Urteil des LG Hagen vom 25.03.2009
LG Hagen: vorfrage, billigkeit, versorger, tarif, grundversorgung, auflage, erdgas, verbraucher, transparenzgebot, missbrauch
Landgericht Hagen, 7 S 84/08
Datum:
25.03.2009
Gericht:
Landgericht Hagen
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 S 84/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Schwelm, 20 C 88/08
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Schwelm
vom 05.08.2008 - 20 C 88/08 - aufgehoben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Berufungsverfahrens, an das Amtsgericht Schwelm zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Zahlung des Differenzbetrages in Höhe
von 303,64 € der Gas-Jahresrechnung 2006 (Anlage K5, BI. 36/37 d.A.), die den
Zeitraum 18.10.2005 - 18.10.2006 umfasst. Die Klägerin errechnete einen Bruttobetrag
von 2.550,74 d.Aauf den der Beklagte Abschläge in Höhe von 2.172,00 € gezahlt hatte.
Auf die Differenz und damit den Rechnungsbetrag von 378,74 € zahlte der Beklagte
lediglich 75,10 €. Das Rechenwerk an sich ist zwischen den Parteien unstreitig.
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Die Klägerin hat behauptet,
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in dem Zeitraum 01.10.2005 – 31.03.2007 seien die Erdgasbezugskosten stärker
gestiegen als die Tarifpreise. Ihre Rohmarge habe sich also verschlechtert. Dies ergebe
sich aus dem Gutachten der E GmbH (Im Folgenden: "ES") vom 30.04.2007, Anlage K1,
Bl. 19-25 d.A.).
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Sie belege mit ihren Tarifpreisen auch lediglich einen Platz im Mittelfeld aller Versorger,
was angesichts der topographischen Besonderheiten ihres Versorgungsgebietes
besonders aussagekräftig sei, weil topographisch günstiger gelegene Versorger höhere
Tarife hätten. Die von ihr vorgenommen Tariferhöhungen des Arbeitspreises
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Zeitraum
Arbeitspreis netto
Veränderung
bis 30.09.04
3,16 ct/kWh
./.
01.10.04-30.09.05
3,54 ct/kWh
+ 0,38 ct/kWh
01.10.05-31.12.205
4,19 ct/kWh
+ 0,65 ct/kWh
01.01.06-30.09.06
4,64 ct/kWh
+ 0,45 ct/kWh
01.10.06-31.12.06
4,74 ct/kWh
+ 0,10 ct/kWh
01.01.07-31.03.07
4,94 ct/kWh
+ 0,20 ct/kWh
01.04.07-30.09.07
4,74 ct/kWh
- 0,20 ct/kWh
ab 01.10.2007
4,59 ct/kWh
- 0,15 ct/kWh
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seien angesichts der in der Gaspreisentscheidung des BGH vom 13.06.2007
entwickelten Grundsätze billig im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB.
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Sie beliefere den Beklagten im Rahmen der Grundversorgung gemäß § 36 EnWG.
8
Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 303,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.11.2006 zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
12
Er hat behauptet:
13
Er sei kein Tarifkunde, sondern ein Sondervertragskunde, für den – so seine Auffassung
– die o.g. Entscheidung des BGH nicht gelte, weil diese nur die allgemeinen Tarife
erfasse. Bei Sondervertragskunden müsse hingegen ein Preisneubestimmungsrecht
ausdrücklich vertraglich vereinbart sein, woran es fehle.
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Er bezieht sich dazu des Weiteren auf die seit dem 01.10.2004 gültigen Bedingungen
der Klägerin, wonach bei den Kunden, die ihren gesamten Wärmebedarf mit Gas
deckten, die Liefervereinbarung keinen "Allgemeinen Tarif" darstellten (vgl. Bl. 59x d.A.).
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Ferner gäbe § 4 Abs. 2 AVBGasV ein Preisänderungsrecht des Gasversorgers nicht her,
was auch das LG Bremen so gesehen habe (Urteil vom 24.05.2006, 8 O 1065/05, s. Bl.
49). Jedenfalls verstieße die Norm gegen das Bestimmtheits- und Transparenzgebot im
Sinne von § 307 BGB.
