Urteil des LG Hagen vom 26.01.2006
LG Hagen: ärztliche behandlung, operation, umkehr der beweislast, behandlungsfehler, billige entschädigung, diagnose, echokardiographie, schmerzensgeld, gutachter, wahrscheinlichkeit
Landgericht Hagen, 6 O 368/02
Datum:
26.01.2006
Gericht:
Landgericht Hagen
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 O 368/02
Tenor:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger
45.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 10.10.2002 zu zahlen, der Beklagten zu 2)
darüber hinaus, an den Kläger Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz vom dem 9.-10.10.2002 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet
sind, dem Kläger sämtliche materiellen und weiteren immateriellen
Schäden zu bezahlen, die dem Kläger wegen fehlerhafter Behandlung
im Zeitraum vom 12.07.2000 bis 26.07.2000 durch den Beklagten zu 2)
im von der Beklagten zu 1) getragenen Krankenhaus entstehen, soweit
die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte
übergehen oder bereits übergangen sind.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
1
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schmerzensgeld wegen seiner Behandlung und
deren Folgen vom 12.07.2000 bis 26.07.2000 im von der Beklagten zu 1) getragenen
Krankenhaus. Die Untersuchung und Behandlung wurde vom Beklagten zu 2)
durchgeführt, einem Chefarzt der Beklagten zu 1).
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Ferner begehrt er die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für seinen
weitergehenden immateriellen sowie materiellen Schaden wegen der betreffenden
Behandlung und deren Folgen.
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Der Kläger ließ sich am 12.7.2000 in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) einliefern,
weil er unter Herzrasen und Atemnot litt.
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Vorbelastungen waren Morbus Bechterew und Bluthochdruck; wegen dieser
Krankheiten nahm der Kläger Medikamente ein.
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Im Krankenhaus der Beklagten zu 1) diagnostiziert wurden Herzstörungen (Kardiale
Dekompensation bei intermittierenden Tachyarrhytmia eine absoluta bei
Vorhofflimmern, Arterielle Hypertonie), Morbus Bechterew sowie akute Bronchitis mit
Initial Fieber. Der Kläger hatte bei Aufnahme Temperatur. Er litt unter Leukozytose und
Anämie.
6
Der Kläger wurde am 12.7.2000 und am 20.7.2000 echokardiografisch untersucht,
Befund: kleiner Pericarderguss, enddiastolischer Durchmesser im obersten
Normbereich, Septum und hintere Wand verdickt.
7
Die Behandlung des Klägers erfolgte durch den Beklagten zu 2) auf akute Bronchitis hin
mit Blutübertragungen und Antibiotika.
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Unmittelbar vor der Entlassung trat das Pulsrasen wieder auf und wurde mit einer
Tablette behandelt.
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Nach der Entlassung am 27.7.2000 hatte der Kläger wiederum Blutarmut, Eisenmangel
und eine extrem bakteriell verseuchte Blase vom 2.8.2000 bis zum 7.8.2000.
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Am 17.8.2000 litt der Kläger erneut unter Pulsrasen und erhielt im Bethanien
Krankenhaus eine Spritze, am 18.8.2000 wurde er mit Pulsrasen und Atemnot ins
Bethanien Krankenhaus eingewiesen.
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Nach diversen Untersuchungen wurde eine bestehende oder abklingende
Herzbeutelentzündung festgestellt. Der Kläger wurde am 22.8.2000 in den städtischen
Kliniken in E2 notoperiert und erhielt künstliche Herzklappen. P die Notoperation wäre
der Kläger an diesem Tag verstorben.
12
Der Kläger behauptet, er habe bereits bei Einlieferung in das Krankenhaus der
Beklagten zu 1) an Endokarditis gelitten, so dass eine ordnungsgemäße Untersuchung
auch dies hätte ergeben müssen; eine Bronchitis, wie diagnostiziert, habe er jedenfalls
nicht gehabt.
13
Der Kläger behauptet, ihm seien sämtliche Zähne bis auf zwei gezogen worden, da
noch eine Entzündung im Blut gewesen sei; er habe weiter Zahnersatz-Prothesen
erhalten, eine endgültige Anpassung sei bis Klageerhebung nicht erfolgt. Er habe bis
zum 20.9.2000 auf der Intensivstation gelegen, er habe keine normale Nahrung zu sich
nehmen können und Gewicht verloren, sich nur im Rollstuhl fortbewegen können und
wieder richtig atmen und laufen lernen müssen. Seitdem befinde er sich in ständiger
ärztlicher Behandlung und müsse täglich zahlreiche Medikament nehmen, z.B. Lisinopril
Stada, Felodipin Stada, Amiohexal. Aufgrund der Nebenwirkungen der Medikamente
sei die Funktionsfähigkeit seiner Niere eingeschränkt. Eine weitere Operation zum
Austausch der künstlichen Herzklappen sei wahrscheinlich, zumindest möglich.
