Urteil des LG Frankfurt am Main vom 28.10.2008

LG Frankfurt: wiedereinsetzung in den vorigen stand, gefahr im verzuge, zustellung, strafbefehl, einspruch, australien, bereitschaftsdienst, geschäftsordnung, körperverletzung, bevollmächtigung

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Gericht:
LG Frankfurt 30.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5/30 Qs 57/08,
5/30 Qs 59/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 132 Abs 2 StPO
Sicherung der Strafverfolgung: Richtervorbehalt bei der
Anordnung der Zustellung eines Strafbefehls an einen
Beschuldigten mit ausländischem Wohnsitz auf einem
Flugplatz
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 18.09.08
und die Beschwerde vom 08.07.08 werden die Beschlüsse des
Amtsgerichts Frankfurt a.M. vom 04.09.08 und vom 16.05.08
aufgehoben.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren und die notwendigen Auslagen
des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Gegen den Beschwerdeführer wurde am 14.03.2008, einem Montag, gegen 19.15
Uhr, am Flughafen Frankfurt a.M. ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung
aufgenommen. Der Beschwerdeführer gab an, in Deutschland über keinen
Wohnsitz zu verfügen, da er in Australien lebe. Da sich der Beschwerdeführer nur
im Besitz von 20,- Euro befand, informierte der Ermittlungsbeamte POK xxxxx OSt
xxxxx über den Vorgang, dieser ordnete eine Nachschau des Gepäcks des
Beschwerdeführers an und bat um Rücksprache (Bl. 5 d.A.). Da festgestellt wurde,
dass der Beschwerdeführer über keine weiteren Geldmittel verfügte, wurde ihm ein
Formular über die Zustellungsbevollmächtigung des Amtsinspektors xxxxx zur
Unterschrift vorgelegt (Bl. 16 d.A.). Nach Unterzeichnung der Bevollmächtigung
wurde der Beschwerdeführer in Absprache mit OSt xxxxx entlassen.
Gegen den Beschwerdeführer wurde am 14.03.08 vom Amtsgericht Frankfurt a.M.
Strafbefehl wegen Körperverletzung erlassen (Bl. 22 f. d.A.). Der Strafbefehl wurde
- ausweislich des Empfangsbekenntnisses Bl. 26 d.A. - am 18.03.08 dem
Amtsinspektor xxxxx als Zustellungsbevollmächtigtem zugestellt und von diesem
am selben Tage die Weiterleitung an den Beschwerdeführer zu dessen Wohnsitz in
Australien verfügt. In Australien ging der Strafbefehl am 25.03.08 ein (Bl. 30 d.A.).
Dem Beschwerdeführer wurde es gemäß dessen Angaben nicht vor Freitag, dem
28.03.08, ausgehändigt. Gegen den Strafbefehl legte der Beschwerdeführer mit
Schreiben vom 29.03.08, das am 07.04.08 bei Gericht einging, Einspruch ein (Bl.
29 d.A.).
Mit Beschluss vom 16.05.08 hat das Amtsgericht Frankfurt a.M. den Einspruch des
Beschwerdeführers als unzulässig verworfen. Hiergegen legte der
Beschwerdeführer mit Schreiben vom 08.07.08 Beschwerde und Wiedereinsetzung
in den vorherigen Stand pp. ein (Bl. 46 ff. d.A.). Mit Beschluss vom 04.09.08,
zugestellt an den Beklagten am 15.09.08 (Bl. 102 d.A.), wurde die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen (Bl. 107 d.A.).
Hiergegen legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18.09.08, eingegangen
bei Gericht am selben Tage, sofortige Beschwerde ein (Bl. 103 ff. d.A.).
Die sofortige Beschwerde und die Beschwerde sind jeweils zulässig, insbesondere
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Die sofortige Beschwerde und die Beschwerde sind jeweils zulässig, insbesondere
fristgerecht eingelegt worden, und begründet.
Zu Recht weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass keine wirksame Zustellung
des Strafbefehls an den Beschwerdeführer über den Amtsinspektor xxxxx erfolgt
ist.
