Urteil des LG Heidelberg vom 15.10.2004

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LG Heidelberg Urteil vom 15.10.2004, 3 S 15/04
Nebenpflichtverletzung bei Autovermietung: Unterlassene Aufklärung eines Verkehrsunfallgeschädigten über günstigere Normaltarife
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten und der Streithelferin wird das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 04.03.2004 - Az.: 21 C 501/03 - im
Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen wie folgt abgeändert:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 232,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem
06.06.2003 zu bezahlen.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung des Beklagten und der Streithelferin gegen das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 04.03.2004 - Az.: 21 C
501/03 - wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen, mit Ausnahme der durch die Nebenintervention der Streithelferin entstandenen Kosten,
haben die Klägerin 66% und der Beklagte 34% zu tragen. Die durch die Nebenintervention der Streithelferin entstandenen Kosten in beiden
Rechtszügen haben die Klägerin zu 66% und die Streithelferin selbst zu 34% zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1 Gem. §§ 540 II, 313a I 1 ZPO wird von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger
Änderungen oder Ergänzungen (§ 540 I Nr. 1 ZPO) abgesehen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg. Zwar lässt sich eine Unwirksamkeit des Mietvertrages über die Anmietung des Opel
Zafira durch den Beklagten bei der Klägerin aufgrund wucherischer Überhöhung des Mietzinses gem. § 138 II BGB oder wegen des Vorliegens
eines wucherähnlichen und daher gemäß § 138 I BGB sittenwidrigen Geschäfts nicht feststellen. Der Mietzinsanspruch der Klägerin besteht
daher dem Grunde nach zunächst. Denn nach dem Vortrag der Streithelferin des Beklagten beträgt der Mietzins 1232,50 EUR. Aus der als
Anlage B 1 (AS. I, 97) vorgelegten Liste soll sich ein üblicher Mietzins von 596,00 EUR ergeben. Dies ergäbe zwar eine Überhöhung des von der
Klägerin verlangten Mietzinses um mehr als 100% gegenüber dem üblichen Preis, was ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung
und Gegenleistung im Sinne von § 138 I BGB darstellen würde. Jedoch hat die Klägerin die Richtigkeit und Verbindlichkeit der Liste Anlage B 1
erstinstanzlich bereits bestritten. Der Beklagte und seine Streithelferin haben für die Richtigkeit ihrer Behauptung zum üblichen Mietzins keinen
weiteren Beweis angeboten. Die Anlage B 1 bietet keinen hinreichenden Beweis, weil sie lediglich eine schwer nachvollziehbare Tabelle ist und
einen Aussteller nicht erkennen lässt. Woraus sich die dort aufgeführten Zahlen ergeben, lässt sich aus ihr nicht entnehmen. Sie hat daher für
sich keinen Beweiswert. Zugrundegelegt werden kann lediglich die Preisliste der Autovermietung AVIS, welche die Streithelferin mit Schriftsatz
vom 10.02.2004 als Anlage B 7a vorgelegt hat (AS. I, 287). Diese kann herangezogen werden, weil die Klägerin eine AVIS-Lizenznehmerin ist
und als solche auch AVIS-Mietfahrzeuge zu deren Konditionen anbietet. Jede andere Annahme und insbesondere der abweichende Vortrag der
Klägerin wäre lebensfremd, da nicht ersichtlich ist, weshalb die Klägerin als AVIS-Lizenznehmerin keine AVIS-Mietfahrzeuge anbieten sollte. Es
handelt sich hierbei auch nicht um eine Preisliste für Anmietungen über das Internet, sondern für solche unmittelbar bei der AVIS-Niederlassung
selbst, also auch bei der Klägerin. Diese Preisliste ist daher vergleichbar. Danach kostet ein Opel Zafira, wie er auch vom Beklagten gemietet
wurde, für 10 Tage 790,00 EUR. Der Preis der Klägerin von 1232,50 EUR ist also lediglich 56% höher, so dass ein besonders grobes
Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht festgestellt werden kann.
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Der Beklagte hat aber in zweiter Instanz mit Erfolg einen Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin aus §§ 311 II Nr. 1, 241 II, 280 I BGB
wegen unterlassener Beratung darüber, dass der von ihm gemietete Opel Zafira nach der als Anlage B 7a vorgelegten Preisliste zu einem
Mietzins von lediglich 790,00 EUR gemietet werden kann, zur Aufrechnung gestellt. Dieser Schadensersatzanspruch besteht in Höhe der
Differenz zwischen diesem Tarif von 790,00 EUR und dem von der Klägerin verlangten Mietzins von 1232,50 EUR, also in Höhe von 442,50
EUR. Insoweit ist die Klageforderung daher gem. § 389 BGB erloschen.
