Urteil des LG Hechingen vom 24.04.2002

LG Hechingen: culpa in contrahendo, venire contra factum proprium, treu und glauben, grundstück, gemeinderat, gemischte nutzung, familie, amtspflicht, auskunft, wohngebäude

LG Hechingen Urteil vom 24.4.2002, 2 O 36/02
Haftung einer Gemeinde für im Vertrauen auf die zugesagte Veräußerung eines Gewerbegrundstücks eingetretene Schäden
Leitsätze
Zur Haftung einer Gemeinde aus culpa in contrahendo für Planungsschäden, die im Vertrauen auf den zugesagten Erwerb eines
Gewerbegrundstücks eingetreten sind.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 5.000,-- EUR vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 105.324,-- EUR
Tatbestand
1
Die Klägerin ist die Ehefrau des Geschäftsführers der Th. GmbH M. , die ihren geschäftlichen Schwerpunkt im Vertrieb von Gebäudesicherheits-
und Brandschutztechnik hat. Sie nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch, weil letztere entgegen ihren Zusagen ein gewerbliches
Grundstück nicht an sie verkauft hat.
2
Die Klägerin beabsichtigte, ein in der R.-B.-Straße im Gewerbegebiet H. II in R. belegenes Grundstück mit einer Größe von ca. 77 ar zu erwerben.
Dort sollten sowohl Betriebsgebäude für die bislang in der D.-Str. in R. ansässige Th. GmbH als auch Wohngebäude für die Familie Th. errichtet
werden. Nachdem sich der Geschäftsführer H. Th. in dieser Angelegenheit im Frühjahr 2000 sowohl mündlich als auch schriftlich an die
Gemeinde R. gewandt hatte, hat die Beklagte am 05.04.2000 die bisherigen Verkaufsverhandlungen über das gewerbliche Grundstück schriftlich
bestätigt und einen den Verkauf befürwortenden Gemeinderatsbeschluss in Aussicht gestellt. Am 18.04.2000 beschloss der Gemeinderat, die
Teilflächen dieses Bauplatzes, die sich noch nicht in kommunalem Eigentum befanden, hinzuzuerwerben und im Ganzen an die Klägerin zu
veräußern.
3
In den Folgemonaten haben die Parteien die Durchführung des Bauvorhabens in zwei Bauabschnitten und die Gestaltung des Kaufvertrages im
Hinblick auf die beabsichtigte gemischte gewerbliche und wohnbauliche Nutzung konkretisiert. Zudem hat die Klägerin bzw. die Th. GmbH die
Förderung des Bauvorhabens im Rahmen des Strukturprogramms „Entwicklung des Ländlichen Raumes (ELR)“ des Landes Baden-Württemberg
beantragt.
4
Die Beklagte bestätigte am 01.08.2000 ihre Verkaufsabsichten gegenüber der Klägerin schriftlich und stellte einen Termin für den Abschluss
eines notariellen Kaufvertrages in Aussicht. Diese ließ daraufhin einen Bauantrag für ein entsprechendes Bauvorhaben fertigen und reichte
diesen über die Beklagte bei der Stadt H. als zuständiger Baurechtsbehörde ein. Das hierfür erforderliche planungsrechtliche Einvernehmen
erteilte die Beklagte mit Beschluss ihres Gemeinderates vom 19.09.2000.
5
In der Sitzung des Gemeinderats der Beklagten vom 07.11.2000 wurde der Planungsstand für eine sich seit 1967 in der Diskussion befindliche
Ortsumfahrung von R. im Zuge der L 410 mit Vertretern des Regierungspräsidiums T. neuerlich erörtert. Hierauf wurde auf einen Antrag aus der
Mitte des Gemeinderates hin dem Regierungspräsidium aufgegeben, die Möglichkeit einer Trassenführung durch das Gewerbegebiet „ H. II “ zu
untersuchen. Um die Verwirklichung einer derartigen Trassenvariante offen zu halten, teilte der Bürgermeister der Beklagten, Herr W. , der
Klägerin zunächst am 21.11.2000 mündlich und auf einen Beschluss des Gemeinderates vom 28.11.2000 am 29.11.2000 auch schriftlich mit,
dass der Verkauf des Grundstücks und des Bauvorhaben der Klägerin in der R.-D.-Straße zurückgestellt werden müssten.
