Urteil des LG Hagen vom 07.11.2007

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Landgericht Hagen, 10 O 95/07
Datum:
07.11.2007
Gericht:
Landgericht Hagen
Spruchkörper:
10. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 O 95/07
Schlagworte:
menschenunwürdige Unterbringung, Strafhaft, Entschädigung
Normen:
Art. 5 Abs. 5 EMRK, Art. 1, 2 Abs. 1 GG
Tenor:
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für die von ihm beabsichtigte
Entschädigungsklage für den ersten Rechtszug bewilligt, soweit er eine
Entschädigung bis zur Höhe von 275 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit begehrt.
Das weitergehende Prozesskostenhilfeersuchen vom 8.8.2007 wird
zurückgewiesen.
Zur Wahrnehmung seiner Rechte wird dem Antragsteller Rechtsanwalt
Dr. C2 aus C beigeordnet.
Gründe
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Die beabsichtigte Klage hat nur hinsichtlich einer Entschädigung für 25 Tage Haft in
Höhe von 11 Euro pro Tag Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.
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Die unstreitige Dauer der Haftzeit, in der der Antragsteller in der von ihm beschriebenen
Gemeinschaftszelle 518 mit freistehender Toilette untergebracht war, belief sich nur auf
25 Tage. Für die darüber hinausgehenden von ihm behaupteten weiteren 24 Tage hat
der Antragsteller auch in seiner Erwiderung auf die Stellungnahme des Antragsgegners
keinen Beweis angeboten.
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Nach dem bisherigen Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass der Antragsteller an
25 Tagen menschenunwürdig untergebracht war.
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Im Hinblick auf die Höhe der Entschädigung ist der vom Antragsteller angesetzte Betrag
von 75 Euro pro Tag der menschenunwürdigen Unterbringung allerdings weit übersetzt.
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Nach Auffassung der Kammer erscheint auch unter Berücksichtigung der einschlägigen
Rechtsprechung (OLGR Hamburg 2005, 306: 25 Euro pro Tag angemessen, OLG L,
NJW-RR 2005, 1267 ff.: 2000 Euro für ca. 3 Monate = ca. 22 Euro pro Tag, OLG
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Koblenz, Urt. v. 15.03.2006, 1 U 1286/05: 2.000 Euro für 111 Tage = ca. 18 Euro pro
Tag) allenfalls ein Betrag von 275 Euro - 11 Euro pro Tag - angemessen.
Die genaue Würdigung der Umstände muss dem Hauptsacheverfahren überlassen
bleiben. Bei summarischer Berücksichtigung der vom Antragsteller vorgetragenen
konkreten Haftbedingungen, insbesondere der Ausgestaltung der sanitären Anlagen,
erscheint der von der Kammer angesetzte Betrag angemessen und sogar für den Fall
als übersetzt, wenn sich die Behauptung des Antragstellers, er habe einen Antrag auf
Einzelunterbringung während der Ruhezeiten gestellt, als nicht beweisbar erweist.
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Der angesetzte Betrag entspricht dem nach dem StrEG für zu unrecht erlittene
Freiheitsentziehung, z.B. aufgrund einer – nachträglich – fortgefallenen Verurteilung
vorgesehenen Betrag. Die Entschädigungssumme des § 7 III StrEG von 11 € lässt sich
zwar nicht ohne weiteres übertragen. Schließlich handelt es sich dort um einen
Ausgleich für die entzogene Freiheit etwa durch Verbüßung von Freiheitsstrafe oder
Unterbringung im Maßregelvollzug, wenn die Verurteilung nachträglich entfällt, während
es vorliegend um eine Verletzung der Menschenwürde durch unangemessene
Unterbringung geht, die auf einem Organisationsverschulden beruht. Es ist andererseits
aber nicht davon auszugehen, dass eine schuldhafte Beeinträchtigung durch
unzulässige Haftbedingungen ohne weiteres schwerer wiegt als der Verlust der Freiheit
(KG, NJW-RR 2005, 1478). Die Kammer neigt eher zu der Auffassung, dass die Freiheit
jedenfalls dann als das im Vergleich höherwertigere Recht einzuschätzen ist, wenn es
bei dem Verstoß gegen die Menschenwürde ausschließlich um baulich/organisatorisch
vorgegebene Beeinträchtigungen eines rechtmäßig zum Freiheitsentzug Verurteilten
geht. Schließlich hätte der Antragsteller auch bei rechtmäßiger Unterbringung die
üblichen Belastungen einer Haftstrafe zu tragen gehabt; Entschädigung ist nur für die
darüber hinausgehenden Unannehmlichkeiten zu leisten. Hierbei ist insbesondere zu
berücksichtigen, dass in der betreffenden JVA immerhin die gemeinsame Unterbringung
als solche bei anderen Sanitärbedingungen und größerer Zellengrundfläche gem. § 201
Nr. 3 StVollZG zulässig ist.