14
Der Kläger hält die Behandlung durch den Beklagten zu 2) für fehlerhaft, weil er ihn auf
akute Bronchitis behandelt habe, statt die vorhandene Herzklappenentzündung
(Endokarditis) zu erkennen und zu behandeln. Er sieht einen Fehler darin, dass bei der
Untersuchung eine solche Erkrankung nicht differentialdiagnostisch in Betracht gezogen
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und in Hinblick darauf keine weiteren Untersuchungen vorgenommen worden sei. Die
Vorhandenen Symptome sowohl zu Beginn als auch nach Abschluss der Behandlung
durch den Beklagten zu 2) hätten nicht durch eine Bronchitis erklärt werden können.
Der Kläger behauptet, bei rechtzeitiger richtiger Behandlung wäre eine notfallmäßige
Operation nicht erforderlich gewesen, es wären beiden Herzklappen erhalten geblieben
und er müsste keine zusätzlichen Medikamente nehmen.
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Der Kläger behauptet, die Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen, insbesondere
drohten weitere Schädigungen durch die Medikamente und aufgrund möglichen
Austauschs der Herzklappen.
17
Der Kläger beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes
Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
mindestens aber 30.000 Euro, nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB
seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
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festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm
sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu bezahlen, die ihm wegen
fehlerhafter Behandlung im Zeitraum vom 12.07.2000 bis 26.07.2000 durch den
Beklagten zu 2) im von der Beklagten zu 1) getragenen Krankenhaus entstehen,
soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte
übergehen oder bereits übergangen sind.
20
Die Beklagte zu 1) beantragt,
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die Klage abzuweisen.
22
Der Beklagte zu 2) beantragt,
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die Klage abzuweisen.
24
Die Beklagten bestreiten bereits einen Behandlungsfehler. Sie tragen vor, wegen
diskrepanter Befunde bei der Echokardiographie sei bei der zweiten Untersuchung
durch den Beklagten zu 2) der Erstuntersucher hinzugezogen worden; beide hätten
keine Hinweise für eine endokarditisch veränderter Herzklappe entdeckt.
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Außerdem sind sie der Ansicht, dass es sich jedenfalls nicht um einen groben
Behandlungsfehler handele. Ferner bestreiten sie, dass dem Kläger aufgrund des
Fehlers überhaupt ein Gesundheitsschaden entstanden sei, nämlich dass sich der
Krankheitsverlauf bei einer früher anderes gestellten Diagnose und eingeleiteten
Therapie anders gestaltet hätte. Die Beklagten bestreiten ferner die Beeinträchtigungen
des Klägers nach der Operation. Ferner behaupten sie, diese seien nicht auf einen
etwaigen Diagnose- bzw. Behandlungsfehler zurückzuführen.
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Außerdem bezweifeln die Beklagten das Rechtsschutzbedürfnis für den
Feststellungsantrag.
27
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 3.3.2003 durch
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Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und Anhörung des
Sachverständigen Prof. Dr. I. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf
das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5.1.2006: das schriftliche Gutachten
vom 28.11.2003 und die schriftliche Stellungnahme vom 17.08.2004 und 01.09.2005
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
29
Die Klage ist begründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld.
31
Die Haftung auf immateriellen Schadensersatz ergibt sich für den Beklagten zu 2), der
die Untersuchung und Behandlung durchgeführt hat, aus §§ 823 I BGB, 847 I BGB a.F.
(vgl. Art. 229 § 8 I EGBGB).
32
Für die Beklagte zu 1) ergibt sich die Haftung gegenüber dem Kläger aus § 831 I BGB,
847 I BGB a.F., da der Beklagte zu 2) Chefarzt der Beklagten zu 1) ist und sie sich nicht
exkulpiert hat.
33
Die Behandlung war aufgrund falscher Diagnose fehlerhaft, und die
Verletzungshandlung war kausal für die nachfolgenden Schmerzen und Aufwendungen
und die anschließende Operation.