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Trotz umfangreichen Schriftwechsels und einer Besprechung im Rathaus der Beklagten am 09.05.2001 konnte eine außergerichtliche Einigung
weder über den Kauf des betreffenden Grundstücks in der R.-D.-Straße noch über zwei andere von der Beklagten angebotene
Ersatzgrundstücke erzielt werden. Zwischenzeitlich entschied sich die Klägerin für eine Realisierung ihres Bauvorhabens in der Gemeinde G .
7
Das zum Ruhen gebrachte Baurechtsverfahren war durch die Rücknahme des Bauantrages der Klägerin am 17.4.2001 beendet worden, sodass
anstelle weit höherer Genehmigungsgebühren lediglich eine Verfahrensgebühr in Höhe von 357,90 EUR (700,-- DM) anfiel.
8
Die Klägerin macht geltend, ihr seien neben diesen Verfahrenskosten vergebliche Planungskosten in Höhe von 102.329,88 EUR (200.139,84
DM) und vergebliche Finanzierungskosten in Höhe von 2.637,08 EUR (5.157,68 DM) entstanden. Sie ist der Auffassung, die Beklagte habe ihr
den Gesamtschaden in Höhe von 105.324,86 EUR zu ersetzen, weil diese durch ihr Verhalten während der Vertragsverhandlungen einen
Vertrauenstatbestand geschaffen habe, auf den sie sich habe verlassen dürfen. Obwohl der Beklagten die alternative Trassenvariante durch das
Gewerbegebiet „ H. II “ schon während der Vertragsverhandlungen bekannt gewesen sei, habe sie zu keiner Zeit auf die damit
zusammenhängende Unsicherheit des Grundstücksgeschäftes hingewiesen. Im Gegenteil: Am 27.07.2000 habe Bürgermeister W. bei der Th.
GmbH angerufen und mitgeteilt, dass der Gemeinderat der Bauanfrage vom 04.07.2000 inhaltlich nochmals zugestimmt habe. Bei diesem
Telefonat habe der Bürgermeister erklärt, man könne in die Planungsphase eintreten. Die Klägerin bzw. die Th. GmbH möge baldmöglichst ein
Baugesuch vorlegen (Blatt 4).
9
Die Klägerin beruft sich im Übrigen darauf, dass der Grund für den Abbruch der Vertragsverhandlungen in veränderten Mehrheitsverhältnissen
innerhalb des Gemeinderats zu suchen sei.
10 Die Klägerin beantragt deshalb,
11 die Beklagte zur Zahlung von 105.324,86 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB daraus seit 30.01.2002 zu verurteilen.
12 Die Beklagte beantragt,
13 die Klage abzuweisen.
14 Sie bestreitet ihre Haftung nach Grund und Höhe und beruft sich darauf, dass eine Trassenführung über das von der Klägerin ins Auge gefasste
Grundstück erstmals im November 2000 in das vom Regierungspräsidium durchgeführte Planungsverfahren einbezogen worden sei. Aus
Gründen des Gemeinwohls habe der Gemeinderat am 28.11.2000 beschlossen, die Verkaufshandlungen über das Grundstück in der R.-D.-
Straße zurückzustellen und der Klägerin als gleichwertige Ausweichmöglichkeiten den Erwerb von gewerblichen Ersatzgrundstücken im
Industriegebiet sowie von erschlossenen Bauplätzen im Wohngebiet (W.) anzubieten.
15 Der Beschluss des Gemeinderates vom 28.11.2000 über die Zurückstellung der Verkaufsverhandlungen über das Grundstück und das Angebot
von Ersatzgrundstücken sei aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls erforderlich gewesen. Die Beklagte habe die Klägerin hierüber
unmittelbar nach Kenntnis der veränderten Sachlage informiert. Die beiden angebotenen Ersatzgrundstücke, auf denen die Klägerin ihr
Bauvorhaben ohne nennenswerte Verzögerung hätte realisieren können, seien von der Klägerin abgelehnt worden.
16 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien und die von ihnen vorgelegten Schriftstücke verwiesen. Beigezogen wurden
die Bauakten der Stadt H. als untere Baurechtsbehörde.
Entscheidungsgründe
17 Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Beklagte haftet der Klägerin nicht auf Schadensersatz.
I.
