Urteil des LG Giessen vom 29.01.2008

LG Gießen: zustellung, bekanntgabe, verjährungsfrist, beweisantrag, abnahme, gesellschafter, begriff, verfügung, zivilprozessrecht, dokumentation

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Gericht:
LG Gießen 2.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 O 388/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 204 Abs 1 Nr 7 BGB, § 166
ZPO, § 270 ZPO
Baumängelgewährleistung: Verjährungshemmung durch
formlose Bekanntgabe eines Beweissicherungsantrags
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 1. als Ausführende der Zimmer- und
Holzbauarbeiten sowie die Beklagte zu 2. und deren Gesellschafter, die Beklagten
zu 3. und 4), als Bauaufsichtsführende wegen Feuchtigkeitsschäden am Flachdach
des Bürogebäudes ..., ... in Anspruch.
Auf ihr Angebot vom 20.7.1998 (Anlage K 1 = Bl. 23 ff. d. A.) erhielt die Beklagte
zu 1. mit Schreiben der Klägerin vom 21.7.1998 (Anlage K 3 = Bl. 53 d. A.) den
Zuschlag für die Zimmer- und Holzbauarbeiten. Im Verhandlungsprotokoll vom
27.7.1998 (Anlage K 2 = Bl. 51 f. d. A.) – für die Beklagte zu 1. unterzeichnet von
... – ist eine Gewährleistungsfrist von 5 Jahren vorgesehen. Der Architektenvertrag
der Klägerin mit der Beklagten zu 2. vom 5./14.8.1997 (Anlage K 6 = Bl. 58 ff. d.
A.) umfasst die Leistungsphasen 1 bis 9. Die Verjährung ist in § 18 des Vertrages
wie folgt geregelt:
"Die Verjährungsfrist für Gewährleistungs- und sonstige Haftungsansprüche
Beträgt, sofern nicht gesetzlich eine kürzere Frist bestimmt ist und die Parteien
keine abweichende Individual-Vereinbarung getroffen haben, 5 Jahre. Die
Verjährung beginnt mit der Abnahme der letzten nach diesem Vertrage zu
erbringenden Leistung, spätestens mit Abnahme der nach Leistungsphase 8
(Objektüberwachung) zu erbringenden Leistungen (Teilabnahme). Für Leistungen,
die noch danach zu erbringen sind, beginnt die Verjährung mit Abnahme der
letzten Leistung."
Im August 1998 kam es nach Aufbringen eines Teils der Holzkonstruktion durch die
Beklagte zu 1) zu einem Regenwassereinbruch, so dass Wasser in die verlegte
Dämmung eindrang und auf der Betondecke stand. Die Arbeiten der Beklagten zu
1. wurden im Jahre 1998 abgeschlossen. Im Dezember 1998/Frühjahr 1999 begann
die Klägerin mit der Nutzung des beklagtenseits errichteten Werks und nahm
dieses ab. Auf die Schlussrechnung der Beklagten zu 1. vom 20.4.1999 (Anlage K
4 = Bl. 54 f. d. A.) erklärte die Beklagte zu 2) am 5.5.1999 (Anlage K 5 = Bl. 57 d.
A.) die Zahlungsfreigabe. Im November 2003 wurden aufgrund von Absenkungen
des Flachdachs Feuchtigkeits- und Fäulnisschäden mit Schimmelpilzbefall der
hölzernen Dachschalung festgestellt. Der entsprechende selbständige
Beweisantrag der Klägerin (vgl. Beiakte, LG Gießen 4 OH 16/03) – gerichtet u. a.
gegen die Beklagten zu 1. und 2. – ging am 7.11.2003 bei Gericht ein; er wurde
den Beklagten jedoch nicht zugestellt, sondern nur formlos mitgeteilt (vgl.
Verfügung der Einzelrichterin vom 10.11.2003, Bl. 24 der Beiakte). In diesem
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Verfügung der Einzelrichterin vom 10.11.2003, Bl. 24 der Beiakte). In diesem
Verfahren erstellte der Sachverständige ... ein Hauptgutachten vom 21.6.2004
(Anlage zur Beiakte) sowie bis zum 3.1.2007 insgesamt vier Ergänzungsgutachten
(vgl. Bl. 189 ff., 285 ff., 343 ff. und Anlage zur Beiakte). Am 4.9.2007 ging die
hiesige Klage bei Gericht ein (vgl. Bl. 1 d. A.).
