Urteil des LG Frankfurt am Main vom 15.03.2017

LG Frankfurt: bibliothek, restriktive auslegung, geschichte, verfügung, kopie, werk, test, urheberrechtsgesetz, urheberrechtsverletzung, hessen

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Gericht:
LG Frankfurt 6.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-06 O 172/09,
2/06 O 172/09, 2-6
O 172/09, 2/6 O
172/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 52b UrhG, § 53 UrhG
Urheberrechtsverletzung: Digitalisierung urheberrechtlich
geschützter Werke und Zugänglichmachen der
Digitalisierung an elektronischen Leseplätzen in einer
Universitätsbibliothek
Leitsatz
1. Den Befugnissen aus § 52 b UrhG steht nur eine abgeschlossene vertragliche
Regelung entgegen; ein bloßes Vertragsangebot genügt nicht.
2. § 53 UrhG ermöglicht keine digitale Kopie von im Rahmen der Befugnisse des § 52 b
UrhG erstellten Digitalisaten.
Tenor
Der Antragsgegnerin zu 1. wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu
250.000,00 EUR, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit Ordnungshaft bis
zu 6 Monaten tritt, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten für jeden einzelnen Fall
der Zuwiderhandlung verboten,
Nutzern der Universitäts- und Landesbibliothek XXX zu ermöglichen, digitale
Versionen der Werke, die im Verlag der Antragstellerin veröffentlicht sind,
insbesondere die „Einführung in die Neuere Geschichte“ von W. S. auf USB-Sticks
oder andere Träger für digitalisierte Werke zu vervielfältigen und/oder solche
Vervielfältigungen aus den Räumen der Bibliothek mitzunehmen.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten trägt die Antragstellerin zu 75 % und die Antragsgegnerin zu 1.
zu 25 %.
Die Kosten der Antragsgegnerin zu 2. trägt die Antragstellerin vorab. Die Kosten
der Antragstellerin trägt diese zu 75 % und die Antragsgegnerin zu 1. zu 25 %. Die
Kosten der Antragsgegnerin zu 1. trägt diese zu 50 % und die Antragstellerin zu 50
%.
Der Streitwert wird festgesetzt auf 100.000,00 EUR.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit der von der Antragsgegnerin zu 1) in
ihrer Bibliothek zur Verfügung gestellten elektronischen Leseplätze.
Die Antragstellerin ist ein bekannter Verlag, welche in einem Verlagsportfolio
hauptsächlich wissenschaftliche Literatur führt. Zu ihrem Verlagsprogramm zählen
u.a. diverse Lehrbücher zu den Fächern Geowissenschaft, Biologie,
Umweltingenieurwissenschaft und Geschichte. U.a. verlegt die Antragstellerin auch
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Umweltingenieurwissenschaft und Geschichte. U.a. verlegt die Antragstellerin auch
das streitgegenständliche Werk „Einführung in die neuere Geschichte“ von W. S.,
welches derzeit in der X. Auflage am Markt erhältlich ist. Die Antragsgegnerin zu 1)
wurde 1877 gegründet. Sie ist als Universität des Landes Hessen eine rechtsfähige
Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihre Zentralbibliothek ist die Universitäts-
und Landesbibliothek Darmstadt. Ihre Sammlungsschwerpunkte liegen im Bereich
der naturwissenschaftlich-technischen, geistes- und
gesellschaftswissenschaftlichen und landeskundlichen Literatur. Die Sammlung
geht in ihrem Grundstock auf die Büchersammlung des Landgrafen Hans-Georg I.
von Hessen-Darmstadt zurück. Die Antragsgegnerin zu 2) ist eine
Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts und als Bundesland Trägerin der
Antragsgegnerin zu 1).
