Urteil des LG Hagen vom 12.02.2010

LG Hagen (gutachten, anlage, bezug, schätzung, umfang, anlass, planung, höhe, beweisverfahren, erker)

Landgericht Hagen, 1 O 12/07
Datum:
12.02.2010
Gericht:
Landgericht Hagen
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 12/07
Nachinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 19 U 43/10
Tenor:
Der Zahlungsantrag zu Ziffer 1. ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle
weitergehenden Aufwendungen zu ersetzen, die der Klägerin im
Zusammenhang mit der Beseitigung der vom Sachverständigen
Gentgen mit Gutachten vom 20.10.2006, 03.01.2008 und 06.10.2008 in
dem selbständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht I3 (5 OH
79/05) festgestellten Mängel insbesondere auch durch
Inanspruchnahme seitens dritter Personen entstehen.
Tatbestand
1
Die Klägerin ließ als Bauträgerin die Mehrfamilienhäuser G-Straße und 8 in I2 errichten.
Die Eigentumswohnungen veräußerte sie unter anderem an die Streitgehilfen zu 2. –
11. Die Klägerin verlangt von der beklagten Architektin Mängelbeseitigungskosten, weil
es bei dem Bauvorhaben zu Rissbildungen an der Außenfassade gekommen ist.
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Unter dem 18.03.1999 unterbreitete die Beklagte der Klägerin für dieses Bauvorhaben
ein schriftliches Honorarangebot (vgl. Anlage B, Blatt 1). Die Klägerin beauftragte die
Beklagte sodann mündlich mit der Planung und Überwachung, wobei der Umfang der in
Auftrag gegebenen Planungsleistungen streitig ist. Unstreitig war die Beklagte
jedenfalls mit den Leistungsphasen 4 bis 9 gemäß § 15 HOAI beauftragt. Ihre
Honorarrechnung datiert vom 22.09.2000 (Blatt 64 der Akte).
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Die Statik für das Bauvorhaben wurde im mündlich erteilten Auftrag der Klägerin von
den Streitgehilfen zu 12. und 13. erstellt. Ihre Schlussrechnung datiert vom 20.06.1999.
Die Klägerin ließ unter Hinzuziehung dieser Statiker mehrere – mindestens 11 weitere –
Mehrfamilienhäuser nach dem gleichen Schema errichten, allerdings unter der
Beauftragung verschiedener Architekten. Die Rissbildungen traten nur bei den I G-
Straße und 8 in I2 auf.
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Dabei handelt es sich um drei Gruppen von Rissen:
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1. Die Horizontalrisse unter dem Dach unterhalb der Sparrenauflager entstehen
dadurch, dass die Kräfte aus der Dachkonstruktion auf die Außenwände
einwirken. Die Dachsparren sind auf Fußpfetten verankert. Die Fußpfetten sind in
sogenannten Rähmen verankert; das sind U- Formsteine die mit Beton
ausgegossen sind. Die Risse bilden sich, weil sich die Rähme bei Einwirkung der
Dachkräfte verdrehen, was durch konstruktive Details zu verhindern gewesen
wäre. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darstellung im Gutachten des
Sachverständigen H vom 20.10.2006, Blatt 31 f. Bezug genommen. Diese
Rissbildung wird ständig auftreten, sie beeinträchtigt aber nicht die
Standsicherheit.
2. Die Horizontalrisse in Höhe der Decke über dem Obergeschoss in den
Gebäudeecken sind dadurch entstanden, dass sich die Obergeschossdecke
durchgebogen hat und infolgedessen die Deckenränder abgehoben haben
(sogenanntes "Aufschüsseln"). Die Abhebebestrebungen sind in diesen
Bereichen größer als der Außenputz aufnehmen kann, was mit Hilfe von
konstruktiven Maßnahmen insbesondere in den Eckbereichen hätte verhindert
werden können. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten des
Sachverständigen H vom 20.10.2006, Blatt 33 f. Bezug genommen.
3. Die Risse im Bereich der sogenannten Erker sind nach Behauptung der Klägerin
dadurch entstanden, dass für Außen- und Innenmauerwerk unstreitig
unterschiedliche Materialien mit unterschiedlicher Schwindverkürzung verwendet
worden sind. Die Innenwände aus Kalksandstein verkürzen sich unstreitig beim
planmäßigen Austrocknen. Dabei haben sie nach Behauptung der Klägerin das
Außenmauerwerk aus schwindfreien Hochlochziegeln nach innen mitgezogen,
was durch konstruktive Details vermeidbar gewesen wäre.
