Urteil des LG Frankfurt (Oder) vom 04.01.2006

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Gericht:
LG Frankfurt (Oder)
6a. Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6a T 14/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 42 ZPO, § 47 ZPO, § 227 ZPO
Entscheidung über einen Ablehnungsantrag: Berücksichtigung
eines in einem früheren Ablehnungsverfahren geltend
gemachten aber zurückgewiesenen Ablehnungsgrundes
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten werden der Beschluss des Amtsgerichts ...
vom 04.01.2006 und der Nichtabhilfebeschluss vom 23.01.2006 abgeändert. Das
Ablehnungsgesuch des Beklagten vom 12.12.2005 gegen die Richterin ... wird für
begründet erklärt.
Gründe
Das Amtsgericht hat ein Ablehnungsgesuch vom 12.12.2005 gegen die Richterin ... für
unbegründet erklärt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten ist
statthaft, § 46 II ZPO, und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt.
Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.
Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund
vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen, § 42
I, II ZPO. Maßstab sind dabei nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des
Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der
Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch
gegenüber; rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus
(BGH NJW-RR 2003, 1220 (1221)). Geltend gemachte Ablehnungsgründe sind in ihrer
Gesamtheit zu würdigen (BayObLGZ 87, 297 (309)), dabei kommt es bei der Rüge von
Verfahrensverstößen auch darauf an, ob es sich um einmalige oder wiederholte
Verstöße handelt, und welches Gewicht diese haben (OLG Bremen, OLGZ 1992, 485
(487); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1997, 1350).
Das Amtsgericht hatte einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt auf den
10.11.2005. Kurze Zeit nach Eingang der Ladung beim Prozessbevollmächtigten des
Beklagten, bei Gericht eingehend am 26.09.2005 – der Abvermerk der Geschäftsstelle
zum Ladungsschreiben datiert vom 20.09.2005 -, hatte der Prozessbevollmächtigte des
Beklagten um Terminverlegung gebeten und hierzu ausgeführt, er befinde sich in dieser
Zeit im Urlaub, die Kollegen der Sozietät hätten ihm auf Nachfrage angegeben, zu
diesem Termin anderweitig gebunden zu sein. Auf die Bitte des Gerichts um
Glaubhaftmachung hatte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten diese Angaben
anwaltlich versichert und ergänzt, der Beklagte lege Wert darauf, dass gerade er als
Spezialist für den Verfahrensgegenstand (Mietrecht) den Termin persönlich wahrnehme.
Eine Terminsverlegung nahm die zuständige Richterin nicht vor, da keine erheblichen
Gründe im Sinne des § 227 Abs. 1 ZPO vorgetragen seien. Hiergegen wandte sich der
Beklagte mit einem ersten Ablehnungsgesuch vom 02.11.2005, in dem der
sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte u.a. erneut darauf hinwies, einem Einspringen
der Sozien stünden deren eigene terminliche Verpflichtungen entgegen.
Das Amtsgericht hatte das Ablehnungsgesuch am 09.11.2005 zurückgewiesen; die
hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte das Beschwerdegericht mit Beschluss
vom 08.12.2005 ebenfalls zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es sich
bei der Versagung der Terminsverlegung jedenfalls nicht um einen groben Verstoß
gegen Verfahrensvorschriften handele, nur ein solcher indessen die Besorgnis der
Befangenheit rechtfertigen könne.
Kann jedoch eine Mehrzahl von Verfahrensverstößen ein Ablehnungsrecht begründen
und wird hierauf ein Ablehnungsantrag gestützt, so gewinnen auch solche
Verfahrensverstöße, die für sich gesehen nicht von erheblichem Gewicht sind,
Bedeutung. Nachdem nunmehr ein weiteres Ablehnungsgesuch zu entscheiden ist, bei
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Bedeutung. Nachdem nunmehr ein weiteres Ablehnungsgesuch zu entscheiden ist, bei
dem wiederum Verfahrensverstöße gerügt werden, kommt es somit darauf an, ob das
Amtsgericht seinerzeit erhebliche Gründe im Sinne des § 227 ZPO zu Recht verneint hat.
Die Kammer vertritt die Auffassung, dass der Beklagte einen erheblichen Grund im
Sinne des § 227 I ZPO vorgetragen hatte, so dass das Amtsgericht zumindest in die
nach § 227 I ZPO erforderliche Ermessensabwägung hätte eintreten müssen.
Bei der Auslegung des Rechtsbegriffs der „erheblichen Gründe“ ist einerseits dem
Beschleunigungsgebot und der Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung
möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen, andererseits
dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs, Art. 103 II GG Rechnung
zu tragen. Letzteres verlangt es, dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten
Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt
zu äußern und sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im Prozess zu
behaupten. Das rechtliche Gehör schließt auch das Recht eines Beteiligten ein, sich
durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung
vertreten zu lassen. Allerdings ist der Beteiligte gehalten, sich im Rahmen des
Zumutbaren das rechtliche Gehör zu verschaffen, so dass letztlich nur eine ihm trotz
zumutbaren eigenen Bemühens um die Erlangung rechtlichen Gehörs verweigerte oder
abgeschnittene Möglichkeit zur Äußerung eine Gehörsverletzung darstellt. Deshalb sind
„erhebliche Gründe“ im Sinne des § 227 ZPO nur solche Umstände, die auch und
gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des
Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern (BVerfG NJW 1995, 1231). In die
Abwägung einzubeziehen ist außerdem die Erwägung, dass auch die Effektivität des
Rechtsschutzes (Art. 19 IV) betroffen ist, wenn formale Strenge im Prozess ohne
erkennbar schutzwürdigen Zweck praktiziert wird, desgleichen werden die
verfassungsrechtlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des fairen Verfahrens
berührt. Die Gestaltung des Verfahrens muss in einem angemessenen Verhältnis zu
dem auf Sachverhaltsklärung und Verwirklichung des materiellen Rechts gerichteten
Verfahrensziel stehen (BSG, NJW 1996, 677 (678)).
