Urteil des LG Hagen vom 11.08.2010

LG Hagen (kläger, ersatz der kosten, herausgabe, patient, versicherung, erstattung, zpo, besitz, arzt, unterlagen)

Landgericht Hagen, 2 O 170/10
Datum:
11.08.2010
Gericht:
Landgericht Hagen
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 170/10
Schlagworte:
Herausgabe von Krankenunterlagen; Ersatzpflicht für Einholung einer
Deckungszusage
Normen:
BGB §§ 810, 611, 242
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger begehrt von dem Beklagten, seinem behandelnden Arzt, die Herausgabe
von Krankenunterlagen zur Vorbereitung eines Arzthaftungsprozesses.
2
Der Kläger war beim Beklagten in der Zeit vom 24.08.2004 bis 31.05.2007 in
urologisch/andrologischer Behandlung. Er beabsichtigt, wegen eines vom Beklagten
nicht erkannten Prostatakarzinoms Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten
geltend zu machen. Hierfür benötigt der Kläger die Behandlungsunterlagen des
Beklagten. Mit Anwaltsschreiben vom 22.03.2010 bat er den Beklagten um
Übersendung von Kopien der Behandlungsunterlagen, Arztberichte,
Röntgenaufnahmen u. a. gegen Erstattung der Kosten für die Anfertigung von
Fotokopien unter Setzung einer Frist bis zum 06.04.2010. Mit Schreiben vom
23.03.2010 übersandte der Beklagte dem Kläger Befundberichte, Ultraschall-Prints u. a..
Mit Anwaltsschreiben vom 26.03.2010 wies der Kläger den Beklagten auf die
Unvollständigkeit der übersandten Unterlagen hin und bat ihn, ihm auch seine eigene
Behandlungskartei in Kopie zur Verfügung zu stellen. Die Röntgenbilder werde er, der
Kläger, selbst abholen. Mit Anwaltsschreiben vom 17.05.2010 bat der Kläger seinen
Rechtsschutzversicherer, die T GmbH in E2, ihm eine Deckungszusage für die Klage
auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen zu erteilen.
3
Der Kläger behauptet, die ihm vom Beklagten überlassenen Krankenunterlagen seien
4
noch nicht vollständig. Es fehlten noch Behandlungsunterlagen von den Terminen am
24.08., 14.09., 04.10., 21.12.2004 sowie 21.08., 30.08., 04.09.2006 und 08.01.2007, an
denen er sich in der Behandlung des Beklagten befunden habe.
Der Kläger beantragt,
5
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn über die mit Schreiben vom 23.03.2010
(Schreiben vom 28.03.2008; Ultraschall-Print vom 04.07.2006, 17:22.40;
Ultraschall-Print vom 04.07.2006, 17:42:54; Uroflowprotokoll vom 23.04.2007;
Befundbericht Dres. F2 vom 28.09.2004) und 06.04.2010 (Karteikarte mit
Einträgen vom 31.05.2007, 23.04.2007, 11.07.2006, 04.07.2006) hinaus – Zug um
Zug gegen Erstattung der von dem Beklagten zu errechnenden Kosten –
gefertigten Behandlungsunterlagen in Kopie herauszugeben, und zwar für den
Zeitraum vom 24.08.2004 bis 31.05.2007;
6
7
2. festzustellen, dass der Beklagte sich mit der Berechnung der für die Erstattung
nötigen Kosten gemäß Ziffer 1 der Klage in Verzug befinde;
8
9
3. den Beklagten zu verurteilen, eine Versicherung abzugeben, dass die von ihm
herauszugebenden Fotokopien eine vollständige Kopie der im Klageantrag zu
Ziffer 1.) dargestellten Behandlungsunterlagen beinhalten;
10
11
4. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 546,69 Euro außergerichtliche Kosten nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu zahlen;
12
13
5. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 272,87 Euro an außergerichtlichen Kosten für
die Einholung der Deckungszusage nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
14
15
Der Beklagte beantragt,
16
die Klage abzuweisen.
17
Der Beklagte behauptet, er habe dem Kläger alle Krankenunterlagen zur Verfügung
gestellt, die er in Besitz habe. Bei den vom Kläger aufgezählten Terminen habe es sich
teilweise um Patientengespräche gehandelt, über die keine besonderen
Aufzeichnungen erstellt worden seien. Teilweise habe es an den Tagen keinen Kontakt
zwischen Patient und Arzt gegeben, möglicherweise sei ihm ein Rezept ausgestellt
worden.
18
In der mündlichen Verhandlung am 11.8.2010 hat der Beklagte die Versicherung, die
Gegenstand des Klageantrages zu Ziffer 3 ist, zu Protokoll des Gerichts abgegeben.
19
Daraufhin haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich Ziffer 3 des Klageantrages
übereinstimmt für erledigt erklärt.
20
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
21
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
22
Die Klage ist unbegründet.
