Urteil des LG Frankfurt am Main vom 13.02.2009

LG Frankfurt: einstweilige verfügung, recht am eigenen bild, literarisches werk, persönlichkeitsrecht, kunstfreiheit, subjektives recht, ausübender künstler, schwerer eingriff, betroffene person

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Gericht:
LG Frankfurt 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-3 O 478/08, 2/3
O 478/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB, § 1004 BGB,
Art 1 Abs 1 GG, Art 5 Abs 3 S
1 GG
Unterlassungsanspruch: Abgrenzung zwischen dem
postmortalen Persönlichkeitsrecht einer Schauspielerin und
der Kunstfreiheit
Leitsatz
Zur Abgrenzung zwischen postmortalem Persönlichkeitsrecht einer Filmschauspielerin
und Kunstfreiheit in einem Roman, bei dem die betroffene Person und deren
persönliches Umfeld erkennbar ist
Tenor
Die einstweilige Verfügung – Beschluss – der Kammer vom 24.09.2008 wird im
Hinblick auf a) 2 – 5 und b) 1 - 2 bestätigt. Im Übrigen wird sie aufgehoben und der
Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens haben der Verfügungskläger 14 % und die
Verfügungsbeklagten jeweils 43 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger darf die Vollstreckung
der Verfügungsbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagten vor der
Vollstreckung jeweils Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages leisten.
Tatbestand
Der Verfügungskläger (im folgenden: Kläger) begehrt von den
Verfügungsbeklagten (im folgenden: Beklagte und Beklagter) die Unterlassung der
Verbreitung des von der Beklagten verlegten und vom Beklagten verfassten
Romans „...“ in seiner Ursprungsfassung.
Der Kläger ist der Ehemann der im Jahr ... verstorbenen Schauspielerin und Mutter
XYs, ZY, und erlangte Mitte August 2008 Kenntnis von dem Buch.
Es schildert die letzten Stunden der berühmten ... Schauspielerin XY vor ihrem Tod
im Jahr ... in ..., dessen Umstände weitgehend unklar sind. Ausgangspunkt ist der
biographisch belegte Entschluss XYs, ihre Memoiren zu schreiben. Dazu lässt der
Beklagte zu 2) sie ihre Vergangenheit Revue passieren. Er schildert viele
tatsächlich stattgefundenen Geschehnisse und Umstände im Leben XYs. Die
Stunden vor ihrem Tod werden dagegen fiktiv erzählt, wenngleich der Beklagte zu
2) auch hier einige der wenigen biographisch überlieferten Details, wie etwa die von
XY getragene Kleidung, den Namen ihres in der Todesnacht anwesenden
Lebensgefährten und ihren damaligen Aufenthaltsort schildert.
„...“ enthält Formulierungen und Textpassagen, in denen die Romanfigur XY ihrer
Mutter Z eine persönliche Nähe zu Adolf Hitler und zum Nazi-Regime unterstellt.
Dazu gehören folgende Aussagen der Figur XY:
1. „Das Mammerli war ein Nazischatz“, S. 29,
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1. „Das Mammerli war ein Nazischatz“, S. 29,
2. „Aufgebrezelt wie ein Backfisch war Mama von der Teestunde auf dem
Obersalzberg nach Hause gekommen. Aufgegeilt, würde man heute vielleicht
sagen. Und sie hat berichtet, wie der YY sie am Arm berührt hat – so nannte sie
den Hitler zärtlich, genau wie später meinen Bruder und Vater“, S. 30,
3. „Die Alte glaubte immer noch an den Führer, tief drinnen tut es ihr höchstens
leid, dass es nicht geklappt hat mit dem schönen Reich“, S. 33,
4. „Als die Amerikaner 1945 nach ... kamen, haben sie Zs Nazischrein einen Meter
tief im Garten vergraben, die vielen schönen blutroten Fahnen, die Z gewidmete
Ausgabe von Mein Kampf, die Bilder von sich und dem Mann vom Berg, die neben
dem Herrgottswinkel standen.“, S. 35,
5. „Für Z und viele andere ist Hitler gar nicht tot.“, S. 37.
Außerdem enthält das Werk zwei Textstellen, die ZY folgende Aussagen in direkter
Rede zuschreiben:
1. „Aber Kind, der Führer hat doch von all dem nichts gewusst!“, S. 29,
2.„Der Hitler war auch bloß ein Mensch, wie du und ich, vergiss das nicht.“, S. 33.
