutzungen eine Kostenquotelung
vorzunehmen.