Urteil des LG Frankfurt am Main vom 15.03.2017

LG Frankfurt: einstweilige verfügung, beweisverwertungsverbot, daten, inhaber, anschluss, öffentlich, software, download, störer, musik

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Gericht:
LG Frankfurt 6.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2/06 O 12/07, 2-06
O 12/07, 2/6 O
12/07, 2-6 O 12/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 19a UrhG, § 52 UrhG, § 78
Abs 1 Nr 1 UrhG, § 97 Abs 1
UrhG, § 286 ZPO
Öffentliches Zugänglichmachen von geschützten
Musiktiteln durch Kinder über Filesharing-Systeme:
Störerhaftung der Eltern; Beweisverwertungsverbot im
Zivilprozess bei staatsanwaltschaftlicher Ermittlung ohne
richterlichen Beschluss
Tenor
Der Beschluss – einstweilige Verfügung – vom 10.01.2007 wird bestätigt.
Der Antragsgegner hat die weiteren Kosten des Eilverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Haftung des Internetanschlussinhabers für das
öffentliche Zugänglichmachen geschützter Musiktitel im Rahmen von Filesharing-
Systemen.
Die Künstlerin ... ist Interpretin der im Verfügungsantrag aufgeführten sechs
Musiktitel. Die Rechte an den Musikaufnahmen übertrug die Künstlerin mit Vertrag
vom 10.03.2000 exklusiv an die Fa. BMG Berlin Musik GmbH. Mit Vertrag vom
13.04.2004 übertrug die Fa. BMG Berlin Musik GmbH die Rechte auf die
Antragstellerin, die damals noch als ... firmierte.
Der Antragsgegner ist Inhaber des Internetanschlusses mit der IP-Nummer
217.87.94.205. Der Antragsgegner gewährt seiner 17-jährigen Tochter, die über
einen eigenen Computer verfügt, Zugang zu dem Internetanschluss. Die Tochter
des Antragsgegners nutzte über die Software BS ein sogenanntes Filesharing-
System, bei dem verschiedene Teilnehmer jeweils die auf ihrem Rechner
befindlichen Inhalte den anderen Teilnehmern zum Herunterladen anbieten.
Suchanfragen eines Teilnehmers nach einem bestimmten Musiktitel werden an
alle angeschlossenen Rechner weitergeleitet, die zu diesem Zeitpunkt online sind.
Der Datenaustausch findet dann direkt mit dem passenden Teilnehmer statt. Am
07.08.2006 waren über den Internetanschluss des Antragsgegners unter anderem
die im Verfügungstitel aufgeführten Musiktitel der Künstlerin ... zum Herunterladen
verfügbar. Ein Ermittlungsdienst fragte die entsprechenden Dateien ab und lud sie
zum Teil herunter.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, die angegriffenen Rechtsverletzungen der
Tochter des Antragsgegners seien nach den Grundsätzen der Störerhaftung dem
Antragsgegner zurechenbar.
Das Landgericht Frankfurt/M. hat auf den Antrag der Antragstellerin vom
09.01.2007 dem Antragsgegner mit einstweiliger Verfügung vom 10.01.2007
untersagt, die streitgegenständlichen Musikaufnahmen öffentlich zugänglich
gemacht. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 10.01.2007, Bl.
49 d.A. Bezug genommen. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 01.02.2007
Widerspruch eingelegt.
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Die Antragstellerin beantragt nunmehr,
die einstweilige Verfügung vom 10.01.2007 zu bestätigen und den Widerspruch
vom 01.02.2007 zurückzuweisen.
Der Antragsgegner beantragt,
die einstweilige Verfügung aufzuheben.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, eine Störerhaftung komme nicht in
Betracht, da keine umfassende Prüfungspflicht für sämtliche Internetzugriffe
bestehen könne, die seine Tochter von ihrem eigenen PC aus tätige. Seine Tochter
sei als Schülerin für Unterrichtszwecke auf den Internetzugriff angewiesen.
Hinsichtlich des Datenzugriffs des Ermittlungsdienstes bestünde außerdem ein
Beweisverwertungsverbot. Ebenso dürften die von der Staatsanwaltschaft
ermittelten Anschlussinhaberdaten nicht verwertet werden.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze sowie auf die zur Akte gelangten Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Auf den Widerspruch des Antragsgegners war die einstweilige Verfügung auf ihre
Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dies führte zu ihrer Bestätigung.
Es besteht ein Verfügungsgrund. Zwar kommt im Urheberrecht die analoge
Anwendung der Dringlichkeitsvermutung nach § 12 II UWG nicht in Betracht (OLG
Frankfurt, GRUR 1989, 227; Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 26. Aufl., § 12 UWG, Rn.
3.14). Die einstweilige Verfügung ist aber zur Abwendung wesentlicher Nachteile
der Antragstellerin erforderlich (§ 940 ZPO). Die Verwertung der exklusiven
urheberrechtlichen Nutzungsrechte der Antragstellerin an den Musikdateien ist
durch die öffentliche Zugänglichmachung durch den Antragsgegner gefährdet. Die
Antragstellerin hat sich nicht durch zögerliches Verhalten selbst in Widerspruch zu
dem Eilbedürfnis gesetzt. Sie hat nach ihren unwidersprochenen Angaben erst am
28.11.2006 Kenntnis von den Personalien des Antragsgegners erlangt. Der am
09.01.2007 eingereichte Verfügungsantrag war damit unter Berücksichtigung einer
gewissen Vorbereitungszeit noch rechtzeitig.