Wegen weiterer Einzelheiten des Buches wird auf dessen Originalausgabe gemäß
Anlage 1 (Bl. 85 d. A.) verwiesen.
Der Kläger forderte die Beklagte zu 1) wegen der streitgegenständlichen
Textpassagen mit Schreiben vom 25.08.2009 (Bl. 25 ff. d. A.) zur Unterlassung
dieser Aussagen auf. Mit Schreiben vom 27.08.2009 (Bl. 38 ff d. A.) lehnte die
Beklagte zu 1) diese Forderung ab.
Am 17.09.2009 hat der Kläger daraufhin bei der erkennenden Kammer des
Landgerichts Frankfurt am Main einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Verfügung gestellt.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 24.09.2008 den Beklagten im Wege der
einstweiligen Verfügung – strafbewehrt - untersagt,
a) nachfolgende Aussagen über die verstorbene Ehefrau des Antragstellers zu
verbreiten oder verbreiten zu lassen:
1. „Das Mammerli war ein Nazischatz“, wie in dem Buch „...“ von ZZ, x. Auflage ...
auf Seite ... geschehen,
2. „Aufgebrezelt wie ein Backfisch war Mama von der Teestunde auf dem
Obersalzberg nach Hause gekommen. Aufgegeilt, würde man heute vielleicht
sagen. Und sie hat berichtet, wie der YY sie am Arm berührt hat – so nannte sie
den Hitler zärtlich, genau wie später meinen Bruder und Vater“, wie in dem Buch
„...“ von ZZ, x. Auflage ... auf Seite ... geschehen,
3. „Die Alte glaubte immer noch an den Führer, tief drinnen tut es ihr höchstens
leid, dass es nicht geklappt hat mit dem schönen Reich“, wie in dem Buch „...“ von
ZZ, x. Auflage ... auf Seite ... geschehen,
4. „Als die Amerikaner 1945 nach YYYY kamen, haben sie Ys Nazischrein einen
Meter tief im Garten vergraben, die vielen schönen blutroten Fahnen, die Y
gewidmete Ausgabe von Mein Kampf, die Bilder von sich und dem Mann vom Berg,
die neben dem Herrgottswinkel standen.“, wie in dem Buch „...“ von ZZ, x.
Auflage ... auf Seite ... geschehen,
5. „Für Y und viele andere ist Hitler gar nicht tot.“, wie in dem Buch „...“ von ZZ, x.
Auflage ... auf Seite ... geschehen,
b) sowie der verstorbenen Ehefrau des Antragstellers folgende Aussagen in den
Mund zu legen:
1. „Aber Kind, der Führer hat doch von all dem nichts gewusst!“, wie in dem Buch
„...“ von ZZ, x. Auflage ... auf Seite ... geschehen,
2. „Der Hitler war auch bloß ein Mensch, wie du und ich, vergiss das nicht.“, wie in
dem Buch „...“ von ZZ, x. Auflage ... auf Seite ... geschehen.
Wegen der Einzelheiten des Beschlusses wird auf Bl. 104 – 107 d. A. Bezug
genommen.
Die Beklagten haben gegen diesen Beschluss mit Schriftsatz vom 10.11.2008
Widerspruch eingelegt.
Der Kläger trägt vor, ZY würde in „...“ zu Unrecht als Nationalsozialistin dargestellt
werden. Er meint, ihr postmortales Persönlichkeitsrecht verbiete eine solche
Darstellung, selbst wenn sie bereits im Jahr ... verstorben sei.
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Der Kläger beantragt, die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt a.M.
vom 24.09.2008 aufrecht zu erhalten.