Die Wirksamkeit der Zustellung scheitert jedoch nicht -wie es die ins Blaue hinein
abgegeben Behauptung des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers nahe legen
könnte- daran, dass die Unterschrift auf dem Empfangsbekenntnis nicht vom
Amtsinspektor xxxxx stammen soll. Diese Behauptung des Bevollmächtigten ist
falsch. Nach Rücksprache des Berichterstatters, unter Vorhalt des
Empfangsbekenntnisses auf Bl. 26 d.A., beim Amtsgericht, wurde von
Amtsinspektor xxxxx bestätigt, dass es sich bei der Unterschrift eindeutig um
diejenige des Amtsinspektors xxxxx handelt.
Die Wirksamkeit der Zustellung an Amtsinspektor xxxxx scheitert jedoch daran,
dass der Richtervorbehalt gemäß § 132 Abs.2 StPO betreffend die
Zustellungsbevollmächtigung nicht beachtet worden ist.
Denn es sind aus dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte ersichtlich, die eine Gefahr
im Verzuge begründen und die Einholung der richterlichen Zustimmung erübrigen
würden, noch war die Einholung der richterlichen Zustimmung zum Zeitpunkt des
Vorgangs unmöglich.
Gefahr im Verzug liegt vor, wenn die richterliche Maßnahme nicht eingeholt werden
kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Es handelt sich zwar
um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dieser muss jedoch mit
einzelfallbezogenen Tatsachen begründet werden, die dem handelnden Beamten
keinen Spielraum einräumen (Meyer-Goßner-StPO,51. Aufl. - §98 - Rdnr.6 u. 7
m.w.Nw.). Dem Akteninhalt können entsprechende Tatsachen nicht entnommen
werden.
Die richterliche Anordnung war zum Zeitpunkt des Vorfalls, gegen 19.15 Uhr,
obwohl dieser außerhalb der üblichen Dienst- bzw. Eildienstzeiten lag, möglich und
geboten. Denn ausweislich der Geschäftsverteilung des Amtsgerichts für das Jahr
2008 ist der Eildienst geregelt worden und dort unter Punkt III auch ein
Bereitschaftsdienst außerhalb der regulären Eildienstzeit (Punkt II. A. 1. b.
montags von 8.30 Uhr bis 16.30 Uhr) als telefonischer Bereitschaftsdienst rund
um die Uhr eingerichtet worden. Auf der Grundlage der Geschäftsordnung wurde
der, sich an den Eildienst anschließende telefonische Bereitschaftsdienst
außerhalb der regulären Dienst- und Eildienstzeiten gemäß einer Liste (Az.: 32 E –
1.706 SH) geregelt, auf die die Geschäftsordnung Bezug nimmt. Danach sind die
in der Liste aufgeführten Richter "zuständig für unaufschiebbare richterliche
Entscheidungen in Strafsachen". Nachvollziehbare Gründe, weshalb dies
unterlassen worden ist, sind dem Akteninhalt nicht zu entnehmen.
Mangels einer wirksamen Bevollmächtigung des Amtsinspektors xxxxx ist, da für
den Strafbefehl eine förmliche Zustellung erforderlich ist (§ 35 Abs.2 StPO), keine
wirksame Zustellung an den Beschwerdeführer erfolgt.
Da der Einspruch auch vor Zustellung des Strafbefehls eingelegt werden kann
(Meyer-Goßner-StPO, 51.Aufl.- § 410- Rdnr.1), hat der Beschwerdeführer mit
Schreiben vom 29.03.2008 (Bl. 29 d.A.) fristgemäß Einspruch eingelegt.
Da der Beschwerdeführer wirksam Einspruch eingelegt hat, sind sowohl die
sofortige Beschwerde vom 18.09.08 als auch die Beschwerde,
Wiedereinsetzungsantrag vom 08.07.08 gegenstandlos geworden.
Da der Beschwerdeführer mit seinen Beschwerden Erfolg hatte, waren die Kosten
des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen gemäß § 464 StPO der
Staatskasse aufzuerlegen (Meyer-Goßner-StPO,51. Aufl.-§473-Rdnr.2).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.