34
Der Kläger hat einen Behandlungsfehler nachgewiesen. Der Beklagte zu 1) hat beim
Kläger eine akute Bronchitis diagnostiziert und behandelt statt einer akuten
Endokarditis.
35
Eine akute Endokarditis war schon bei Behandlung durch den Beklagten zu 2)
vorhanden und wäre bei weitergehender und angezeigter Untersuchung, insbesondere
einer transoesophagealen Echokardiographie und der Anlage einer Blutkultur, entdeckt
worden. Ferner hätte die dann früher begonnene gezielte Behandlung die eingetretenen
Folgen vermieden.
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Der Beklagte zu 2) hat zum einen keine transoesophageale Echokardiographie
durchgeführt, zum anderen keine Blutkulturen angesetzt, um den im Blut des Klägers
aktiven Erreger zu identifizieren, obwohl dies nach den Symptomen erforderlich
gewesen wäre. Dies steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts
fest.
37
Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen litt der Kläger unter
einer akuten Endokarditis lenta, ausgelöst durch den Erreger Streptococcus adjacens,
der nach Abnahme einer Blutkultur im Bethanien-Krankenhaus identifiziert wurde. Diese
Erkrankung führt im Laufe weniger Monate zu einer Zerstörung der Herzklappen. Der
Erreger ist hochempfindlich gegen bestimmte Arten von Antibiotika, insbesondere
gegen Penicillin.
38
Es lag keine fondroyante Endokarditis vor, die binnen Tagen zu einer Zerstörung der
Herzklappen führt. Aus diesem Grund waren die Symptome, die der Kläger bereits bei
Einlieferung in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) zeigte, auf die Endokarditis lenta
zurückzuführen.
39
Der Kläger wies nach den dort gefertigten Röntgenaufnahmen und nach der
durchgeführten Blutgasanalyse im Krankenhaus der Beklagten zu 1) mit erniedrigten
pO2 und CO2-Werten ein Lungenödem auf. Die Werte waren deshalb so niedrig, weil
der Kläger aufgrund des Lungenödems Probleme hatte, sein Blut ausreichend mit
Sauerstoff zu versorgen. Außerdem wurde ein Rasselgeräusch festgestellt, nicht aber
Husten oder Herzgeräusche, und auch der Rachen war reizlos. Diese Befunde
sprechen gegen eine Bronchitis. Die ebenfalls festgestellte Blutarmut und die
Leukozytose am 21.7.2000 sprechen für einen entzündlichen Prozess und damit für eine
Endokarditis, wenn ein anderer entzündlicher Prozess nicht festgestellt werden kann,
wie es der Fall war. Eine akute Bronchitis war insgesamt mit den erhobenen Befunden
unvereinbar.
40
Der Sachverständige hat ferner überzeugend ausgeführt, dass die Beschreibung der
Zerstörungsform der Herzklappen im Rahmen der Notoperation nur zu einer
Endokarditis lenta paßt, da die Taschen der Aortenklappen zerstört waren und keine
andere Erkrankung als eine Endokarditis in relativ kurzer Zeit zu dieser konkreten
Zerstörung führt. Dass es sich um eine Endokarditis lenta und nicht um eine fondroyante
Endokarditis handelt - die noch nicht vorgelegen haben müsste, als der Kläger bei den
Beklagten in Behandlung war - ergibt sich nach den Ausführungen des
Sachverständigen zum einen aus der Gattung des vorgefundenen Erregers. Zum
anderen ist bei einer fudroyanten Endokarditis die Herzklappe in der Regel an mehreren
Stellen beschädigt, von der Mitte her und vom Rand, und dann liegen auch Abszesse
vor, deren Vorliegen aber gerade im Operationsbericht verneint wird. Der
Sachverständige hat auch nachvollziehbar erklärt, weshalb der Operateur nach
Abszessen gesucht haben muss: diese können nämlich die einzusetzenden künstlichen
Herzklappen sofort wieder beschädigen. Auch die Beschreibung "ältere
endokarditischer Veränderungen" stellt nach den nachvollziehbaren Äußerungen des
Sachverständigen eine Beschreibung einer Endokarditis lenta dar, da "älter" im Sinne
von Wochen oder Monate alt zu verstehen ist.