Die Beklagten beantragen,
die einstweilige Verfügung vom 24.09.2008 des Landgerichts Frankfurt a.M.
aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Beklagten behaupten, die Darstellung der ZY entspreche der Realität, da
deren Lebens- und Persönlichkeitsbild keineswegs unpolitisch und frei von jeder
Beziehung zu nationalsozialistischen Gedanken und Adolf Hitler gewesen sei. Sie
meinen, es handele sich bei dem streitgegenständlichen Werk jedenfalls um eine
literarische Konstruktion, die Lücken in der historischen Überlieferung des Lebens
von XY fiktiv ausgestaltete. Das Mittel der Kunst stünde daher im Vordergrund und
lasse die Persönlichkeitsrechte der Ehefrau des Klägers zurücktreten, zumal mehr
als ... Jahre nach deren Tod. Deren Filme seien heute kaum mehr im Fernsehen zu
sehen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf die
gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom
29.01.2009 (Bl. 443 f. d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die einstweilige Verfügung war auf den Widerspruch der Beklagten auf ihre
Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dies führt zu ihrer Bestätigung hinsichtlich a) 2. – 5.
und b) 1. - 2, im Übrigen jedoch, bezüglich a) 1., zu ihrer Aufhebung und zur
Zurückweisung des Antrags auf ihren Erlass.
Der Kläger hat gegen die Beklagten im ausgeurteilten Umfang einen Anspruch auf
Unterlassung der Verbreitung und des Verbreitenlassens von sechs der sieben
streitgegenständlichen Passagen im Roman „...“ gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB
i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG.
Die Kammer bleibt unter Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten in dem
Widerspruchsverfahren bei ihrer in dem angegriffenen Beschluss – mit der
Ausnahme bezüglich a) 1.- ausgedrückten Rechtsauffassung, dass der von dem
Kläger begehrte Unterlassungsanspruch besteht. Sechs der sieben beanstandeten
Textpassagen stellen einen schweren Eingriff in das postmortale
Persönlichkeitsrecht der verstorbenen ZY dar und verletzen sie darin.
Der Kläger ist als Ehemann der verstorbenen ZY zur Wahrnehmung ihres
Persönlichkeitsrechts und damit zur gerichtlichen Durchsetzung des
Unterlassungsanspruchs berechtigt. Inhaber des Unterlassungsanspruchs wegen
Persönlichkeitsrechtsverletzung ist grundsätzlich derjenige, der individuell in seinen
Rechten betroffen ist. Hinsichtlich des postmortalen Persönlichkeitsrechtsschutzes
sind die engen Verwandten, und damit unter anderem der Ehemann, für den Toten
wahrnehmungsberechtigt (Damm/Rehbock/Schmidt, Widerruf, Unterlassung und
Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl. 2008, Rdnr. 815 und 392; Burkhardt in
Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 5 Rdnr. 121;
Prinz/Peters, Medienrecht, Rdnr. 135 f.).
Die erforderliche Abwägung des Rechts der Kunstfreiheit der Beklagten mit dem
postmortalen Persönlichkeitsrecht der verstorbenen Ehefrau des Klägers fällt
bezüglich der im Beschluss der Kammer vom 24.09.2008 bezeichneten Textstellen
a) 1. zugunsten der Beklagten und hinsichtlich der übrigen zugunsten des Klägers
aus.
Der Roman "...“ stellt ein Kunstwerk dar. Auch wenn wesentlicher Gegenstand des
Verfahrens die Art und Weise ist, in dem der Beklagte zu 2) in seinem Werk wirklich
existierende Personen schildert, ist jedenfalls der Anspruch des Autors deutlich,
diese Wirklichkeit künstlerisch zu gestalten.
Die Darstellung einer Person mit einer Nazivergangenheit betrifft deren
Persönlichkeitsrecht und stellt einen schweren Eingriff dar, sofern die behauptete
Verbindung zum Nationalsozialismus nicht vorliegt.
Sinn und Aufgabe der Kunstfreiheit ist es, die auf der Eigenheit der Kunst
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Sinn und Aufgabe der Kunstfreiheit ist es, die auf der Eigenheit der Kunst
beruhenden Verhaltensweisen und Entscheidungen von jeder öffentlichen Gewalt
freizuhalten. Die Art und Weise, in welcher der Künstler der Wirklichkeit begegnet
und die Vorgänge gestaltet, die er in dieser Begegnung erfährt, dürfen ihm nicht
vorgeschrieben werden. Denn der künstlerische Schaffensprozess soll sich frei
entwickeln können (BVerfG NJW 1971, 1645 (1646) – Mephisto).
Die Freiheit der Kunst ist nicht schrankenlos gewährt. Anders als die
Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 und 2 GG steht das Grundrecht der
Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, zwar nicht unter einem Gesetzesvorbehalt.
