Urteil des LG Freiburg vom 09.10.2007
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LG Freiburg Urteil vom 9.10.2007, 7 Ns 140 Js 10353/07 - AK 129/07
Räuberische Erpressung: Gewaltanwendung durch einen Schwarzfahrer
Leitsätze
Wer sich als Schwarzfahrer durch Anwendung von Gewalt der Fahrausweiskontrolle widersetzt, um sich der
Zahlung des angekündigten erhöhten Beförderungsentgelts zu entziehen, macht sich wegen räuberischer
Erpressung gemäß §§ 253, 255, 249 StGB strafbar.Das Urteil der Berufungsinstanz ist am 16. August 2008
rechtskräftig geworden, nachdem die Revision des Angeklagten durch Beschluss des OLG Karlsruhe vom 15.
August 2008 verworfen wurde.
Tenor
Die Berufung des Angeklagten wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
1
Durch Urteil des Amtsgerichts – Schöffengerichts – Freiburg vom 09.07.2007 wurde der Angeklagte wegen
Beförderungserschleichung in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, mit gefährlicher Körperverletzung und
mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt
wurde. Gegen dieses Urteil legte er form- und fristgerecht Berufung ein. Sein Rechtsmittel, mit dem er eine
Verurteilung lediglich wegen Körperverletzung und Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen
erstrebte, blieb ohne Erfolg.
II.
2
Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen: -
wird ausgeführt -
III.
3
In der Berufungshauptverhandlung wurde folgender Sachverhalt festgestellt:
4
In der Nacht vom 10. auf den 11. März 2007 befanden sich der Angeklagte und der frühere Mitangeklagte und
jetzige Zeuge S. zusammen mit zwei Frauen in Freiburg, wo sie bis in die frühen Morgenstunden verschiedene
Lokale besuchten und dabei alkoholische Getränke in unbekannter Menge zu sich nahmen. Dabei trank S.
erheblich mehr Alkohol als der Angeklagte. Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Angeklagten eine erhebliche
Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB vorgelegen haben könnte, haben sich in
der Berufungshauptverhandlung allerdings nicht ergeben.
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Am Sonntag, dem 11. März 2007, kurz nach 08.00 Uhr, begaben sich der Angeklagte und S. zum
Hauptbahnhof in Freiburg, um von dort mit der S-Bahn nach Breisach zurückzufahren. Am Gleis 5 versuchten
sie vergeblich, an einem der dort befindlichen Fahrkartenautomaten einen Fahrausweis zu lösen, der pro
Person 4,80 Euro gekostet hätte. Ob der Automat den eingegebenen Geldschein nicht akzeptierte oder eine
sonstige Störung vorlag, konnte nicht geklärt werden. Während der Angeklagte sich daraufhin in die S-Bahn
Linie 729 begab, startete S. an einem Fahrkartenautomaten am Gleis 1 einen weiteren Versuch, Fahrausweise
zu bekommen. Auch dieser Versuch schlug fehl – möglicherweise war der ausgesuchte Automat ebenfalls
defekt. Verärgert darüber unternahm S. keine weiteren Versuche, Fahrausweise zu lösen, obwohl sich am
Gleis 1 insgesamt drei Fahrkartenautomaten und an den anderen Gleisen mehr als zehn Fahrkartenautomaten
befanden, an denen andere Fahrgäste ihre Fahrausweise lösten, was S. auch bemerkte. Vielmehr bestieg auch
S. die S-Bahn im hinteren Bereich und setzte sich zu dem Angeklagten, dem er von seinen vergeblichen
Versuchen, Fahrausweise zu lösen, berichtete. Beide entschlossen sich daraufhin, die Fahrt mit der S-Bahn
nach Breisach ohne gültigen Fahrausweis anzutreten und somit das fällige Entgelt nicht zu entrichten, obwohl
sie auf Grund der vielfältigen im Bahnhofsgebäude an den Gleisen und auch in den einzelnen Wagen der S-
Bahn deutlich angebrachten Hinweisschildern gesehen hatten, dass vor der jeweiligen Fahrt ein Fahrausweis
gelöst werden musste und bei einem Fahren ohne Fahrausweis ein erhöhtes Beförderungsgeld von 40,-- Euro
fällig wurde. Auf den Schildern wurde auch deutlich darauf hingewiesen, dass sich in den meisten Zügen keine
Fahrkartenautomaten befinden und in Notfällen der Fahrausweis vor Abfahrt des Zuges unverzüglich beim
Fahrer erworben werden muss. Da es früh an einem Sonntagmorgen war, rechneten der Angeklagte und S.