Die Klägerin behauptet Mängel der Werke der Beklagten zu 1. und 2.. Die Beklagte
zu 1. habe Holz verwendet, welches mangels Holzschutzmittel nicht
ordnungsgemäß imprägniert gewesen sei. Ferner habe die Beklagte zu 1. das
durch ein nachträgliches Durchstoßen der Dampfsperre entstandene Loch nicht
ordnungsgemäß abgedichtet. Schließlich habe sie statt der im
Leistungsverzeichnis vorgesehenen "Rauspundschalung" nur eine "raue Schalung",
also eine solche ohne Nut und Feder, ausgeführt. Die Beklagte zu 2. hingegen
habe die Bauüberwachung mangelhaft geführt, weil sie die vorstehend genannten
Fehler der Beklagten zu 1. bei der Bauausführung nicht erkannt und verhindert
habe. Ihren Schaden beziffert die Klägerin auf Sanierungskosten in Höhe von
159.076,99 Euro sowie Architektenhonorar in Höhe von 16.176,53 Euro; beide
Beträge summieren sich zur Klageforderung.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten zu 1. bis 4. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin
Euro 175.253,52 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten berufen sich zunächst auf die Einrede der Verjährung. Die Beklagte
zu 1. ist der Auffassung, die Verjährungsfrist betrage gemäß ihrem Angebot vom
20.7.1998 und dem dortigen Verweis auf § 13 Nr. 4 VOB/B in der damaligen
Fassung nur 2 Jahre, diese Regelung sei auch in dem Verhandlungsprotokoll vom
27.7.1998 nicht wirksam abgeändert worden. Darüber hinaus halten sämtliche
Beklagte eine Hemmung der Verjährung durch das selbständige Beweisverfahren
mangels Rechtspersönlichkeit der dort als Antragstellerin auftretenden "..." für
ausgeschlossen. Schließlich bestreiten die Beklagten haftungsbegründende
Mängel ihres Werkes und wenden sich teilweise gegen die Schadenshöhe.
Die Kammer hat die Akte des selbständigen Beweisverfahrens (LG Gießen, Az. 4
OH 16/03) zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Im Zentrum
des Termins vom 4.12.2007 (vgl. näher Protokoll Bl. 213 ff. d. A.) stand die von den
Beklagten erhobene Verjährungseinrede; das mögliche Scheitern einer
Verjährungshemmung wegen fehlender Zustellung des selbständigen
Beweisantrages war ausführlich Gegenstand allseitiger Erörterung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Entgegen der beklagtenseits vertretenen Rechtsauffassung
kann die Stadt Friedberg unter dem hier rubrizierten Namen "..." vertreten durch
deren Betriebsleitung, klagen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 HessEigBG).
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Denkbare Schadenersatzansprüche wegen
mangelhafter Werkleistungen der Beklagten sind selbst dann verjährt, wenn man
für alle Beklagten die fünfjährige Verjährungsfrist ab Abnahme gemäß § 638 BGB
a. F. zur Geltung bringt.
Die Werkleistung der Beklagten zu 1. wurde – im Anschluss an den
Nutzungsbeginn bereits im Dezember 1998 – nach dem klägerseits nicht
bestrittenen Vortrag der Beklagten zu 1. spätestens im Frühjahr 1999
abgenommen. Damit vollendete sich die fünfjährige Verjährung im Frühjahr 2004.
Gleiches gilt im Ergebnis für die Werkleistung der Beklagten zu 2. und die
entsprechende Haftung der Beklagten zu 3. und 4. als Gesellschafter der
Beklagten zu 2. Die klägerseits reklamierte Haftung der Beklagten zu 2. betrifft
Mängel der Bauüberwachung, also der Leistungsphase 8. Diesbezüglich ist jedoch
in § 18 des Architektenvertrages ausdrücklich eine Teilabnahme für die Leistungen
der Phasen 1 bis 8 vorgesehen. Eine solche Vereinbarung der Parteien des
Architektenvertrages ist von Rechts wegen möglich und hat den Lauf einer
selbständigen Verjährungsfrist für die bis einschließlich der Leistungsphase 8
erbrachten Leistungen zur Folge (vgl. BGHZ 125, 111 ff. = NJW 1994, 1276 ff.). Nur
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erbrachten Leistungen zur Folge (vgl. BGHZ 125, 111 ff. = NJW 1994, 1276 ff.). Nur
bei Fehlen einer solchen vereinbarten Teilabnahme trifft die klägerseits vertretene
Rechtsauffassung zu, wonach die Verjährungsfrist für die Architektenhaftung – bei
Beauftragung auch mit der Leistungsphase 9 – erst nach Ablauf der Gewährfrist für
den Bauunternehmer beginnt.
