Urteil des LG Frankfurt am Main vom 24.09.2008

LG Frankfurt: mangelhafte unterhaltung, erfahrung des lebens, akte, unbeteiligter dritter, blitzableiter, naturereignis, haus, mangelhaftigkeit, gebäude, wertminderung

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Gericht:
LG Frankfurt 15.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-15 S 108/08,
2/15 S 108/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB, § 836 Abs 1
S 2 BGB
Haftung des Grundstücksbesitzers: Anscheinsbeweis bei
Schäden durch herabfallende Bauteile eines nicht durch
Blitzableiter geschützten Schornsteins infolge
Blitzeinschlags
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main
vom 09.05.2008, Az.: 29 C 235/08-21 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 796,00 nebst Zinsen von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 02.08.2007
sowie vorgerichtliche Kosten von Euro 489,45 nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 03.02.2008 zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sofern zukünftig aufgrund
der erfolgten Inanspruchnahme des Kaskoversicherers durch den Ehemann der
Klägerin wegen des Schadensereignisses vom 11.06.2007 eine Mehrprämie in der
Kaskoversicherung entsteht, diese zu ersetzen.
3.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des
Berufungsverfahrens zu tragen.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5.
Die Revision wird nicht zugelassen.
6.
Der Berufungsstreitwert wird festgesetzt auf 1.867,06 Euro.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung von Schadensersatz und
Feststellung der Ersatzpflicht von Versicherungsmehrprämien aus abgetretenem
Recht.
Die Beklagte ist Eigentümerin eines von ihr und weiteren Mietparteien bewohnten
Mehrfamilienhauses in der ... in .... Das Haus wurde im Jahr 1968 erbaut und
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Mehrfamilienhauses in der ... in .... Das Haus wurde im Jahr 1968 erbaut und
verfügt über keinen Blitzableiter.
Das Haus steht nach rechts und links unmittelbar angrenzend an weitere
Mehrfamilienhäuser und überragt das Nachbarhaus zur linken Seite um rund einen
Meter (vgl. Lichtbild, Bl. 12 der Akte).
Am Morgen des 11.06.2007 schlug ein Gewitterblitz in den Schornstein des
Hauses der Beklagten ein und zerstörte ihn. Durch die herabfallenden Bauteile des
Schornsteins und andere Materialien wurde der vor dem Haus ordnungsgemäß
geparkte Pkw Mercedes Benz des Ehemannes der Klägerin beschädigt.
Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte mit Schreiben
vom 27.06.2007 (vgl. Bl. 39 ff. der Akte) erfolglos zur Zahlung aufgefordert hatte,
zahlte die Vollkaskoversicherung des Ehemannes der Klägerin nach Abzug eines
Selbstbehalts von Euro 150,00 im Oktober und November 2007 anteilige
Reparatur- und Sachverständigenkosten von insgesamt ca. Euro 4.100,00.
Durch die Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung entstand dem Ehemann
der Klägerin ein Rückstufungsschaden von Euro 382,52 für das Jahr 2008.
Der Ehemann der Klägerin trat seine Schadensersatzansprüche gegen die
Beklagte an die Klägerin ab (vgl. die Abtretung vom 08.02.2008, Bl. 54 der Akte).
Mit der Klage macht die Klägerin Schadensersatz für den von der Versicherung in
Abzug gebrachten Selbstbehalt von Euro 150,00, eine Wertminderung von Euro
350,00 (vgl. das Gutachten des Sachverständigen ... vom 26.06.2007, Bl. 16-30
der Akte) sowie Nutzungsausfall von Euro 236,00 (4 Tage à Euro 59,00, vgl. die
Reparaturbestätigung des Sachverständigen ... vom 18.12.2007, Bl. 27 der Akte
und Seite 10 des Gutachtens des Sachverständigen ... Bl. 25 der Akte), Kosten für
die Reparaturbestätigung von Euro 35,00 (vgl. Bl. 26 der Akte) sowie eine
Auslagenpauschale von Euro 25,00, insgesamt also Euro 796,00 geltend.
Ferner begehrt sie Feststellung der Ersatzpflicht der auf der Inanspruchnahme der
Versicherung beruhenden Versicherungsmehrprämie und Zahlung vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten von Euro 489,45.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte hafte für die entstandenen
Schäden nach § 836 BGB.