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Widerlegt ist insoweit auch folgender Vortrag des Beklagten zu 2): die Herzklappe des
Klägers sei vorgeschädigt, nämlich der Klappenring aufgeweicht gewesen; dann sei im
Zuge eines akuten septischen Fiebers eine akute Aortenklappeninsuffizienz
aufgetreten, wodurch der Klappenring nun beschädigt worden sei; und der kritische
Zustand sei erst aufgetreten, als der Kläger schon aus der Behandlung entlassen
gewesen sei. Der Sachverständige hat hierzu nachvollziehbar ausgeführt, beim Kläger
habe gerade keine Aufweichung bzw. Aufweitung des Klappenrings vorgelegen,
sondern dieser sei im Gegenteil besonders eng gewesen.
42
Soweit die Beklagten gegen die Einschätzung des Sachverständigen vorbringen, dass
die entfernten Herzklappen steril gewesen und nur mit älteren Veränderungen behaftet
gewesen seien, hat der Sachverständige nachvollziehbar erklärt, dass ein solcher
Zustand nach erfolgter – nach Identifizierung des Erregers gezielter - Antibiotikatherapie
der Annahme einer Endokarditis lenta nicht entgegensteht.
43
Soweit die Beklagten eine spätere histologische Untersuchung der entfernten
Herzklappen vermissen, die angeblich nicht mehr erfolgt, aber für die Diagnose
entscheidend sei, insbesondere für die Frage, ob eine akute Endokarditis vorlag,
werden hierdurch Zweifel an den Ausführungen des Sachverständigen nicht begründet.
44
Der Sachverständige führt dazu aus, dass bei der Operation nach den Befunden eine
floride, also aktive Endokarditis vorlag, die auch im Rahmen der Operation
abschließend beurteilt werden konnte, so dass weitere histologische Untersuchungen
nicht erforderlich waren. Der Sachverständige verweist hierzu auch auf eine neuere
Untersuchung, der zufolge endokarditisch zerstörte Herzklappen oft steril sind. Die
Beklagten greifen dies mit der Begründung an, dieser Untersuchung lägen andere Fälle
zugrunde, in denen die Patienten vor den Operationen antibiotisch behandelt worden
seien, so dass deshalb die Klappen steril seien. Dieses Argument hat der
Sachverständige überzeugend durch die Erklärung widerlegt, dies sei aber auch in
diesem Fall so gewesen, zumal hochempfindliche bakterielle Erreger, auch der beim
Kläger damals aktive, binnen kurzer Zeit, etwa binnen eines Tages durch Antibiotika
vermehrungsunfähig gemacht werden können.
45
Der Sachverständige geht davon aus, dass – wie das Lungenödem zeigt - ein leichter
Klappenfehler des Klägers schon bei Einlieferung in das Krankenhaus der Beklagten zu
1) vorgelegen hat, der lediglich weder dort noch bei Einlieferung in das Bethanien-
Krankenhaus aufgefunden wurde.
46
Die Symptome, die der Kläger bei Einlieferung in das Krankenhaus der Beklagten zu 1)
zeigte, hätten nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, auch
als solche erkannt werden müssen und nicht als Zeichen für eine akute Bronchitis
missdeutet werden dürfen. Es lag eine typische Befundkonstellation für eine
Endokarditis vor.
47
Danach zeigten sich bei Aufnahme des Klägers bei der Beklagten zu 1) keine
Veränderungen, die auf eine akute Bronchitis oder eine akute Lungenentzündung
hindeuteten. Es wurden Antibiotika gegeben, bevor und P dass Blutkulturen zum
Nachweis möglicher Erreger angelegt wurden, so dass ausschließlich die Symptome
und Laborbefunde behandelt wurden.
48
Der Gutachter kommt zu dem Schluss, dass die Blutarmut und ein Herzbeutelerguss bei
Untersuchung des Klägers im Krankenhaus der Beklagten zu 1) darauf hingedeutet
haben, dass eine chronische Infektion vorgelegen hat, was nicht beachtet worden ist;
außerdem haben viele andere Befunde auf eine schwere generalisierte bakterielle
Entzündung hingedeutet, was der Beklagte zu 2) verkannt hatte.
49
Die durchgeführte Blutgasanalyse im Krankenhaus der Beklagten zu 1) mit erniedrigten
pO2 und CO2-Werten sprach gegen eine Bronchitis, weil in diesem Fall umgekehrt
zuviel CO2 hätte vorhanden sein müssen, weil ein Patient in diesem Fall das CO2 nicht
ausatmen kann.