Jedoch darf sich auch der Künstler, wenn er sich in seiner Arbeit mit Dritten
auseinandersetzt, nicht über deren verfassungsrechtlich ebenfalls geschütztes
Persönlichkeitsrecht hinwegsetzen. Der Künstler muss sich innerhalb des
Spannungsverhältnisses halten, in dem die kollidierenden Grundwerte als Teile
eines einheitlichen Wertesystems neben- und miteinander bestehen können.
Daher sind im Streitfall auf die nachteiligen Auswirkungen der Veröffentlichung auf
die Persönlichkeit des Dargestellten und die durch ein Veröffentlichungsverbot
betroffenen Belange freier Kunst zu berücksichtigen. Beide Interessenbereiche
sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass
Charakter und Stellenwert des beanstandeten Textes als Aussage der Kunst das
Verständnis von ihm im sozialen Wirkungsbereich beeinflussen können (BGHZ 84,
237 (238 f.); BVerfGE 83, 130 (143)).
Keinem der Rechtsgüter kommt von vornherein Vorrang gegenüber dem anderen
zu. Zwar können zweifelsfrei feststellbare schwerwiegende Beeinträchtigungen des
Persönlichkeitsrechts durch die Kunstfreiheit nicht gerechtfertigt werden. Das
bedeutet jedoch nicht, dass die Prüfung, ob eine solch schwerwiegende
Beeinträchtigung festzustellen ist, isoliert, das heißt ohne Berücksichtigung des
Charakters des Werks, vorgenommen werden darf. Die in ihrem
Durchsetzungsanspruch betroffenen und bedrohten Rechtsgüter würden zu Lasten
der Kunstfreiheit nicht optimiert, wenn allein der widerstreitende Belang betrachtet
und die Lösung des Konflikts ausschließlich von der Schwere abhängig gemacht
würde, mit der dieser durch das Kunstwerk beeinträchtigt werden könnte (BVerfGE
67, 213 (228); vgl. dazu auch BVerfGE 75, 369 (378 ff.)). Die erforderliche
Abwägung kann nach allem nicht allein auf die Wirkungen eines Kunstwerks im
außerkünstlerischen Sozialbereich abheben, sondern muss auch kunstspezifischen
Gesichtspunkten Rechnung tragen.
Die Entscheidung darüber, ob durch die Anlehnung der künstlerischen Darstellung
an Persönlichkeitsdaten der realen Wirklichkeit so wie hier geschehen ein der
Veröffentlichung des Kunstwerks entgegenstehender schwerer Eingriff in den
schutzwürdigen Persönlichkeitsbereich des Dargestellten zu befürchten ist, kann
nur unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles getroffen werden. Dabei ist zu
beachten, ob und inwieweit das "Abbild" gegenüber dem "Urbild" durch die
künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den
Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, dass das
Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der
"Figur" objektiviert ist. Wenn eine solche, das Kunstspezifische berücksichtigende
Betrachtung jedoch ergibt, dass der Künstler ein "Porträt" des "Urbildes"
gezeichnet hat oder gar zeichnen wollte, kommt es auf das Ausmaß der
künstlerischen Verfremdung oder den Umfang und die Bedeutung der
Verfälschung für den Ruf des Betroffenen an (BVerfGE 30, 173 (195, 198)).
Ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, ist zunächst als Fiktion
anzusehen, die keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Diese Vermutung der
Fiktionalität gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale
Personen als Urbilder erkennbar sind. Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine
von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft, und der Intensität der
Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht dabei eine Wechselbeziehung. Für
ein literarisches Werk, das an reale Geschehnisse anknüpft, ist typischerweise
kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt. Unter
diesen Umständen verfehlte es den Grundrechtsschutz solcher Literatur, wenn
man eine Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits in der Erkennbarkeit als Vorbild
einerseits und in den negativen Zügen einer Romanfigur andererseits sähe. Daher
wird die Kunstfreiheit um so eher Vorrang beanspruchen können, je mehr die
Darstellung des Urbildes künstlerisch gestaltet und in die Gesamtkonzeption des
Kunstwerks eingebettet ist.
Anders als bei den in die Rechtsgeschichte eingegangenen Romanen „Mephisto“
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Anders als bei den in die Rechtsgeschichte eingegangenen Romanen „Mephisto“
von Klaus Mann und „Esra“ von Maxim Biller steht bei dem hier
streitgegenständlichen Roman „...“ die Erkennbarkeit der Romanfiguren von
vorneherein fest. Sie ist sogar wesentliches Element der literarischen Konstruktion.