nicht mit einer Fahrscheinkontrolle in der S-Bahn und vertrauten darauf, dass sie auch ohne Fahrausweise
unbehelligt nach Breisach gelangen würden. Deswegen unterließen sie es auch, sich zum Zugführer zu
begeben und dort Fahrausweise zu erwerben.
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Nachdem der Angeklagte und S. es sich in der S-Bahn am Gleis 5 bequem gemacht hatten, fuhr die S-Bahn
etwa 5 Minuten später um 08.24 Uhr los. Kurz zuvor hatten die drei Fahrausweisprüfer M., G. und B die S-
Bahn ebenfalls betreten. Nach der Haltestelle „Moosweiher“ am Stadtrand von Freiburg teilten sich die drei
Prüfer auf und begannen, die Fahrgäste auf Fahrausweise zu überprüfen. Während B. am Anfang des Wagens
und G. in der Mitte des Wagens begannen, fing der aus dem Iran stammende – was an seiner dunkleren
Hautfarbe unschwer zu erkennen war – Zeuge M. am Ende des Wagens mit der Kontrolle an. Dort traf er auf
den Angeklagten und S., die sich gegenüber saßen, die Füße jeweils auf den gegenüberliegenden Sitz gelegt
hatten und infolge der durchzechten Nacht bereits eingeschlafen waren. Der Zeuge M. weckte die beiden,
stellte sich als Fahrausweisprüfer vor, zeigte seinen entsprechenden Ausweis vor und verlangte die
Fahrausweise der beiden zu sehen. S. war schneller wach als der Angeklagte und räumte sofort ein, dass sie
nach Breisach fahren wollten und keine Fahrausweise hätten. Dann zog er einen Geldschein aus der Tasche,
hielt ihn dem Zeugen M. hin und forderte ihn ziemlich herablassend – immer noch in halb liegender Position mit
den Füßen auf dem gegenüberliegenden Sitz – auf: „Hol mir mal zwei Fahrscheine!“ Der Zeuge M. erklärte
daraufhin, er sei kein Schaffner, der Fahrscheine verkaufe, sondern ein Kontrolleur, und da die beiden keine
Fahrausweise besäßen, müsse er jetzt deren Personalien aufnehmen. Nunmehr händigte S. dem Zeugen M.
auf dessen Aufforderung seinen Personalausweis aus, und M. begann, dessen Daten in sein mitgeführtes
kleines Datenerfassungsgerät einzugeben.
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Zwischenzeitlich war auch der Angeklagte hellwach und hatte die Situation zutreffend erfasst. Um sich der
Kontrolle zu entziehen und das drohende erhöhte Beförderungsentgelt von 40,-- Euro nicht bezahlen zu
müssen, forderte der Angeklagte seinen Begleiter S. auf, seinen Personalausweis wieder an sich zu nehmen,
worauf S. dem Zeugen M. den Ausweis aus der Hand riss. Danach begannen beide eine Diskussion mit dem
Zeugen M. und erklärten das Fehlen von Fahrausweisen damit, dass die Automaten am Hauptbahnhof defekt
gewesen seien. Diesen Einwand ließ M. jedoch nicht gelten und wies die beiden darauf hin, dass er vor dem
Betreten der S-Bahn selbst gesehen habe, dass andere Fahrgäste ihre Fahrausweise an den jeweiligen
Fahrkartenautomaten gelöst hätten. Im Übrigen hätten sie nach dem Besteigen der S-Bahn bei dem Zugführer
Fahrausweise erwerben können. Er verlangte erneut die Personalien der beiden sowie das für einen solchen
Fall angedrohte erhöhte Beförderungsentgelt von 40,-- Euro pro Person. Als beide übereinstimmend erklärten,
sie würden weder ihre Ausweise zeigen noch das Geld bezahlen, wies der Zeuge M. sie darauf hin, dass er
sich dann an die Polizei wenden müsse. Auch diese Ankündigung hatte keinerlei Wirkung auf den Angeklagten
und S.