Die Antragsgegnerin zu 1) hält in ihrem Bestand sieben Exemplare des
streitgegenständlichen Buchs „Einführung in die neuere Geschichte“ von W. S.. Im
Januar 2009 wurde dieses Werk zum Zweck der Bereitstellung an elektronischen
Leseplätzen digitalisiert. Hierbei wurden die einzelnen Kapitel als PDF-Dateien
gespeichert und Anfang Februar 2009 in die Datenbank eingepflegt, welche den
elektronischen Leseplätzen zugrunde liegt. Die Antragsgegnerin zu 1) stellt zum
Abruf für den Benutzer einen PDF-Reader der Fa. Adobe zur Verfügung. Die
einzelnen Dateien sind Grafikdateien, die einer modernen Textverarbeitung nicht
zugänglich sind. Der Aufruf der fraglichen PDF-Dateien ist jedenfalls über die in den
Räumlichkeiten der Antragsgegnerin zu 1) zur Verfügung gestellten elektronischen
Leseplätzen möglich. Simultan können jeweils nur so viele identische PDF-Dateien
aufgerufen werden, wie Printexemplare im Bibliotheksbestand vorhanden sind. Die
fraglichen Dateien können in technischer Hinsicht am elektronischen Leseplatz
eingesehen und ausgedruckt werden. Zudem ist es dem Benutzer möglich,
Dateien auf einen USB-Stick zu sichern und mit nach Hause zu nehmen.
An den Leseplätzen erteilte die Antragsgegnerin zu 1) zunächst folgenden Hinweis:
„… Die digilehrbücher können aus rechtlichen Gründen nur in den Räumen der
ULB angeboten werden, unter Einhaltung bestimmter Bedingungen (mehr…). Die
ULB sorgt durch technische und organisatorische Maßnahmen für die Einhaltung
dieser Bestimmungen. Wir machen darauf aufmerksam, dass ein Vervielfältigen
oder Weiterleiten der digilehrbücher verboten ist“.
Hinter dem als Link ausgestalteten Textbestandteil „(mehr…)“ folgte eine
detaillierte Erläuterung zu den Vorgaben des § 52b UrhG.
Im Verlauf des vorliegenden Verfahrens konkretisierte die Antragsgegnerin zu 1)
den Urheberhinweis wie folgt: „Wir machen darauf aufmerksam, dass die
Benutzung des elektronischen Leseplatzes nur zur Forschung und für private
Studien gestattet ist. Ein Vervielfältigen (Ausdrucken/Speichern) ist nur statthaft,
soweit der Nutzer nach § 53 UrhG (privater und sonstiger Gebrauch) privilegiert ist.
Jede Weiterverbreitung ist untersagt. Die elektronischen Leseplätze waren
zunächst nicht durch ein Login gesichert, mittlerweile muss sich der Nutzer
elektronischer Leseplätze durch ein persönliches Login und Passwort anmelden.
Diese erhält er nur, wenn er über einen Benutzerausweis der Bibliothek verfügt.
Weitergehende Kontrollen gibt es für die Nutzer der Bibliothek weder beim
Betreten noch beim Verlassen der Bibliothek.
Die Antragstellerin erfuhr nach einem Test von diesen Vorgängen am 18.3.2009.
Sie behauptet, mit Schreiben vom 29.1.2009 der Antragsgegnerin ein Angebot
unterbreitet zu haben (Anlage K 4, K 5). Die Antragsgegnerin habe hierauf nicht
reagiert.
Sie ist der Auffassung die von der Antragsgegnerin zu 1) etablierte Praxis
elektronischer Leseplätze sei sowohl urheberrechtlich als auch lauterkeitsrechtlich
zu beanstanden. Bereits die eigenmächtige Digitalisierung des
streitgegenständlichen Werkes greife unzulässig in das Vervielfältigungsrecht der
Antragstellerin i.S. § 16 UrhG ein. Gleiches gelte für die angebotene Möglichkeit
des Ausdrucks. Zudem werde das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung i.S. §
19a UrhG und das Verbreitungsrecht gem. § 17 UrhG verletzt. Die Eingriffe seien
nicht durch § 52b UrhG legitimiert. Hier sei zunächst zu beachten, dass § 52b
UrhG bereits dann nicht mehr anwendbar sei, wenn der Bibliothek die Möglichkeit
einer angemessenen Lizenzierung geboten worden sei. Jede andere Auslegung
werde dem sog. Drei-Stufen-Test nicht gerecht, der hier zugunsten des Urhebers
eine restriktive Auslegung gebiete. Dies werde bereits an dem Umstand deutlich,
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eine restriktive Auslegung gebiete. Dies werde bereits an dem Umstand deutlich,
dass es sich bei einer Vielzahl von öffentlichen Bibliotheken um sog.