Das ergibt sich nach Auffassung der Kammer aus der Äußerung des Beklagten zu
2) in einem Zeitungsinterview in der „zzz“ (Bl. 22 – 24 d.A.), er habe „nichts frei
erfunden in dem Sinne“, dass er es sich „aus den Fingern gesogen hätte“. Diese
Äußerung hat er sinngemäß in der mündlichen Verhandlung wiederholt. Ferner
spricht für diese Einschätzung, dass der Untertitel des Romans explizit den Namen
XY nennt, sowie aus dem Umstand, dass inhaltlich eine große Zahl tatsächlicher
Lebensdaten der Protagonistin aufgeführt sind, wie sie ihre Bestätigung in der
klägerseits vorgelegten „Liste der Übereinstimmungen“ gemäß Anlage 16 (Bl. 87
– 103 d.A.), die von Frau C gefertigt wurde, gefunden hat.
Außerdem muss die Gesamtkonzeption des Werkes hier als überwiegend
biographisches Werk gesehen werden. Zwar sind die vom Beklagten geschilderten
letzten Stunden der XY biographisch nicht überliefert, so dass diesbezüglich die
Fiktion der Faktizität vorgeht. Doch schildert der Beklagte XY in diesen Stunden in
einer Situation, in welcher sie auf ihr Leben zurückblickt. Der Beklagte nutzt dieses
stilistische Mittel, um biographisch korrekt das Leben der XY zu reflektieren.
Damit bestehen über die bloße Erkennbarkeit von ZY hinaus Anhaltspunkte, die es
nahe legen, bestimmte, in dem Roman dargestellte Ereignisse als tatsächlich
geschehen und die grundsätzlich geltende Vermutung der Fiktionalität daher als
widerlegt anzusehen.
Entscheidend für die Abwägung der beiden grundrechtlich geschützten und
widerstreitenden Rechtsgüter war, dass sich der Kläger für seine verstorbene
Ehefrau auf deren postmortales Persönlichkeitsrecht berufen kann.
Denn der Persönlichkeitsschutz endet nicht mit dem Tod des Betroffenen.
Besonders gegen mediale Veröffentlichungen ist ein entsprechender Schutz eines
Verstorbenen notwendig. Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht als subjektives
Recht aus dogmatischen Gründen nicht zugunsten eines Toten fortbestehen kann,
muss zugunsten des Verstorbenen der auf seine in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte
Menschenwürde zurückgehende Achtungsanspruch sowie ein zu Lebzeiten
erlangter sittlicher, personaler und sozialer Geltungswert post mortem fortwirken.
Denn mit dem in der Verfassung verbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der
Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, wäre es unvereinbar,
wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem
allgemeinen Achtungsanspruch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt
werden dürfte (BVerfG, NJW 1971, S. 1645 (1647)). Die schutzwürdigen Werte einer
Persönlichkeit überdauern die Rechtsfähigkeit ihres Subjekts, die mit dem Tod
erlöscht (BGHZ, 15, 249 (259)).
Wegen des Ausnahmecharakters des postmortalen Achtungsanspruchs und auch,
weil das Andenken an den Verstorbenen nicht ewig währt (BVerfGE 30, 173 (196)),
muss sowohl sein zeitlicher Rahmen als auch sein inhaltlicher Umfang begrenzt
sein. Welcher Zeitraum konkret für die Bemessung des postmortalen
Persönlichkeitsschutzes maßgeblich ist, kann nicht einer allgemeinen Festlegung
unterstellt werden, ebenso nicht sein Umfang. Ausschlaggebend ist die Art und
Weise, in der die Persönlichkeit im kollektiven Gedächtnis bleibt. Das
Schutzbedürfnis verringert sich und verblasst in dem Maße, in welchem die
Erinnerung an den Verstorbenen und damit das Interesse an der
Nichtverfälschung seines Lebensbildes abnimmt (BGH NJW 1990, 1986 (1988);
Damm/Rehbock/Schmidt, a.a.O., Rdnr. 392).