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Zwischenzeitlich war die Fahrausweisprüferin G. herbeigekommen, und M. bat sie, die Polizei zu verständigen,
da zwei Fahrgäste ohne Fahrkarten Schwierigkeiten machten. Die Zeugin G. rief daraufhin um 08.35 Uhr auf
ihrem Handy die Polizei in Breisach an und schilderte den Sachverhalt. Dieses bekamen der Angeklagte und
S. mit. Um der am Bahnhof in Breisach wartenden Polizei zu entgehen und das erhöhte Beförderungsentgelt
nicht bezahlen zu müssen, besprachen sie sich dahingehend, dass sie bei der nächsten Haltestelle die S-Bahn
verlassen wollten. Verärgert über die Fahrausweiskontrolle begann der Angeklagte außerdem zu schimpfen und
äußerte lautstark in Richtung auf den Zeugen M.: „Guck mal, die kommen hierher, haben in Matsch und Kacke
gelebt, und heute, bei dem Wetter, solcher Dreck wie er, der soll Toiletten putzen und nicht unsere Freiheit
berauben. Du hast hier gar nichts zu sagen! Geh mal dahin, wo du hergekommen bist!“ Bis zum Erreichen des
Haltepunkts in Wasenweiler, zwei Stationen vor Breisach, äußerte der Angeklagte weitere Beleidigungen gegen
den Zeugen M., deren genauer Wortlaut nicht mehr festgestellt werden konnte, die aber ähnlich wie die oben
wiedergegebenen Ausdrücke waren.
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Als die S-Bahn in Wasenweiler hielt, standen der Angeklagte und S. auf, um den Zug zu verlassen. Der Zeuge
M. war darauf gefasst und wollte ihre Absicht verhindern, da er es als Versagen in seiner Berufspflicht
aufgefasst hätte, wenn beide ohne Hinterlassung ihrer Personalien entkommen wären. Zudem wusste er, dass
er nach den geltenden Beförderungsbedingungen dass Recht hatte, die Personalien so genannter
„Schwarzfahrer“ festzustellen oder sie bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. So stellte er sich in den
Mittelgang vor die beiden und hielt sich mit beiden Händen an den Haltegriffen der rechten und linken Sitzreihe
fest, so dass ein Durchkommen nicht möglich war. Der Angeklagte stellte sich direkt vor ihn und sagte: „Geh
mal weg, du hast hier überhaupt nichts zu sagen!“ M. reagierte jedoch nicht, sondern blieb stehen. Ehe der
Angeklagte weiteres unternehmen konnte, schlossen sich die Wagentüren und der Zug setzte sich wieder in
Bewegung.