50
Aufgrund dieser Befunde hat eine Endokarditis jedenfalls in Erwägung gezogen werden
müssen, da diese aufgrund der schlechten Schallbedingungen beim Kläger nicht hätte
ausgeschlossen werden können.
51
Der gefundene Erreger wäre nach den nachvollziehbaren Erklärungen des
Sachverständigen mit einer Wahrscheinlichkeit von über 95% mittels Abnahme einer
Blutkultur isoliert worden, und dieses Ergebnis hätte wiederum auf eine Endokarditis
hingedeutet; das Unterlassen dieser Abnahme P vorherigen Ausschluss einer
Endokarditis ist leitlinienwidrig.
52
Nicht stichhaltig ist der Einwand der Beklagten, es sei nicht notwendig gewesen, eine
Blutkultur abzunehmen, statt sofort mit Antibiotika zu therapieren, Fieber sei lediglich bei
Aufnahme als 37,8 Grad aufgetreten, danach nicht mehr, und eine eindeutige
röntgenologische Diagnose für Bronchitis sei vor Behandlungsbeginn nicht zu fordern.
53
Der Gutachter hält diese Maßnahmen nämlich nicht für einander ausschließend,
sondern verlangt nachvollziehbar, dass erst Material für die Blutkultur genommen, dann
generell antibiotisch therapiert und nach Isolierung des Erregers mit Hilfe der Blutkultur
speziell auf den Erreger abgestimmt antibiotisch behandelt wird. Außerdem hätten P
eine eindeutige Diagnose nicht andere mögliche Ursachen für die Befunde
ausgeschlossen und nicht die weitere Untersuchung unterlassen werden dürfen.
54
Die Beklagten bezweifeln ferner, dass bei einer transoesophagelen Echokardiographie
die Auflagerungen auf der Aortenklappe erkannt worden und eine Endokarditis
diagnostiziert worden wäre. Hiervon ist aber auszugehen. Soweit die Beklagten
hiergegen vorbringen, selbst bei Aufnahme im Bethanien-Krankenhaus würden lediglich
kleinere Vegetationen beschrieben und bei Entfernung der Herzklappen seien diese
steril gewesen, steht dies dem nicht entgegen. Der Sachverständige hat hierzu
ausgeführt, dass Vegetationen auch abreißen und in den Blutfluss gelangen können.
Zum Zustand der Herzklappen bei Entfernung ist - wie bereits erwähnt - anzuführen,
dass deren Sterilität sich aus der vorangegangenen Antibiotika-Therapie im Bethanien-
Krankenhaus ergibt. Soweit die Beklagten ferner einwenden, nach Aufnahme im
Bethanien-Krankenhaus sei dort sogar bei transthorakaler Echokardiographie eine
Aortenklappeninsuffizienz zu erkennen gewesen, eben weil der Krankheitsverlauf so
dramatisch gewesen sei, steht dies der Notwendigkeit einer transoesophagealen
Echokardiographie nicht entgegen.
55
Außerdem lässt sich dem Dokumentationsmaterial der Beklagten nicht entnehmen, ob
die Vegetationen oder eine Aortenklappeninsuffizienz nicht sogar auch bei einer
transthorakalen Echokardiographie zu erkennen gewesen wäre. Der Gutachter führt
nach Betrachtung der Videobänder vom 12.7.2000 aus, dass sie eine Beurteilung
aufgrund mangelhafter Darstellung nicht ermöglichen, weshalb die Dokumentation den
Mindestanforderungen nicht genügt. Die zweite Untersuchung sei überhaupt nicht
dokumentiert worden und die Feststellbarkeit der Endokarditis offen bzw. wegen des
Schwerpunkts schon der ersten Untersuchung auf den falschen Herzklappen nicht
möglich.
56
Aufgrund der Verletzung der Dokumentationspflicht ist davon auszugehen, dass die
richtige Diagnose hätte gestellt werden können.
57
Die Beklagten tragen ferner vor, der Kläger habe eine Magenuntersuchung durch
Schlauchschlucken abgelehnt. Dies ist aber insoweit irrelevant, wie er nicht auch über
eine transoesophaglen Echokardiographie –ebenfalls mit Schlauchschlucken
verbunden – befragt wurde und ihm insbesondere auch das Risiko dargelegt wurde, das
mit der Unterlassung einer solchen Untersuchung verbunden war.
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Der Kläger ist nach der Notoperation sowohl durch deren unmittelbare negativen
Auswirkungen als auch weiterhin bis an sein Lebensende gesundheitlich beeinträchtigt.
