Urteil des LG Hagen vom 10.02.2006

LG Hagen: wirtschaftliche identität, gehweg, widerklage, radfahrer, unfall, schmerzensgeld, reparaturkosten, kostenvoranschlag, betriebsgefahr, fahrzeug

Landgericht Hagen, 1 S 139/05
Datum:
10.02.2006
Gericht:
Landgericht Hagen
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 S 139/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Hagen, 140 C 8/05
Tenor:
Die Berufung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2.) gegen das am
17.10.2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hagen wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Widerbeklagten zu 27 %
als Gesamt-schuldner. Im Übrigen trägt der Kläger die Kosten des
Berufungsverfahrens allein.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
I.
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Auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen. Gegenüber den
darin enthaltenen Feststellungen haben sich in zweiter Instanz keine Veränderungen
ergeben.
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II.
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Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
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Die Beschwer des Klägers beträgt 1.327,16 €. Davon entfallen 973,77 € auf die Klage
und 353,39 € auf die Widerklage. Entgegen § 5 ZPO werden für die Beschwer bei der
Berufung Klage und Widerklage stets zusammengerechnet. Hinsichtlich der
Widerbeklagen zu 2), die nur zur Zahlung von 353,39 € verurteilt wurde, ist zwar die
Berufungsgrenze nicht erreicht. Im Fall subjektiver Klagehäufung sind die
Einzelbelastungen der Streitgenossen aber zusammenzurechnen, soweit keine
wirtschaftliche Identität der Ansprüche besteht. Daher kommt hier der Widerbeklagten zu
2) die aus der abgewiesenen Klageforderung resultierende Beschwer des Klägers
zugute.
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In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg.
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Beide Parteien sind für den Unfall vom 12. Oktober 2004 verantwortlich.
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Dem Kläger ist ein Verstoß gegen die hohen Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO
anzulasten. Da sich der Unfall im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang
mit der Ausfahrt aus dem Grundstück ereignete, spricht bereits ein Beweis des ersten
Anscheins für ein Verschulden des Klägers. Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger
nicht entkräftet. Insbesondere ist seine Behauptung nicht bewiesen, er habe sich unter
größtmöglicher Sorgfalt langsam auf den Gehweg getastet und im Zeitpunkt der
Kollision bereits geraume Zeit gestanden.
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Die Vorschrift des § 10 StVO dient auch dem Schutz der – möglicherweise verbotswidrig
– auf dem Gehweg fahrenden Radfahrer. Wegen der allgemein verbreiteten Übung von
Radfahrer, auch Gehwege zu benutzen, gibt es keinen Vertrauensschutz für ein- und
ausfahrende Kfz-Führer, dass auf Gehwegen keine Radfahrer zu erwarten sind (OLG
Düsseldorf, NZV 1996, 119). Dies gilt um so mehr, als gemäß § 2 Abs. 5 StVO
radfahrende Kinder bis zum Alter von zehn Jahren auf dem Gehweg fahren dürfen, so
dass jedenfalls ihr plötzliches Auftauchen nicht auszuschließen ist.
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Auch der Beklagte hat den Unfall schuldhaft mitverursacht.
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Zwar hat er nicht gegen § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO verstoßen, da im Bereich der
Unfallstelle kein Radweg vorhanden ist. Auch auf das Gebot des § 2 Abs. 1 StVO, mit
dem Rad die Fahrbahn zu benutzen, kann nicht abgestellt werden. Diese Vorschrift ist
nur eine Schutznorm zugunsten des Längsverkehrs. Sie dient nicht der Sicherung
derjenigen Verkehrsteilnehmer, die die Straße überqueren oder in sie einbiegen wollen
(OLG Hamburg, NZV 1992, 281).
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Durch das Befahren des Gehwegs hat der Beklagte aber seine allgemeine
Rücksichtnahmepflicht nach § 1 Abs. 2 StVO verletzt, zu dessen Schutzbereich auch
der Kläger als Grundstücksausbieger gehörte (OLG Hamm, NZV 1995, 152). Der
Beklagte hat sich zweifellos verkehrswidrig verhalten, als er den Gehweg diagonal mit
dem Rad überquerte. Dass er darüber hinaus unaufmerksam war und mit gesenktem
Kopf ohne Beachtung des vor ihm liegenden Verkehrsraums gefahren ist, wie der
Kläger behauptet, ist allerdings nicht bewiesen.
