Urteil des LG Heidelberg vom 30.06.2010

LG Heidelberg (zpo, verhandlung, aug, kläger, verzicht, baden, gesetz, lücke, grund, württemberg)

LG Heidelberg Entscheidung vom 30.6.2010, 5 O 301/09
Analoge Anwendung des § 307 ZPO auf Verzichtsurteil
Leitsätze
1. Seit Änderung des § 307 ZPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz ist § 306 ZPO planwidrig unvollständig
(lückenhaft).
2. Analog § 307 ZPO kann der Verzicht nach § 306 ZPO schriftsätzlich erklärt werden, das Verzichtsurteil ohne
mündliche Verhandlung ergehen (und analog § 310 Abs. 3 ZPO an Verkündung statt zugestellt werden).
Tenor
1. Der Kläger wird mit dem geltend gemachten Anspruch abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1 Der Kläger hat nach der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 15.7.2010 auf den geltend gemachten
Anspruch wegen Nutzung eines Raumes verzichtet.
2 Die Beklagten beantragen Erlass eines Verzichts-Urteils.
3 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und das
Sitzungsprotokoll verwiesen. Im Übrigen bedarf es des Tatbestandes nicht (§ 313b Abs. 1 ZPO).
Entscheidungsgründe
I.
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Der Kläger war auf Grund des Verzichts mit dem Anspruch abzuweisen (§ 306 ZPO). Einer erneuten
mündlichen Verhandlung oder einer Wiederholung der Verzichtserklärung nach Anordnung des schriftlichen
Verfahrens bedurfte es nicht. Auf den vorliegenden Fall ist § 307 ZPO analog anzuwenden.
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1.) Die gesetzliche Regelung ist planwidrig unvollständig (lückenhaft). Durch Änderung des § 307 ZPO ist eine
sekundäre Lücke entstanden.
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Verzicht und Anerkenntnis sind „Gegenstücke“ zueinander, die ursprünglich auch parallel geregelt waren. In §
307 Abs. 1 ZPO fand sich deshalb bis zum 31.8.2004 eine dem heutigen § 306 ZPO entsprechende
Formulierung, nach der das Anerkenntnis „bei der mündlichen Verhandlung“ erfolgen musste. Durch Art. 1 Nr.
9a Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24. August 2004 (BGBl.
I S. 2198) entfiel diese Einschränkung mit Wirkung vom 1.9.2004. Zugleich wurde der Satz angefügt: „Einer
mündlichen Verhandlung bedarf es insoweit nicht.“
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Der Gesetzgeber hat hierbei (BT-Drs. 15/1508, S. 41) nur § 307 ZPO (Anerkenntnis) im Blick gehabt, sich zum
umgekehrten Fall des Verzichts in § 306 ZPO aber nicht geäußert. Die Änderungsvorschrift ist erst vom
Bundesrat vorgeschlagen worden, sodass es zu einer umfassenden Vorbereitung der Gesetzesänderung
insoweit nicht gekommen ist. Eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für oder gegen einer Übertragung
dieser Änderung auf § 306 ZPO ist demnach nicht gefallen.
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2.) Diese Lücke ist durch Analogie zu § 307 ZPO zu schließen.
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Mit dessen Änderung wollte der Gesetzgeber das Verfahren beschleunigen und erleichtern. Ein Interesse der
Parteien an einer mündlichen Verhandlung fehle hier in aller Regel (BT-Drs. a.a.O.).
10 So liegt es auch hier. Nach Verzicht auf die Klageforderung wäre eine mündliche Verhandlung nicht weniger als
nach Anerkenntnis eine verfahrensverzögernde Förmelei. Ein rechtfertigender Grund für eine
Ungleichbehandlung ist nicht erkennbar.
11 Der Mündlichkeitsgrundsatz wird dadurch nicht unzulässig eingeschränkt. Neben § 307 ZPO kennt das Gesetz
in § 91a, § 278 Abs. 6, § 269 Abs. 2 Satz 2 noch zahlreiche vergleichbare Fälle der Verfahrensbeendigung
außerhalb der mündlichen Verhandlung. Der Verzichtende ist aber, wie § 708 Nr. 1 ZPO zeigt, keineswegs
schützenswerter als etwa der Anerkennende oder derjenige, der das Verfahren durch Erledigungserklärung oder
Vergleich beendet.
II.
12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 1 ZPO.