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Mit Fax vom 23.07.2003 (Anlage B Blatt 14) unterrichtete die Beklagte die Klägerin
darüber, dass auf der Außenwand der beiden Häuser Risse aufgetreten seien.
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Im August 2005 hat die Klägerin wegen der Rissbildung das selbständige
Beweisverfahren 5 OH 79/05 LG I3 gegen die Beklagte, die Streitgehilfen zu 12. und
13. und gegen ausführende Firmen eingeleitet. Auf die in diesem Verfahren
eingeholten schriftlichen Gutachten des Sachverständigen H vom 20.10.2006,
03.01.2008 und 06.10.2008 sowie auf die Anhörung des Sachverständigen (Blatt 136
ff. der Beiakte) wird Bezug genommen.
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Die Klägerin behauptet, sie habe die Beklagte mit sämtlichen Leistungsphasen
gemäß § 15 HOAI vollständig beauftragt. Sie ist der Ansicht, die Beklagte sei im
vollen Umfang für die Rissbildung verantwortlich, weil die in den betroffenen
Bereichen erforderliche Detailplanung fehle, was unstreitig ist. Selbst wenn die
Formänderungsfragen und die damit zusammenhängende Detailplanung zum
Aufgabenbereich der Statiker gehört haben sollten – was die Streitgehilfen zu 12. und
13. bestreiten -, habe die Beklagte in Ausübung ihrer Koordinations- und
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Kontrollpflichten das völlige Fehlen dieser notwendigen Planungen bemerken und für
Abhilfe sorgen müssen.
Die Klägerin lastet der Beklagten außerdem an, dass sie es versäumt habe, die
Bauherren auf die drohende Verjährung gegenüber den Statikern hinzuweisen.
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Die Höhe der Mangelbeseitigungskosten beziffert die Klägerin anhand der Schätzung
des Sachverständigen H in dem Gutachten vom 20.10.2006. Sie bezeichnet den
Zahlungsantrag ausdrücklich als Teilklage auf den erst -rangigen Teilbetrag der
Gesamtkosten. Im Hinblick auf die von den Streitgehilfen zu 2. – 11. vorgelegten
Kostenvoranschläge der Firma X H-Straße vom 28.06.2007 (Anlage K3 Blatt 5 f.) und
vom 18.05.2009 (Blatt 168 f. der Akte) und der Firma Q + T D E L vom 02.05.2007
(Anlage K3 Blatt 15 f.) und aufgrund der Kostensteigerungen durch den Zeitablauf sei
mit einem wesentlich höheren Schadensersatzanspruch zu rechnen, der mit dem
Feststellungsantrag geltend gemacht wird.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 29.333,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB aus 24.650,00 Euro
seit dem 13.01.2007 sowie aus weiteren 4.683,50 Euro ab Zustellung des
Schriftsatzes vom 11.12.2008 zu zahlen;
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weitergehenden
Aufwendungen zu ersetzen, die der Klägerin im Zusammenhang mit der
Beseitigung der vom Sachverständigen H mit Gutachten vom 20.10.2006,
03.01.2008 und 06.10.2008 in dem selbständigen Beweisverfahren vor dem
Landgericht I3 (5 OH 79/05) festgestellten Mängeln – insbesondere auch durch
Inanspruchnahme seitens dritter Personen – entstehen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, sie sei von der Klägerin im Umfang ihres schriftlichen Honorarangebotes
vom 18.03.1999 (Anlage B Blatt 1 ff.) beauftragt worden. Die eingeschränkte
Beauftragung im Bereich der Leistungsphasen 1 – 3 sei darauf zurückzuführen, dass die
Klägerin der Beklagten die Planung des Architekturbüros Sager zur Verfügung gestellt
habe, das bereits Mehrfamilienhäuser gleicher Bauweise für die Klägerin errichtet habe.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Untersuchung von Formveränderungen allein
Sache des Statikers sei. Da Risse in der Außenfassade zur Korrosion an tragenden
Teilen führen könnten, sei die vom Statiker zu verantwortende Standsicherheit betroffen.