„Pflichtexemplarsbibliotheken“ handele, die nicht etwa aufgrund Kaufvertrags,
sondern kraft gesetzlicher Regelung an die nun zu digitalisierenden Werke
gekommen seien. Auch die europarechtlichen Vorgaben belegten, dass bereits die
Möglichkeit eines angemessenen Lizenzvertrages das Recht des § 52b UrhG
ausschlössen. Auch der Wortlaut des § 52b UrhG stehe einer derartigen
Interpretation nicht entgegen, da dort lediglich vertragliche Regelungen erwähnt
würden, die auch die Möglichkeit eines Vertragsschlusses erfassten. Selbst wenn
man dem aber nicht folge, sei die Praxis der Antragsgegnerin zu 1) nicht von § 52b
UrhG gedeckt. Die von der Antragsgegnerin zu 1) installierten
Schutzmechanismen seien unzureichend. Sie verhinderten letztlich nicht, dass
Nutzer zu gewerblichen Zwecken auf die Angebote zugriffen. Die vorgenommene
Digitalisierung sei zudem von § 52b UrhG nicht legitimiert, da die Norm lediglich
ein Leserecht entwickle, eine sog. Annex-Kompetenz sei der Bibliothek dagegen
gerade nicht zuzugestehen. Die Möglichkeit eines Ausdrucks lasse sich nicht aus §
53 UrhG rechtfertigen, da § 52b UrhG gerade nicht auf diese Norm verweise. Die
Kopie sei deswegen im vorliegenden Fall nach der gesetzlichen Regelung lediglich
von der dem Digitalisat zugrundeliegenden Papierform her zulässig. Die Mitnahme
gefertigter Kopien oder Sicherungen auf ein digitales Medium stelle zudem keine
Nutzung mehr „in den Räumen“ der Bibliothek dar, die dem Leserecht des § 52b
UrhG zugrunde lägen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die digitale
Vervielfältigung bzw. der Ausdruck auf der Basis des digitalisierten Werkes
wesentlich einfacher möglich seien als die Kopie von der Papierform.
Die Antragstellerin hat den ursprünglich auch gegen die Antragsgegnerin zu 2)
gerichteten gleichlautenden Antrag zurückgenommen und beantragt zuletzt den
Erlass folgender einstweiliger Verfügung gegenüber der Antragsgegnerin zu 1):
Der Antragsgegnerin zu 1) wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu €
250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis
zu 6 Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten für jeden einzelnen
Fall der Zuwiderhandlung verboten,
a) Lehrbücher oder andere Werke aus dem Verlag der Antragstellerin,
insbesondere die „Einführung in die Neuere Geschichte“ von W. S., zu digitalisieren
oder digitalisieren zu lassen und/oder in digitalisierter Form für öffentliche
Wiedergaben insbesondere an elektronischen Leseplätzen der Universitäts- und
Landesbibliothek XXX zu benutzen, ohne zuvor mit der Antragstellerin geklärt zu
haben, ob letztere das betreffende Werk in digitaler Form zu angemessenen
Bedingungen zur Lizenzierung anbietet;
b) Nutzern der Universitäts- und Landesbibliothek XXX zu ermöglichen, digitale
Versionen der Werke, die im Verlag der Antragstellerin veröffentlicht sind,
insbesondere die „Einführung in die Neuere Geschichte“ von W. S., an
elektronischen Leseplätzen der Bibliothek ganz oder teilweise auszudrucken
und/oder auf USB-Sticks oder andere Träger für digitalisierte Werke zu
vervielfältigen und/oder solche Vervielfältigungen aus den Räumen der Bibliothek
mitzunehmen;
c) Lehrbücher oder andere Werke aus dem Verlag der Antragstellerin,
insbesondere die „Einführung in die Neuere Geschichte“ von W. S., elektronisch
anzubieten, wie es am 19.3.2009 auf der Webseite der Antragsgegner (gemäß
Anlage K 3) geschehen ist.