Auch dies steht insgesamt nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts
fest.
59
Bezüglich der Medikamente hat der Gutachter ausgeführt, dass ausschließlich die
Einnahme von Marcumar wegen des Herzklappeneinsatzes nötig sei; die übrigen
Medikamente müsse er bereits wegen seiner Vorerkrankungen einnehmen.
60
Der Kläger ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in seiner
maximalen körperlichen Leistungsfähigkeit um wenigstens 20-30% eingeschränkt.
Ferner ist danach die jetzige ständige ärztliche Behandlung als intensiver anzusehen,
als dies P den Doppelklappenersatz notwendig gewesen wäre, da die Prothesen
regelmäßig überprüft werden müssen. Der Sachverständige hat dargelegt, dass allein
die Marcumar-Überwachung 2-wöchentlich stattfinden muss, ferner, dass die
künstlichen Herzklappen ein höheres Entzündungsrisiko bergen als natürliche
Herzklappen. Zusammen mit dem Risiko technischer Defekte ergibt sich ein
zusätzliches Risiko von 2%.
61
Der Behandlungsfehler war auch kausal für die Notoperation und die weiterhin
fortbestehenden Beeinträchtigungen des Klägers.
62
Zum weiteren möglichen Verlauf bei ordnungsgemäßer Diagnose führt der Gutachter
aus, es sei bei einer derartigen Erkrankung generell wahrscheinlich, dass sie auch P
Operation beherrscht worden wäre, nicht aber mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit bei florider Phase oder nach primärer antibiotischer Sanierung.
63
Die sekundäre Mitralklappeninfektion und damit die Entfernung dieser Klappe hätte bei
rechtzeitiger Diagnostik mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert
werden können; die Aortenklappe hätte dann mit einer 90%-tigen Wahrscheinlichkeit
nicht entfernt und ersetzt werden müssen.
64
Rückblickend steht nach den überzeugenden Ausführungen fest, dass die Operation
hätte vermieden werden können. Die Wahrscheinlichkeit von 10%, dass eine Operation
bei einer derartigen Erkrankung in jedem Fall notwendig ist, verwirklicht sich danach in
solchen den Fällen zum einen dann, wenn ein lokal unkontrollierter Verlauf vorliegt, so
dass das Medikament durch bloße Einleitung in die Blutbahn nicht bis in die Tiefe
gelangen kann. Ein solcher Fall lag beim Kläger nicht vor. Zum anderen muss dann
operiert werden, wenn die Herzklappe nicht mehr richtig schließt. Dies war beim Kläger
nach den Ausführungen des Gutachters erst in einem zur Operation zwingenden
Ausmaß der Fall, nachdem er schon aus dem Krankenhaus der Beklagten zu 1)
entlassen worden war. Der Erreger ist hochempfindlich gegen bestimmte Arten von
Antibiotika, insbesondere gegen Penicillin, so dass die Operation vermieden worden
wäre.
65
Die Beklagten konnten in Hinblick auf die nach den Feststellungen des
Sachverständigen tatsächlich erfolgte Extraktion der Zähne nicht beweisen, dass diese
nicht auf die fehlerhafte Behandlung zurückzuführen ist. Ob die Zähne P den
Diagnosefehler nicht hätten entfernt werden müssen, kann der Gutachter nicht
feststellen. Insoweit ist eine Umkehr der Beweislast zu Lasten der Beklagten
anzunehmen.
66
Ein grober Behandlungsfehler mit der Folge der Beweislastumkehr liegt vor, wenn es
grob fehlerhaft unterlassen wurde, einer sich aufdrängenden Verdachtsdiagnose mit den
dabei üblichen Befunderhebungen nachzugehen, und wenn dann durch ungezielte
Medikamentation das Krankheitsbild eher verschleiert wurde (vgl. BGH, NJW 1983,
67
333), so dass nicht die Fehlinterpretation von Befunden, sondern deren Nichterhebung
und die Einleitung einer ungezielten Therapie im Vordergrund stehen (BGH, NJW 1988,
1513).
Nach Ansicht des Gutachters handelt es sich um einen groben Behandlungsfehler. Er
hält den Fehler für unverständlich bzw. für "geradezu unglaublich".
68
Damit tritt eine Beweislastumkehr für die Folgen ein, die nicht ohnehin schon
nachgewiesen sind, sofern die Kausalitätsfeststellung durch die Belastung des
Behandlungsgeschehens mit dem groben Behandlungsfehler konkret erschwert ist (vgl.