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Auch die "Bedingungen für die Lieferung von Erdgas" der Klägerin begründeten kein
Preisänderungsrecht (s. Bl. 50).
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Grundsätzlich sei dann zwar eine ergänzende Vertragsauslegung möglich. Die Klägerin
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habe aber die Arbeitspreiserhöhungen nicht konkret, sondern nur allgemein begründet,
was nicht ausreiche.
Für den Fall, dass das Gericht gleichwohl eine Billigkeitsprüfung vornehmen wolle,
bestreitet der Beklagte die Billigkeit der Erhöhungen. Es wird auch bestritten, dass
Bezugskostenerhöhungen nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen hätten
ausgeglichen werden können, was die Klägerin nur lapidar behaupte. Die Klägerin
selbst habe nämlich ausweislich eines Presseberichts (s. Bl. 56) Kosten im Personal-
und Sachbereich eingespart. Die Klägerin müsse also ihre Kalkulation offenlegen.
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Auf die Marktüblichkeit der Tarife komme es nicht an.
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Schließlich hat der Beklagte die Verweisung an das LG Dortmund – KfH – beantragt. Es
liege eine kartellrechtliche Streitigkeit gemäß § 87 GWB vor, weil die Klägerin eine
marktbeherrschende Stellung ausnutze, § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB.
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Im streitrelevanten Zeitraum habe weder er noch ein anderer Breckerfelder Bürger die
Möglichkeit gehabt, Erdgas von einem anderen Anbieter zu beziehen.
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Die Klägerin hat dazu ausgeführt:
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Grundlage der Prüfung gemäß § 87 Abs. 1 S. 1 GWB sei der Tatsachenvortrag der
klagenden Partei. Lediglich bei der negativen Feststellungsklage oder einer
kartellrechtlichen Vorfrage im Sinne von § 87 Abs. 1 S. 2 GWB komme es auf den
Beklagtenvortrag an. Beide Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Denn es komme für die
Entscheidung auch im Sinne einer Vorfrage nicht auf kartellrechtliche Fragen, sondern
auf § 315 BGB an, der nicht subsidiär sei. Die Frage der Billigkeit sei daher gerade nicht
notwendig mit einer kartellrechtlichen Frage verknüpft. Sei die Preisgestaltung billig,
könne gerade kein Preismachtmissbrauch vorliegen. § 87 GWB sei auch streng zu
handhaben. Diese Auffassung werde auch die durch Rechtsprechungspraxis des BGH
bestätigt, da vergleichbare Fallgestaltungen immer durch den VIII. Zivilsenat und nicht
durch den Kartellsenat entschieden werden würden. Daher werde kein
Verweisungsantrag gestellt.
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Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen
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Zur Begründung hat es ausgeführt:
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Im Kern seien kartellrechtliche Fragen, nämlich die §§ 19, 20 GWB zu prüfen. Die
Parteien stritten auch darüber, ob die Klägerin ihre marktbeherrschende Stellung
ausnutze. Die Billigkeit im Sinne des § 315 BGB könne nicht unabhängig von
kartellrechtlichen Fragen bestimmt werden. Andernfalls würde die mit besonderer
Sachkunde einhergehende Sonderzuständigkeit unterlaufen.
27
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
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Sie trägt ergänzend und vertiefend vor:
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Das Amtsgericht habe verkannt, dass der Rechtsstreit alleine aufgrund des
Rechtssatzes des § 315 BGB entschieden werden könne. Auch der Tatsachenvortrag
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des Beklagten zu kartellrechtlichen Fragen reiche nicht aus.
Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur weiteren
Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
32
Der Beklagte beantragt,
33
die Berufung zurückzuweisen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
35
I.
36
Die Berufung der Klägerin ist begründet. Das Amtsgericht Schwelm ist gem. §§ 23 Ziff. 1
GVG, 13 ZPO sachlich und örtlich für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig, so
dass die Klage zulässig ist. Auf Antrag der Klägerin war daher das Urteil aufzuheben
und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht
Schwelm zurückzuverweisen, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO.
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Eine kartellrechtliche oder energierechtliche ausschließliche Zuständigkeit des
Landgerichts Dortmund (Kammer für Handelssachen) liegt nach Auffassung der
Kammer nicht vor. Weder die Voraussetzungen von § 87 Abs. 1 S. 2 GWB noch von §
102 Abs. 1 S. 2 EnWG sind gegeben.
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Die Kammer folgt der Auffassung von Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4.