10 Nunmehr wurde dem Angeklagten und S. klar, dass sie in Fortführung ihres Entschlusses beim nächsten Halt
in Ihringen, der letzten Station vor Breisach, aussteigen mussten, um nicht von der wartenden Polizei
empfangen zu werden und das erhöhte Beförderungsentgelt doch noch bezahlen zu müssen. Sie waren beide
vielmehr weiterhin fest entschlossen, weder ihre Personalien anzugeben noch das geforderte erhöhte
Beförderungsentgelt von 40,-- Euro pro Person zu entrichten. Da sie wahrgenommen hatten, dass der Zeuge
M. Anstalten gemacht hatte, sie unter Einsatz seiner Körperkraft am Verlassen der S-Bahn zu hindern,
entschieden sie sich zur Durchsetzung ihres Entschlusses ebenfalls dafür, unter Anwendung von Gewalt den
Widerstand des Zeugen M. zu brechen und in wenigen Minuten in Ihringen die S-Bahn zu verlassen. Beide
stellten sich jetzt M. entgegen und versuchten mit gemeinsamem Körperdruck, M. von seiner Position im
Mittelgang wegzudrängen. M. wich jedoch nicht, sondern drückte seinerseits gegen die beiden. Daraufhin
presste der Angeklagte seine Hände auf den rechten Daumen des Zeugen M., mit dem dieser den Haltegriff
des Sitzes umklammerte. Trotz erheblicher Schmerzen ließ M. den Griff jedoch nicht los, worauf der
Angeklagte mit beiden Händen dessen rechten Daumen ergriff und ihn gewaltsam ruckartig nach hinten bog. S.
sah, dass der Angeklagte Erfolg hatte, denn wegen der starken Schmerzen ließ M. den Griff los, und bog
seinerseits den linken Daumen des Zeugen M. nach hinten. Auf Grund der Schmerzen ließ M. auch den linken
Griff los.
11 Ehe die beiden an ihm durch den Mittelgang vorbeilaufen konnten, wich M. seinerseits nach hinten aus und war
vor ihnen an der Wagentüre. Hier sah er für sich die letzte Möglichkeit, ein Entweichen der beiden zu
verhindern, und hielt sich deshalb mit beiden Händen an den links und rechts an der Tür angebrachten
Haltestangen fest. Der Angeklagte erreichte ihn als erster und forderte ihn auf: „Du Kameltreiber, geh mal auf
die Seite, du Dreck, sonst kriegst du eine von mir; das ist Freiheitsberaubung!“ Als nunmehr um 08.42 Uhr die
S-Bahn am Bahnhof in Ihringen anhielt und die Türen sich öffneten, drückten der Angeklagte und S. die Zeugin
G., die sich ebenfalls in den Gang gestellt hatte, zur Seite und rannten dann so kräftig – einer rechts, einer
links – gegen die ausgestreckten Arme des Zeugen M., dass dieser die Haltestangen loslassen musste. Dies
taten der Angeklagte und S., um der in Breisach wartenden Polizei zu entgehen und das erhöhte
Beförderungsentgelt nicht entrichten zu müssen. Sie wussten nämlich, dass die S-Bahn zwischen Ihringen und
Breisach nicht mehr anhielt und nur jetzt in Ihringen die letzte Möglichkeit für sie bestand, sich davon zu
machen, um den angekündigten Folgerungen ihrer „Schwarzfahrt“ zu entgehen.
12 Deshalb verließen sie sofort die S-Bahn und liefen in nördlicher Richtung zum Ortszentrum Ihringen, wobei sie
teilweise über Zäune kletterten und durch Gärten liefen, um ihre Verfolger abzuschütteln. Die Zeugen M. und G.
waren ihnen nämlich hinterhergelaufen, wobei G. über ihr Handy die Polizei in Breisach über das weitere
Geschehen informiert hatte und den jeweiligen Standort durchgab. Nach wenigen Minuten traf ein
Streifenwagen mit den Beamten PM E. und POMin M. ein, nahm die beiden Fahrausweisprüfer auf und fuhr mit
ihnen durch Ihringen, worauf der Angeklagte und S. nach etwa zwei Minuten in der B. Straße im Kernbereich
des Ortes gestellt werden konnten.