BGH, NJW 1983, 333, 334). Der Behandlungsfehler war geeignet, diese Erschwerung
im vorliegenden Fall bezüglich der Entfernung der Zähne hervorzurufen, da der
Infektionsherd nicht von Anfang an beseitigt wurde und es nach den Feststellungen des
Sachverständigen möglich ist, dass der ursprüngliche Entzündungsherd sich woanders
befand, etwa in der Blase des Klägers, zumal diese Blase extrem bakteriell verseucht
war, und sich dann erst auf die Zähne verlagerte.
69
Die Ausführungen des Sachverständigen waren insgesamt überzeugend; Zweifel an
seiner fachlichen Kompetenz haben sich nicht ergeben. Das Gericht tritt seinen
Schlussfolgerungen aus eigener Überzeugung vollumfänglich bei.
70
Als Schmerzensgeld verlangt der Kläger einen Betrag von mindestens 30.000 Euro.
Zuzusprechen war ein Betrag von 45.000 Euro.
71
Die Höhe des Schmerzensgeldes ist ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts
gestellt. Die Summe von 30.000 € ist als Mindesthöhe angegeben. Das Gericht kann
darüber hinausgehen; der Antrag des Klägers ist keine Obergrenze (Palandt/Heinrichs,
62. Aufl. § 253 Rn. 30 m.w.N.).
72
Das Schmerzensgeld soll in erster Linie dem Geschädigten einen angemessenen
Ausgleich bieten für diejenigen Schäden und Lebensbeeinträchtigungen, die nicht
vermögensrechtlicher Art sind. Zugleich soll es aber dem Gedanken Rechnung tragen,
dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung
schuldet (Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldanspruchs, vgl.
Palandt/Heinrichs § 253 Rn. 11 m.w.N.; LG G a.M., NJW 1998, 2294, 2295).
73
Der Beklagte zu 2) hat eine Erkrankung falsch diagnostiziert und hierdurch das damals
akute Leiden des Klägers im Vergleich zu einer ordnungsgemäßen Behandlung durch
gezielte Antibiotikagabe erheblich verlängert. Er hat für den Kläger Lebensgefahr
verursacht, die nur durch eine Notoperation abgewendet werden konnte.
74
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist ferner das Ausmaß des Verschuldens
des Täters zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 1993, 1531, 1532; Palandt/Heinrichs,
BGB, 62. Aufl., § 253 Rn. 20). Der Beklagte zu 2) hat einen groben Behandlungsfehler
begangen. Der Sachverständige hat es konkret so formuliert, dass der Vorschlag einer
Behandlung auf Bronchitis bei den vom Kläger bei Einlieferung in das von der
Beklagten zu 1) getragene Krankenhaus gezeigten Symptomen als Antwort im
medizinischen Staatsexamen dazu führen würde, dass der Kandidat unweigerlich
durchfalle.
75
Bei der Schmerzensgeldbemessung steht außerdem der Ausgleich der erlittenen
76
Schäden und Lebensbeeinträchtigungen im Vordergrund, wobei einem Langzeit- oder
Dauerschaden eine besondere Bedeutung zukommt (LG G a.M., NJW 1998, 2294,
2295).
Zu bewerten ist im vorliegenden Fall die nur durch die Fehlbehandlung erforderlich
gewesene Operation, der Austausch der Herzklappen mit dem Risiko neuer
Operationen und die lebenslange Marcumar-Therapie, ferner die vom Sachverständigen
festgestellte Einschränkung der maximalen körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers
um wenigstens 20-30% sowie die intensivere ständige ärztliche Behandlung.
77
Der als "billige Entschädigung in Geld" gem. § 847 II BGB a.F. angemessene
Schmerzensgeldbetrag muss in objektiver Betrachtung der nach der Ausgleichs- und
Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldanspruchs maßgeblichen Kriterien auch
unter Heranziehung vergleichbarer Fälle aus der bisherigen Rechtsprechung festgelegt
werden (OLG T, NJW-RR 1998, 534, 535).
78
Im Fall des LG B LG B, 2.10.1989, 3 O #####/####, ZfSch 1989, 406, wurden für den
notwendigen Austausch von Herzklappen 50.000 Mark zugesprochen. Dort erfolgte eine
mehrfache stationäre Krankenhausbehandlung, und es kam zu einer Minderung der
Erwerbsfähigkeit um 50%, so dass die geschädigte 35jährige Hausfrau nicht mehr zur
Bewältigung des Haushalts P Mithilfe in der M war.