Die fehlende Anbringung eines Blitzableiters stelle eine fehlerhafte Errichtung des
Gebäudes dar. Auch die Voraussetzungen des § 13 Abs. 4 HBO seien erfüllt. In
diesem Zusammenhang sei vor allem zu berücksichtigen, dass es sich um ein
Haus älterer Beschaffenheit handele, welches von einer Vielzahl von Mietern
bewohnt werde und sich in einem dichten Wohngebiet mit gesteigertem
Verkehrsaufkommen befinde. Zudem sei das Haus höher als 20 m, überrage die
angrenzenden Häuser und stehe an exponierter Höhenlage in ....
Die Klägerin hat außerdem behauptet, die Beklagte habe regelmäßige Kontroll-
und Wartungsarbeiten am Schornstein des Hauses versäumt. Wären diese
durchgeführt worden, wäre festgestellt worden, dass der Schornstein Blitze
anziehe und gegen diese nicht geschützt sei. Eine Begehung durch den
Schornsteinfeger sei nicht ausreichend.
Sie hat gemeint, für die Mangelhaftigkeit des Gebäudes spreche der Anschein, weil
sich bei Witterungseinflüssen Gebäudeteile abgelöst hätten.
In der ersten Instanz hat die Klägerin Zahlung von Euro 796,00 und vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten von Euro 489,45, jeweils nebst Zinsen sowie Feststellung der
Ersatzpflicht künftiger, auf dem Schadensereignis beruhender
Versicherungsmehrprämien begehrt. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Die Beklagte hat gemeint, die Anbringung eines Blitzableiters sei nicht erforderlich
gewesen. Keines der benachbarten Gebäude verfüge über Blitzableiter.
Sie hat die Ansicht vertreten, der Blitzeinschlag sei alleine auf das damals
herrschende Unwetter und nicht auf eine fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte
Unterhaltung des Gebäudes zurückzuführen. Es sei anerkannt, dass
Naturereignisse, wie orkanartige Stürme, den Anscheinsbeweis erschüttern und
eine Haftung ausschließen.
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Die Beklagte hat behauptet, der streitgegenständliche Kamin sei regelmäßig
überwacht worden. Er habe sich bei einer Begehung, die durch den
Schornsteinfeger ... zwei Monate vor dem Schadensfall erfolgt sei, in
einwandfreiem Zustand befunden.
Die Beklagte hat ferner die Ansicht vertreten, dass die vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten der Klägerin nur aus dem Gegenstandswert der Klage
berechnet werden könnten.
Das Amtsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen ... (vgl. Bl.
74 der Akte) und sodann hat das Amtsgericht die Klage durch Urteil vom
09.05.2008 abgewiesen (vgl. Bl. 94 ff. der Akte).
Begründet hat das Amtsgericht seine Entscheidung damit, dass die
Voraussetzungen für eine Ersatzpflicht nach § 836 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht
gegeben seien. Dabei könne offenbleiben, ob der bei Ablösung von Gebäudeteilen
begründete Anscheinsbeweis für die Mangelhaftigkeit des Gebäudes oder seiner
Unterhaltung auch dann eingreife, wenn die Ablösung, wie hier, auf einen
Blitzschlag und damit auf ein eher selten vorkommendes Naturereignis
zurückzuführen sei. Die Beklagte habe sich vorliegend nach § 836 Abs. 1 Satz 2
BGB exkulpieren können. Die Beweisaufnahme mit dem Zeugen ... habe ergeben,
dass der Zeuge den Zustand des Schornsteins wenige Monate vor dem
Schadensereignis überprüft und Mängel nicht festgestellt habe. Mit dieser
baulichen Kontrolle habe die Beklagte ihrer Sorgfaltspflicht genügt.
Ein weiterer Sorgfaltspflichtverstoß sei auch nicht darin zu sehen, dass das Haus
über keinen Blitzableiter verfüge. Ein solcher sei nach § 13 Abs. 4 HBO nur bei
besonders gefährdeten Gebäuden vorgeschrieben, bei denen nach Lage, Bauart
oder Nutzung ein Blitzschlag leicht eintreten oder zu schweren Folgen führe könne.