Auflage, § 87 GWB, Rn. 39, wonach das Merkmal der Vorgreiflichkeit streng zu
handhaben ist. Kann auch ohne die Klärung der Vorfrage für eine Spruchreife gesorgt
werden, ist die kartellrechtliche Zuständigkeit nicht gegeben.
39
Das Meinungsbild zu dieser Frage sieht wie folgt aus:
40
1.
41
Für Zuständigkeit der Kartellgerichte
42
a.
43
Der Kartellsenat des OLG Dresden (RdE 2007, 58ft.) führt aus, dass kartellrechtliche
Normen Anwendung fänden, zumal zwischen den AGB-rechtlichen und den
kartellrechtlichen Fragestellungen eine untrennbare Verbindung bestehe, die auch auf
das Transparenzgebot, die Billigkeit der Preisanpassung und die Anforderungen an das
Erhöhungsverlangen ausstrahlten.
44
b.
45
Das OLG Köln hat eine Spezialzuständigkeit über § 102 EnWG offen gelassen, zieht
aber den Weg über § 87 GWB ernsthaft in Betracht (Beschluss vom 03.04.2008, 8 W
19/08). Ob die Rechtsstreitigkeit sich aus dem EnWG ergebe oder von einer hiernach zu
46
entscheidenden Vorfrage abhinge, bestimme sich nach dem Klagebegehren. Die §§ 36,
37 EnWG regelten aber nur das "Ob" der Stromversorgung, nicht das "Wie". Die
Einzelheiten der vertraglichen Ausgestaltung richteten sich aber nach dem Strom- und
Gasgrundversorgungsordnungen und ergänzend nach den allgemeinen Vorschriften,
nicht aber nach dem EnWG. Die Frage der Vorgreiflichkeit sei wie bei § 87 GWB streng
zu beurteilen. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen des § 102
EnWG aber bei der Frage der Billigkeit des Energiepreises erfüllt waren, weil es
vorliegend um diese Frage gerade nicht gehe. Zu § 315 BGB könne allerdings mit
gutem Grund die Auffassung vertreten werden, dass diese Norm eine kartellrechtliche
Vorfrage erfasse. Ferner sei hier auch nicht die Preisbildung des Versorgers als solche
gerügt worden, § 39 EnWG. Trotzdem sei der Verweisungsbeschluss der Zivilkammer
des Landgerichts Bonn an die KfH des Landgerichts Köln nicht willkürlich.
c.
47
Auf § 102 EnWG stützt sich etwa das LG Mönchengladbach (Urteil vom 10.07.2006, 7 0
113/05) bei einem einstweiligen Verfügungsantrag des Versorgers auf Untersagung der
Versorgungseinstellung sowie das LG Köln (IR 2007,89).
48
d.
49
Das AG Erfurt hat in seiner Entscheidung vom 30.01.2008 (5 C 1938/07) ebenfalls einen
Verweisungsbeschluss auf § 102 Abs. 1 EnWG gestützt, aber differenziert: Der Großteil
der Fälle berührten zwar konkret keine Problematik des EnWG. Dass Energieversorger
stets und grundsätzlich den Vorschriften des EnWG unterworfen seien, führe nicht zu
einer generellen Spezialzuständigkeit. Allerdings stritten die Parteien im dem
vorliegenden Fall - wie hier auch - über die Frage, ob die Belieferung des Verbrauchers
im Rahmen der Grundversorgung gemäß § 36 EnWG oder außerhalb der
Grundversorgung gemäß § 41 EnWG erfolge. Daraus zögen die Parteien
unterschiedliche Rechtsfolgen, so dass bei diesem Ausnahmefall § 102 Abs. 1 EnWG
zur Zuständigkeit der Landgerichte führe.
50
e.
51
Auch Holling/Peters, ZNER 2007, 161f., neigen zur Annahme der Spezialzuständigkeit,
weil bei den Landgerichten dank der regelmäßig besseren personellen und zeitlichen
Ausstattung eine gründlichere Prüfung der umfangreichen Preiskalkulationen der
Energieversorger möglich sei.
