Urteil des LG Frankfurt (Oder) vom 13.03.2017

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Gericht:
LG Frankfurt (Oder) 7.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
17 O 174/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1
BGB
Persönlichkeitsrechtsverletzung: Veröffentlichung des Namens
eines ehemaligen Stasi-Mitarbeiters in wissenschaftlichem
Bericht
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die
Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von den Beklagten Unterlassung ehrenkränkender Äußerungen.
Ab September 1974 war der Kläger Redaktionsmitglied der L. R..
Am 21.08.1974 legte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR zwei
Karteikarten über den Kläger an und gab ihm den Decknamen IM „St.“ (vergleiche Blatt
12/13 d. A.).
Am 27.08.1981 nahm ein Oberleutnant … als Führungsoffizier beim MfS einen
maschinengeschriebenen Bericht entgegen. Als Aussteller geht hieraus hervor „St.“.
Wegen des Inhalts des Berichtes im einzelnen wird auf Blatt 76 d. A. verwiesen.
Am 23.09.1986 reichte ein Führungs-IM „…r“ an Oberleutnant … einen Bericht weiter.
Auch hier ist als Verfasser IMF „St.“ zu erkennen. Auf den Inhalt des Berichtes wird
Bezug genommen (Blatt 77 d. A.).
Beide Berichte wurden einmal in der jeweiligen Opferakte und einmal in der des IMS „St.“
abgelegt.
1989 wurde der Kläger Chefredakteur der L. R.. Er beendete 1995 seine Arbeit in der
Redaktion.
Im Jahre 2003 erschien eine Broschüre mit dem Titel „Der Staatssicherheitsdienst in der
L. R.“, herausgegeben von dem Beauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR des Landes Berlin. Die Beklagten zu 1.
und 2. sind die Autoren der Broschüre und nach dem Wortlaut des Impressum`s für die
inhaltlichen Aussagen auch alleine verantwortlich.
Auf Seite 63 der Broschüre heißt es:
„IMS „St.“ (1975 - 1989)
bei „St.“ - der Deckname wurde nach dem Geburtsort des IMS gewählt - handelt es sich
um einen Redakteur der Bezirksredaktion der L. R.. Er wurde 1975 angeworben und war
laut Karteikarte seit Mitte 1978 für das Referat XX/7 der Bezirksverwaltung Cottbus des
MfS tätig. Eine Beendigung der Zusammenarbeit ist nicht dokumentiert, allerdings
konnten offenkundig nicht alle Aktenteile eingesehen werden. Nur zwei der Berichte aus
den Jahren 1981 und 1986 betreffen Arbeitskollegen bei der L. R.. Somit scheint „St.“
offenbar im Rahmen der Absicherung der Pressearbeit für das MfS nur eine
untergeordnete Rolle gespielt zu haben.“
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Im Anhang II der Broschüre ordneten die Beklagten den erwähnten IM ihre bürgerlichen
Namen zu. So steht auf Seite 88: „Deckname St., Funktionsbezeichnung des IM IMS,
Name: … Vorname: …, Geburtsdatum: ….“
Am 27.01.2004 nahm der Klägeranwalt Einsicht in die Berichte des IM „St.“.
Mit Schreiben vom 23.02.2005 forderte der Kläger die Beklagten auf, ihre Äußerungen in
der Broschüre seine Person betreffend zu unterlassen. Dies lehnten die Beklagten mit
Schreiben vom 18.03.2005 ab.
Der Kläger behauptet:
Die Karteikarten des MfS über ihn seien reine Datenerfassung. Weder wissentlich, noch
konkludent habe er eine Verpflichtungserklärung abgegeben. Er habe den Bericht vom
27.08.1981 weder verfasst, noch unterschrieben. Außerdem kenne er keinen
Oberleutnant …r. Das gleiche gelte für den Bericht vom 23.09.1986: Er kenne weder
einen FIM …, noch einen Oberleutnant … und habe den Bericht weder unterschrieben,
noch verfasst.
Der Kläger meint, es handele sich bei den Äußerungen in der Broschüre über ihn um
unwahre Tatsachenbehauptungen mit dem Inhalt, er habe aufgrund einer ausdrücklichen
oder konkludenten Verpflichtungserklärung im Auftrage des MfS Informationen über
Dritte gesammelt oder beschafft und an den „Dienstherren“ zu dessen Nutzung weiter
gegeben. Diese unwahren Behauptungen verletzten ihn in seinem Persönlichkeitsrecht.
Mit Schriftsatz vom 14.09.2005 - bei Gericht eingegangen am 15.09.2005 - hat der
Kläger weiter zur Sache vorgetragen und als Zeugen Herrn … benannt.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu
behaupten oder/und zu verbreiten,
a) der Kläger wäre 1975 durch das damalige Ministerium für Staatssicherheit
angeworben worden,
b) er sei seit Mitte 1978 für das Referat XX/7 der Bezirksverwaltung Cottbus des MfS
tätig gewesen und
c) er für das MfS Berichte geschrieben habe.
2. anzuordnen, dass für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe
von 100.000,00 € und eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten gegen die Beklagten
festgesetzt werde.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie verweisen darauf, dass sie nichts anderes getan hätten, als im Rahmen einer
wissenschaftlichen Arbeit Fakten mitzuteilen, die sich aufgrund ihrer Recherchen
ergeben hätten. Dies müsse vom Kläger unter Berücksichtigung des Gebotes der
Wahrnehmung berechtigter Interessen hingenommen werden. Im übrigen seien auch
keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die recherchierten Fakten inhaltlich
unrichtig seien. Daher müsse als Wahrheit davon ausgegangen werden, dass der Kläger
als informeller Mitarbeiter für den MfS gearbeitet und die in der Broschüre erwähnten
Berichte abgegeben habe.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und den
Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht dem Kläger nicht zu.