18 Die Beklagte ist nicht aus Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) schadensersatzpflichtig.
19 1. Die Klageforderung kann nicht auf §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB n.F. i.V.m. §§ 31, 89 BGB gestützt werden. Diese
Regelungen sind erst am 01.01.2002 in Kraft getreten und erfassen nach Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB nicht auch solche Lebenssachverhalte, die vor
ihrem Inkraftreten bereits entstanden waren. Dahin gestellt bleiben kann deshalb, ob nach § 311 Abs. 2 BGB n.F. überhaupt ein Schaden wegen
Abbruchs von Vertragsverhandlungen ersetzt werden kann (dazu Palandt/Heinrichs , BGB, Ergänzungsband zur 61. Auflage, § 311 Rz. 28; a.A.
hingegen Lieb in Dauner-Lieb/Heidel/Lepa-Ring , Das Neue Schuldrecht, 2002, § 3 Rz. 36 Fn. 37). Unerheblich ist auch, dass vorliegend das
vorvertragliche Schuldverhältnis bereits vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes durch den Abbruch der
Vertragsverhandlungen spätestens im Frühjahr 2001 wieder beendet war.
20 2. Doch auch nach dem bis zum Inkrafttreten des § 311 BGB n.F. anzuwendenden Rechtsinstitut der culpa in contrahendo besteht keine Haftung
der Beklagten für Schäden, die bei der Klägerin aus Anlass der Vertragsverhandlungen eingetreten sind.
21 a) Der Vertrauensschaden bei Abbruch von Vertragsverhandlungen über ein Grundstück ist, um den Schutzzweck der Formvorschrift aus § 313
S. 1 BGB a.F. nicht zu unterlaufen, nur unter engen Voraussetzungen zu ersetzen. Dass triftige Gründe für den Abbruch der Verhandlungen
fehlen, kann deshalb eine Haftung noch nicht begründen. Nur wenn die sich aus § 125 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. ergebende Nichtigkeitsfolge nach
den gesamten Umständen des Einzelfalls mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist, etwa weil sie die Existenz des anderen Vertragsteils
gefährdet oder eine besonders schwere Treupflichtverletzung darstellt, kommen Schadenersatzansprüche wegen culpa in contrahendo in
Betracht. Liegt eine besonders schwere Treupflichtverletzung vor, führt dies gleichwohl in der Regel nur dann zu einer Haftung, wenn sie
vorsätzlich begangen worden ist, etwa wenn eine tatsächlich nicht vorhandene Abschlussbereitschaft vorgespiegelt worden ist, oder aber von
einer einmal bestehenden Abschlussbereitschaft ohne Offenbarung gegenüber dem Vertragspartner abgerückt worden ist (zum Ganzen BGH
NJW 1996, 1884, 1885 m. weit. Nachw.).
22 b) Vorliegend bestand unzweifelhaft Abschlussbereitschaft der Beklagten; auch die Klägerin hat nichts anderes behauptet. Hierzu ist
insbesondere auf Folgendes hinzuweisen:
23 Die Beklagte hat der Klägerin mit Schreiben vom 05.04.2000 mitgeteilt, das von ihr ins Auge gefasste Grundstück an der R.-D.-Straße an sie
verkaufen zu wollen. Zur Arrondierung des Baugrundstücks bzw. des von der Klägerin für die Bebauung vorgesehenen gewerblichen Areals
hatte die Beklagte sogar bei den Vertragsverhandlungen ihre Bereitschaft erklärt, zwei im Privatbesitz von Rangendinger Bürgern befindliche
kleinere Parzellen auf eigene Rechnung hinzuzukaufen, nämlich die Flurstücke Nr. 1337 und 1338 (vgl. Bl. 55), um dann das gesamte
gewerbliche Baugrundstück an die Klägerin weiterzuveräußern. Auch die Beklagte bzw. ihre Organe gingen zunächst davon aus, dass Einigkeit
über Kaufgegenstand und Konditionen bestünde und einer Beurkundung des Kaufvertrags daher nichts mehr im Wege stehe. Dies ergibt sich
aus dem Schreiben des Bürgermeisters W. vom 01.08.2000, wonach der Gemeinderat dem Antrag auf Erwerb eines Gewerbebauplatzes
zugestimmt hat und der Th. GmbH „nach Vorliegen der Maßurkunde“ ein Vertragsentwurf zugesandt werde (Bl. 18 Anlage K 5). Die Beklagte war
aus arbeitsmarktspolitischen und gewerbesteuerrechtlichen Erwägungen daran interessiert, das ortsansässige Unternehmen Th. GmbH
weiterhin in der Gemeinde zu halten. Es sind daher keine Anhaltspunkte ersichtlich, wonach seitens der Beklagten im Sommer 2000 die
Vertragsverhandlungen nicht mit der gebotenen Loyalität und Ernsthaftigkeit geführt worden wären (vgl. auch Dubischar JuS 2002, 131, 135).