Die Antragsgegnerin zu 1) beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie behauptet, das von der Antragstellerin unterbreitete Lizenzangebot sei nicht
angemessen gewesen. Die Koordinierungsgruppe des HEBIS - Konsortiums habe
das vorgelegte Angebot geprüft und sodann mit Beschluss vom 2.3.2009
abgelehnt. Die Gründe seien dem UTB Vertriebspartner G. B. & O. durch E-Mail
mitgeteilt worden (Anlage Sch 4). Insbesondere die fehlende Kalkulierbarkeit der
anfallenden Nutzungsgebühren und die Unvereinbarkeit mit den Grundsätzen der
Lehrmittelfreiheit ließen das Lizenzangebot der Antragstellerin nicht als
angemessen erscheinen.
Wegen weiterer Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf die
zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
Der zulässige Antrag ist überwiegend unbegründet.
1. Ein Verfügungsgrund liegt vor. Die Sache ist dringlich, da die berechtigten
Interessen der Antragstellerin an einem zeitnahen Rechtsschutz hier die
Interessen der Antragsgegnerin zu 1) überwiegen.
2. Der Antragstellerin stehen die geltend gemachten Verfügungsansprüche nur in
dem erkannten Umfang zu.
a. Zunächst ist der unter lit. a) geltend gemachte Antrag, der sich auf die
Zulässigkeit der Digitalisierung selbst und das Zugänglichmachen an
elektronischen Leseplätzen bezieht, gemäß § 97 Abs. 1 UrhG unbegründet.
Eine Urheberrechtsverletzung liegt nicht vor. Das von der Antragsgegnerin zu 1)
geschaffene Angebot eines elektronischen Leseplatzes verletzt weder das ihr als
Inhaberin der Nutzungsrechte zustehende Vervielfältigungs-, Verbreitungsrecht,
noch das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung an dem
streitgegenständlichen Werk. Vielmehr ist nach Aktenlage die Schaffung
elektronischer Leseplätze gemäß § 52 b UrhG zulässig.
aa. Unstreitig liegen hinsichtlich beider beanstandeten Verhaltensweisen die
Voraussetzungen des § 52 b UrhG im Wesentlichen vor. Die Antragsgegnerin zu 1)
ist als öffentliche Bibliothek Adressatin der Norm. Das Angebot erfolgt – soweit es
Antrag lit. a) betrifft - lediglich in den Räumen der Antragsgegnerin zu 1). Auch die
Voraussetzungen des § 52 b Satz 2 UrhG sind gegeben, da die Zahl der zur
Veröffentlichung gestellten Exemplare an den eingerichteten elektronischen
Leseplätzen der Stückzahl im Bestand entspricht.
Nach Aktenlage ist zudem davon auszugehen, dass das Angebot lediglich zur
Forschung bzw. für private Studien zugänglich gemacht wird. Die Antragsstellerin
hat Gegenteiliges nicht glaubhaft gemacht. Die von ihr entwickelten Bedenken
hinsichtlich etwaiger Missbrauchsmöglichkeiten und fehlender Kontrollen bleiben
letztendlich spekulativ. Unstreitig weist die Antragsgegnerin zu 1) auf den
gesetzlich limitierten Verwendungszweck hin, wenn dies ursprünglich auch lediglich
durch einen Link geschah. Aus diesem Umstand allein lässt sich jedoch nicht
herleiten, dass die Antragsgegnerin zu 1) ein Zugänglichmachen zu nicht
limitierten Verwendungszwecken ermögliche. Letztlich bleibt – auch bei den von
Antragstellerseite geforderten Kontrollmaßnahmen – der Zweck der Nutzung ein
nur schwer überprüfbares Internum des Nutzers. Auch die von Antragstellerseite
geforderten Kontrollen erweisen sich zum Ausschluss eines Missbrauchs in diesem
entscheidenden Punkt als in gleicher weise problematisch.