Diese Voraussetzungen, wie sie in der Kommentierung von Hornmann (vgl.
Hornmann 2004, § 13 Rn. 49) näher definiert seien, würden bei dem
streitgegenständlichen Gebäude nicht vorliegen.
Gegen das Urteil, das der Klägerin am 15.05.2008 zugestellt wurde, hat sie mit
einem am 26.05.2008 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt
und mit einem am 09.06.2008 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Klägerin verfolgt mit der Berufung die erstinstanzlich geltend gemachten
Ansprüche vollumfänglich weiter.
Die Klägerin meint, das Amtsgericht hätte den zugunsten der Klägerin für die
Mangelhaftigkeit des Gebäudes sprechenden Anscheinsbeweis berücksichtigen
müssen. Bei einem Blitz handele es sich um ein voraussehbares und gewöhnliches
Naturereignis.
Außerdem habe das Amtsgericht rechtsfehlerhaft keinen Beweis erhoben zur
Frage der Erforderlichkeit eines Blitzableiters.
Ferner habe das Amtsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Abs. 4
HBO unrichtigerweise verneint.
Zu Unrecht habe das Amtsgericht seine Entscheidung hinsichtlich der Erfüllung der
Kontroll- und Überwachungspflichten außerdem auf das Ergebnis der Vernehmung
des Schornsteinfegers ... gestützt. Der Schornsteinfeger sei aber als
Entlastungsbeweis ungeeignet. Zu den Aufgaben eines Bezirksschornsteinfegers
gehöre es schließlich nicht, dem Eigentümer Mängel anzuzeigen.
Zudem habe die Vernehmung des Zeugen ... ergeben, dass die gebotenen
Kontroll- und Wartungsarbeiten am streitgegenständlichen Schornstein gerade
nicht vorgenommen worden seien.
Die Klägerin beantragt,
Auf die Berufung der Klägerin wird das angefochtene Urteil des AG Ffm vom
09.05.2008, Az.: 29 C 235/08-21 abgeändert:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 796,00 nebst Zinsen von 5 %
über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit 02.08.2007 sowie
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über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit 02.08.2007 sowie
vorgerichtliche Kosten von Euro 489,45 nebst Zinsen von 5 % über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sofern zukünftig aufgrund
der erfolgten Inanspruchnahme des Kaskoversicherers durch den Ehemann der
Klägerin wegen des Schadensereignisses vom 11.06.2007 eine Mehrprämie in der
Kaskoversicherung entsteht, diese zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Frage, ob der Schornstein ausreichend überwacht worden sei, sei nach
Vernehmung des Bezirksschornsteinfegermeisters ... zugunsten der Beklagten
beantwortet.
Es sei auch kein Sachverständigengutachten zur Frage der Notwendigkeit einer
Blitzschutzanlage einzuholen gewesen. Zutreffend habe das Amtsgericht
ausgeführt, dass bei einem Blitzschlag kein Anscheinsbeweis zugunsten der
Klägerin streite. Dies folge auch aus § 13 Abs. 4 HBO, der nur in bestimmten und
hier nicht vorliegenden Fällen die Anbringung einer Blitzschutzanlage fordere.
Die Klägerin habe daher den Nachweis des objektiv mangelhaften Zustands des
Gebäudes nicht erbracht.
Zudem habe sich die Beklagte, wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt habe,
nach § 836 Abs. 1 Satz 2 BGB exkulpiert.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht
eingelegt.
Die Berufung ist vollumfänglich begründet.
Das angefochtene Urteil war abzuändern und die Beklagte entsprechend den
Anträgen der Klägerin zu verurteilen.
Die Klägerin kann von der Beklagten Zahlung von insgesamt Euro 796,00
(Selbstbehalt, Wertminderung, Nutzungsausfall, Kosten für die
Reparaturbestätigung, Auslagenpauschale) nach §§ 836, 249 BGB verlangen.
