Urteil des LG Giessen vom 12.08.2008

LG Gießen: drittwirkung der grundrechte, mietvertrag, kündigung, willkürverbot, gewalt, räumung, quelle, immaterialgüterrecht, wohnung, zivilprozessrecht

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Gericht:
LG Gießen 1.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 S 190/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 GG, § 242 BGB, § 535
BGB, § 3 StudWG HE
Mietvertrag mit Studentenwerk: Grundrechtswidrige
Ungleichbehandlung bei Kündigung
Tenor
wird dem Antragsteller Prozeßkostenhilfe für den zweiten Rechtszug bewilligt.
Zur Wahrnehmung der Rechte in diesem Rechtszug wird der Rechtsanwalt ..., ..., ...
beigeordnet.
Gründe
Die vom Antragsteller beabsichtigte Berufung besitzt die nötigen
Erfolgsaussichten.
Die vom Antragsgegner begehrte Räumung der Wohnung verstößt gegen das in
Art. 3 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommende Willkürverbot und ist gemäß § 242 BGB
unzulässig.
Der Antragsteller hat in erster Instanz unbestritten vorgetragen, dass der
Antragsgegner mit einer anderen Mieterin im Haus ..., welche sich ebenso wie der
Antragsteller gegen die Betriebskostenerhöhungen zur Wehr gesetzt hatte und
welcher ebenso gekündigt worden war, einen neuen, abgeänderten Mietvertrag
abgeschlossen hat. Der Antragsgegner hätte nicht an der Kündigung vom
20.08.2007 festhalten dürfen, ohne dem Antragsteller zuvor ebenfalls ein solches
Vertragsangebot zu unterbreiten.
Das Vertragsverhältnis der Parteien unterliegt nicht nur, wie der Antragsteller
meint, einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte. Der Antragsgegner ist als
Anstalt des öffentlichen Rechts im Bereich staatlicher Daseinsvorsorge Teil der
vollziehenden Gewalt und damit gem. Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die
Grundrechte gebunden (vgl. VG Göttingen v. 30.09.2004, Az. 4 B 116/04). Der
Auftrag des Antragsgegners zur Daseinsvorsorge ergibt sich aus § 3 Abs. 1, 2
HessStudWG. Danach ist Aufgabe der Studentenwerke die wirtschaftliche, soziale,
gesundheitliche, sportliche und kulturelle Förderung der Studierenden,
insbesondere die Förderung von Studierenden im Bereich des studentischen
Wohnens.
Dass der Antragsgegner seine Aufgaben der Daseinsvorsorge mit Mitteln des
Privatrechts erfüllt und der Mietvertrag zwischen den Parteien privatrechtlicher
Natur ist, ändert an der unmittelbaren Grundrechtsbindung des Antragsgegners
nichts. Die öffentliche Hand ist auch dann unmittelbar an die Grundrechte
gebunden, wenn sie öffentliche Aufgaben in privatrechtlichen Rechtsformen
wahrnimmt (BGH v. 11.03.2003, Az. XI ZR 403/01).
Das Räumungsbegehren des Antragsgegners ist mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht
vereinbar. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG erschöpft sich nicht in dem
Verbot einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung verschiedener Personen oder
Personengruppen, sondern bringt als fundamentales Rechtsprinzip ein
Willkürverbot zum Ausdruck. Das Willkürverbot ist verletzt, wenn sich bei
verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken ein
verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken ein
sachgerechter Grund für eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt nicht finden lässt
(BGH a.a.O.). Dies ist hier der Fall. Der Antragsgegner hat nichts dafür
vorgetragen, weshalb der Antragsteller anders behandelt wird als eine andere
Bewohnerin desselben Wohnheims, deren Mietvertrag ebenfalls vom
Antragsgegner gekündigt worden war. Ein derartiger Grund ist auch nicht
ersichtlich.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.