24 Bei seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung hat Bürgermeister W. ausgeführt, in der Sitzung vom 25.07.2000 habe der
Gemeinderat den Verkauf des Grundstücks in der R.-D.-Straße an die Klägerin gebilligt. Die Abschlussbereitschaft der Beklagten bestand auch
noch in der Sitzung des Gemeinderats vom 13.09.2000, als dieser dem Baugesuch der Klägerin zustimmte.
25 c) Die Beklagte ist zwar von ihrer zunächst geäußerten und tatsächlich vorhandenen Verkaufsbereitschaft im Verlaufe der Verhandlungen
innerlich wieder abgerückt, doch hat sie dies der Klägerin zum frühest möglichen Zeitpunkt offenbart.
26 aa) Nachdem der Gemeinderat in der Sitzung vom 25.07.2000 dem Verkauf des Grundstücks an die Klägerin zugestimmt hat, wurde die Klägerin
hiervon mit Schreiben des Bürgermeisters W. vom 01.08.2000 in Kenntnis gesetzt. Zudem wurde die Zusendung eines Vertragsentwurfs sowie
ein Notartermin angekündigt. Noch in der Sitzung vom 13.09.2000 hat der Gemeinderat sein planungsrechtliches Einverständnis nach § 36
BBauG mit dem Bauantrag der Klägerin erteilt. In der Sitzung des Gemeinderats vom 07.11.2000 wurde in Anwesenheit von Bediensteten des
Regierungspräsidiums (erneut) die Ortsumgehung Rangendingen erörtert. Im Zuge dieser Erörterungen hat der Fraktionsführer der Liste „R. B.“,
Herr S. S. , den Antrag eingebracht, das Grundstück zunächst nicht zu verkaufen, vielmehr das Regierungspräsidium um Prüfung zu bitten, ob die
Ortsumgehung durch das Gewerbegebiet „ H. II “ und dort über das betreffende Grundstück geführt werden kann. Nunmehr kam es zu einem
Meinungsumschwung im Gemeinderat, der entsprechend dieser Antragstellung einstimmig beschlossen hat, das Grundstück in der Dieselstraße
der Familie Th. solange nicht zu verkaufen, bis man sich auf eine Trasse der Ortsumgehung festgelegt hat.
27 Das Ergebnis der Sitzung ist der Klägerin am 28.11.2000, mithin unverzüglich mitgeteilt worden.
28 bb) Unbegründet ist der Vorwurf der Klägerin, die Beklagte habe von vornherein darauf verweisen müssen, dass das in Aussicht genommene
Grundstück in die Planungsvariante einbezogen ist. Bis zur Initiative der Fraktion der Liste „R. B.“, der Mehrheitsfraktion im Gemeinderat der
Beklagten, war nach den Angaben von Bürgermeister W. in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eine Umgehungsstraße durch das „ H.
II “ und damit über das von der Klägerin zu erwerbende Gewerbegrundstück nicht Gegenstand der Erörterungen, jedenfalls nicht mehr in den
90er Jahren.
29 Bürgermeister W. hatte mithin bei den im Frühjahr und Sommer 2000 stattfindenden Vertragsverhandlungen keinen Anlass zu dem Hinweis, das
geplante Bauvorhaben der Klägerin bzw. der Familie Th. kollidiere mit Planungsvarianten der Umgehungsstraße L 410. Weder vom Stand der
Planungen noch vom Stand der gemeindeinternen Diskussion oder von der Beschlusslage des Gemeinderats her gab es früher eine
Interessenkollision.