Mithin vollendete sich die Verjährung für sämtliche Beklagte an sich im Frühjahr
2004. Weil die hiesige Klage erst am 4.9.2007 bei Gericht einging, kommt es nach
der bezogenen verjährungsrechtlichen Ausgangsposition mithin entscheidend
darauf an, ob der am 7.11.2003 bei Gericht eingegangene selbständige
Beweisantrag die Verjährung gehemmt hat (§ 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB). Diese Frage
ist zu verneinen.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten steht einer solchen
Verjährungshemmung zunächst nicht der rechtliche Gesichtspunkt entgegen, dass
die Klägerin auch damals bereits unter der hier rubrizierten Bezeichnung
prozessual gehandelt hat. Dies ergibt sich bereits aus den einleitenden
Überlegungen zur Zulässigkeit der Klage.
Indessen scheitert die Verjährungshemmung nach Auffassung der Kammer an der
unstreitig fehlenden Zustellung des selbständigen Beweisantrages an die
Beklagten. Die Kammer sieht sich angesichts des gesetzlichen Befundes
außerstande, dem vom OLG ... (Urteil vom 27.9.2007, Az. 9 U 55/07) bezogenen
Standpunkt beizutreten, eine Zustellung im Sinne der genannten Norm sei auch
die formlose, dem Antragsgegner zugegangene Bekanntgabe des Antrags auf
Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens. Die Auslegung der genannten
Vorschrift ergibt vielmehr eindeutig das Erfordernis einer förmlichen Zustellung.
Schon der Wortlaut des Gesetzes – "Zustellung" – weist deutlich auf eine förmliche
Zustellung hin. § 270 ZPO trennt schon seit jeher den Begriff der "Zustellung" von
der "formlosen Mitteilung". Darüber hinaus ist der Begriff "Zustellung" seit der
Zivilprozessreform 2002 gesetzlich als "Bekanntgabe" eines Schriftstücks in einer
"bestimmten Form" legal definiert (§ 166 Abs. 1 ZPO). Es kann auch kein Zweifel
daran bestehen, dass die in den genannten zivilprozessualen Normen festgelegte
Bedeutung des Begriffs "Zustellung" auch für die Auslegung der hier relevanten
Verjährungsvorschrift maßgeblich ist, weil es in dieser Vorschrift eben gerade um
die Hemmung der Verjährung durch eine zivilprozessuale Maßnahme geht.
Nach den vorstehenden Überlegungen lässt der Wortlaut des Gesetzes an sich
keinen Spielraum zur Ausdehnung des Begriffs der "Zustellung" auf Fälle bloß
formloser Bekanntgabe. Gleichwohl soll den vom OLG ... ausgeführten
Argumenten weiter nachgegangen werden.
Der Hinweis auf § 187 ZPO a. F. – heute § 139 ZPO – sowie auf die Möglichkeit
eines Verzichts nach § 295 ZPO verfängt nicht. Denn eine Heilung fehlender
förmlicher Zustellung nach den erstgenannten Vorschriften setzt jedenfalls einen
entsprechenden Zustellungswillen des Gerichts voraus (vgl. Zöller-Stöber, ZPO,
25. Auflage, § 189 Randzeichen 2 m. w. N.), an dem es hier ausweislich der auf
bloß formlose Bekanntgabe gerichteten Verfügung der zuständigen Einzelrichterin
vom 10.11.2003 gerade fehlt. Dass die Beklagten auf die förmliche Zustellung
verzichtet hätten, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Freilich liegt mehr als nahe, dass
sämtliche Parteien des selbständigen Beweisverfahrens seinerzeit das gesetzliche
Erfordernis einer förmlichen Zustellung nicht erkannt hatten. Gerade dieser
Umstand schließt jedoch auch die Annahme eines nur konkludenten Verzichts aus,
weil eine solche konkludente Erklärung wenigstens das Bewusstsein voraussetzt,
eine solche Erklärung sei erforderlich.
Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich das Erfordernis einer förmlichen
Zustellung. Der Gesetzgeber (BT-Drucksache 14/6040, Seite 114) verweist dort
ausdrücklich auf § 270 ZPO, legt jedoch – nach geltendem Zivilprozessrecht zu
Unrecht – die Auffassung zugrunde, auch der selbständige Beweisantrag müsse
der genannten Vorschrift zufolge förmlich zugestellt werden. Dies trifft nicht zu,
weil ein Beweisantrag eben kein Sachantrag, sondern der typische Fall eines
Prozessantrages ist (vgl. auch LG ... Urteil vom 12.9.2005, Az. 22 O 90/05). Der
Gesetzgeber wollte also – wenn auch auf der Grundlage einer nicht zutreffenden
Beurteilung der Prozessrechtslage –, dass der selbständige Beweisantrag zur
Hemmung der Verjährung förmlich zugestellt werden müsse. Allein dieser
"Motivirrtum" des Gesetzgebers berechtigt aber bei der Rechtsanwendung
keineswegs zu einer entsprechenden Entscheidung gegen den objektivierten
Gesetzeswortlaut. Wollte man anders entscheiden, so ergäben sich massive
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Gesetzeswortlaut. Wollte man anders entscheiden, so ergäben sich massive
Einbrüche in die Bindung des Rechtsanwenders an den im Gesetzeswortlaut
objektivierten Willen des Gesetzgebers.
In objektiv-teleologischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob die Interessenanalyse
eine Entscheidung gegen den Wortlaut des Gesetzes rechtfertigt. Auch diese
Frage verneint die Kammer. Dazu bedarf es keiner weiteren Untersuchung der in
dieser Frage belegenen grundsätzlichen Problematik der Gesetzesbindung.
Vielmehr würden durch die vom OLG ... vertretene Rechtsauffassung durchaus
schützenwerte Interessen verletzt. Vorschriften zur Berechnung der
Verjährungsfrist haben immer ganz wesentlich die Rechtssicherheit im Auge, also
das Interesse des Rechtsverkehrs daran, den Eintritt der Verjährung möglichst
präzise bestimmen zu können. Indessen ist der nur formlose Zugang einer mit
verjährungshemmender Wirkung ausgestatteten Prozesserklärung mangels
Dokumentation regelmäßig nicht hinreichend sicher zu ermitteln. Gerade
deswegen sieht der Gesetzgeber in sämtlichen in § 204 Abs. 1 BGB aufgelisteten
Fällen davon ab, die Verjährungshemmung an die (formlose) Bekanntgabe dieser
Erklärung an den Gegner – also an ihren dortigen Zugang – zu knüpfen.
Nach alledem ist auch dem abschließenden Resümee des Oberlandesgerichts ...
nicht zuzustimmen, mangels Erstreckung des Begriffs der "Zustellung" auf Fälle
formloser Bekanntgabe sei für eine Vielzahl von Fällen der Ausfall einer
wesentlichen Funktion des selbständigen Beweisverfahrens – nämlich die
Verjährung zu hemmen – zu befürchten, "ohne dass hierfür tragfähige Gründe
ersichtlich wären". Ein solcher Ausfall der verjährungshemmenden Wirkung nicht
förmlich zugestellter selbständiger Beweisanträge beruht – wie gezeigt – auf der
gesetzlichen Neuregelung in § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB. Allein der Umstand
nachteiliger Folgen anfänglicher Nichtbeachtung dieser gesetzlichen Neuregelung
ist nach Auffassung der Kammer kein hinreichender Grund, diese gesetzliche
Vorschrift nicht so anzuwenden, wie sie formuliert und intendiert ist.
Nach alledem konnte der Eingang des selbständigen Beweisantrages keine
verjährungshemmende Wirkung entfalten. Die erst im September 2007
eingegangene Klage kam als verjährungshemmende Maßnahme (§§ 204 Abs. 1
Nr. 1 BGB, 167 ZPO) zu spät.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.