Es besteht ein Verfügungsanspruch. Die Antragstellerin kann von dem
Antragsgegner Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung der
streitgegenständlichen Musiktitel gemäß §§ 97 I, 78 I Nr. 1, 19a UrhG verlangen.
Nach §§ 78 I Nr. 1, 19a UrhG ist es dem ausübenden Künstler vorbehalten, seine
Darbietung öffentlich zugänglich zu machen. Die Antragstellerin hat die
entsprechenden ausschließlichen Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte der
ausübenden Künstlerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Musiktitel erworben.
Die Tochter des Antragsgegners hat die Musiktitel anderen Nutzern des File-
Sharing-Systems Gnutella zugänglich gemacht. Die Zugänglichmachung
gegenüber Teilnehmern eines File-Sharing-Systems ist "öffentlich" im Sine des §
19a UrhG (Dreier/Schulze, § 15 UrhG, Rn. 44, § 19a UrhG, Rn. 7).
Die öffentliche Wiedergabe ist nicht ausnahmsweise nach § 52 UrhG zulässig.
Danach können öffentliche Wiedergaben zulässig sein, wenn sie keinem
Erwerbszweck des Veranstalters dienen und unentgeltlich sind. Öffentliche
Zugänglichmachungen wie das Bereithalten geschützter Werke in File-Sharings-
Systemen sind jedoch gemäß § 52 III UrhG nur mit Einwilligung des Berechtigten
zulässig (Dreier/Schulze, § 52 UrhG, Rn. 18). Eine Einwilligung der Antragstellerin
lag nicht vor.
Der Antragsgegner ist nach den Grundsätzen der Störerhaftung für die
Rechtsverletzung seiner Tochter verantwortlich. Als Störer kann nach ständiger
Rechtsprechung grundsätzlich jeder auf Unterlassung und Beseitigung in Anspruch
genommen werden, der auch ohne Verschulden willentlich und adäquat-kausal an
der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung
mitgewirkt hat. Weil die Störerhaftung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt
werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen
haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Prüfungspflichten voraus.
Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in
Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (vgl.
BGH GRUR 1999,418 (419f.) – Möbelklassiker; NJW 2001, 3265 – ambiente.de; BGH
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BGH GRUR 1999,418 (419f.) – Möbelklassiker; NJW 2001, 3265 – ambiente.de; BGH
GRUR 2004, 860 (864) – Internet-Versteigerung). Unzumutbar ist die
Prüfungspflicht, wenn der Störungszustand für den Störer nicht ohne weiteres oder
nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erkennbar ist (vgl. BGH GRUR 2001, 1038
(1040) – ambiente.de). Soweit das Rechtsinstitut der Störerhaftung im
Wettbewerbsrecht inzwischen zurückhaltender gehandhabt wird, hat der
Bundesgerichtshof in der Entscheidung "Internet-Versteigerung" (BGH GRUR 2004,
860, 864) klargestellt, dass bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten an den
Grundsätzen festgehalten wird. Die Überlassung von Telefon-, Fax- oder
Telefaxanschlüssen an einen Dritten, der seinerseits von diesem Anschluss aus
das Schutzrecht verletzende Handlungen begeht, kann zur Störerhaftung führen
(OLG Frankfurt, GRUR-RR 2005, 309 – Account-Überlassung). Die
Verantwortlichkeit folgt daraus, dass er die auf diese Weise ermöglichten
Rechtsverletzungen nicht unterbunden hat, obwohl er dazu als Inhaber des
Anschlusses die Möglichkeit gehabt hätte und ein Einschreiten von ihm als
Überlasser zu erwarten ist (BGH NJW 2000, 213, 214 – Räumschild). So liegt der
Fall hier. Der Antragsgegner hat dadurch einen Beitrag zu der
Urheberrechtsverletzung geleistet, dass er seiner Tochter seinen
Internetanschluss zur Nutzung überlassen hat.
Der Antragsgegner kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, eine zumutbare
Überprüfungsmöglichkeit bestünde nicht. Er sei schon aus
Fürsorgegesichtspunkten verpflichtet, seiner Tochter Zugang zu seinem
Internetanschluss zu gewähren, da sie diesen für ihre Ausbildung benötige. Eine
über Stichproben hinausgehende Kontrolle der Internetaktivität der Tochter sei
nicht möglich. Der Antragsgegner bestreitet nicht den Vortrag der Antragstellerin,
dass der Inhaber eines Internetanschlusses für die verschiedenen Benutzerkonten
unterschiedliche Benutzungsbefugnisse festlegen kann oder durch Installation
einer "Firewall"-Software die Nutzung von Filesharing-Software verhindern kann.