Anders als das Amtsgericht meint, durfte nicht offenbleiben, ob zugunsten der
Klägerin ein Anscheinsbeweis für die Mangelhaftigkeit des Gebäudes oder seiner
Unterhaltung im Sinne von § 836 Abs. 1 Satz 1 BGB spricht oder nicht. Dies mag
zwar hinsichtlich des Vorwurfs der nicht ordnungsgemäßen Beschaffenheit des
Schornsteins gelten, wenn man mit dem Amtsgericht davon ausginge, dass der
Beklagten die Führung des Entlastungsbeweises nach § 836 Abs. 1 Satz 2 BGB
gelungen ist.
Etwas anderes muss aber hinsichtlich des hiervon zu unterscheidenden Vorwurfs
des fehlenden Blitzableiters gelten. Dass ein Blitzableiter fehlt, ist unstreitig.
In diesem Zusammenhang kommt es durchaus darauf an, ob zugunsten der
Klägerin ein Anscheinsbeweis streitet. Der Beweis der Fehlerhaftigkeit des
Bauwerks und der Ursächlichkeit für das schädigende Ereignis wird dem
Geschädigten nach allgemeiner Meinung durch einen Beweis des ersten Anscheins
erleichtert, weil ordnungsgemäß errichtete und unterhaltene Bauwerke
normalerweise weder einstürzen noch Teile verlieren (vgl. u. a. BGH, Urteil vom
04.04.2006, Az.: VI ZR 151/05 und vom 23.03.1993, Az.: VI ZR 176/92; Palandt-
Sprau, Kommentar zum BGB, 67. Auflage 2008, § 836 Rdnr. 9; Münchener-
Wagner, Kommentar zum BGB, Band 5, 4. Auflage 2004, § 836 Rdnr. 5 f.). Der
Anscheinsbeweis ist aber erschüttert, wenn ein außergewöhnliches Naturereignis
vorliegt (vgl. Rechtsprechung und Kommentierung wie vor). Problematisch ist, ob
ein Blitzeinschlag in den Schornstein eines Wohnhauses als solch
außergewöhnliches Ereignis anzusehen ist. Nach Ansicht der Kammer ist dies nicht
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außergewöhnliches Ereignis anzusehen ist. Nach Ansicht der Kammer ist dies nicht
der Fall (a. A. Palandt-Sprau, § 836 Rdnr. 9).
Gegenstand ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung waren bislang
Sachverhalte, die Schäden durch andere Ursachen, wie vor allem durch
orkanartige Stürme, betrafen. In diesem Zusammenhang hat der BGH bereits in
seinem Urteil vom 23.03.1993, Az.: VI ZR 176/92 festgestellt, dass ein
Hausbesitzer grundsätzlich auch ungewöhnliche, aber mögliche Sturmstärken in
seine Betrachtung einbeziehen und entsprechende Vorsorge für die Festigkeit der
Gebäudeteile treffen müsse. Der Anscheinsbeweis könne in der Regel nicht
dadurch erschüttert werden, dass das Schadensereignis durch eine besonders
starke Sturmböe verursacht worden sei.
Auch im Urteil vom 27.04.1999, Az.: VI ZR 174/98 hat der BGH diesen Grundsatz
bestätigt und ausgeführt, dass der Anscheinsbeweis bei Schäden, verursacht
durch starke Sturmböen, nur dann erschüttert werde, wenn ein absolut
außergewöhnliches Naturereignis vorliege. Handelt es sich dagegen um
Ereignisse, mit denen nach der Erfahrung des Lebens zu rechnen sei, so müsse
ein mit einem Grundstück verbundenes Werk so beschaffen sein, dass es auch
solchen Einwirkungen standhalte. Ungewöhnlich starker Wind sei grundsätzlich in
Betracht zu ziehen.
Dass der zugunsten des Geschädigten sprechende Anscheinsbeweis nur unter
ganz engen Voraussetzungen entkräftet werden kann, entspricht auch der
Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Zweibrücken in seiner Entscheidung vom
29.01.2002, Az.: 3 W 11/02 und der des Oberlandesgerichts Koblenz in seiner
Entscheidung vom 09.02.2004, Az.: 12 U 11/03 (anders als dies der Verweis in der
Kommentierung von Palandt-Sprau, § 836 Rdnr. 9 glauben lässt).