23
Dem Kläger stand gegen den Beklagten zwar ursprünglich ein Anspruch auf
Herausgabe der ihn betreffenden Krankenunterlagen aus §§ 810, 611, 242 BGB zu. Es
ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Patient vom Arzt Einsichtnahme in bzw.
Herausgabe von sämtlichen ihn betreffenden Behandlungsunterlagen verlangen kann,
ohne dass er diesbezüglich ein besondere rechtliches Interesse nachweise muss. Dies
ergibt sich bereits aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Jeder Patient hat
das Recht, über seinen gesundheitlichen Zustand genau informiert zu werden. Ferner ist
anerkannt, dass der Patient anstelle einer Einsichtnahme in die Originalunterlagen auch
die Herausgabe von Kopien der Krankenunterlagen verlangen kann (BGH NJW 1983,
328; Amtsgericht I NJW-RR 1998, 262).
24
Der Anspruch des Klägers auf Herausgabe von Kopien der Krankenunterlagen ist
jedoch insoweit durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB untergegangen, als der
Beklagte ihm Kopien der Krankenakten, der Karteikarte, Röntgenbilder etc. zur
Verfügung gestellt hat.
25
Soweit der Kläger behauptet, der Beklagte habe noch weitere Krankenunterlagen in
Besitz, in die er ihm bislang keine Einsicht gewährt habe, ist er beweisfällig geblieben.
Herausgegeben werden können nur solche Unterlagen, die der Verpflichtete tatsächlich
in Besitz hat. Dass der in Anspruch genommene Arzt die Krankenunterlagen, in die der
Patient Einsicht begehrt, besitzt, ist daher anspruchsbegründendes
Tatbestandsmerkmal. Ebenso wie bei einem Herausgabeanspruch nach § 985 BGB
(vgl. Palandt/Bassenge, 69. Auflage, § 985 BGB, Rnr. 16), ist daher der Patient als
Anspruchssteller für den Besitz des in Anspruch genommenen Arztes beweispflichtig,
sofern dieser behauptet, keine weiteren Unterlagen zu besitzen. Der Kläger hat für seine
26
Behauptung, auch hinsichtlich der von ihm aufgeführten Termine, über die nach Angabe
des Beklagten keine Aufzeichnungen gefertigt worden seien, müsse es noch Unterlagen
geben, keinen Beweis angetreten. Sofern er sich für seine Behauptung, sich an allen
von ihm genannten Terminen in die Behandlung des Beklagten begeben zu haben,
Beweis antritt durch Zeugnis der Frau N, erstreckt sich dieser Beweisantritt nicht auf die
entscheidungserhebliche Tatsache, ob der Beklagte an diesen Terminen auch
Aufzeichnungen, etwa Einträge in seine Karteikarte, gemacht hat. Soweit der Beklagte
vorgetragen hat, die am 30.08.2006 gefertigten Röntgenbilder nicht mehr in Besitz zu
haben, da er sie dem Kläger bzw. einer von ihm beauftragten dritten Person
ausgehändigt habe, ist der Kläger dem nicht entgegengetreten, so dass dieser Vortrag
unstreitig ist (§ 138 Abs. 2, 3 ZPO). Der Klageantrag zu Ziffer 1.) war daher abzuweisen.
Der Klageantrag zu Ziffer 2.) ist bereits mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Der
Beklagte hat die Überlassung von Fotokopien der Krankenunterlagen nicht von einer
Kostenerstattung des Klägers abhängig gemacht. Er hat diesbezüglich insbesondere
kein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 811 Abs. 2 Satz 2 BGB geltend gemacht. Der
Kläger hätte daher seinen Antrag auf Herausgabe der Unterlagen ohne die formulierte
Einschränkung Zug um Zug gegen Erstattung der Fotokopiekosten stellen können.
27
Über den Klageantrag zu Ziffer 3.) war nicht mehr zu entscheiden, da die Parteien den
Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben.
28
Die Klageanträge zu Ziffern 4.) und 5.) auf Erstattung außergerichtlich entstandener
Rechtsanwaltskosten waren abzuweisen.
29
Ein diesbezüglicher Anspruch scheitert bereits daran, dass der rechtsschutzversicherte
Kläger nicht dargelegt hat, von seinem Prozessbevollmächtigten auf Zahlung der
betreffenden Beträge in Anspruch genommen worden zu sein und diese auch
ausgeglichen zu haben.
30
Zudem liegen hinsichtlich der Klageforderung vom 546,69 Euro die Voraussetzungen
der in Betracht kommenden Anspruchgrundlage aus §§ 611, 810, 280 Abs. 1, 2, 286
Abs. 1 BGB nicht vor. Die außergerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des
Klägers ist nicht kausal auf einen Verzug des Beklagten mit der Erfüllung seiner
nebenvertraglichen Pflicht auf Herausgabe der Krankenunterlagen zurückzuführen. Der
Beklagte kann mit der Erfüllung dieser Verpflichtung frühestens am 06.04.2010, der ihm
mit Anwaltsschreiben vom 22.03.2010 gesetzten Frist, in Verzug geraten sein. Zu
diesem Zeitpunkt war der Prozessbevollmächtigte des Klägers aber bereits, wie sein
Schreiben vom 22.03.2010 zeigt, mit der außergerichtlichen Wahrnehmung seiner
Rechte beauftragt.