Der Urlaub eines Rechtsanwalts kann gemessen an diesen Vorgaben einen wichtigen
Grund für die Terminsverlegung darstellen. Auch außerhalb der Gerichtsferien muss ein
Rechtsanwalt die Möglichkeit haben, in einem gewissen Rahmen urlaubsbedingt
verhindert zu sein. Der Zeitraum, den der Prozessbevollmächtigte des Beklagten als
Urlaubszeit angegeben hatte (18 Tage), war auch nicht so lang, als dass eine
Terminsverlegung bereits das Beschleunigungsinteresse des Gegners ernsthaft hätte
berühren können. Ebenso ist eine Terminkollision als schwerwiegender Grund, der einen
Terminsverlegungsantrag rechtfertigt, anzuerkennen (BSG, NJW 1996, 677 (678)). Damit
konnte der Beklagte angesichts der vorgetragenen terminlichen Verhinderung der
Sozien nicht darauf verwiesen werden, dass diese den Verhandlungstermin hätten
wahrnehmen können. Zu alledem war der Terminsverlegungsantrag ca. 6 Wochen vor
dem Termin gestellt worden, so dass auch nicht ein bloßer Verzögerungswille des
Beklagten als Grund für den Terminsverlegungsantrag zu besorgen war.
Unter dem 10.11.2005 hat das Amtsgericht den vorgesehenen Termin zur mündlichen
Verhandlung durchgeführt und hierbei gegen den Beklagten ein Versäumnisurteil
erlassen. Hiergegen hat der Beklagte Einspruch eingelegt und zugleich erneut die
Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, gestützt auf die Durchführung
der mündlichen Verhandlung nebst Entscheidung durch das Amtsgericht trotz fehlender
rechtskräftiger Entscheidung über das Ablehnungsgesuch auf dem Hintergrund des
bisherigen Verfahrensverlaufs.
Indem das Amtsgericht trotz des noch nicht rechtskräftig entschiedenen
Ablehnungsverfahrens die mündliche Verhandlung durchgeführt und dabei ein
Versäumnisurteil erlassen hatte, verstieß es gegen die Wartepflicht nach § 47 ZPO.
Hiernach ist das Gericht vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur zu
unaufschiebbaren Amtshandlungen berechtigt. Lediglich bei missbräuchlich gestellten
Ablehnungsgesuchen kann die Wartepflicht entfallen (Köln NJW-RR 2000, 592); dafür
liegen hier keine Anhaltspunkte vor. Erledigt ist das Ablehnungsgesuch nach einhelliger
Auffassung erst dann, wenn darüber rechtskräftig entschieden ist (Köln NJW-RR 2000,
592; BayObLG, MDR 1998, 500; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1997, 1350); es muss also die
Entscheidung über die Beschwerde abgewartet werden. Das Amtsgericht hat indessen
nicht nur die mündliche Verhandlung durchgeführt, sondern noch ein Versäumnisurteil
verkündet, und damit gleich mehrfach gegen das Gebot des § 47 ZPO verstoßen.
Wiederholte Verstöße gegen § 47 ZPO können die Annahme der Befangenheit
rechtfertigen (BayObLG aaO.; OLG Karlsruhe aaO.; OLG Hamburg, NJW 1992, 1462
(1463)), denn sie erwecken auch bei einer besonnen denkenden Partei zu Recht leicht
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(1463)), denn sie erwecken auch bei einer besonnen denkenden Partei zu Recht leicht
den Eindruck, das Gericht sei mehr an einer schnellen Erledigung der Sache und weniger
an der Beachtung des rechtlichen Gehörs interessiert.
Der Verstoß des Amtsgerichts gegen die Wartepflicht nach § 47 ZPO ist auch nicht
deshalb unbeachtlich, weil das erste Ablehnungsgesuch zurückgewiesen wurde. Nach
herrschender Auffassung in der Rechtsprechung wird zwar der in der Verletzung der
Wartepflicht liegende Verfahrensfehler dadurch nachträglich geheilt, denn durch die
Entscheidung wird festgestellt, dass seinerzeit die den Richter ablehnende Partei keinen
Grund hatte, der die Richterablehnung rechtfertigte (BAG BB 2000, 1948; OLG München
MDR 93, 892). Das ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass das Amtsgericht
zunächst einmal gegen § 47 ZPO verstoßen und damit den Anspruch des Beklagten auf
Gewährung des rechtlichen Gehörs beschränkt hatte. Im Zusammenhang mit dem
vorherigen Verlauf des Prozesses, bei dem das Amtsgericht anlässlich der Versagung
der Terminsverlegung die Rechte des Beklagten schon nicht ausreichend beachtet hatte,
muss der Beklagte nach dem erneuten Verstoß der Richterin gegen
Verfahrensvorschriften nun nicht mehr davon ausgehen, dass die zuständige Richterin
ihm unvoreingenommen und sachlich gegenüber steht.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird dem Amtsgericht
übertragen, da der Ausgang des Verfahrens und damit das Maß des Obsiegens und
Unterliegens (§§ 97 I, 92 ZPO) noch offen ist.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahrens beträgt 1.067 EUR.
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