Die Beratung des Statikers im Bereich der Vorplanung müsse sich gemäß § 64 Abs. 3
Phase 2 HOAI auch auf die Gebrauchsfähigkeit des zu errichtenden Bauwerks
erstrecken, wozu auch Verformungsüberlegungen gehörten. Die Beklagte habe darauf
vertrauen dürfen, dass die Statiker die von ihnen zu erbringenden Grundleistungen auch
erfüllt hätten. Die Beklagte behauptet, Mängel der Statik seien für einen Architekten
ohne zusätzliche Statikerausbildung in der Regel nicht erkennbar. Das gelte
insbesondere für Verformungsberechnungen und daraus abzuleitende konstruktive
Maßnahmen. Insbesondere müsse die Beklagte nicht klüger sein, als der Prüfstatiker,
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der die Statik der Streitgehilfen zu 12. und 13. für dieses Bauvorhaben unstreitig nicht
beanstandet hat.
Die Beklagte meint, die Klägerin müsse sich die Fehler, der von ihr beauftragten Statiker
anspruchsmindernd zurechnen lassen; die Streitgehilfen zu 12. und 13. seien als
Erfüllungsgehilfen der Klägerin anzusehen. Eine gesamtschuldnerische Haftung sei
nicht gegeben.
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Die Beklagte bestreitet die Schadenshöhe. Die grobe Schätzung des Sachverständigen
H sei nicht nachvollziehbar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten
Schriftsätze und ihre Anlagen Bezug genommen.
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Die Klägerin hat den Erwerbern der Wohnungen in den I G-Straße und 8 in I2 mit
Schriftsatz vom 20.03.2007 und den mit diesem Bauvorhaben befassten Statikern M und
I mit Schriftsatz vom 04.06.2007 den Streit verkündet.
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Die Beklagte hat ebenfalls den beiden Statikern mit Schriftsatz vom 22.05.2007 den
Streit verkündet.
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Mit Ausnahme des Wohnungserwerbers L sind sämtliche Streitverkündete dem
Rechtsstreit aus Seiten der Klägerin als Streitgehilfen beigetreten.
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Die Kammer hat die Akten des selbständigen Beweisverfahrens 5 OH 79/05 LG I3
beigezogen. Ergänzend ist gemäß Beweisbeschluss vom 18.09.2009 ein weiteres
schriftliches Gutachten des Sachverständigen H eingeholt worden. Auf den
Beweisbeschluss (Blatt 196 d. A.) und das Gutachten vom 16.11.2009 wird Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe
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Der Zahlungsantrag ist dem Grunde nach berechtigt.
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Die Beklagte haftet der Klägerin gemäß § 635 BGB alter Fassung auf Schadensersatz
wegen der Rissbildung an den Mehrfamilienhäusern G-Straße und 8 in I2. Gemäß
Artikel 229 § 5 Satz 1 EGBGB ist auf das Schuldverhältnis, dass vor dem 01.01.2002
entstanden ist, das Schuldrecht in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung
anzuwenden.
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Die Rissbildungen unter dem Dach, in den Gebäudeecken in Höhe der Decke über dem
ersten Obergeschoss und im Bereich der Erker beruhen auf einem Mangel der
Werkleistung der Beklagten, den diese auch zu vertreten hat. Diese Risse sind nämlich
darauf zurückzuführen, dass notwendige Verformungsberechnungen nicht durchgeführt
worden sind, wofür die Beklagte letztlich einzustehen hat.
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Bei diesem Bauvorhaben waren Verformungsprüfungen unter anderem erforderlich
bezüglich der Verankerung der Dächer auf den Außenwänden. Der Sachverständige H
hat hierzu nachvollziehbar ausgeführt, dass diese Verankerung auf Grund der
besonderen Dachform mit breiten Dachüberständen besonders starken
Horizontalkräften ausgesetzt ist. Die ungewöhnliche Konstruktion habe Anlass zu
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Formänderungsuntersuchungen gegeben, die hier zu Detailvorgaben für die
ausführenden Handwerker hätten führen müssen. Es habe eine vertikale Verbindung
der Rähme mit der Stahlbetondecke und eine geschlossene verbügelte Bewehrung in
den Rähmen geplant werden müssen.
Verformungsberechnungen und aus ihnen abgeleitete Detailvorgaben waren auch
bezüglich der Decke über dem Obergeschoss insbesondere in den Gebäudeecken
notwendig. Dies ergibt sich nach den Feststellungen des Sachverständigen daraus,
dass die Decke neben der Flächenlast zusätzlich mit zahlreichen Einzellasten aus
Stahlstützen belastet wird. Unter diesen Umständen habe mit Abhebungsbestrebungen
insbesondere in den Eckbereichen ("Aufschüsseln") gerechnet werden müssen. Für die
Ausführung der Deckenränder hätten konstruktive Maßnahmen geplant werden müssen.