79
Im Fall des OLG E (NJWE-VHR 1997, 160) wurden für eine Schädigung der Herzklappe
allein und die mit ihr verbundene, fernliegende Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen
im Falle des Auftretens bestimmter Herzerkrankungen lediglich 5000 DM zugesprochen.
Hierbei wurde die Herzklappe aber weder ausgetauscht, noch hatte sich der
Behandlungsfehler bereits in irgendeiner Weise fühlbar bemerkbar gemacht.
80
Der vorliegende Fall ähnelt erheblich dem ersten Fall, nicht aber dem zweiten Fall. Im
Vergleich zum ersten Fall ist einerseits die seitdem verstrichene Zeit zu berücksichtigen,
die zu einer Anhebung der Schmerzensgeldbeträge führt, andererseits aber auch die im
Vergleich zum ersten Fall etwas geringeren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit.
81
Der Anspruch besteht gegen die Beklagten auch jeweils in gleicher Höhe. Bei
gesamtschuldnerischer Haftung gem. § 840 I BGB – wie vorliegend - ist zwar ein
unterschiedlicher Haftungsumfang möglich, wenn das Schmerzensgeld wegen
unterschiedlicher persönlicher oder wirtschaftlicher Verhältnisses unterschiedlich
bemessen wird (Palandt/Thomas, 62. Aufl., § 840 Rn. 4).
82
Solche relevanten Unterschiede liegen aber nicht vor. Statt dessen wird der Beklagten
zu 1) das Verhalten des Beklagten zu 2) vollumfänglich zugerechnet, die für die
Schmerzensgeldbemessung relevante Umstände liegen vorliegend gerade in der Art
der Schädigungshandlung begründet. Subjektive Umstände, die zu einer
unterschiedlichen Beurteilung der Schmerzensgeldhöhe führen können, sind bei den
Beklagten nicht ersichtlich.
83
Die Klage ist auch in Hinblick auf den Feststellungsantrag zulässig und begründet.
84
Der Antrag auf materiellen und immateriellen Vorbehalt ist als Feststellungsklage
zulässig, das sich der anspruchsbegründende Sachverhalt zur Zeit der Klageerhebung
noch in der Fortentwicklung befand. Befindet sich ein anspruchsbegründender
85
Sachverhalt im Zeitpunkt der Klageerhebung noch in der Entwicklung, so steht der
Umstand, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung eine teilweise Bezifferung möglich
wäre, der Bejahung des Feststellungsinteresses jedenfalls dann nicht entgegen, wenn
der Anspruch seiner Natur nach sinnvollerweise erst nach Abschluss seiner
Entwicklung beziffert werden kann (BGH, NJW 1984, 1552, 1554). Dies gilt auch für
immaterielle Schäden, die bei dem ausgewiesenen Schmerzensgeld nicht
berücksichtigt werden konnten, weil sie bisher weder eingetreten noch objektiv
vorhersehbar sind. (BGH NJW 1998, 160; BGH, NJW 2001, 3414, 3415). Voraussetzung
für den Erlaß eines Feststellungsurteils ist lediglich, dass mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit aus dem festzustellenden Rechtsverhältnis Ansprüche entstanden
sind oder entstehen können (BGH NJW 1992, 560, 563).
Zum Zeitpunkt der Klageerhebung waren diese Voraussetzungen erfüllt.
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Die Klage ist insoweit auch begründet. Es besteht aufgrund späterer Entwicklungen die
Möglichkeit, dass weitere Ansprüche auf immateriellen Schadensersatz aus dem bereits
dargelegten Rechtsgrund entstehen. Ferner bestehen aufgrund des geschilderten
Behandlungsverlaufs und seiner Folgen gegen den Beklagten zu 2) Ansprüche auf
Ersatz des materiellen Schaden gem. §§ 823 I BGB a.F. (vgl. Art. 229 § 8 I EGBGB)
sowie gegen die Beklagte zu 1) aus positiver Forderungsverletzung i.V.m. § 278 BGB
a.F. sowie, da der Beklagte zu 2) Chefarzt der Beklagten zu 1) ist, aus § 831 I BGB a.F.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 100 IV ZPO, die
Vollstreckbarkeitsentscheidung auf § 709 S. 1, 2 ZPO.
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Streitwert: 50.000 Euro
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