Urteil des LG Hagen vom 12.03.2003

LG Hagen: dingliches recht, surrogat, kommissionär, analogie, aussonderungsrecht, kaufpreis, fahrzeug, erfüllung, leistungsklage, absender

Landgericht Hagen, 2 O 395/02
Datum:
12.03.2003
Gericht:
Landgericht Hagen
Spruchkörper:
Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 395/02
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege der Aussonderungsklage auf Zahlung eines
Geldbetrages in Anspruch, den die Insolvenzschuldnerin als Kommissionärin aus dem
Verkauf seines PKW erlangt hat.
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Anfang des Jahres 2002 gab der Kläger seinen PKW Mercedes-Benz bei der
Schuldnerin in Kommission. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass der
Schuldnerin eine Vermittlungsprovision in Höhe von 10 % des Kaufpreises zustehen
sollte.
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Die Schuldnerin verkaufte das Fahrzeug am 15.04.2002 und übereignete es an die
Erwerberin am 22.04.2002. Diese zahlte auf den ihr unter dem 22.04.2002 in Rechnung
gestellten Kaufpreis in Höhe von 30.500,00 EUR einen Teilbetrag in Höhe von 2.500,00
EUR in bar und finanzierte den Restkaufpreis über die BMW Bank, die diesen an die
Schuldnerin auszahlte. Die Zahlungen erfolgten noch im zweiten Quartal des Jahres
2002. Die Schuldnerin führte den Erlös nicht an den Kläger ab. Die Zahlungseingänge
sind - für die Beklagte ununterscheidbar - in den Kontokorrentsalden der Schuldnerin
untergegangen.
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Durch Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 10.07.2002 wurde die Beklagte
zunächst zur vorläufigen Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Schuldnerin
bestellt. Durch Beschluss vom 01.10.2002 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und
die Beklagte zur Insolvenzverwalterin bestellt. Im Berichts- und Prüfungstermin vom
20.11.2002 wurde festgestellt, dass die Beklagte Masseunzulänglichkeit angezeigt hat.
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Der Kläger behauptet, die Schuldnerin habe das Fahrzeug für 33.500,00 EUR verkauft,
und meint, ihm stehe - abzüglich einer Vermittlungsprovision in Höhe von 10 % - ein
Aussonderungsrecht an dem von der Schuldnerin erlangten Verkaufserlös zu; dies
ergebe sich aus einer analogen Anwendung des § 392 Abs. 2 HGB.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 30.150,00 EUR nebst 5 % Zinsen über
dem Basiszinssatz gem. § 288 Abs. 1 BGB seit dem 01.05.2002 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, der Kaufpreis habe lediglich 30.500,00 EUR betragen, erhebt die
Einrede der Masseunzulänglichkeit und meint, die Leistungsklage sei daher unzulässig.
Ferner meint sie, eine analoge Anwendung des § 392 Abs. 2 HGB auf den von der
Schuldnerin erlangten Verkaufserlös komme nicht in Betracht.
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Nachdem der Kläger seine Klage zunächst auch gegen die Schuldnerin erhoben hatte,
hat er die Klage im Termin zur mündlichen Verhandlung insoweit zurückgenommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig.
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Die Beklagte ist prozessführungsbefugt, da sie in ihrer Eigenschaft als
Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Schuldnerin Partei kraft Amtes ist.
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Die Klage ist als Leistungsklage auch nicht deshalb unzulässig, weil die Beklagte die
Einrede der Masseunzulänglichkeit erhoben hat. Ob das Rechtsschutzbedürfnis für
Leistungsklagen der Altmassegläubiger auf Erfüllung ihrer Masseverbindlichkeiten nach
Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter wegfällt mit der
Folge, dass stattdessen eine Feststellungsklage zu erheben wäre (vgl. insoweit
Landfermann, in: HK-InsO, 2. Aufl., § 210, Rn. 5), kann dahingestellt bleiben, da der
Kläger mit seiner Klage keine Masseforderung, sondern ein Aussonderungsrecht
geltend macht.
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Die Klage ist jedoch nicht begründet.
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Der geltend gemachte Zahlungsanspruch steht dem Kläger gegen die Beklagte nicht zu.
Zwar hat die Schuldnerin in Ausführung des mit dem Kläger geschlossenen
Kommissionsvertrages vor Stellung des Insolvenzantrags den Kaufpreis für das
Fahrzeug vereinnahmt; dies begründet ein Aussonderungsrecht des Klägers gemäß §
47 InsO allerdings nicht. Der Verkaufserlös gehört zur Insolvenzmasse. Dem Kläger
steht hieran weder ein persönliches noch ein dingliches Recht auf Herausgabe zu.