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Schließlich wären Verformungsüberlegungen auch wegen der Verwendung
unterschiedlicher Materialien für das Innen- und Außenmauerwerk geboten gewesen.
Der Sachverständige hat hierzu aufgeführt, dass bei Mischmauerwerk mit
unterschiedlicher Schwindverkürzung zu rechnen sei, die untersucht werden müsse. Die
Risse im Bereich der Erker beruhten zweifelsfrei darauf, dass das sich verkürzende
Kalksandsteinmauerwerk das Außenmauerwerk aus Hochlochziegeln nach innen
mitgezogen habe. Auf die Darstellung im Gutachten vom 20.10.2006 (Bl.34f) wird Bezug
genommen. Zur Vermeidung dieser Rissbildung hätte entweder unterschiedliches
Steinmaterial vermieden werden müssen oder es hätten den Handwerkern konstruktive
Details vorgegeben werden müssen.
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Da die genannten Verformungsberechnungen unterblieben sind, liegen Planungsfehler
vor, die – zumindest auch – in den Verantwortungsbereich der Beklagten fallen. Dabei
kommt es auf den Streit der Parteien, ob diese Verformungsuntersuchungen allein zum
Auftragsinhalt der Beklagten oder allein zum Auftragsinhalt der Statiker gehörten,
letztlich nicht an. Denn selbst dann, wenn unterstellt wird, dass die Statiker zu diesen
Verformungsprüfungen verpflichtet gewesen wären – was die Streitgehilfen zu 12. und
13. nachdrücklich bestreiten -, wäre die insoweit unvollständige Planung auch der
Beklagten anzulasten. Die Beklagte hätte die Planungslücke nämlich bei sorgfältiger
Erfüllung ihrer Koordinationsaufgabe erkennen und für Abhilfe sorgen müssen.
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Unstreitig war die Beklagte jedenfalls mit den Leistungsphasen 4 bis 9 gemäß § 15
HOAI beauftragt. Zwar ist der in diesem Umfang beauftragte Architekt nicht verpflichtet,
die Arbeit des Statikers im Detail zu überprüfen, soweit dafür gerade statische
Spezialkenntnisse erforderlich sind; insoweit darf sich der Architekt auf die
Fachkenntnisse des Sonderfachmanns verlassen. Es gehört aber zur
Koordinationspflicht des Architekten, die Planungen insoweit auf ihre Vollständigkeit zu
prüfen, als es um bautechnische Fachkenntnisse geht, die auch zum Wissensbereich
des Architekten gehören (vgl. hierzu Werner/Pastor, Der Bauprozess, 12. Auflage,
Rndziff. 1537; Korbion/Mantscheff/Vygen,HOAI, 7. Auflage, § 15, Rndziff. 126). Es ist
Aufgabe des Architekten darauf zu achten, dass die verschiedenen
Planungsbestandteile insgesamt vollständig und ausführungsreif zusammengefasst
sind. Zumindest offensichtliche Fehler muss der Architekt aufspüren (vgl. OLG T, Urteil
vom 14.02.2008, 2 U 37/07). Diese Kontrolle hat die Beklagte nicht hinreichend
sorgfältig ausgeführt.
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Bei diesem Bauvorhaben war für den Architekten erkennbar, dass
Verformungsberechnungen von Bedeutung waren. Das hat der Sachverständige H
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anhand der besonderen Konstruktionsweise nachvollziehbar begründet. Die besondere
Dachform, die besonders belastete Decke über dem Obergeschoss und die
unterschiedlichen Materialien des Mauerwerks gaben auch einem Architekten ohne
zusätzliche Statikerausbildung Anlass, die Planung auf Verformungsberechnungen zu
kontrollieren.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen H enthielt die Statik der Streitgehilfen zu
12. und 13. keinerlei positiven Hinweis auf die Vornahme von
Verformungsuntersuchungen, weder auf dem Deckblatt noch unter dem Abschnitt
"Vorbemerkungen", noch bei den einzelnen statischen Positionen. Ob es unter diesen
Umständen für den Architekten klar sein musste, dass die Statiker nur die
Standsicherheit behandelt hatten, kann nach Auffassung der Kammer dahinstehen.