13 Der Zeuge M. erlitt eine schmerzhafte Zerrung am rechten Daumen, so dass ihm anschließend im
Diakoniekrankenhaus in Freiburg eine Gipsschiene angelegt wurde, die er 10 Tage lang tragen musste. Bis
zum 15.03.2007 war er krankgeschrieben. Danach musste er sich für mehrere Wochen in
krankengymnastische Behandlung begeben. Zwischenzeitlich ist die Verletzung ausgeheilt.
IV.
14 Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, sie beide hätten durchaus Fahrkarten kaufen wollen, doch
seien die Automaten am Hauptbahnhof defekt gewesen. Deshalb hätten sie sich schließlich in die S-Bahn
begeben und dort nach einem Automaten gesucht, aber keinen gefunden. Die im Bahnhofsbereich an den
Fahrausweisautomaten und in der S-Bahn angebrachten Hinweisschilder habe er schon gesehen, aber nicht
besonders darauf geachtet, was dort im Einzelnen aufgeschrieben gewesen sei. Aus Verärgerung über das
Erscheinen des Kontrolleurs habe er diesen beleidigt, dabei aber keine ausländerfeindlichen Worte gebraucht.
Zumindest könne er sich heute daran nicht erinnern. Außerdem habe man nicht nach Breisach fahren wollen,
sondern lediglich nach Ihringen. Als der Zeuge M. sie in Ihringen am Aussteigen habe hindern wollen, habe er
das nicht eingesehen, sondern sich den Weg zur Tür der S-Bahn freigemacht. In Ihringen sei nämlich sein Pkw
abgestellt gewesen, mit dem sie beide wieder nach Breisach hätten fahren wollen.
15 Die Kammer ist dieser Einlassung des Angeklagten nicht gefolgt, sondern vielmehr davon überzeugt, dass sich
das Geschehen so ereignet hat, wie es oben unter III. im Einzelnen dargestellt ist. Insbesondere der Einwand
des Angeklagten, er habe nicht gewusst, wie man an einen Fahrausweis komme, wenn der Automat defekt sei,
vermochte die Kammer nicht zu überzeugen, zumal im Bereich des Hauptbahnhofs eine Vielzahl
entsprechender Hinweise zu finden ist, wie die Zeugen M., G. und Ma. übereinstimmend bestätigten, und da
der Angeklagte bereits wegen mehrfacher Beförderungserschleichung im Jahre 1990 bestraft werden musste.
16 Der Zeuge M. schilderte das Tatgeschehen in glaubhafter und nachvollziehbarer Weise ohne jeglichen
Belastungseifer. Seine Kollegen und er hätten über eine längere Zeit bis zur Abfahrt der S-Bahn beobachtet,
dass etliche Fahrgäste an den zahlreichen Fahrausweisautomaten im Hauptbahnhof in Freiburg problemlos
Fahrausweise gelöst hätten. Mindestens 5 Minuten vor Abfahrt der S-Bahn habe er bereits den Angeklagten
und S. im hinteren Bereich des Zuges sitzen gesehen, so dass außerdem noch genügend Zeit gewesen wäre,
nach vorn zum Zugführer zu gehen und dort einen Fahrausweis zu lösen. Bei der Fahrausweiskontrolle habe S.
deutlich angegeben, dass sie beide nach Breisach wollten; von Ihringen sei nicht die Rede gewesen.
17 Die Zeugin G. bestätigte die Angaben des Zeugen M. und betonte, dass sie die Beleidigungen des Angeklagten
gegen M. im Wesentlichen ebenfalls gehört habe. Auch im weiteren Verlauf der Überprüfung hätten der
Angeklagte und S. mehrfach wiederholt, dass ihr Fahrtziel Breisach gewesen sei. Wäre von Ihringen die Rede
gewesen, hätte sie bei ihrem Telefonat mit der Polizei die Streife nach Ihringen und nicht an den Bahnhof von
Breisach erbeten. Der Angeklagte und S. hätten deutlich erklärt, dass sie ihre Personalien nicht angäben, keine
Ausweise mit sich führten und auch nicht bereit seien, das erhöhte Beförderungsentgelt zu bezahlen.