In beiden Entscheidungen ging es um Schäden, die der im Dezember 1999
aufgetretene Orkan "Lothar" angerichtet hatte. Beide Gerichte hatten zwar den
Anscheinsbeweis als erschüttert angesehen, weil der Orkan "Lothar"
Windgeschwindigkeiten von bis zu 153 km/h und Windstärken im Bereich von
Beaufort 14 aufwies. Windgeschwindigkeiten in derartiger Größenordnung würden –
so die Gerichte – eine absolute Ausnahme darstellen, die in 50 bis 100 Jahren nur
einmal auftrete. Da es sich infolgedessen bei dem Orkan "Lothar" um ein völlig
außergewöhnliches, äußerst seltenes Naturereignis handele, sei der
Anscheinsbeweis erschüttert. Bei Sturmböen hingegen, die zwar stark, aber nicht
als derart außergewöhnlich wie Sturm "Lothar" anzusehen seien, bleibe der
Anscheinsbeweis bestehen.
Diese Grundsätze lassen sich auf andere Naturereignisse, wie Blitzeinschläge,
übertragen.
Zu einem Blitzeinschlag mag es zwar innerhalb bebauter Ortschaften nicht
besonders häufig kommen, er stellt aber kein derart außergewöhnliches und
absolut seltenes Naturereignis dar, wie ein Jahrhundertorkan. Vielmehr handelt es
sich bei einem Blitzeinschlag angesichts der gerichtsbekanntermaßen
auftretenden Vielzahl auch schwerer Unwetter mit Donnern und Blitzen auch im ...,
durchaus um ein Witterungsereignis, mit dem ein Grundstücksbesitzer rechnen
und entsprechende Vorsorge für die Festigkeit der Gebäudeteile treffen muss.
Zugunsten der Klägerin streitet daher ein Anscheinsbeweis für die fehlerhafte
Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung des Gebäudes und deren Ursächlichkeit
für den eingetretenen Schaden am Fahrzeug. Das Verschulden der Beklagten wird
dabei vermutet (so allgemeine Meinung, vgl. stellvertretend: Palandt-Sprau, § 836
Rdnr. 1). Ein Sachverständigengutachten zur Frage der Erforderlichkeit eines
Blitzableiters war nicht einzuholen.
Der Beklagten ist der ihr nach § 836 Abs. 1 Satz 2 BGB mögliche
Entlastungsbeweis nicht gelungen. Nach § 836 Abs. 1 Satz 2 BGB tritt die
Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Besitzer zum Zwecke der Abwendung der Gefahr
die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Nach der Rechtsprechung
des BGH (vgl. stellvertretend das Urteil vom 23.03.1993, Az.: VI ZR 176/92) sind
an die Verpflichtung des für die Gebäudesicherheit Verantwortlichen, an die
Substantiierung des dahingehenden Vortrags und an seinen Nachweis hohe
Anforderungen zu stellen. Zwar brauche der Gebäudeunterhaltungspflichtige – so
der BGH – nicht alle Gefahren der in § 836 BGB beschriebenen Art vollständig
auszuschließen; für die Anforderungen an die Gefahrensicherung sei insbesondere
auf die Sicherungserwartungen des Verkehrs abzustellen. Allerdings habe der
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auf die Sicherungserwartungen des Verkehrs abzustellen. Allerdings habe der
Verantwortliche wegen der erheblichen Gefahren, die von herabfallenden
Dachteilen für die Gesundheit und das Eigentum unbeteiligter Dritter drohen, alle
zumutbaren Maßnahmen zu treffen, die aus technischer Sicht geboten und
geeignet seien, die Gefahr einer Ablösung der Dachteile rechtszeitig zu erkennen
und ihr zu begegnen; dies gelte umso mehr, je älter das Gebäude und seine
Dachkonstruktion sei.
Der Beklagten wäre es aus technischer Sicht ohne weiteres möglich und auch aus
wirtschaftlicher Sicht zumutbar gewesen, einen Blitzableiter oder sonstige
Blitzschutzanlagen anzubringen. Eine Blitzschutzanlage wäre grundsätzlich auch
geeignet gewesen, eine Zerstörung des Schornsteins durch Blitzeinschlag und ein
nachfolgendes Herabstürzen von Schuttteilen auf das Fahrzeug des Ehemanns
der Klägerin zu verhindern.
