Urteil des LG Hagen vom 09.03.2006

LG Hagen: auszahlung, pfändung, drucksache, sozialleistung, rechtsgrundlage, beschwerdekammer, einziehung, datum, geldinstitut

Landgericht Hagen, 3 T 135/06
Datum:
09.03.2006
Gericht:
Landgericht Hagen
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 T 135/06
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Die Pfändung des Guthabens der Schuldnerin auf dem Konto bei der
Drittschuldnerin (Konto-Nr.: 560409) wird insoweit aufgehoben, als das
Guthaben auf einer Zahlung der Familienkasse J unter dem
Aktenzeichen: KGNR 355/073896 für Februar 2006 in Höhe von 154,00
€ beruht.
Die Gläubiger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem
Beschwerdewert von bis zu 300,00 €.
Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 08. Juni 2001 hat das Amtsgericht auf
Antrag der Gläubigerin Ansprüche der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin auf
Auszahlung der gegenwärtigen und zukünftig entstehenden Guthaben auf dem bei der
Drittschuldnerin bestehenden Konto der Schuldnerin (Konto-Nr.: 560409) gepfändet und
der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen.
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Unter dem 22. Februar 2006 hat die Schuldnerin zu Protokoll der Geschäftsstelle des
Amtsgerichts beantragt, die Kontenpfändung hinsichtlich der auf dem Konto
eingehenden Kindergeldzahlungen der Familienkasse J aufzuheben. Zur Begründung
hat die Schuldnerin ausgeführt, die Drittschuldnerin weigere sich, das am 16.02.2006
auf dem Konto eingegangene Kindergeld auszuzahlen. Dem Antrag war ein
Kontoauszug beigefügt, aus dem der Eingang der Kindergeldzahlung der
Familienkasse J auf dem gepfändeten Konto ersichtlich ist.
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Mit Beschluß vom 22. Februar 2006 hat das Amtsgericht B den Antrag auf Freigabe der
Kindergeldzahlung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es bestehe für
einen solchen Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis, da das Kindergeld von vornherein
von der Kontenpfändung nicht erfaßt sei. Die Vorschrift des § 55 SGBI sei entgegen
einer in der Literatur vertretenen Rechtsauffassung analog anwendbar.
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Die Schuldnerin hat unter dem 22. Februar 2006 zu Protokoll der Geschäftsstelle des
Amtsgerichts gegen den oben genannten Beschluß sofortige Beschwerde eingelegt.
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Das Amtsgericht B hat mit weiterem Beschluß vom 22. Februar 2006 der sofortigen
Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht I - Beschwerdekammer -
zur Entscheidung vorgelegt.
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Die gemäß § 793 ZPO zulässige Beschwerde der Schuldnerin ist auch in der Sache
begründet.
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Für den Antrag der Schuldnerin auf Freigabe der Kindergeldzahlung besteht das
erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
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Dieses ergibt sich unabhängig von der rechtlichen Einordnung der Kindergeldzahlung
unter § 55 Abs. 1 SGBI oder § 850 k ZPO bereits daraus, daß die Drittschuldnerin die
Auszahlung des Betrages an die Schuldnerin verweigert hat. In diesem Fall hat das
zuständige Vollstreckungsgericht, soweit die Auszahlung zu Unrecht verweigert wurde,
die beantragte Aufhebung der Kontenpfändung jedenfalls deklaratorisch
auszusprechen.
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Die Drittschuldnerin war im Zeitpunkt der Antragstellung verpflichtet, das Kindergeld in
voller Höhe an die Schuldnerin auszuzahlen.
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Die Kammer schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des Amtsgerichts an, wonach
ein auf einer Kindergeldzahlung beruhendes Guthaben trotz bestehender Pfändung in
entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 1 SGBI innerhalb der ersten sieben Tage
nach Zahlungseingang unbeschränkt auszuzahlen ist.
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Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung ( vgl. Stöber,
Forderungspfändung, 12. Aufl., Rn. 153 s) ) ist für das auf ein Konto des Schuldners bei
einem Geldinstitut überwiesene Kindergeld § 55 Abs. 1 SGBI entsprechend
anzuwenden, wenn die Kindergeldzahlung auf §§ 62 ff EStG beruht.
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Auch das nach den Vorschriften des EStGes gewährte Kindergeld dient der Sicherung
des Existenzminimums des Kindes. Es unterscheidet sich insoweit nicht von dem in
besonderen Fällen nach wie vor nach dem Bundeskindergeldgesetz ( BKGG )
gewährten Kindergeld, welches unzweifelhaft Sozialleistung im Sinne des § 55 Abs. 1
SGBI ist (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 850 k Rn. 1 a. E.). Dementsprechend hat
der Gesetzgeber mit § 76 EStG auch eine dem § 54 Abs. 5 SGBI entsprechende
Regelung eingefügt, die bewirken soll, daß die bei der Kindergeldberechnung zu
berücksichtigenden Kinder in den Genuß der ihnen zugedachten Leistungen kommen.
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Soweit der Gesetzgeber den Regelungen des EStG keine dem § 55 SGBI
entsprechende Regelung hinzugefügt hat, muß von einer planwidrigen Regelungslücke
ausgegangen werden.
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Es ist nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber bewußt auf einen dem § 55 SGBI
entsprechenden Schutz der auf ein Konto des Schuldners überwiesenen
Kindergeldzahlungen verzichtet hätte. Aus der Gesetzesbegründung ist ein solcher
Wille des Gesetzgebers nicht zu entnehmen. In der Begründung zu § 76 EStG (BT-
Drucksache 13/1558, 162) heißt es, es solle durch § 76 EStG sichergestellt werden, daß
Kindergeld wie bisher nur eingeschränkt pfändbar sei. Daraus ergibt sich aber, daß
auch nach dem Willen des Gesetzgebers dem nach dem EStG gewährten Kindergeld
kein geringerer Pfändungsschutz zukommen sollte, als dem nach
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Bundeskindergeldgesetz ausgezahlten Kindergeld.
Nur durch die entsprechende Anwendung des § 55 SGBI auch auf die
Kindergeldauszahlung nach EStG kann sichergestellt werden, daß die
Kindergeldzahlungen - wie bisher - den Leistungsberechtigten uneingeschränkt zu Gute
kommt.
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Diese Rechtsanwendung entspricht auch den neueren Rechtsprechungen des BGH,
der hinsichtlich der Kindergeldzahlungen unabhängig von der zugrunde liegenden
Rechtsgrundlage von einer Anwendbarkeit des § 55 SGBI ausgeht (vgl. BGH NJW
2004, 3262 - 3264).
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Nach alledem ist die sofortige Beschwerde begründet.
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Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 3, 91 ZPO.
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