Anders als bei einem bildenden Künstler, der seiner Nachwelt ein bleibendes Werk
hinterlässt und dessen künstlerisches Ansehen und Wertschätzung noch
Jahrzehnte nach dem Tode fortbestehen können, ohne dass der erforderliche
Bezug zur Person des Verstorbenen verloren geht, wird ein ausübender Künstler,
etwa ein Schauspieler, Regisseur oder Dirigent, oft nur seinen Zeitgenossen in
Erinnerung bleiben. Daher sind bei ihnen weitaus kürzere Fristen angemessen und
ausreichend (BGH NJW 1990, 1986 (1988)). Die Schutzdauer der vermögenswerten
Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts ist wie das Recht am eigenen
Bild (§ 22 S. 3 KUG) auf zehn Jahre nach dem Tod der Person begrenzt. Jedoch
endet der postmortale Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts damit nicht
insgesamt nach Ablauf von zehn Jahren. Unter den Voraussetzungen und im
Umfang des postmortalen Schutzes der ideellen Bestandteile des postmortalen
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Umfang des postmortalen Schutzes der ideellen Bestandteile des postmortalen
Persönlichkeitsrechts besteht er fort (BGH GRUR 2007, 168 ff.; Brändel: in:
Götting/Schertz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 37 Rdnr. 19;
Götting: in Götting/Schertz/Seitz, a.a.O., § 2 Rdnr. 36).
Zugunsten ZYs besteht das postmortale Persönlichkeitsrecht. Sie war
Theaterschauspielerin und wirkte außerdem in mehr als ... Kino- und Fernsehfilmen
mit, darunter in der „...“, in der sie die zzz spielte. Diese und andere Filme werden
heute noch regelmäßig im Fernsehen gezeigt. Damit wird die Erinnerung an ZY
regelmäßig aufgefrischt.
Sie ist aufgrund ihrer Tätigkeit als Schauspielerin zwar als ausübende Künstlerin in
obigem Sinn anzusehen. Da sie aber auch in Kino- und Fernsehfilmen mitgespielt
hat, ist sie gleichermaßen als schaffende und bildende Künstlerin anzusehen, denn
Filme sind ähnlich wie Malerwerke, Kunststatuen und Musikkompositionen
körperlich fixiert (auf Medien wie Video, DVD u. ä.) und können anders als etwa
aufgeführte Theaterstücke dauerhaft und wiederholt wiedergeben werden.
Im Übrigen betreffen die streitgegenständlichen Aussagen keine vermögenswerten
Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts, sondern ideelle. Die Kammer
hält aus diesen Gründen eine Frist von 10 Jahren für den Ablauf der
Persönlichkeitsrechtswirkung für zu kurz und kommt zu dem Ergebnis, dass das
Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen fortbesteht.
Für die Abwägung von Persönlichkeitsrecht der verstorbenen Ehefrau des Klägers
und dem Recht der Kunstfreiheit der Beklagten ist im Hinblick auf die einzelnen
streitgegenständlichen Textstellen entscheidend, ob es sich um Tatsachen oder
Werturteile handelt. Denn aufgrund der vielen faktischen Übereinstimmungen des
Werkes mit dem Erscheinungsbilds, dem Lebens- und Berufsweg und der
Umgebung XY kann der Leser auch im Bezug auf die Mutter nicht zwischen
Wahrheit und Erdichtetem unterscheiden. Für den Leser ist in Anbetracht der
biographisch belegten Tatsachen nicht ersichtlich, ob und in welchen Passagen
ausgerechnet hinsichtlich der Darstellung der Mutter Y von den tatsächlichen
Lebensschilderungen abgewichen und die geschilderte Beziehung zu
nationalsozialistischem Gedankengut nicht als authentisch aufgefasst werden soll.
Künstlerische Aussagen bedeuten, auch wenn sie Meinungsäußerungen enthalten,
gegenüber diesen Äußerungen ein aliud. Insoweit ist Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eine lex
specialis gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG. Die Grundsätze für Meinungsäußerungen
und Tatsachenbehauptungen können aber entsprechend angewendet werden.
Denn unwahre Tatsachenbehauptungen die auf ihre Richtigkeit hin objektiv, mit
Mitteln der Beweiserhebung, überprüfbar sind, stellen regelmäßig schwere Eingriffe
in das Persönlichkeitsrecht dar. Ebenso verhält es sich bei Meinungsäußerungen
oder Werturteilen, welche die Grenze zur Schmähkritik überschreiten.