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Dieser Schadensersatzanspruch besteht aufgrund von §§ 311 II Nr. 1, 241 II, 280 I BGB. Er ergibt sich aus einer entsprechenden
Nebenpflichtverletzung der Autovermietung (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, § 311 Rn. 52; OLG Karlsruhe VersR 1993, 229; BGH NJW 1996, 1958).
In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in NJW 1996, 1958, ist dieser Anspruch vorausgesetzt und somit höchstrichterlich anerkannt.
Danach ist eine Autovermietung verpflichtet, den Unfallgeschädigten über preiswertere Tarife als den Unfallersatztarif aufzuklären. Dies hat die
Klägerin im vorliegenden Fall unterlassen. Sie hätte auf die als Anlage B 7a vorgelegten AVIS-Tarife hinweisen müssen. Die Klägerin hat das
Bestehen dieser Tarife, wie in der vorgelegten Preisliste aufgeführt, als solches nicht bestritten. Sie sind daher zugrundezulegen.
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Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie im Unfallersatzwagengeschäft nur als Fa. O. K. GmbH & Co. KG und nicht als
AVIS-Lizenznehmerin auftrete und handele und daher zum Hinweis auf AVIS-Tarife nicht verpflichtet sein könne. Gerade im vorliegenden Fall ist
der Vertrag auf einem AVIS-Vertragsformular geschlossen worden. Dies zeigt bereits, dass die Klägerin diese Trennung schon selbst in der
Praxis gar nicht hinreichend durchführt, sondern dass sie sich auch im Unfallersatzwagengeschäft der Werbewirksamkeit der Marke AVIS
bedient, was sie als Lizenznehmerin von AVIS darf. Dann kann sie aber nicht andererseits verlangen, so behandelt zu werden, als hätte sie mit
AVIS nichts zu tun. Dieser künstlichen und rein begriffsjuristischen Spaltung des Geschäfts der Klägerin, die für die Kunden gerade wegen der
Verwendung des AVIS-Vertragsformulars auch im Unfallersatzwagengeschäft nach außen nicht erkennbar ist, kann daher nicht gefolgt werden.
Es kommt hinzu, dass die Klägerin als Lizenznehmerin der Fa. AVIS sicherlich auch bei der Vermietung von AVIS-Mietfahrzeugen verdient, denn
sonst wäre kein wirtschaftlicher Sinn in der Lizenznehmereigenschaft der Klägerin zu erkennen. Daraus folgt, dass jedenfalls die Klägerin im
vorliegenden Fall verpflichtet gewesen ist, auch auf Tarife der Firma AVIS hinzuweisen. Dass die Tarife der als Anlage B 7a vorgelegten
Preisliste nur unter besonderen Konditionen, wie Zahlung per Kreditkarte oder nur für gewerbliche Anmieter, erhältlich gewesen seien, hat die
Klägerin nicht konkret behauptet, sondern sie hat lediglich allgemein behauptet, die Streithelferin würde in der Regel fälschlich auf solche nicht
allgemein zugänglichen Tarife verweisen. Dies genügt einem konkreten auf den jeweiligen Fall bezogenen Vortrag nicht. Ebensowenig genügt
die exzessive Bezugnahme der Klägerin auf andere Urteile, die nicht vergleichbare Sachverhalte betreffen.
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Unrichtig ist die Vorstellung des Amtsgerichts in seinem schwer verständlichen und offenbar aus einem Referendarentwurf bestehenden Urteil,
dass dem Beklagten mangels Schaden kein Schadensersatzanspruch zustehen könne. Bei diesem Schadensersatzanspruch ist eine normative
Schadensberechnung geboten, denn sonst wäre ein derartiger Schadensersatzanspruch in keinem Fall gegeben, was aber nicht richtig sein
kann, weil der Bundesgerichtshof diesen Schadensersatzanspruch gerade im Zusammenhang mit seiner Entscheidung vorausgesetzt hat, dass
die Haftpflichtversicherungen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verpflichtet sind, dem Unfallgeschädigten in der Regel (außer
bei besonderem Mitverschulden des Unfallgeschädigten) den überteuerten Unfallersatztarif zu ersetzen. Zugleich hat der Bundesgerichtshof
nämlich ausgesprochen, dass die Haftpflichtversicherungen sich den Schadensersatzanspruch des Unfallgeschädigten wegen unzureichender
Beratung durch die Autovermietung abtreten lassen und sich sodann für den von ihnen gegenüber dem Unfallgeschädigten zu leistenden
Schadensersatz bei der Autovermietung erholen können. Dann wäre es aber widersinnig, diesen abzutretenden Schadensersatzanspruch mit
dem Argument zu verneinen, dass den Unfallgeschädigten kein Schaden treffe, weil er auch den überteuerten Unfallersatztarif von der
Haftpflichtversicherung ersetzt erhalte. Dieser Ersatzanspruch des Unfallgeschädigten gegen die Haftpflichtversicherung hat bei der
Schadensbestimmung bezüglich des Schadensersatzanspruchs gegen die Autovermietung daher außer Betracht zu bleiben, weil dieser
Ersatzanspruch des Unfallgeschädigten nicht dazu bestimmt ist, die Autovermietung von den gegen sie gerichteten Ansprüchen wegen falscher
Beratung beim Vertragsschluss zu befreien. Ob dieses rechtliche Ergebnis im Wege der Drittschadensliquidation oder der normativen Korrektur
der Schadensberechnung oder auf rechtsdogmatisch andere Weise erreicht wird, kann letztlich dahingestellt bleiben.
der Schadensberechnung oder auf rechtsdogmatisch andere Weise erreicht wird, kann letztlich dahingestellt bleiben.