Schließlich hätten sich beide am Bahnhof in Ihringen gewaltsam den Weg zur Tür freigemacht. M. und sie
selbst hätten die Verfolgung aufgenommen und kurz darauf gemeinsam mit der Polizei die beiden in Ihringen
angetroffen.
18 Die Polizeibeamten POMin M. und PM E. berichteten übereinstimmend von den Telefonaten der Zeugin G. und
ihrer Fahrt nach Ihringen, wo sie kurz nach ihrem Eintreffen den Angeklagten und S. im Kernbereich des Ortes
angetroffen und überprüft hätten. Beide seien zwar deutlich alkoholisiert gewesen, was am Atemalkohol
festzustellen gewesen sei, doch besondere Ausfallserscheinungen hätten sie nicht bemerkt. Dies deckt sich
auch mit den Beobachtungen der Zeugen M. und G., die die Aktionen des Angeklagten und S. als zielgerichtet
beschrieben und bei ihrer Verfolgung der beiden rennenden Personen sahen, dass sie sogar über Zäune
klettern konnten.
19 Die übereinstimmenden Feststellungen der Zeugen M. und G. vermochten durch die Aussage des früheren
Mitangeklagten und Zeugen S. nicht erschüttert zu werden. Dieser trug vor, man sei mit dem Auto von
Breisach nach Ihringen gefahren, habe dort das Auto stehen lassen und sei von Ihringen mit der S-Bahn nach
Freiburg gefahren, wo sie gemeinsam mit zwei Frauen die Nacht durchgemacht hätten. Danach habe man nach
Ihringen zurückfahren wollen. An zwei Automaten im Hauptbahnhof sei jeweils ein rotes Schild angebracht
gewesen mit der Aufschrift „Außer Betrieb“. Aus diesem Grunde seien sie beide in die S-Bahn gestiegen und
hätten auf den Schaffner gewartet, seien allerdings alsbald eingeschlafen. Bei der Kontrolle habe er zwar
zunächst dem Zeugen M. seinen Ausweis ausgehändigt, diesen dann aber zurückgenommen, da er mit der
elektronischen Speicherung seiner Daten nicht einverstanden gewesen sei. Sie beide seien bei der Kontrolle
durchaus willens gewesen, zwei Fahrausweise zu lösen, doch der Zeuge M. sei auf ihren Wunsch nicht
eingegangen, sondern habe von jedem von ihnen ein erhöhtes Beförderungsentgelt verlangt. Die Stimmung
habe sich sodann verschlechtert, doch was der Angeklagte im Einzelnen zu dem Zeugen M. gesagt habe,
wisse er heute nicht mehr, zumal er nicht unerheblich Alkohol zu sich genommen habe. Der Angeklagte habe
deutlich weniger Alkohol getrunken als er selbst. Als am Bahnhof in Ihringen der Zeuge M. sich ihnen in den
Weg gestellt habe, hätten sie beide ihn gewissermaßen umgerannt und seien dann aus der S-Bahn gestiegen.
Als sie noch unterwegs zu ihrem Auto gewesen seien, sei plötzlich die Polizei aufgetaucht und habe sie
festgenommen.
20 Die Kammer hatte den Eindruck, dass der Zeuge S. diese abschwächende Aussage machte, um dem
Angeklagten zu helfen. Auf Vorhalt räumte er beispielsweise nämlich ein, in der erstinstanzlichen
Hauptverhandlung als Fahrtziel Breisach angegeben zu haben; dabei müsse es sich allerdings um ein
Versehen gehandelt haben.