Vorstellbare tatsächlich effektive Kontrollen, die zuvor eine detaillierte Darlegung
und Prüfung des Zwecks der Nutzung voraussetzen würden, erweisen sich
erkennbar als unverhältnismäßig und stehen der Intention der Regelung des § 52b
UrhG entgegen. Die intendierte Nutzungspraxis würde auf diesem Wege
vollständig ausgehöhlt.
b. Dies zugrunde gelegt erweist sich zunächst das Zugänglichmachen der
geschaffenen Angebote gem. § 52b UrhG als erlaubt. Ohne Erfolg beruft sich die
Antragstellerin darauf, dass der Anwendung des § 52b UrhG eine „vertragliche
Regelung“ i.S.d. § 52 b Satz 1 UrhG entgegen stünde.
Ob mit dieser Tatbestandsvoraussetzung lediglich bestehende vertragliche
Regelungen gemeint sind oder auch Vertragsangebote erfasst werden sollen, wird
unterschiedlich bewertet (vgl. etwa zum Streitstand Dreyer/Schulze,
Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl., § 52b Rz. 12; Hören MMR 2007, 617; Spindler NJW
2008, S. 13; Wandtke/Bullinger/Jarny, Praxiskommentar zum Urheberrecht, § 52b,
Rz. 27; Fromm/Nordemann-Dustmann, Urheberrechtsgesetz, § 52 b, Rz. 11). Nach
Auffassung der Kammer wird die Anwendung des § 52b UrhG nicht bereits durch
das Vorliegen eines Vertragsangebots ausgeschlossen, wie dies die Antragstellerin
meint.
Nach dem sowohl dem Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang als auch
den Gesetzgebungsmaterialien entnehmbaren Willen des Gesetzgebers soll § 52b
UrhG vielmehr lediglich durch bestehende vertragliche Regelungen
ausgeschlossen werden. Zunächst stellt der Wortlaut von § 52b UrhG in dem hier
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ausgeschlossen werden. Zunächst stellt der Wortlaut von § 52b UrhG in dem hier
maßgeblichen Zusammenhang auf „vertragliche Regelungen“ ab. Bereits dieser
Begriff ist seinem originären Wortverständnis nach – anders als die Antragstellerin
meint – nur schwer mit einem Vertragsangebot vereinbar. Denn ein Angebot bleibt
einseitig und kann deswegen eine „Regelung“ – also eine beidseitig bindende
Vereinbarung – nicht begründen. Dieses originäre Wortverständnis entspricht auch
dem systematischen Zusammenhang der Regelung. Insbesondere differenziert
das Gesetz in § 53a Abs. 1 Satz 3 UrhG, in dem es bereits auf das „Ermöglichen“
einer vertraglichen Regelung abstellt, klar in seinem Wortlaut, wenn bereits ein
Vertragsangebot genügen soll.
Dass es sich hierbei auch nicht um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers
handelt, belegen die Gesetzgebungsmaterialien und die Gesetzgebungshistorie.
Die vorstehend dargestellte Differenzierung findet sich bereits in dem
Gesetzgebungsentwurf der Bundesregierung vom 15.6.2006 (BT-DS 16/1828). Hier
wird ausdrücklich zwischen vertraglichen Regelungen i.S. § 52b UrhG, die getroffen
wurden (BT-DS 16/1828, S. 26), und Angeboten im Sinne § 53a UrhG (BT-DS
16/1828, S. 27) unterschieden. Da der Entwurf in der hier entscheidenden Passage
trotz Kritik (vgl. etwa die Stellung des Sachverständigen Prof. Dr. H. im
Rechtsausschuss vom 20.11.2006, S. 9; Formulierungsvorschlag des Deutschen
Bibliothekenverbandes des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vom
23.3.2007) im Gesetzestext fortgeführt wurde, ist ein Redaktionsversehen des
Gesetzgebers auszuschließen.