30 cc) Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, die Berufung der Beklagten auf ihre wegen der in § 313 S. 1 BGB angeordneten
notariellen Schriftform fehlende Bindung verstoße gegen Treu und Glauben, weil sie, die Klägerin, durch die Entscheidung der Beklagten in ihrer
Existenz gefährdet sei. Hierzu hat sie, was in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist, nicht substantiiert vorgetragen. Zudem trifft dies
bereits deshalb nicht zu, weil die Familie Th. ihr Unternehmen nach wie vor von ihrem bisherigen Gewerbesitz ausüben kann und sie auch ohne
Schadenersatzleistungen der Beklagten in der Lage ist, ihr Erweiterungsvorhaben in der Nachbargemeinde Grosselfingen, mit dessen
Realisierung bereits begonnen wurde, umzusetzen.
II.
31 Die Beklagte haftet der Klägerin auch nicht aus Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG.
32 1.Eine Amtshaftung der Beklagten kommt nur in Betracht, soweit sie in Ausübung eines öffentlichen Amtes handelt. Vorliegend ist zu
unterscheiden:
33 Soweit die Klägerin als Grundstückinteressentin an die Beklagte herangetreten und es in den gemeinsamen Verhandlungen darum gegangen
ist, ob und zu welchen Bedingungen (Kaufpreis, Notartermin etc.) das betreffende Grundstück an die Klägerin veräußert wird, hat die Beklagte
erwerbswirtschaftlich gehandelt. Sie bietet Grundstücke auf dem Markt an und nimmt damit am allgemeinen Wettbewerb teil. Hierauf sind nicht
die Grundsätze für eine Amtshaftung anwendbar, sondern lediglich die privatrechtlichen Haftungsnormen (vgl. Soergel/Vinke, BGB, 12. Aufl.
1998, § 839 Rz. 68).
34 Soweit die Klägerin als Baubewerberin an die Beklagte herangetreten und es in den gemeinsamen Verhandlungen um die gemischte Nutzung
des Grundstücks zu Gewerbe- und Wohnzwecken sowie die Erteilung des planungsrechtlichen Einvernehmens gegangen ist, handelte die
Beklagte hoheitlich. Amtshaftungsansprüche können sich damit allenfalls aus Verhaltensweisen ergeben, die sich die Beklagte als Beteiligte am
baurechtlichen Genehmigungsverfahren zurechnen lassen muss.
35 2. Folgende Amtspflichten kommen in Betracht:
36 a) Als Ausfluss des „venire contra factum proprium“ ist im Amtshaftungsrecht die Amtspflicht anerkannt, dass sich die Verwaltung an einmal
gesetzte Vertrauenstatbestände halten muss. Damit soll das Vertrauen des Bürgers in administrative Maßnahmen geschützt werden (vgl.
Ossenbühl , Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 49). Als solche, die Beklagte bindende Vertrauenstatbestände kommen in Betracht:
37 Zunächst die Schreiben der Beklagten vom 5.4.2000 und 1.8.2000 (Bl. 18 d.A.). Die mit diesen Schreiben in Zusammenhang stehenden
Gemeinderatsbeschlüsse selbst konnten freilich schon deshalb keine Bindungswirkung erzeugen, weil sie erst durch ihren Vollzug mit diesen
Schreiben Außenrechtswirkung erlangt haben (vgl. Gern , Kommunalrecht Baden-Württemberg, 7. Aufl. 1998, Rz. 273). Seinem Wortlaut nach
geht es in diesen Schreiben zunächst nur um die erwerbwirtschaftliche Angelegenheit des Grundstückskaufes. Im Zusammenhang mit den
vorhergehenden Besprechungen und Telefonaten kann den Schreiben jedoch vom Empfängerhorizont aus auch ein gewisser
bauplanungsrechtlicher Inhalt entnommen werden. Diese Tendenz wäre dem hoheitlichen Handeln der Beklagten zuzurechnen.
38 Damit stellt sich die Frage, ob die Beklagte eine bindende Zusage über die von der Klägerin beabsichtigte bauliche Nutzung des betreffenden
Grundstücks - möglicherweise in der Form einer Zusicherung gemäß § 38 LVwVfG - gegeben hat. Dabei ist jedoch zum Einen zu
berücksichtigen, dass das in Aussicht gestellte planungsrechtliche Einvernehmen der Beklagten keinen Verwaltungsakt darstellt, auf den sich -
wie sich aus § 38 Abs. 1 LVwVfG ergibt - eine Zusicherung beziehen kann (vgl. Ernst-Zinkahn/Bielenberg/Söfker , BauGB, Loseblatt-Kommentar,
Stand: 1.5.2001, § 36 Rz. 24). Zudem war die Beklagte für den Erlass der Baugenehmigung nicht zuständig, so dass sie planungsrechtlich keine
Zusicherungen machen konnte.