Zumindest gaben diese Umstände der Beklagten Anlass zu zweifeln, ob die
notwendigen Verformungsprüfungen tatsächlich durchgeführt waren oder nicht. Diese
Zweifel hätte die Beklagte unschwer ausräumen können und ausräumen müssen,
indem sie beispielsweise bei den Statikern nachfragte. Hierzu bestand auch deshalb
Anlass, weil der Beklagten der konkrete Inhalt des Statikerauftrags nicht bekannt war.
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Der Einwand der Beklagten, sie habe sich auf den Prüfstatiker verlassen dürfen, der an
der Statik nichts bemängelt habe – was unstreitig ist -, überzeugt nicht. Der
Sachverständige H hat hierzu ausgeführt, dass sich der Prüfstatiker ohne besondere
Absprache nur mit der Standsicherheit im Sinne der Gefahrenabwehr befasse. Gehören
somit Formänderungsbetrachtungen grundsätzlich nicht zum Prüfungsumfang des
Prüfstatikers, durfte die Beklagte aus dem positiven Prüfungsergebnis auch keinen
Rückschluss auf ausreichende Verformungsprüfungen ziehen. Allein der Umstand, dass
der Prüfstatiker bei einem späteren baugleichen Bauvorhaben eine Änderung im
Auflagerbereich vorgenommen hat, ändert an diesen grundsätzlichen Erwägungen
nichts.
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Dem Antrag der Beklagten auf Einholung eines Obergutachtens zu den im Schriftsatz
vom 10.12.2009 (Blatt 233 der Akte) aufgestellten Beweisfragen ist die Kammer nicht
gefolgt. Es fehlen greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige H nicht die
notwendige Sachkunde hat oder von falschen Tatsachen ausgegangen ist.
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Eine Anspruchskürzung gemäß § 254, 278 BGB scheidet aus, weil die Statiker im
Verhältnis zur Beklagten nicht Erfüllungsgehilfen der Klägerin sind. Das ist bei separater
Beauftragung - wie hier - regelmäßig nicht der Fall (vgl. BGH, NJW-RR 2002, 1531;
NJW– RR 2003, 1454; Staudinger/Löwisch/Caspers, BGB, 2009, § 278 Rdnr. 38).
Besonderheiten, die im vorliegenden Fall eine abweichende Beurteilung nahelegen
könnten, sind nicht ersichtlich.
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Ob die Beklagte und die Statiker möglicherweise als Gesamtschuldner für die
Rissschäden haften, kann offen bleiben. Es wirkt sich gegebenenfalls auf die
Verurteilung der Beklagten in diesem Rechtsstreit nicht aus (vgl. BGH, NJW 1990, 2615
f.).
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Da die Sach- und Rechtslage zum Anspruchsgrund grundsätzliche Fragen zum
Verantwortungsbereich des Architekten im Verhältnis zum Statiker aufwirft, hat die
Kammer vor Aufklärung der Schadenshöhe ein Grundurteil erlassen.
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Bezüglich des Feststellungsantrags konnte gleichzeitig ein Endurteil ergehen. Der
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Feststellungsantrag ist nämlich zulässig und begründet.
Die Zulässigkeit ist zu bejahen, weil die Klägerin schlüssig vorgetragen hat, dass sie die
Mängelbeseitigungskosten noch nicht umgrenzen kann. Der Sachverständige H hat die
Kosten im selbständigen Beweisverfahren nur grob geschätzt. Seine Angaben zu Art
und Umfang der Mangelbeseitigungsmaßnahmen sind lückenhaft.
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Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Die Haftung ist dem Grunde nach ebenso
zu bejahen wie im Rahmen des Zahlungsanspruchs. Es ist auch in hohem Maße
wahrscheinlich, dass die Schadenshöhe über den nach der Schätzung des
Sachverständigen H bezifferten Zahlungsantrag hinausgeht. Die spezifizierten
Kostenvoranschläge, die die Streitgehilfen zu 2. bis 11. vorgelegt haben, liegen
wesentlich höher als die pauschale Schätzung des Sachverständigen H (vgl. die
Kostenvoranschläge Anlage K3 Bl. 5 f. und 15 f. sowie Bl. 168 f. d. A.). Im übrigen muss
seit der Schätzung des Sachverständigen vom 20.10.2006 schon aufgrund des
Zeitablaufs mit Kostensteigerungen gerechnet werden.
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Nebenentscheidungen sind zur Zeit nicht veranlasst.
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