31
Ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Einholung der Deckungszusage in Höhe von
272,87 Euro steht dem Beklagten nicht zu. Zwar wird ein solcher Anspruch von der
Rechtsprechung teilweise zuerkennt (Landgericht E, Urteil vom 03.05.2010, 2 O 229/09;
AG N2, Urteil vom 26.01.2010, 5 C 142/09; LG C, Urteil vom 09.12.2009, 42 O 162/09).
Diese Entscheidungen überzeugen jedoch nicht. Ihre Begründung erschöpft sich darin,
die Einholung der Deckungszusage stelle eine besondere Angelegenheit dar, die auf
einem selbstständigen Auftrag beruhe, so dass die hierdurch entstehenden Kosten
erforderlich im Sinne von § 249 BGB seien. Dem vermag das Gericht nicht zu folgen. Es
schließt sich vielmehr der Gegensauffassung an, dass die Anwaltskosten für die
Einholung einer Deckungszusage beim Rechtschutzversicherer nicht zu erstatten sind
32
(Landgericht F, Urteil vom 27.11.2009, 9 O #####/####). Es fehlt bereits an einer
adäquaten Kausalität des Schadensereignisses für die Beauftragung des
Rechtsanwalts. Der Grund für die Rechtschutzanfrage liegt allein darin, dass der Kläger
nicht auf eigenes Kostenrisiko klagen möchte, sondern nur dann, wenn das Kostenrisiko
durch die Rechtschutzversicherung gedeckt ist. Insoweit handelt der Kläger bei
Einholung der Deckungszusage allein im eigenen Interesse. Der Kläger selbst
entscheidet darüber, ob er eine Deckungsanfrage stellt oder nicht. Ihre Kosten fallen
daher nicht in den Schutzbereich des § 249 BGB. Jedenfalls sind diese Kosten nicht zur
Herstellung des geschuldeten Zustandes gemäß § 249 BGB erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 91 a, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
33
Soweit die Klage abgewiesen worden ist, hat der Kläger als unterlegene Partei die
Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Soweit die Parteien hinsichtlich des Klageantrages
zu 3.) den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war gemäß § 91 a
ZPO über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes
nach billigem Ermessen zu entscheiden. Die Klage auf Abgabe der Versicherung der
Vollständigkeit der überreichten Fotokopien wäre allerdings bis zu dem Zeitpunkt, zu
dem der Beklagte diese Versicherung zu Protokoll erklärt hat, begründet gewesen. Die
Rechtsprechung billigt dem Patienten, der Anspruch auf Einsicht in die
Krankenunterlagen hat, auch den Anspruch zu, von dem beklagten Arzt die
Versicherung über die Vollständigkeit der ausgehändigten Urkunden verlangen zu
können. Hergeleitet wird ein solcher Anspruch aus einer entsprechenden Anwendung
der §§ 259 bis 261 BGB (Amtsgericht I NJW RR- 1998, 262). Dieser Anspruch des
Klägers gegen den Beklagten ist erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit durch Erfüllung
untergegangen. Ein entsprechender Feststellungsantrag des Klägers auf Erledigung der
Hauptsache wäre daher begründet gewesen. Gleichwohl entsprach es billigem
Ermessen, dem Kläger die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Das
Obsiegen des Kläger wäre, wenn über den betreffenden Antrag streitig entschieden
worden wäre, im Vergleich zu den Anträgen, hinsichtlich derer der Kläger den
Rechtsstreit verloren hat, verhältnismäßig geringfügig im Sinne von § 92 Abs. 2 Nr. 1
ZPO gewesen. Das Gericht hat den Streitwert mit Beschluss vom 11.08.2010 auf
insgesamt 14.750,00 Euro festgesetzt, wovon auf den Klageantrag zu 1.) 13.750,00
Euro und auf die Klageanträge zu 2.) und 3.) jeweils 500,00 Euro entfallen. Bei der
Bemessung des Wertes des Klageantrages zu 1.) ist das Gericht von einem Viertel des
voraussichtlichen Wertes des Hauptsacheverfahrens, dessen Vorbereitung die
Herausgabe der Krankenunterlagen dienen soll, ausgegangen. Der Kläger beabsichtigt,
ein Schmerzensgeld von mindestens 55.000,00 Euro geltend zu machen, so dass 1/4
13.750,00 Euro ergibt. Der auf den Klageantrag zu 3.) entfallende Streitwertanteil
entspricht mit 500,00 Euro lediglich einer Quote von 3,39 % des Gesamtstreitwertes. Er
ist damit verhältnismäßig geringfügig und verursacht keine höheren Kosten.
34
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit Folgt aus § 709 ZPO.
35