Urteil des LG Freiburg vom 22.10.2015

verbraucher, halle, ratio legis, widerrufsrecht

LG Freiburg Urteil vom 22.10.2015, 14 O 176/15
Leitsätze
Ein auf der "Grünen Woche" in Berlin in der Messehalle 11.1. - Haustechnik -
betriebener Messestand eines Dampf-Staubsauger vertreibenden Unternehmens ist
ein beweglicher Geschäftsraum im Sinne von § 312b Abs. 2 S. 1 2. Alt. BGB.
Verbrauchern, die dort Kaufverträge abgeschlossen haben, steht kein Widerrufsrecht
nach §§ 312g Abs. 1, 355 BGB zu, weil die Verträge nicht außerhalb von
Geschäftsräumen geschlossen wurden.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1 Der Kläger, eine qualifizierte Einrichtung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG,
nimmt die Beklagte, eine Vertriebsgesellschaft, im Zusammenhang mit dem
Abschluss von Kaufverträgen auf der in Berlin stattfindenden Messe „Grüne
Woche“ auf Unterlassung in Anspruch.
2 Am 22.01.2015 bestellte Herr Gerd D. aus Berlin am Ausstellungsstand der
Beklagten auf der Grünen Woche in Berlin einen M.-Dampf-Staubsauger Typ T. mit
Zubehör zum Preis von 1.600,00 EUR. Hierzu unterzeichnete er das als Anlage K
1 vorgelegte Bestellformular der Beklagten. Die Beklagte hat ihre Kunden auf der
Grünen Woche 2015 über ein Widerrufsrecht und das Musterwiderrufsformular
nach § 312d BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 EGBGB nicht informiert.
3 Herr D. wandte sich an den Kläger. Mit Schreiben vom 17.02.2015 (Anlage K 4)
wies der Kläger die Beklagte darauf hin, dass die unterbliebene Information über
das Widerrufsrecht und das Musterwiderrufsformular gegen §§ 312g, 312b, 312d
BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 EGBGB verstoßen würde. Bei außerhalb von
Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sei über das Widerrufsrecht nach §
355 BGB und das Musterwiderrufsformular zu informieren. Dem Schreiben war
eine vorgefertigte Unterlassungserklärung mit Vertragsstrafeversprechen angefügt,
die die Beklagte trotz Aufforderung nicht unterzeichnete.
4 Der Kläger behauptet, die „Grüne Woche“ sei eine Messe für „Ernährung,
Landwirtschaft und Gartenbau“. Es handele sich bei ihr nicht um eine Messe für
Reinigungsmittel und/oder -geräte. Bei dem zwischen der Beklagten und Herrn D.
geschlossenen Kaufvertrag handele es sich um einen Außergeschäftsraumvertrag
im Sinne von § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB. Bei dem Messestand der Beklagten
handele es sich nicht um einen Geschäftsraum im Sinne des § 312b BGB. Er stelle
insbesondere keinen beweglichen Geschäftsraum dar, an dem die Beklagte ihre
Tätigkeit für gewöhnlich ausübe. Die Beklagte habe an ihrem Messestand auf der
Grünen Woche Dampfstaubsauger verkauft. Bei diesem Produkt handele es sich
um ein fachfremdes Produkt, da die Verbraucher ein solches nicht auf einer Messe
erwarten würden, auf der Lebensmittel und sonstige landwirtschaftlichen Produkte
sowie den Gartenbau betreffende Produkte präsentiert werden würden. Es komme
allein auf den Charakter der Messe „Grüne Woche“ an. Der Kläger bestreitet, dass
sich der Stand der Beklagten im Bereich für hauswirtschaftliche Geräte befunden
habe. Lediglich der untere Teilbereich der Halle 11 sei für die Haustechnik
vorgesehen gewesen. Diese sei nur eine von 26 Hallen. Der weit überwiegende
Teil der Hallen betreffe genau das originäre Thema der Grünen Woche
„Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft, Gartenbau, Heimtiere, Lebensmittel“. Die
Erwartungshaltung der Verbraucher werde von der öffentlichen Darstellung der
„Grünen Woche“ geprägt.
5 Der Kläger beantragt:
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1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR,
ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6
Monaten, diese zu vollstrecken an der Geschäftsführerin, zu unterlassen,
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im Rahmen geschäftlicher Handlungen mit Verbrauchern auf der Messe „Grüne
Woche“ in Berlin Kaufverträge über die Lieferung von Dampf-Staubsaugern
abzuschließen, ohne über das Widerrufsrecht nach §§ 312g, 355 BGB und das
Musterwiderrufsformular zu informieren.
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2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 214,20 EUR nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen.
9 Die Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Die Beklagte behauptet, sie sei nicht zu einer Widerrufsbelehrung verpflichtet.