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Ein solches Recht ergibt sich nicht aus § 392 Abs. 2 HGB, wonach Forderungen aus
dem Ausführungsgeschäft eines Kommissionärs als Forderungen des Kommittenten
gelten, da die Erwerberin die Forderung aus dem mit der Schuldnerin geschlossenen
Kaufvertrag bereits vor Stellung des Insolvenzantrags erfüllt hatte. Der von einem
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Verkaufskommissionär in Erfüllung des Ausführungsgeschäfts erlangte Verkaufserlös,
also das Surrogat der Forderung fällt nicht in den Anwendungsbereich der Fiktion des §
392 Abs. 2 HGB (vgl. nur BGH, NJW 1974, 456, 457; BGHZ 79, 89, 94; OLG Hamburg,
VersR 1988, 288, 289; Baumbach/Hopt, HGB, 30. Aufl., § 392, Rn. 3; Eickmann, in: HK-
InsO, 2. Aufl., § 47, Rn. 17; Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2. Aufl., § 47, Rn. 280).
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aber auch eine analoge Anwendung des §
392 Abs. 2 HGB auf das Surrogat der Forderung aus dem Ausführungsgeschäft nicht
gerechtfertigt (so u.a. auch Krüger, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 392, Rn. 7, 12;
Hefermehl, in: Schlegelberger, HGB, 5. Aufl., § 392, Rn. 20).
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Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass die von ihm vertretene Analogie in der Literatur
zunehmend befürwortet wird (vgl. Canaris, HandelsR, 23. Aufl., S. 557 f.; K. Schmidt,
HandelsR, 5. Aufl., S. 903 f.; Roth, in: Koller/Roth/Morck, HGB, 3. Aufl., § 392, Rn. 5;
Lenz, in: Röhricht/v. Westphalen, HGB, 2. Aufl., § 392, Rn. 6; Ganter, in: MünchKomm-
InsO, § 47, Rn. 289) . Die hierzu vorgetragenen Argumente rechtfertigen eine Analogie
nach Ansicht der Kammer allerdings nicht.
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Der bloße Hinweis auf einen andernfalls unzureichenden Kommittentenschutz greift
schon deshalb nicht durch, weil der Gesetzgeber von einer Erstreckung des § 392 Abs.
2 HGB auf das Surrogat der Forderung und damit von einem weiterreichenden
Kommittentenschutz in Kenntnis dieser Problematik abgesehen hat (vgl. Krüger a. a. O. -
m. weit. Nachw.). Hinzu kommt, dass es der Kommittent selbst in der Hand hat, durch
entsprechende Regelungen mit dem Kommissionär für einen ausreichenden Schutz
seiner Interessen zu sorgen. Er kann bspw. mit dem Kommissionär vereinbaren, die
Forderung aus dem Ausführungsgeschäft selbst einzuziehen, oder den Kommissionär
anweisen, mit dem Dritten zu vereinbaren, dass die Leistung unmittelbar an ihn, den
Kommittenten, erfolgen soll.
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Entgegen der Meinung von Canaris (a. a. O.) ergibt sich eine Notwendigkeit für eine
Analogie auch nicht aus der Neuregelung des § 422 Abs. 2 HGB. Zwar hat der
Gesetzgeber im Zuge des Handelsrechtsreformgesetzes 1998 "in Fortführung des in §
392 Abs. 2 HGB enthaltenen Rechtsgedankens" in § 422 Abs. 2 HGB eine Fiktion
begründet, wonach auch das im Falle der Nachnahmeversendung an den Frachtführer
aufgrund der Einziehung Erlangte als auf den Absender übertragen gilt. Wenn der
Gesetzgeber allerdings in Kenntnis der Problematik und der hierzu vertretenen
unterschiedlichen Ansichten von einer vergleichbaren Änderung im Kommissionsrecht
absieht, folgt hieraus gerade, dass er eine entsprechende Fiktion für das
Kommissionsrecht nicht wollte. Mithin fehlt es bereits an einer für eine Analogie
erforderlichen planwidrigen Regelungslücke im Kommissionsrecht. Auch wenn man -
mit Canaris - einen Wertungswiderspruch zwischen den Regelungen des § 392 Abs. 2
HGB einerseits und des § 422 Abs. 2 HGB andererseits annehmen wollte, so
entspräche dieser doch mithin dem erst in jüngster Zeit zum Ausdruck gekommenen
gesetzgeberischen Willen.
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Schließlich würde die analoge Anwendung des § 392 Abs. 2 HGB zu einem
Folgeproblem führen, wenn das Surrogat der Forderung - wie in dem vorliegenden Fall -
bei dem Kommissionär gar nicht mehr gegenständlich unterscheidbar vorhanden ist.
Dann müsste man, um einen weiterreichenden Kommittentenschutz zu gewährleisten,
eine bloß mengenmäßige Unterscheidbarkeit genügen lassen, was selbst nach
Auffassung von K. Schmidt (a. a. O.) dem Willen des historischen Gesetzgebers
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widerspräche.
Nach alledem erscheint der Kammer eine analoge Anwendung des § 392 Abs. 2 HGB
auf das Surrogat der Forderung aus dem Ausführungsgeschäft des Kommissionärs nicht
gerechtfertigt.
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Danach war die Klage mangels eines dem Kläger zustehenden Aussonderungsrechts
abzuweisen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen zur Kostentragung und zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3, 709 S. 1 ZPO.
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