Meinungsäußerungen sind Aussagen, die nicht mit dem Anspruch auf Wahrheit
ausgestattet sind und durch Elemente des Dafürhaltens oder Meinens geprägt
werden. Um eine Meinungsäußerung handelt es sich insbesondere bei
Bewertungen, Einschätzungen, Ansichten und Überzeugungen. Eine Schmähkritik
liegt nur vor, wenn es bei einer Äußerung nicht mehr um die Auseinandersetzung
in der Sache geht, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.
Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine Äußerung jeden sachlichen Bezug
vermissen lässt oder der Sachbezug durch den diffamierenden Charakter völlig in
den Hintergrund gedrängt wird und die Äußerung damit kein adäquates Mittel des
Meinungskampfes mehr darstellt (vgl. BVerfG NJW 1995, 3303 "Soldaten sind
Mörder"; BGH NJW 2000, 3421, 3422; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5.
Aufl., Kap. 42, Rn. 32 m.w.N.). An ihre Annahme sind hohe Anforderungen zu
stellen.
Hinsichtlich der in a) 2. des Kammerbeschlusses vom 24.09.2008 erwähnten
Textpassage, (Bl. 105 d. A.) „Aufgebrezelt wie ein Backfisch war Mama von der
Teestunde auf dem Obersalzberg nach Hause gekommen. Aufgegeilt, würde man
heute vielleicht sagen. Und sie hat berichtet, wie der YY sie am Arm berührt hat –
so nannte sie den Hitler zärtlich, genau wie später meinen Bruder und Vater“
handelt es sich – unter Beachtung der oben genannten Kriterien – im wesentlichen
um eine Tatsachenbehauptung, da der die Aussage prägende Inhalt tatsächlichen
Charakter hat, nämlich den Besuch von ZY in entsprechender Aufmachung bei
Adolf Hitler auf dem Obersalzberg. Ebenso verhält es sich bei den
Tatsachenbehauptungen in a) 4., b) 1. und b) 2.. Die Aussage, „Als die Amerikaner
1945 nach Berchtesgaden kamen, haben sie Zs Nazischrein einen Meter tief im
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1945 nach Berchtesgaden kamen, haben sie Zs Nazischrein einen Meter tief im
Garten vergraben, die vielen schönen blutroten Fahnen, die Z gewidmete Ausgabe
von Mein Kampf, die Bilder von sich und dem Mann vom Berg, die neben dem
Herrgottswinkel standen“(a) 4.), ist ebenso dem Beweis zugänglich wie die beiden
ZY zugeschriebenen Äußerungen in direkter Rede „Aber Kind, der Führer hat doch
von all dem nichts gewusst!“(b) 1.) und „Der Hitler war auch bloß ein Mensch, wie
du und ich, vergiss das nicht“(b) 2.). Ob ZY die beiden letzten genannten
Äußerungen getätigt hat, ist dem Beweis zugänglich.
Durch diese Äußerungen wird ZY in ihrem postmortalen Persönlichkeitsrecht
verletzt , da es den Beklagten nicht gelang, der erkennenden Kammer glaubhaft
zu machen, dass Z tatsächlich in dem aus den Textpassagen deutlich werdenden
Umfang dem Nationalsozialismus nahe stand. Zwar gelingt es den Beklagten,
glaubhaft zu machen, dass ZY keineswegs - wie von dem Kläger geschildert –
unpolitisch war. Für weitergehende, die verstorbene Ehefrau des Klägers mit
Verbundenheiten zum Nationalsozialismus und Adolf Hitler darstellende Aussagen
fehlt es an der erforderlichen Glaubhaftmachung durch die Beklagten, denn die
streitgegenständlichen Passagen werden vom Durchschnittsleser nicht nur als
eine Überlegung und Wertung der Tochter XY verstanden, sondern stellen eine
deutliche Aussage dar, die ZY dem Nationalsozialismus verbunden zeigt. Zwar
nennen die Beklagten eine Vielzahl von Indizien und Vermutungen stützende
Beweismittel, um die zum Ausdruck kommenden Umstände glaubhaft zu machen.