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Der Beklagte kann mit diesem Schadensersatzanspruch auch noch in der Berufungsinstanz aufrechnen, denn die vorher erfolgte Aufrechnung
durch die Streithelferin ging mangels Gegenseitigkeitsverhältnis der zur Aufrechnung gestellten Forderungen ins Leere. Denn die Klägerin
machte gegen die Streithelferin lediglich die ihr - wohl nur erfüllungshalber - abgetretene Schadensersatzforderung aus § 3 Nr. 1 PflVG geltend.
Dagegen kann die Streithelferin aber nicht mit dem abgetretenen Schadensersatzanspruch aus dem Automietvertrag aufrechnen. Dadurch wird
wegen der erfüllungshalber abgetretenen Schadensersatzforderung aus § 3 Nr. 1 PflVG die Mietzinsforderung aus dem Mietvertrag nicht zum
Erlöschen gebracht, denn diese Forderung wird gegen die Streithelferin nicht geltend gemacht, weil gegen sie nur der Anspruch aus § 3 Nr. 1
PflVG besteht, nicht aber der Mietzinsanspruch.
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Auch § 531 II 1 Nr. 3 ZPO steht der Aufrechnung durch den Beklagten in der Berufungsinstanz nicht entgegen, denn die erst jetzt erfolgte
Rückabtretung und Aufrechnungserklärung sind nicht nachlässig im Sinne der Vorschrift, denn das Amtsgericht hatte nicht darauf hingewiesen,
dass es eine Aufrechnungslage zwischen der Klägerin und der Streithelferin des Beklagten nicht annahm, so dass die angebotene
Rückabtretung an den Beklagten und die Aufrechnungserklärung des Beklagten schon in erster Instanz aufgrund des fehlenden Hinweises des
Gerichts unterblieben.
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Somit verbleibt nach erfolgter Aufrechnung in Höhe von 442,50 EUR noch ein offener Mietzinsanspruch der Klägerin von 232,01 EUR.
10 Der Anspruch auf die Zinsen ergibt sich aus §§ 286 I, 288 I BGB. Der Beklagte kam durch die Mahnung vom 19.05.2003 mit Fristsetzung bis
05.06.2003 ab 06.06.2003 in Verzug. § 286 III BGB (nicht wie von der Klägerin fälschlich angenommen § 284 III BGB) ist nicht erfüllt, weil nach
dieser Vorschrift, anders als nach dem früheren § 284 III BGB, ein Verbraucher, wie der Beklagte, nur dann 30 Tage nach Zugang einer
Rechnung in Verzug kommt, wenn in der Rechnung besonders auf diese Rechtsfolge hingewiesen wird. Daran fehlt es aber in der vorliegenden
Rechnung vom 31.03.2003 (AS. I, 19).
11 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 I, 97 I, 101 ZPO. § 97 II ZPO war nicht anzuwenden, weil der Beklagte auch bei eigener
Aufrechnung schon in erster Instanz nicht obsiegt hätte, weil das Amtsgericht schon das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs des
Beklagten gegen die Klägerin verneint hat.
12 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 ZPO in der Fassung gemäß Justizmodernisierungsgesetz vom
24. August 2004 (BGBl. I, S. 2198), 711, 713 ZPO.
13 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 543 II ZPO lagen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung,
weil über das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs des Unfallgeschädigten gem. §§ 311 II Nr. 1, 241 II, 280 I BGB vom Bundesgerichtshof
in der in NJW 1996, 1958 veröffentlichten Entscheidung bereits entschieden worden ist und die Entscheidung darüber, ob eine entsprechende
Pflichtverletzung der Autovermietung vorliegt, eine nicht verallgemeinerungsfähige Einzelfallentscheidung darstellt. Aufgrund dessen liegen auch
die Voraussetzungen von § 543 II 1 Nr. 2 ZPO nicht vor, weil die grundsätzlichen Rechtsfragen vom Bundesgerichtshof bereits entschieden sind
und das vorliegende Urteil im übrigen auf Erwägungen beruht, die sich aus dem hier zu Entscheidung stehenden speziellen Einzelfall ergeben,
weshalb auch keine Abweichung von einer bereits bestehenden Rechtsprechung vorliegen kann.