Sowohl auf der Internetseite der „Grünen Woche“ als auch bei den allgemeinen
Informationen für Besucher - wie etwa in dem als Anlage B 1 vorgelegten Lageplan
- werde hervorgehoben, dass in Halle 11 ausschließlich Haustechnik angeboten
werde. Die Beklagte vertreibe ihre Produkte ausschließlich auf Messen.
12 Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung
vom 22.10.2015 verwiesen.
Entscheidungsgründe
13 Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Klägerin steht ein
Unterlassungsanspruch nicht zu.
I.
14 Die Beklagte ist nicht verpflichtet gewesen, als Aussteller der Grünen Woche 2015
ihre Kunden bei Abgabe einer Bestellung über ein Widerrufsrecht zu belehren, da
sie ihre Waren in beweglichen Gewerberäumen angeboten und verkauft hat. Sie
hat somit nicht gegen ein Verbraucherschutzgesetz verstoßen.
15 Die Beklagte hat ihre Produkte auf der Grünen Woche 2015 vom 16.01.2015 bis
zum 25.01.2015 in Halle 11.1, Stand 129, auf einer Fläche von 20,00 m²
ausgestellt und vertrieben. Dies folgt aus der von der Beklagten vorgelegten
Rechnung der Messe Berlin GmbH vom 25.02.2015. Die im Untergeschoss
befindliche Halle 11.1 wird in dem Geländeplan der Messegesellschaft (vgl. AS. 87,
Anlage B 1), der insbesondere der Orientierung der Messebesucher dient, als
einzige Halle mit „Haustechnik“ - in farblich deutlich abgesetzter Weise -
ausgewiesen. Die Halle verfügt über einen eigenen Eingang. Sie ist damit
hinreichend deutlich für den Verbraucher als „Haustechnik“-Bereich erkennbar.
16 Einem Verbraucher steht gemäß § 312g Abs. 1 BGB nur bei außerhalb von
Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein
Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu. Außerhalb von Geschäftsräumen
geschlossene Verträge sind nach § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB Verträge, die bei
gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers
an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist.
Geschäftsräume sind nach der Legaldefinition des § 312b Abs. 2 S. 1 BGB
„unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit
dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer
seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt“.
17 Der Messestand der Beklagten auf der Grünen Woche 2015 war ein beweglicher
Geschäftsraum im Sinne des § 312b Abs. 2 S. 1 BGB. Verbrauchern, die dort mit
der Beklagten Kaufverträge über Haushaltsgeräte, wie beispielsweise Dampf-
Staubsaugern, abgeschlossen haben, steht somit kein Widerrufsrecht nach §§
312g Abs. 1, 355 BGB zu.
18 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Gesetzeshistorie oder der von der
Klägerin angeführten Gesetzesbegründung. § 312b Abs. 2 S. 1 BGB wurde mit
dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des
Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.09.2013 (BGBl I 2013,
3642) in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Das Gesetz diente unter
anderem der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EUR (ABl 2011 L
304/64) in deutsches Recht und ist hinsichtlich der neuen §§ 312a ff. und §§ 355 ff.
BGB auf Verbraucherverträge anzuwenden, die seit dem Inkrafttreten des
Umsetzungsgesetzes am 13.06.2014 abgeschlossen worden sind. Nach der
Gesetzesbegründung sind auch Marktstände sowie Stände auf Messen und
Ausstellungen im Sinne der §§ 64, 65 der Gewerbeordnung als Geschäftsräume
anzusehen, wenn der Unternehmer sein Gewerbe dort für gewöhnlich ausübt (BR-
Drucks. 817/12, S. 80; BT-Drucks. 17/12637, S. 50).
19 Diese Sichtweise folgt den Vorgaben der Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie
2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011
über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des
Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie
97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl 2011 L 304/64, VRRL).
Dort wird in Art. 2 Ziff. 9 der Begriff der „Geschäftsräume“ bestimmt und unter b)
ausgeführt:
20 bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für
gewöhnlich ausübt.
21 In Erwägungsgrund (22) VRRL wird dies erläutert:
22 Als Geschäftsräume sollten alle Arten von Räumlichkeiten (wie Geschäfte, Stände
oder Lastwagen) gelten, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder
gewöhnlich ausübt. Markt- und Messestände sollten als Geschäftsräume
behandelt werden, wenn sie diese Bedingung erfüllen.