Zu diesen Indizien gehören u.a. die berufliche Karriere der Schauspielerin, die Ehe
mit DD, der – einmalige – Besuch auf Hitlers Berghof am Obersalzberg. Jedoch
reichen diese Indizien – auch in einer Gesamtschau – nicht aus, um nachzuweisen,
dass ZY wesentlich mehr als nur eine „Mitläuferin“ war. Darüber hinaus stehen den
Glaubhaftmachungsmitteln der Beklagten, wobei auch die Biografien über XY und
deren Familie von PP bzw. LL in diesem Zusammenhang berücksichtigt wurden,
die Mittel zur gegenteiligen Glaubhaftmachung des Klägers - seien es Urkunden
oder eidesstattliche Versicherungen, insbesondere von Zeugen, die im sog.
Dritten Reich Kontakt zu ZY hatten und heute noch leben, wie Frau MM (Bl. 32 d.A.)
– gleichwertig gegenüber. Zu den klägerischen Glaubhaftmachungsmitteln zählen
u.a. die Ausführungen von NN in seiner Biographie über XY (Anlage Ast 28 = Bl.
289 ff., 291 d.A.), der ausgeführt hat, dass es sich bei dem in der Arte-
Dokumentation „ZZZ“ (DVD gemäß Anlage AG 10) gezeigten Empfang auf dem
Obersalzberg im Jahre ... um eine formale Audienz, gemeinsam mit anderen,
gehandelt habe und die eidesstattliche Versicherung von AA vom 30.10.2008 (Bl.
298 d.A.), der dem beklagtenseits erweckten Eindruck entgegengetreten ist, dass
sich ZY in einem Interview mit ihm für die „OO“- Zeitung im Jahr ... gerühmt habe,
Kontakt zu wichtigen Nazigrößen gehabt zu haben. Die Gesamtbetrachtung der
beidseits vorgelegten Glaubhaftmachungsmitteln führt zu einem sog. non liquet,
das zu Lasten der Beklagten geht, da sie die Darlegungs- und
Glaubhaftmachungslast für den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen tragen.
Hinsichtlich der übrigen verfahrensgegenständlichen Äußerungen handelt es sich
um Meinungsäußerungen und Werturteile, deren Unterlassung der Kläger – mit
Ausnahme der Äußerung zu a) 1. - verlangen kann, da es sich bei den Aussagen
zu , a) 3., und a) 5. um Schmähungen der verstorbenen Ehefrau des Klägers
handelt. Die Aussagen: „Die Alte glaubte immer noch an den Führer, tief drinnen
tut es ihr höchstens leid, dass es nicht geklappt hat mit dem schönen Reich“ (a)
3.), und „für Z und viele andere ist Hitler gar nicht tot“ (a) 5) stellen keine dem
Beweis zugängliche Tatsachenbehauptungen dar. In Ihnen wird eine Nähe ZYs zum
Nationalsozialismus ausgedrückt, eingebettet in Empfindungen und Erfahrungen
der Tochter X in ihren letzten Lebensstunden. Bei diesen Äußerungen geht es nicht
um die Auseinandersetzung in der Sache, sondern es steht die Diffamierung der
Person ZY im Vordergrund, der eine einfältige, unkritische Naivität zum
verbrecherischen, menschenverachtenden sog. „Dritten Reich“ unterstellt wird. Es
wird damit zum Ausdruck gebracht, dass ZY das Gedankengut des
Nationalsozialismus zumindest gebilligt habe, ohne gleichzeitig Tatsachen
mitzuteilen, die eine kritische Beurteilung dieser Wertung ermöglichen.
Demgegenüber sieht die Kammer - nach nochmaliger Würdigung des Vortrags der
Parteien - bei der angegriffenen Äußerung zu a) 1) „Das Mammerli war ein
Nazischatz“, die Grenzen zur Schmähkritik nicht mehr als überschritten an, da ZY
hier aus der Sicht eines durchschnittlichen Lesers nicht aktiv als dem
Nationalsozialismus nahestehend, sondern lediglich von Nationalsozialisten
bewundert dargestellt wird. Insoweit war die einstweilige Verfügung aufzuheben
und der Antrag auf ihren Erlaß zurückzuweisen.
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Die Gefahr der Wiederholung der untersagten Äußerungen ist durch die erstmalige
Verletzung indiziert und von dem Beklagten nicht durch Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt worden.
Die Entscheidung über die Androhung eines Ordnungsmittels beruht auf § 890
ZPO. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.