Auch Art. 5 Abs. 3 Lit. n der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments
und des Rats vom 22.5.2001 steht dieser Auslegung nicht entgegen, da auch sie
nicht ausdrücklich Lizenzangebote einbezieht. Die Kammer verkennt nicht, dass
durch die vorstehende Auslegung den öffentlichen Bibliotheken eine sehr
komfortabel ausgestaltete Verhandlungsposition im Rahmen von Verhandlungen
mit Verlagen zugesprochen wird. Dies gebietet jedoch kein abweichendes
Auslegungsergebnis, insbesondere liegt kein Verstoß gegen den sog. Drei-Stufen-
Test vor. Der Verlag wird nicht unangemessen benachteiligt, insbesondere sind
auch die öffentlichen Bibliotheken im vorliegenden Fall gehalten, eine
entsprechende Vergütung für die gesetzliche Lizenz zu erstatten. Diese wird über
die VG-Wort ausgehandelt und abgerechnet. Auch stellt sich der hier in Streit
stehende Eingriff im Verhältnis zu den bereits seit Jahrzehnten geltenden Eingriffen
gemäß § 53 Abs. 2 UrhG nicht als wesentlich intensiver dar. Insbesondere die von
Antragstellerseite aufgeführten Umsatzeinbußen und Beeinträchtigungen des
Verlagsangebots liegen nicht nahe und waren bereits Gegenstand intensiver
Diskussionen, welche das Gesetzgebungsverfahren begleitet haben. Der
Gesetzgeber hat in Kenntnis dieser Folgen die Regelung des § 52b UrhG
geschaffen.
c. Auch die beanstandete Digitalisierung der Werke ist von § 52b UrhG gedeckt.
Nach überwiegender Auffassung in der Literatur begründet § 52b UrhG eine
Annex-Berechtigung zur Vervielfältigung des Werkes. Um die Zugänglichmachung
zu ermöglichen, müssen die privilegierten Einrichtungen in aller Regel zunächst
jedoch ein dazu erforderliches digitales Vervielfältigungsstück herstellen.
Ansonsten liefe die fragliche Bestimmung weitgehend leer (vgl. Dreyer/Schulze,
Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl., § 52, Rz. 14; BT-DS 16/1828, S. 26 und BT-DS
16/5939, S. 44; Berger GRUR 2007, 7544, 7556; Spindler NJW 2008, S. 13).
d. Da das Verhalten der Antragsgegnerin gem. § 52b UrhG erlaubt ist, scheiden
auch die geltend gemachten lauterkeitsrechtlichen Ansprüche aus.
2. Entsprechend den vorstehenden Ausführungen steht der Antragstellerin auch
der mit lit. c.) geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu, der sich gegen
ein Angebot von Lehrbüchern im Internet wendet. Der in Anlage K3 abgebildete
Internetauftritt der Antragsgegnerin zu 1) bietet keine Möglichkeit, aus dem
Internet auf die geschaffenen elektronischen Ressourcen zuzugreifen. Als
schlichter Hinweis bzw. Werbung auf das Angebot der Antragstellerin ist jedoch
auch dies gem. § 52b UrhG erlaubt. Insoweit geltend vorstehende Ausführungen
entsprechend.