Die Voraussetzungen der hier maßgeblichen Vorschrift des § 1004 Abs. 1 BGB analog
sind nicht gegeben.
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Denn der Eingriff der Beklagten in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ist
nicht rechtswidrig.
Grundsätzlich gilt, dass der Anspruchsteller die anspruchsbegründenden Tatsachen zu
beweisen hat, also der Kläger die Rechtsverletzung und Rechtswidrigkeit. Im Falle eines
Anspruches analog § 1004 Abs. 1 BGB gilt jedoch, dass hier die Rechtswidrigkeit durch
die Verwirklichung des Tatbestandes der Rechtsverletzung grundsätzlich indiziert wird.
Hiervon ist nach ständiger Rechtsprechung eine Ausnahme aber dann zu machen, wenn
es sich um die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Medien handelt.
Kann sich in diesem Fall der Verletzer auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen in
Anlehnung an § 193 StGB berufen, so muss der Betroffene beweisen, dass die
Äußerungen über ihn unwahr sind.
Hier können sich die Beklagten mit Erfolg darauf beziehen, dass sie öffentliche
Interessen wahrgenommen hätten. Sie haben als Autoren eine zeitgeschichtliche Studie
über den Staatssicherheitsdienst in der L. R. verfasst, die als Broschüre von dem
Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
DDR des Landes Berlin als Band 18 einer Schriftenreihe herausgegeben wurde. Ihr
wissenschaftliches Veröffentlichungsinteresse zielte darauf, den Einfluss des MfS auf die
Presse aufgrund des Beispiels der L. R. zu verdeutlichen. Es handelt sich also um eine
historische Aufarbeitung von Handlungsweisen im Stasi-System. Aus der Stellung des
MfS gegenüber der eigenen Bevölkerung ergibt sich ein Aufklärungsinteresse. Dass der
Bevölkerung daran gelegen ist, nach einer jahrzehntelangen Dauer von
Spitzeltätigkeiten im Untergrund Aufklärung über die damals vorhandenen Strukturen zu
erhalten, liegt auf der Hand und muss nicht eigens verdeutlicht werden.
Es sind auch keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Beklagten nicht sorgfältig
recherchiert oder Angaben gemacht hätten, die über das Öffentlichkeitsinteresse hinaus
gegangen seien. Insbesondere war es im Rahmen der angefertigten Studie nicht nur
zweckmäßig, sondern auch geboten, den Kläger als IM „St.“ zu identifizieren.
Verschleierungsmaßnahmen waren Bestandteil der Strategie des MfS. Eine gewisse
Klarheit über die Methodik im einzelnen zu gewinnen, war Aufgabe der Studie. Vor
diesem Hintergrund müssen die Betroffenen in Kauf nehmen, dass ihre Namen im
Zusammenhang mit der jeweiligen IMS-Tätigkeit offenbart werden. Denn die Nicht-
Identifizierung würde bedeuten, dass ein wichtiger Teil der Aufklärungsarbeit wiederum
im Ungewissen verbleibt und nach wie vor Raum für Spekulationen lässt.
Der beweispflichtige Kläger war seinerseits nicht in der Lage, die Unwahrheit der
Äußerungen der Beklagten zu beweisen.
Bis zum Eingang des Schriftsatzes vom 14.09.2005 war sein Vorbringen in jeder Hinsicht
unsubstantiiert.
An dieser grundsätzlichen Beurteilung hat sich durch den Inhalt des vorbezeichneten
Schriftsatzes auch nichts geändert. Die Richtigkeit des Vortrages gemäß Schriftsatz vom
14.09.2005 unterstellt, könnte die Beweisführung damit nicht gelingen. Der Kläger stellt
den Sachverhalt so dar, als habe das MfS zwar ein grundsätzliches Interesse an seiner
Mitarbeitertätigkeit gehabt, jedoch aus taktisch/strategischen Gründen diese nicht
„aktiviert“. Das bedeutet aber doch nichts anderes, als dass der Kläger tatsächlich als
IM geführt wurde, es jedoch der zuständigen Stasi-Abteilung vorbehalten blieb, seine
Dienste in Anspruch zu nehmen oder nicht. Diese Umstände ändern an der
Gesamtbeurteilung nichts. Vielmehr weist die Anlegung der Karteikarte zutreffend aus,
dass jedenfalls im Bedarfsfalle auf die Mitarbeit des Klägers zurückgegriffen werden
konnte.
Was die Urheberschaft des Klägers für die Berichte aus den Jahren 1981 und 1986
betrifft, so ist die Vernehmung des Zeugen … keineswegs geeignet, den Beweis dafür zu
erbringen, die den Berichten zugrunde liegenden Tatsachen stammten nicht von ihm,
dem Kläger. Denn maßgebend wären hier die Personen, die nach dem Inhalt der
Berichte diese entgegen genommen haben. Was den Bericht vom 27.08.1981 angeht -
zu dem aus dem Jahre 1986 trägt der Kläger gar nichts vor -, so wäre der maßgebliche
Zeuge der damalige Oberleutnant … gewesen. Diesen benennt der Kläger indessen
nicht.
Bei dieser Sachlage kommt es auf die weitere Frage, ob das Vorbringen gemäß
Schriftsatz vom 14.09.2005 verspätet ist, nicht an. Der Zeuge … wäre schon aus
Gründen der fehlenden Schlüssigkeit des Klägervorbringens nicht zu laden gewesen.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert: 6.000,00 €.
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