52
2.
53
Für Zuständigkeit der allgemeinen Zivilgerichte
54
a.
55
Das OLG Oldenburg (ZNER 2007, 348) hat einen Verweisungsbeschluss des
Amtsgerichts Hann. Münden an die KfH des LG Göttingen als (noch) nicht willkürlich
bezeichnet. Zwar seien bei der Forderung von restlichem Entgelt durch den Versorger,
das der Verbraucher wegen einer streitigen Gaspreiserhöhung nicht gezahlt hatte,
zunächst einmal der Vertrag der Parteien und nicht gesetzliche Regelungen z.B. des
EnWG maßgeblich. Andererseits habe der BGH bei der Billigkeitskontrolle im Sinne des
56
§ 315 Abs. 3 BGB ausdrücklich auf §§ 10 Abs. 1 und 39 Abs. 2 EnWG Bezug
genommen. Daher sei die Ansicht des AG zwar bei näherer Prüfung falsch, aber nicht
willkürlich.
b.
57
Das LG Oldenburg (Urteile vom 22.11.2007, 9 0 403/06 und 656/06) vertritt die
Auffassung, es gehe nicht um die Grenzen kartellrechtlicher Ge- oder Verbote, sondern
allein um die BiIIigkeitsabwägung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen
Interessen der Vertragspartner, weshalb nicht das Kartellgericht zuständig sei.
58
c.
59
Das LG Kassel hat ebenfalls die Zuständigkeit über § 102 EnWG verneint, wenn der
Versorger den Anspruch auf Duldung des Zutritts und der Zählersperrung geltend
mache, weil das keine Frage der Grundversorgungspflicht des § 36 EnWG sei (NJW-RR
2007, 1651). Dem hat sich das OLG Frankfurt angeschlossen (IR 2008, 135).
60
3.
61
Die Kammer schließt sich den zuletzt aufgeführten Auffassungen aus folgenden
Gründen an:
62
Die Erhöhung von Gaspreisen unterliegt der Billigkeitskontrolle des § 315 Abs. 3 BGB
(st. Rspr. des BGH, zuletzt VIII ZR 274/06, Urteil vom 17.12.2008, WuM 2009, 49). Eine
lediglich die Bezugskostensteigerung weitergebende Tariferhöhung ist dabei
grundsätzlich als billig anzusehen (BGH, VIII ZR 36/06, Urteil vom 13.06.2007, BGHZ
172, 315ff.). Durch derartig gerechtfertigte Preiserhöhungen nimmt der Gasversorger
sein berechtigtes Interesse wahr, während der Vertragslaufzeit auftretende
Kostensteigerungen an den Kunden weiterzugeben. Dieser Mechanismus ist ein
geeignetes und zulässiges Instrument zur Wahrung des Gleichgewichts zwischen
Leistung und Gegenleistung bei einem Dauerschuldverhältnis wie dem vorliegenden.
Es sichert einerseits die Gewinnspannen des Versorgers, schützt den Abnehmer aber
andererseits vor Risikozuschlägen schon bei Vertragsschluss. Grundsätzlich
ausreichend ist ein schlüssiger Vortrag des darlegungs- und beweisbelasteten
Versorgers zu solchen Bezugspreiserhöhungen. Dazu muss er nicht alle erforderlichen
Unterlagen und Kalkulationen offen legen. Ggf. ist Beweis durch die Vernehmung
sachverständiger Zeugen und/oder durch Einholung eines Sachverständigengutachtens
einzuholen.
63
Bei diesen Fragen handelt es sich jedoch um allgemeine zivilrechtliche Fragen, nicht
um kartellrechtliche. Zwar kann im Rahmen der Billigkeitsprüfung auch der Missbrauch
einer marktbeherrschenden Stellung eine Rolle spielen. Dazu ist jedoch nicht zwingend
eine inhaltliche Prüfung etwa des § 19 GWB notwendig. Denn ist eine
Gaspreiserhöhung billig, kann sie nicht auf einem Missbrauch im kartellrechtlichen
Sinne beruhen. Umgekehrt kann bei einer unbilligen Preiserhöhung die kartellrechtliche
Frage des Missbrauchs einer wettbewerbsbeherrschenden Stellung dahinstehen.