39 Unabhängig von diesen formalen Erwägungen ist davon auszugehen, dass sich die Beklagte nicht zu einem künftigen Verhalten bindend
verpflichtet, sondern lediglich eine Auskunft über eine gegenwärtige Absicht gegeben hat (vgl. BGH NVwZ 1992, 1119). Keinesfalls kann den
Schreiben aber die Zusage entnommen werden, die Beklagte werde der baulichen Nutzung des Grundstücks in jedem Fall uneingeschränkt
zustimmen. Gegen eine derartige Auslegung spricht die Tatsache, dass sich die Beklagte bereits im Bebauungsplan „ H. II “ grundsätzlich für eine
gewerbliche Nutzung des betreffenden Grundstücks ausgesprochen hatte und nach dem bisherigen Vortrag für sie kein Anlass dazu bestand,
eine darüber hinaus gehende Bindung in Form einer Plangewährleistung zu übernehmen. Deshalb hat die Beklagte durch die beiden Schreiben
keinen amtshaftungsrechtlich relevanten Vertrauenstatbestand für die Klägerin geschaffen.
40 b) Die Beklagte hat auch durch die Erteilung des planungsrechtlichen Einvernehmens am 19.09.2000 und die spätere Änderung ihrer
Planungsabsichten nicht ihre Amtspflicht zu konsequentem Verhalten verletzt. Das planungsrechtliche Einvernehmen schafft nämlich keine
Rechtsbeziehung zwischen dem Bauantragsteller und der beteiligten Gemeinde, erzeugt also keinen Vertrauenstatbestand (vgl. Ernst-
Zinkahn/Bielenberg/Söfker , a.a.O., § 36 Rz. 24). Eine Festlegung auf eine bestimmte bauliche Nutzung tritt erst mit Erteilung der
Baugenehmigung ein. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die Gemeinde von einem Einvernehmen wieder abrücken (vgl. Brügelmann/Dürr , BauGB,
Loseblatt-Kommentar, Stand: September 2001, § 36 Rz. 14 mit Verweis auf BVerwG DÖV 1981, 269). Bei der Sitzung vom 28.11.2000 war die
Baugenehmigung noch nicht erteilt. Daher führt das Verhalten der Beklagten unter dem Aspekt des „venire contra factum proprium“ nicht zu einer
Amtshaftung.
41 Eine andere Frage ist es, ob die Beklagte ihr Einvernehmen erteilen durfte, wenn sie im Zeitpunkt der Entscheidung bereits Kenntnis über die
veränderten Planungsabsichten hatte. Aus § 36 Abs. 2 S. 1 BauGB, der den Entscheidungsspielraum der Gemeinde auf die §§ 31 bis 35 BauGB
beschränkt, folgt, dass die Beklagte ihr Einvernehmen zu dem an sich zulässigen Bauvorhaben der Klägerin hätte sogar erteilen müssen. Ihre
noch unverbindlichen Planungsabsichten konnte die Beklagte nur durch den Erlass einer Veränderungssperre oder die Zurückstellung des
Bauantrages gemäß §§ 14, 15 BauGB sichern. Daraus folgt, dass die Erteilung des planungsrechtlichen Einvernehmens sowohl unter
bauplanungsrechtlichen als auch unter amtshaftungsrechtlichen Aspekten nicht zu beanstanden ist.
42 c) Auch die Amtspflicht zu richtiger und vollständiger Auskunft und Aufklärung wurde nicht verletzt.
43 Jeder Amtsträger hat die Pflicht, Auskünfte richtig, klar, unmißverständlich, eindeutig und vollständig zu erteilen, so dass der um sie
nachsuchende Bürger als Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren kann. Für die Frage, ob eine amtliche Auskunft richtig und
sachgerecht ist, kommt es darauf an, wie sie von dem Empfänger aufgefasst wird und werden kann und welche Vorstellungen zu erwecken sie
geeignet ist (BGH NJW 1980, 2573, 2574). Eine Aufklärungs- oder Belehrungspflicht kommt dann in Betracht, wenn ein Beamter bei
Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erkennt oder erkennen muss, dass ein Antragsteller Maßnahmen beabsichtigt, die für ihn
nachteilige Folgen haben können oder doch zumindest mit dem Risiko solcher Folgen behaftet sind (vgl. MünchKommentar/ Papier , BGB, Band
5, 3. Aufl. 1997, § 839 Rz. 216). Diese Amtspflicht verpflichtete den Bürgermeister der Beklagten vorliegend, die Klägerin über alternative
gemeindliche Planungsabsichten, welche die Verwirklichung der Planungen der Klägerin vereinzelten, frühestmöglich aufzuklären, was er auch
getan hat.