Die Beklagte hat, obwohl sie diesbezüglich darlegungspflichtig gewesen wäre, nicht
vorgetragen, inwiefern eine Blitzschutzanlage, zur Vermeidung der eingetretenen
Schäden nicht geeignet bzw. die Anbringung unzumutbar wäre.
An der zivilrechtlichen Verpflichtung der Beklagten zur Anbringung einer
Blitzschutzanlage ändert der Umstand nichts, dass die Anbringung einer
Blitzschutzanlage aus öffentlich-rechtlicher Sicht möglicherweise nicht erforderlich
war. Das Amtsgericht hat hierzu ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 13
Abs. 4 HBO nicht vorliegen. § 13 Abs. 4 HBO sieht vor, dass bauliche Anlagen, bei
denen nach Lage, Bauart oder Nutzung Blitzschlag leicht eintreten oder zu
schweren Folgen führen kann, mit dauernd wirksamen Blitzschutzanlagen zu
versehen sind. Welche konkreten äußeren Umstände eine solche erhöhte
Gefährdung mit sich bringen, ist fraglich. Nach den diesbezüglich aussagekräftigen
Kommentierungen zur HBO (vgl. Hornmann, 2004, § 13 HBO Rdnr. 49 und auch
Rasch/Schaetzell, § 17 HBO a. F. Punkt 2.4) ist dies nur der Fall bei baulichen
Anlagen, die von der Lage her ihre Umgebung wesentlich überragen (z. B. Turm,
hohes Einzelgebäude, Bergruine auf Kuppe), deren Nutzung ein besonderes Risiko
birgt (z. B. für Spannungsschwankungen empfindliche Installationen oder Güter)
oder bei denen sich aufgrund der Nutzung schwere Folgen ergeben können (z. B.
Kindergärten, Schulen, Versammlungsstätten oder sonstige Anlagen, in denen
sich ihrer Zweckbestimmung oder ihrem Umfang nach Menschen in größerer Zahl
aufhalten können). Dass das streitgegenständliche Gebäude diese
Voraussetzungen erfüllt, erscheint eher zweifelhaft, brauchte vorliegend aber nicht
geklärt zu werden.
Die von der Klägerin geltend gemachten Schadenspositionen (Selbstbehalt,
Wertminderung, Nutzungsausfall, Kosten für die Reparaturbestätigung,
Auslagenpauschale), die in der Summe Euro 796,00 ergeben, sind nach §§ 836,
249 BGB vollumfänglich ersatzfähig.
Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der
Ersatzpflicht der Versicherungsmehrprämie. Der Antrag ist auch begründet, da die
Beklagte der Klägerin nach § 249 BGB alle ursächlich auf das Schadensereignis
zurückzuführenden Nachteile zu ersetzen hat.
Die Beklagte schuldet der Klägerin auch Ersatz der vorgerichtlich entstandenen
Anwaltskosten von Euro 489,45 sowie Verzugszinsen in der geltend gemachten
Höhe gemäß §§ 288, 286 BGB.
Dabei konnten die Rechtsanwaltskosten auch aus dem vollen Gegenstandswert
von Euro 4.901,28 berechnet werden. Schließlich befand sich die Beklagte, bevor
die Zahlungen der Vollkaskoversicherung erfolgten, aufgrund des anwaltlichen
Schreibens vom 27.06.2007 mit dem vollen Schadensbetrag in Verzug.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 ZPO, 100 Abs. 4, 708 Nr. 10,
713 ZPO.
Die Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des
§ 543 ZPO nicht vorliegen.
Der Berufungsstreitwert von insgesamt Euro 1.867,06 setzt sich zusammen aus
dem Wert des bezifferten Zahlungsantrags in der Hauptsache von Euro 796,00
und dem für das Feststellungsbegehren angesetzten Wert von Euro 1.071,06.
Letzterer Betrag wurde entsprechend § 9 ZPO ermittelt aus dem
dreieinhalbfachen Wert des Mehrbetrags von Euro 382,52 pro Jahr abzüglich eines
dreieinhalbfachen Wert des Mehrbetrags von Euro 382,52 pro Jahr abzüglich eines
Abschlags von 20 % für das Feststellungsbegehren (Euro 382,52 x 3,5 ./. 20 %).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.