Voraussetzung für die Zuständigkeit gemäß § 87 GWB ist jedoch, dass eine Spruchreife
nur unter Beantwortung einer kartellrechtlichen Frage erreicht werden kann (s.o.,
Schmidt in Immenga/Mestmäcker, § 87 GWB, Rn. 4). Daran fehlt es hier in beiden
Varianten, weil letztlich die Frage des § 315 Abs. 3 BGB entscheidend ist, insbesondere
64
dahingehend, ob die Gaspreiserhöhungen durch gestiegene Bezugskosten
gerechtfertigt können oder nicht. Sogar eine etwaig kartellrechtswidrige Anbindung der
Bezugspreise an den Preis für leichtes Heizöl ändern nichts an dem (alleinigen)
Prüfungsmaßstab des § 315 Abs. 3 BGB (vgl. BGHZ 172, 315ff.). Ebenso unerheblich
wäre es – was vorliegend von den Parteien aber nicht problematisiert worden ist –,
wenn schon die ursprünglichen Tarife der Klägerin unbillig gewesen wären, wofür hier
aber nichts spricht. Denn werden die vor der Preiserhöhung geltenden Tarife zwischen
den Parteien vereinbart und nicht einseitig nach billigem Ermessen bestimmt, greift §
315 Abs. 3 BGB nicht ein (vgl. BGH, ebenda). Schließlich existiert bei der
Gasversorgung auch kein Anschluss- und Benutzungszwang. Maßgebend ist also der
gesamte Wärmemarkt (BGH, ebenda), nicht nur der Gasversorgungsmarkt. Auch unter
diesem Aspekt gebietet sich daher keine kartellrechtliche Prüfung.
Konkrete kartellrechtliche Normen, die geprüft werden müssten, werden auch im
hiesigen Urteil des Amtsgerichts nicht angeführt. Vielmehr geht dieses von einer Art
genereller Ausstrahlungswirkung der kartellrechtlichen Normen aus, die aber in dieser
Form nicht gegeben ist und auch nicht ausreichend für eine Spezialzuständigkeit wäre.
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Auch über § 102 EnWG kann eine Unzuständigkeit des Amtsgerichts nicht
angenommen werden. Denn in erster Linie wird dort das "Ob" der Versorgung geregelt,
nicht aber eine inhaltliche Frage wie eine Gaspreiserhöhung. Insofern ist den
Entscheidungen des OLG Frankfurt und des LG Kassel zuzustimmen. Die
Argumentation des AG Erfurt, jedenfalls bei Streit über die Tarif- oder
Sonderkundeneigenschaft sei aber eine energiewirtschaftliche Streitigkeit anzunehmen,
überzeugt im Ergebnis auch nicht. Zwar behauptet hier auch der Beklagte, ein
Sonderkunde zu sein, allerdings ohne einen solchen Sondervertrag vorzulegen oder im
Übrigen den Abschluss eines solchen substanziiert darzulegen. Zwar kann dann die
Prüfung des Preisanpassungsverlangens in einzelnen Punkten von der Prüfung bei
einem Tarifkunden abweichen. Jedoch ist auch in diesem Fall keine Norm des EnWG
inhaltlich zu prüfen, die vorgreiflich wäre. Denn die Frage, ob ein Verbraucher Tarif-
oder Sondervertragskunde ist, richtet sich in erster Linie nach den konkreten
vertraglichen Vereinbarungen, ist also eine zivilrechtliche Prüfung.
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Daher ist auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Amtsgerichts Schwelm vom
05.08.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung und Verhandlung,
auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Amtsgericht Schwelm
zurückzuverweisen, § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO.
67
II.
68
Eine Kostenentscheidung der Kammer ist nicht veranlasst. Diese ist dem Amtsgericht
vorbehalten (Zöller-Gummer, ZPO, 26. Auflage, § 538, Rn. 58).
69
Diese Entscheidung ist vorläufig vollstreckbar (vgl. OLG München NZM 2002, 1032).
70
Der Streitwert liegt bei 303,64 €.
71
III.
72
Die Kammer hat die Revision zugelassen. Die Frage der sachlichen Zuständigkeit ist
umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt. Daher ist eine grundsätzliche
73
Bedeutung anzunehmen, § 543 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.