III.
44 Selbst wenn man danach dem Grunde nach eine Einstandspflicht der Beklagten bejahen würde, so würde eine Schadensersatzforderung der
Klägerin deshalb entfallen, weil sie gegen ihre Schadensabwendungspflicht verstoßen hat (§ 254 Abs. 2 BGB). Aus der vorprozessualen
Korrespondenz und den vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass die Beklagte der Klägerin mindestens zwei Ersatzgrundstücke angeboten hat,
auf denen sie das Bauvorhaben hätte realisieren können. Bei den beiden - bereits im November 2000 angebotenen - Alternativstandorten -
handelte es sich einmal um einen Bauplatz hinter der Fa. J. , und zum anderen um einen Bauplatz zwischen der Landesstraße 410 der Bahnlinie
vor der Fa. T. , Niederlassung R. Die Lage dieser Ersatzgrundstück ist auf dem von der Beklagten als Anlage B 1 vorgelegten Luftbild (vgl. Bl. 42
d.A.) grob skizziert. Die genaue Lage der Alternativstandorte ergibt sich aus den von Bürgermeister W. in der mündlichen Verhandlung
überreichten Anlagen (vgl. Bl. 82).
45 Zwar ist der Einwand der Klägerinn, diese Ersatzgrundstücke seien nicht erschlossen gewesen, zutreffend. Nach den Ausführungen von
Bürgermeister W. konnte die Erschließung jedoch kurzfristig vorgenommen werden. Soweit sich der Geschäftsführer Th. der Th. GmbH in der
mündlichen Verhandlung darauf berufen hat, der Klägerin sei das Grundstück hinter J. nicht angeboten worden, ist dies durch ein Schreiben der
Th. GmbH vom 15.1.2001 (Bl. 18 Anlage K 13) widerlegt. Dort nimmt die Th. GmbH Stellung sowohl zum Ersatzgrundstück bei der Fa. T.
zwischen Eisenbahn und L 410 als auch zu dem Ersatzgrundstück hinter J .
46 Bei letzterem bemängelt die Th. GmbH , dass für das zum Betrieb benötigte Wohnhaus die Verkehrsbelastung zu groß sei. Die Beklagte hat im
Rahmen von Alternativerwägungen der Klägerin jedoch auch angeboten, ein Wohnhaus getrennt von den Betriebsstätten im Rangendinger
Baugebiet „ W. “ zu erstellen. Die Klägerin hätte danach die von ihr geplante Betriebsverlagerung auch auf einem anderen gewerblichen
Grundstück in R.vornehmen können.
47 Weil sie dieses Angebot der Beklagten aus für die Kammer nicht nachvollziehbaren Gründen ausgeschlagen hat, entfällt ein etwaiger
Ersatzanspruch. Insbesondere ist für die Kammer nicht erkennbar, dass die Einsatzfähigkeit des Betriebs auch an Sonn- und Feiertagen sowie
zur Nachtzeit unabdingbar davon abhängt, dass sich die Wohngebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zur Betriebsstätte befinden und eine
zeitliche Verzögerung von höchstens 10 Minuten für eine Autofahrt innerhalb R. nicht hingenommen werden kann. Zudem ist nicht
nachvollziehbar, warum die Th. GmbH nicht eine elektronische Datenabfrage im Betriebsrechner von einem Wohngebäude aus ermöglichen
kann.
IV.
48 Der ohne beantragtes und nachgelassenes Schriftsatzrecht eingereichte Schriftsatz des Klägervertreters vom 23.05.2002 gibt der Kammer
keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, auch soweit die Klägerin in diesem Ausführungen zur Unzumutbarkeit der
Annahme des Angebots der Beklagten auf ein Ersatzgrundstück macht.
V.
49 Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.