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Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge sieht die Kammer – ebenso wie das
Amtsgericht – eine Quotelung im Verhältnis von 70 % zu 30 % zu Lasten des Klägers
und der Widerbeklagten zu 2) als angemessen an. Die Mehrbelastung der
Widerbeklagten beruht insbesondere auf dem Umstand, dass neben dem beiderseitigen
Verschulden der Unallbeteiligten, das nahezu gleichwertig ist, die vom klägerischen
Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr nicht unerheblich ins Gewicht fällt.
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Der Schaden des Klägers ist der Höhe nach mit 1.391,10 € unstreitig. Unter
Berücksichtigung des bereits durch Teil-Anerkenntnisurteils vom 14. März 2005
titulierten Betrags über 417,33 € steht dem Kläger kein weiterer Anspruch gegen den
Beklagen zu.
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Demgegenüber ist die Widerklage in Höhe von 353,39 € begründet.
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Die materiellen Schäden des Beklagten belaufen sich auf 411, 31 €. Hiervon haben die
Widerbeklagten entsprechend ihrem Haftungsanteil 287,91 € zu tragen.
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Reparaturkosten netto 161,75 €
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Kostenvoranschlag 20,-- €
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Reha-Maßnahmen, Medikamente 27,56 €
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Krankenfahrten 10,-- €
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Entgeltfortzahlung 192,-- €
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411,31 €
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hiervon 70 % 287,91 €
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Die zwischen den Parteien allein streitigen Kosten für die Entgeltfortzahlung, die der
Arbeitgeber des Beklagten aufgewandt hat, sind nach § 6 EFZG in der vom Amtsgericht
berechneten Höhe von 192,-- € erstattungsfähig. Der Beklagte macht sie als Zessionar
geltend.
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Ein die Entgeltfortzahlung ausschließendes Verschulden des Beklagten im Sinn des § 3
EFZG liegt nicht vor, da der Beklagte nicht in besonders grober Weise seine Pflichten
als Verkehrsteilnehmer verletzt hat. Allerdings wirkt sich sein Mitverschulden
anspruchsmindernd aus, so dass auch diese Schadensposition auf den Haftungsanteil
der Widerbeklagten von 70 % beschränkt ist.
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Die vom Beklagten vorgelegte Berechnung, die der Zeuge Schmidt bei seiner
Vernehmung erläutert hat, bedarf in zweifacher Hinsicht einer Korrektur. Grundlage der
Berechnung ist das Jahresgehalt des Beklagten. Um den Tagessatz zu ermitteln, ist das
Jahresgehalt durch die Anzahl der Werktage (250 Tage), das heißt ohne Abzug der
Urlaubstage, zu teilen. Ferner darf das Jahresgehalt nicht um das Urlaubs- und
Weihnachtsgeld, das zum Arbeitsentgelt nach dem EFZG gehört, gekürzt werden
(BGHZ 59, 109). Danach beläuft sich die berechtigte Entgeltfortzahlung auf 216,-- €.
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Jahresgehalt 14.955,-- €
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geteilt durch 250 Tage 59,82 €
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20,4 % AG-Anteil zur Sozialvers. 12,20 €
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pro Tag 72,02 €
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3 Tage Ausfallzeit 216,06 €
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Durch die abweichende Berechnung des Amtsgerichts, das für die Entgeltfortzahlung
lediglich 192,-- € angesetzt hat, werden die Widerbeklagten daher nicht beschwert.
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Neben dem Anspruch auf Ersatz der materiellen Schäden steht dem Beklagten ein
Schmerzensgeld zu. Als Ausgleich für die geringfügigen Verletzungen, die ausweislich
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der vorgelegten ärztlichen Atteste innerhalb weniger Tage vollständig ausheilten, ist der
vom Amtsgericht zuerkannte Betrag von 210,-- € angemessen.
Somit kann der Beklagte von den Widerbeklagten 497,91 € ersetzt verlangen. Nach
Abzug der vorgerichtlich geleisteten Zahlung über 144,52 € verbleibt der auf die
Widerklage zuerkannte Betrag von 353,39 €.
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70 % des materiellen Schadens 287,91 €
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Schmerzensgeld 210,-- €
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497,91 €
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abzüglich gezahlter 144, 52 €
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353,39 €
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Die dem Beklagten vom Amtsgericht zugesprochenen Zinsen ( 5 % über dem
Basiszinssatz seit dem 1. November 2004) werden mit der Berufung nicht angegriffen.
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Mithin war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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