Die zukünftige Verwendung dieser technischen Möglichkeiten ist dem
Antragsgegner zumutbar, nachdem sich herausgestellt hat, dass ein
Familienmitglied, dem er die Nutzung des Anschlusses erlaubt, Urheberrechte
Dritter verletzt hat. Die Erfüllung des Unterlassungstitels ist dem Antragsgegner
also keineswegs unmöglich oder unzumutbar. Der Antragsgegner macht nicht
geltend, dass seine Tochter für ihre Schulausbildung Zugriff auf File-Sharing-
Systeme haben müsse.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners besteht für die von der
Staatsanwaltschaft ermittelten Anschlussdaten des Antragsgegners für den
Internetanschluss IP 217.87.94.205 kein Beweisverwertungsverbot. Der
Antragsgegner macht insoweit geltend, die Staatsanwaltschaft hätte die
Anschlussdaten nicht ohne richterlichen Beschluss gemäß § 100g StPO ermitteln
dürfen. Es kann offen bleiben, ob ein Verwertungsverbot schon deshalb nicht
bestehen kann, weil zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Tochter des
Antragsgegners über den fraglichen Anschluss die Dateien zum Download
bereithielt und deshalb eine Beweiserhebung überhaupt nicht stattfindet. Teilweise
wird in der Literatur vertreten, dass unstreitig gestellte Tatsachen keinem
Verwertungsverbot unterliegen, weil es dem Gegner unbenommen ist,
Informationen, die auf unzulässige Weise erlangt wurden, zu bestreiten
(Zöller/Greger, 26. Aufl. §286, Rn. 15e; § 138, Rn. 3). Nach anderer Auffassung
können Kenntnisse, die eine Partei unter Verletzung grundrechtlich geschützter
Positionen gewonnen hat, auch als Tatsachenvortrag nicht berücksichtigt werden
(OLG Karlsruhe, NJW 2000, 1577, 1578).
Hierauf kommt es nicht an, da hinsichtlich der Anschlussdaten unabhängig davon
kein Verwertungsverbot vorliegt. Nicht jedes materiell rechtswidrig erlangte
Beweismittel ist zwingend prozessual unverwertbar. Von einem
Beweisverwertungsverbot ist erst dann auszugehen, wenn durch die
Beweisgewinnung in ein verfassungsrechtlich geschütztes Individualrecht
eingegriffen und die Verwertung nicht ausnahmsweise durch Güterabwägung
gerechtfertigt ist (OLG Karlsruhe, NJW 2000, 1577, 1578). Vorliegend hat die
Staatsanwaltschaft bei der Deutschen Telekom die Anschlussinhaberdaten für den
Internetanschluss des Antragsgegners abgefragt, da ein konkreter Verdacht
vorlag, dass über den Anschluss insgesamt über 900 Musikdateien illegal zum
Download bereit gehalten wurden. Selbst wenn diese Ermittlung ohne richterlichen
Beschluss unzulässig war, erscheint der Eingriff nicht so schwerwiegend, dass die
Daten nun im Zivilprozess keine Verwendung finden könnten. Die
Staatsanwaltschaft hat nicht in den engeren Persönlichkeitsbereich des
Antragsgegners eingegriffen. Der Fall ist nicht vergleichbar mit unzulässigen
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Antragsgegners eingegriffen. Der Fall ist nicht vergleichbar mit unzulässigen
Abhörmaßnahmen, in denen ein Beweisverwertungsverbot regelmäßig
angenommen wird.
Der Antragsgegner kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der PC seiner
Tochter sei durch den Online-Ermittlungsdienst unzulässig ausgespäht worden,
weswegen hinsichtlich der ermittelten Daten ein Beweisverwertungsverbot
bestünde. Nach der Entscheidung des BGH vom 31.01.2007 (StB 18/06) findet die
verdeckte Online-Durchsuchung in der Strafprozessordnung keine
Rechtsgrundlage, insbesondere nicht in § 102 StPO. Dabei ist maßgeblich, dass
diese Vorschrift nur zu einer offen ausgeführten Durchsuchung ermächtigt. Für
verdeckte Ermittlungsmaßnahmen ohne Wissen des Betroffenen sieht die StPO
hingegen strenge Voraussetzungen vor. Insbesondere dürfen sie nur beim
Verdacht bestimmter schwerer Straftaten angeordnet werden, wenn andere
erfolgversprechende Aufklärungsmittel nicht vorhanden sind und sie nicht in den
unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreifen. Diese für
Zwangsmaßnahmen von Strafverfolgungsbehörden entwickelte Rechtsprechung
ist auf den vorliegenden Zivilrechtsfall nicht übertragbar. Denn der Online-
Ermittlungsdienst hat keine versteckten Daten der Tochter des Antragsgegners
ausgespäht, sondern nur auf die ohnehin für unbekannte Dritte zum Download
bereitgehaltenen Daten zugegriffen. Das vom Antragsgegner im Zusammenhang
mit dem angeblichen Beweisverwertungsverbot zitierte BGH-Urteil Az. XII ZR
227/03 ist nicht einschlägig. Es betrifft die Verwertbarkeit einer heimlichen DNA-
Analyse im Vaterschaftsanfechtungsverfahren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.