23 Auch wenn die Richtlinie es zunächst vom Wortlaut her nahelegt, den Begriff des
„gewöhnlich“ in Abgrenzung zum „ständig“ ausgeübten Gewerbe nur in zeitlicher
Hinsicht und damit aus der Sicht des Unternehmers zu bestimmen, liegt es schon
aufgrund der ratio legis nicht fern, den genannten Begriff zur Durchsetzung des in
Erwägungsgrund (21) VRRL verdeutlichten Schutzzweckes auch aus der
Perspektive der Verbraucher zu interpretieren. Dort heißt es:
24 Außerhalb von Geschäftsräumen steht der Verbraucher möglicherweise
psychisch unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt, wobei
es keine Rolle spielt, ob der Verbraucher den Besuch des Unternehmers
herbeigeführt hat oder nicht.
25 Erweiternd und in Konkretisierung der Verbraucherrechterichtlinie weist der
Gesetzesentwurf der Bundesregierung in seiner Begründung (BR-Drucks. 817/12,
S. 80) daher darauf hin, dass die Anwendung des Kriteriums der gewöhnlichen
Ausübung der Tätigkeit des Unternehmers auch auf Markt- und Messestände vor
dem Hintergrund erfolgt sei, Verbraucher vor übereilten Vertragsschlüssen zu
schützen, insbesondere in Fällen, in denen sie nicht mit einem Vertragsschluss
über bestimmte Waren rechnen müssen. Eine solche Situation würde regelmäßig
nicht vorliegen, wenn der Verbraucher auf einem Wochenmarkt einkauft, an dem
dieselben Händler ihre Marktstände aufbauen und für einen Wochenmarkt
typische Waren verkaufen. Sie könne aber durchaus vorliegen, wenn dem
Verbraucher überraschend fachfremde, nicht mit dem Thema der Messe oder
Ausstellung im Zusammenhang stehende Waren angeboten werden würden.
26 Die Beklagte hat ihren Messestand während der gesamten Grünen Woche 2015 in
Halle 11.1 betrieben und vertreibt ihre Produkte auch sonst über Messen. In Halle
11.1 erwartet den Verbraucher nach dem Geländeplan der Messegesellschaft
„Haustechnik“. Der Verbraucher kann sich somit bei einem Besuch der Grünen
Woche darauf einstellen, dass dort Haustechnik - und damit auch Dampf-
Staubsauger - angeboten werden, wenn er Halle 11.1 betritt. Bei 1.600 Ausstellern
und 26 Hallenkomplexen (vgl. Anlage K 3), für deren Besichtigung der Besucher
acht Kilometer Wegstrecke zurücklegen und mindestens drei Tage Zeit einplanen
muss (vgl. Anlage K 8) und deshalb von der Messegesellschaft 10
unterschiedliche Touren „für große und kleine Gourmets und Entdecker“
angeboten werden, hält es das Gericht für nahezu ausgeschlossen, dass sich der
aufmerksame, seine Kräfte einteilende und seine eigenen Interessen
bevorzugende Messebesucher zufällig in die im Untergeschoss gelegene Halle
11.1 begibt und dann von dem dort Angebotenen überrascht ist. Jedenfalls sind
Verbraucher in einem solchen Fall nicht schutzwürdig, weil sie weder einem
hinreichenden Druck noch einem hinreichenden Überraschungsmoment
ausgesetzt sind. Die Halle verfügt über einen gesonderten Zugang. Um in sie zu
gelangen, muss der Messebesucher - wie bereits erwähnt - sich bewusst in das
Untergeschoss begeben. Die Halle ist daher schon von ihrer äußeren Ausprägung
einem Geschäftsraum angeglichen, in dem der Verbraucher „Haustechnik“
erwartet und somit nicht überrascht sein kann, wenn ihm Dampf-Staubsauger
angeboten werden. Zudem sind Besucher von Messen und Ausstellungen nicht so
schutzwürdig wie beispielsweise Verbraucher, die außerhalb von
Marktveranstaltungen im öffentlichen Verkehrsraum vor dem Geschäft des
Unternehmers angesprochen werden (vgl. BT-Drucks. 17/12637, S. 49). Sie
rechnen nämlich mit solchen Situationen und können sich ihnen einfach auch
dadurch entziehen, dass sie in der Anonymität der Besuchermasse untertauchen
(Hilderscheid, GewArch 2014, 11/16 m.w.N.).
27 Auf den im öffentlichen Bewusstsein dargestellten „Charakter“ der Grünen Woche
kommt es - selbst falls sich ein solcher im Sinne der Klägerin feststellen ließe -
angesichts der Größe der Messe und der damit verbundenen Notwendigkeit zur
Auswahl bestimmter Interessengebiete und zur Orientierung nicht entscheidend
an.
II.
28 Da somit kein Anspruch auf Abgabe der begehrten Unterlassungserklärung
bestand, hat die Klägerin auch kein Recht, ihre vorgerichtlichen Abmahnkosten
nach § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 UWG erstattet zu verlangen.
III.
29 Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.