3. Teilweise Erfolg hat die Antragstellerin mit ihrem unter lit. b) geltend gemachten
Unterlassungsbegehren. Die Antragstellerin kann von der Antragsgegnerin gem. §
97 I UrhG verlangen, es Nutzern nicht zu ermöglichen, digitale Versionen der
Werke, die im Verlag der Antragstellerin veröffentlicht sind, an elektronischen
Arbeitsplätzen auf USB-Sticks oder andere Träger für digitalisierte Werke zu
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Arbeitsplätzen auf USB-Sticks oder andere Träger für digitalisierte Werke zu
vervielfältigen bzw. diese Vervielfältigungen aus den Räumen der Bibliothek
mitzunehmen. Dagegen war das gegen die Möglichkeit eines Ausdrucks der
digitalisierten Werke gerichtete Unterlassungsbegehren zurückzuweisen.
Der Antragstellerin ist in diesem Zusammenhang zuzugeben, dass sich die
Berechtigung dieses Angebots nicht aus § 53 UrhG ergeben kann. Weder der
Wortlaut des § 52b UrhG erhält einen Hinweis auf eine Anwendungsmöglichkeit des
§ 53 UrhG, noch spricht die Systematik des geschaffenen Normgefüges für eine
derartige Auslegung. Allerdings ergibt sich die grundsätzliche Berechtigung zum
Ausdruck der geschaffenen elektronischen Inhalte als Annexkompetenz aus § 52b
UrhG selbst.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der geschaffene § 52b UrhG eine Nutzung
ermöglichen, die der analogen Nutzung vergleichbar ist (BT-DS 16/1828, S. 26).
Da das Angebot hier im Wesentlichen auf wissenschaftliche Arbeit mit Texten
gerichtet ist, umfasst dies auch die Möglichkeit eines Ausdrucks. Eine sinnvolle
Arbeit mit längeren Texten setzt regelmäßig die Möglichkeit voraus, in etwaigen
Kopien zentrale Passagen des Textes zu markieren und diese in Auszügen auch
aus der Bibliothek zum weitergehenden Studium an anderen Ort mitzunehmen.
Ließe das Gesetz eine derartige Möglichkeit nicht zu, wäre das geschaffene
Angebot einem analogen Angebot nicht vergleichbar, sondern beschränkte sich
wohl für die überwiegende Anzahl der wissenschaftlichen Nutzer im Wesentlichen
auf die Möglichkeit einer Überprüfung von Zitaten. Ohne Erfolg beruft sich die
Antragstellerin in diesem Zusammenhang darauf, dass der hierdurch geschaffene
Eingriff intensiver sei als die existierende Kopiermöglichkeit im Rahmen von § 53
UrhG. Das Gesetz rechtfertigt in jedem Falle keine vollständige Kopie des Werkes,
sondern lediglich eine teilweise Ablichtung einzelner Passagen. Vor diesem
Hintergrund erweisen sich die besorgten Unterschiede nicht als derart intensiv. Sie
sind vielmehr Folge und auch Zweck der geschaffenen Neuregelung, welche einer
Förderung der Medienkompetenz der Bevölkerung dienen soll.
Diese Annexkompetenz rechtfertigt jedoch lediglich das Angebot, von den
geschaffenen elektronischen Ressourcen Ausdrucke zu fertigen. Nicht mehr
erfasst ist jedoch die geschaffene Möglichkeit, die Digitalisate als Datei auf ein
digitales Medium zu speichern und aus der Bibliothek mitzunehmen. Denn insoweit
überschreitet das Angebot die weiteren Voraussetzungen des § 52b UrhG. Nach
dem eindeutigen Wortlaut des § 52b UrhG muss sich das Angebot auf eine
Nutzung in den Räumen der Bibliothek beschränken. Ließe man die Speicherung
und Mitnahme der Digitalisate selbst zu, würde – anders als bei der Mitnahme
eines Ausdrucks – eine Nutzung des geschaffenen Angebots auch außerhalb der
Räumlichkeiten der Bibliothek ermöglicht. Dies ist durch die geschaffene Regelung
nicht mehr gedeckt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich gem. §§ 92, 100, 269 ZPO nach den
Grundsätzen der sog. Baumbach'schen Kostenformel.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.