21 Der Zeuge PHM Ma. gab ergänzend an, er habe wegen der behaupteten Störungen an Fahrausweisautomaten
Nachforschungen im Hauptbahnhof betrieben. In der Tat sei an einem Automaten in der Mitte von Gleis 1 am
11.03.2007 um 09.14 Uhr eine Druckerstörung aufgetreten, die um 10.20 Uhr behoben worden sei. Ob diese
Störung schon eine Stunde früher aufgetreten sei, habe sich im Nachhinein nicht mehr feststellen lassen. Die
Automaten an den Gleisen 4 und 5 seien an diesem Tag störungsfrei gewesen. Grundsätzlich sei auch nicht
auszuschließen, dass ein intakter Fahrausweisautomat einzelne Geldscheine, die verschmutzt, verknittert,
beschädigt oder sonst beeinträchtigt seien, nicht annehme. Solche Vorgänge würden jedoch in einer
Störungsmeldung nicht erfasst, da ein Bahnkunde durch Einführen eines anderen Geldscheins problemlos in
den Besitz eines Fahrausweises kommen könne.
V.
22 Damit hat sich der Angeklagte wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Erschleichen von Leistungen,
mit gefährlicher Körperverletzung und mit Beleidigung gemäß §§ 185, 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 248a, 249, 253,
255, 265a, 25 Abs. 2, 52 StGB strafbar gemacht.
VI.
23 Bei der Frage der Tatverantwortlichkeit des Angeklagten ist die Kammer davon ausgegangen, dass die
Schuldfähigkeit des Angeklagten voll erhalten war. Anhaltspunkte dafür, dass eine erhebliche Einschränkung
seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB vorgelegen haben könnte, waren weder ersichtlich noch
wurden solche behauptet.
24 Bei der Strafzumessung hat die Kammer zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass der erstrebte
Vermögensvorteil (Ersparen der Zahlung des erhöhten Beförderungsentgelts in Höhe von 40,-- Euro) eher in
den Bereich einer geringwertigen Sache fiel. Auch hat der Angeklagte den Tatvorwurf zumindest in
wesentlichen Zügen eingeräumt. Die Verletzung des Zeugen M. war nicht schwerwiegend und ist auch
folgenlos ausgeheilt. Der Angeklagte ist nach seiner letzten Verurteilung vom 04.01.2000 strafrechtlich nicht
mehr in Erscheinung getreten. Die Tat des vorliegenden Verfahrens liegt zwischenzeitlich auch schon 7
Monate zurück, ohne dass der Angeklagte noch einmal aufgefallen wäre. Auch war das Maß der angewandten
Gewalt noch im unteren Bereich. Der übernächtigte Angeklagte war durch den genossenen Alkohol zudem
enthemmt, auch wenn die Voraussetzungen des § 21 StGB ersichtlich nicht vorlagen.
25 Auf der anderen Seite durfte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Angeklagte in der Zeit von
1985 bis 2000 nicht unerheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und auch wegen Gewaltdelikten
bestraft werden musste. Die Beleidigungen gegenüber dem Zeugen M. waren von deutlich ausländerfeindlicher
Prägung. Schließlich hat der Angeklagte bei der Begehung der Tat gegen mehrere Strafbestimmungen
verstoßen.
26 Die Kammer hat alle wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander
abgewogen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die zu seinen Gunsten sprechenden Erwägungen leicht
überwiegen, so dass die Voraussetzungen für die Annahme eines minder schweren Falles nach § 249 Abs. 2
StGB gerade noch angenommen werden konnten. Die Kammer hat somit den Strafrahmen dieser Vorschrift zu
Grunde gelegt, der Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren vorsieht. Unter erneuter Abwägung der
bereits oben aufgeführten einzelnen Strafzumessungsfaktoren hielt die Kammer innerhalb dieses Strafrahmens
eine
27
Freiheitsstrafe von 1 Jahr
28 für geboten, aber auch ausreichend. Diese Strafe entspricht dem Unrechtsgehalt der Tat im Rahmen der
persönlichen Schuld des Angeklagten.
29 Im Hinblick auf die Vorschrift des § 331 StPO musste die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe gemäß § 56
Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden.
VII.
30 Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.