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Die vom Antragsteller angeführte Entscheidung des OLG Celle, NJW 2003, 2463, in der
ein Betrag von 100 Euro pro Tag angesetzt wurde, kann schon deswegen nicht
erfolgreich herangezogen werden, da sie sich lediglich auf einen Zeitraum von 5 Tagen
bezieht und dem Beschluss ein Fall zugrunde lag, in dem der Gefangene körperliche
Folgen geltend machte und er und sein Mitgefangener trotz Weigerung mit Gewalt in die
Zelle hineingezwungen wurden. Auch wenn es im Prozesskostenprüfungsverfahren
nicht von Belang sein mag, ob sich der Gefangene in der Unterbringungszeit
möglicherweise nicht erkennbar gegen die Unterbringung in dem konkreten Haftraum
zur Wehr setzt, da gem. Art. 1 I 2 GG Achtung und Schutz der Menschenwürde aller
staatlichen Gewalt auferlegt ist (BVerfG, NJW 2002, 2699, 2700), stellt die gewaltsame
Überwindung einer aktuellen Gegenwehr ein erheblich erschwerendes Moment der
Menschenwürdeverletzung dar, das über das bloße vom Antragsteller in der
Antragsschrift behauptete Übergehen eines - schriftlichen - Antrages auf
Einzelunterbringung weit hinaus geht.
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Ob der dem Beschluss des OLG Hamm vom 5.7.2006, 11 W 73/05, zugrundeliegende
Fall, in dem das OLG eine Entschädigung von 100 € pro Tag nicht von vornherein
unangemessen hielt, mit dem vorliegenden vergleichbar ist, ist nicht erkennbar. Aus der
Sachverhaltsdarstellung geht allerdings hervor, dass es sich um eine schikanöse
Maßnahme der Bediensteten der JVA handelte, was für eine erheblich
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schwerwiegendere Menschenwürdeverletzung als im vorliegenden Fall spricht.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der vom Antragsteller begehrten
Entschädigung um kein bloßes Schmerzensgeld, jedoch auch nicht um einen
Vermögensschaden handelt, sondern der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im
Vordergrund steht (BGHZ 161, 33; BVerfG NJW 2000, 2187).
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Aufgrund dessen ist für die Bemessung der Höhe der Entschädigung eine
Gesamtwürdigung aller Umstände, u.a. auch zeitunabhängiger Faktoren wie den
Auswirkungen auf den Verletzten sowie Anlass und Beweggrund des Handelnden
vorzunehmen. Hierbei war vorliegend auch zu berücksichtigen, dass es sich bei der
JVA Hagen gerichtsbekannt um die in NRW einzige Auswahlanstalt handelt und der
Antragsteller aufgrund des gültigen Vollstreckungsplans von vornherein davon
ausgehen konnte, dass es sich nur um einen zeitlich beschränkten Aufenthalt handeln
würde. Ferner ist das Verschulden der mit der Unterbringung Betrauten sowie das
Organisationsverschulden des beklagten Landes durch bekanntermaßen
unzureichende Finanzierung des Strafvollzugs als gering anzusehen. Der Antragsteller
gesteht selbst zu, dass die Art der Unterbringung nicht auf Schikane beruhte; vielmehr
wurde sie unstreitig durch einen Umbau der JVA ausgelöst. Woher der Antragsteller
seine wertende Auffassung nimmt, nach Bekanntwerden des Beschlusses des BVerfG
vom 27.2.2002 habe das beklagte Land hinreichend Zeit gehabt, die Ausgestaltung
seiner Haftpraxis ... zu ändern, ist angesichts des Umstandes, dass die zur Umsetzung
der dort niedergelegten Anforderungen erforderlichen Maßnahmen ohne Planung und
Errichtung neuer Justizvollzugsanstalten im Land NRW nicht möglich ist, nicht
nachvollziehbar. Dass das – schon angesichts der allgemeinkundigen Haushaltslage –
eines erheblich längeren zeitlichen Vorlaufs bedarf, als er bis zur streitgegenständlichen
Haftzeit zur Verfügung stand, liegt auf der Hand.
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Hinzu kommt, dass eine wesentliche höhere Entschädigung bereits für
Menschenwürdeverletzungen wie die konkret in Rede stehenden den Strafzwecken
zuwiderlaufen könnte. Schließlich handelt es sich bei Beträgen von 75 € oder mehr pro
Tag um ein Vielfaches der Hartz-IV-Sätze. Eine Unterbringung wie im vorliegenden Fall
ist in den Gefängnissen in NRW sehr häufig vorzufinden, und es ist aufgrund der
Haushaltslage des Landes, die Einsparungen und Kürzungen in einer Vielzahl von
Bereichen zwingend erforderlich macht, in absehbarer Zeit nicht mit durchgreifenden
Verbesserungen zu rechnen. Die Zuerkennung wesentlich höherer Beträge würde dazu
führen, dass in Zukunft eine sehr große Zahl Strafgefangener unter dem Gesichtspunkt
der Gleichbehandlung derartige Entschädigungsleistungen erfolgreich geltend machen
könnte, was nicht nur der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln wäre, sondern dadurch dem
Strafzweck der Generalprävention zuwiderlaufen könnte.
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Aus Art. 5 EMRK ergibt sich kein Anspruch auf eine höhere Entschädigung.
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Eine Anspruchsgrundlage für Zinsen, die über Rechtshängigkeitszinsen hinausgehen,
ist nicht ersichtlich.
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