Urteil des LG Frankfurt am Main vom 12.09.2008

LG Frankfurt: besondere gefahr, bus, kriminalität, brasilien, flughafen, entschädigung, interview, quelle, vollstreckung, hotel

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Gericht:
LG Frankfurt 19.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2/19 O 105/08, 2-
19 O 105/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 651c Abs 1 BGB
Reisemangel: Kriminalität in Brasilien als allgemeines
Lebensrisiko
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht
die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger und seine Familie, bestehend neben dem Kläger aus seiner Ehefrau
und zwei kleinen Kindern, buchten bei der Beklagten eine Reise in das Hotel "..." in
P in der Region um S (Brasilien) für die Zeit vom 10. bis 25. Dezember 2007 zum
Preis von insgesamt 4.411 Euro.
Der Kläger und seine Familie landeten am späten Abend des 10. Dezember 2007
auf dem Flughafen in S, der Hauptstadt des Bundesstaates B. Von dort sollten sie
mit einem Transferbus zusammen mit einer Anzahl weiterer Reisender zu ihrem
Hotel gebracht werden. Auf der E, einer mautpflichtigen Überlandstraße, die Teil
der L ist, wurde der Bus von einer Gruppe von etwa 10 bis 15 mit großkalibrigen
Handfeuerwaffen und Maschinenpistolen bewaffneten Personen – über die genaue
Zahl und Bewaffnung streiten die Parteien – angehalten und ausgeraubt. Die Täter
nahmen das gesamte Gepäck der Reisenden und deren Wertsachen an sich.
Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes wird zu Brasilien unter der Überschrift
"Landesspezifische Sicherheitshinweise" vor Überfällen auf Zubringerbusse zu den
Flughäfen in R und S, aber auch auf Busse des öffentlichen Nahverkehrs und
Überlandbusse gewarnt. Außerdem wird auf die hohe Kriminalität in den
Großstädten wie S hingewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf zur Akte
gereichten Ausdruck Bl. 75 d.A. verwiesen.
Der Kläger behauptet, in dem Gebiet um S habe es ähnliche Überfälle bereits in
der Vergangenheit gegeben. Bei einem Vorfall seien sogar sämtliche Opfer im Bus
getötet worden. Bewaffnete Überfälle auf Busse nähmen in der Region ständig zu.
Konkrete Angaben zu Überfällen hat er trotz ausdrücklicher Aufforderung des
Gerichts nicht gemacht. Er verweist nur auf einige von ihm selbst übersetzte
angebliche Internetquellen. Wegen der Einzelheiten seines diesbezüglichen
Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 22.08.2008, S. 2 f. (Bl. 87 f. d.A.)
verwiesen. Die dazugehörenden kompletten Ausdrucke in portugiesischer Sprache
hat der Kläger erst nach Ablauf der für das schriftliche Verfahren gesetzten
Schriftsatzfrist vorgelegt, mit dem fristgerecht eingegangenen Fax ist nur der
Schriftsatz ohne Anlagen übermittelt worden.
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Der Kläger meint, die Beklagte habe hinsichtlich des Transfers für Polizeischutz
sorgen müssen. Hierzu verweist er auf seine teilweise Übersetzung eines
angeblichen Interviews des Fremdenverkehrsministers (der sich in dem Interview
allerdings als Gouverneur bezeichnet) des Bundesstaates B. In diesem Interview
habe der Minister erklärt, es bestehe die Möglichkeit, Gruppen durch die Polizei
eskortieren zu lassen, aber es sei nicht möglich, jeden Bus zu eskortieren, der den
Flughafen S verlasse.
Der Kläger meint weiter, die Beklagte habe eine Hinweispflicht verletzt.
Der Kläger behauptet, ihm und seiner Familie sei durch den Überfall ein materieller
Schaden in Höhe von insgesamt 5.585,20 Euro entstanden. Wegen der
Einzelheiten seines diesbezüglichen Vortrags wird auf die Ausführungen in der
Klageschrift, S. 6 (Bl. 6 d.A.) und im Schriftsatz vom 17.07.2008, S. 7 f. (Bl. 61 f.
d.A.) verwiesen. Mit der Klage beansprucht er außerdem Minderung in Höhe von
2.220,50 Euro, unbeziffert Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter
Urlaubszeit, wobei er als angemessen mindestens 1.230 Euro ansieht, sowie
vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 775,64 Euro.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 8.581,34 Euro
sowie eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung wegen vertanen
Urlaubs jeweils nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 7.805,70 Euro
zuzüglich der Entschädigung wegen vertanen Urlaubs seit 07.05.2008 und aus
775,64 Euro seit 19.05.2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Kläger sei teilweise bereits nicht aktivlegitimiert. Im Übrigen
habe sie keine Pflichten verletzt, der Überfall betreffe das allgemeine Lebensrisiko
des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte.
Dabei kann dahinstehen, inwieweit der Kläger aktivlegitimiert ist. Jedenfalls war die
Reise nicht im Rechtssinne mangelhaft, so dass der Kläger weder Anspruch auf
Minderung noch Schadensersatz hat, auch nicht wegen nutzlos aufgewendeter
Urlaubszeit.
Die Reise war nicht mangelhaft im Sinne des § 651c Abs. 1 BGB. Der Überfall auf
den Bus stellt keinen Reisemangel dar. Vielmehr gehört dieser Vorfall zum Bereich
des allgemeinen Lebensrisikos, für den der Reiseveranstalter nicht haftet (vgl. BGH
NJW 2005, 1420, 1422).
Kriminalität im Zielgebiet und allgemeine Gefahren des Überfalls und Diebstahls in
der Urlaubsregion sind als Fälle des allgemeinen Lebensrisikos anerkannt (s. nur
OLG München NJW-RR 2004, 1698). Vor diesem brauchte die Beklagte den Kläger
und seine Familie nicht zu schützen. Aber selbst wenn eine Pflicht der Beklagten,
sich um Polizeischutz zu bemühen, zu bejahen wäre, so fehlt es an der Kausalität
einer etwaigen Pflichtverletzung. Aus dem vom Kläger selbst vorgelegten Interview
ergibt sich, dass die brasilianischen Behörden nicht imstande sind, jeden vom
Flughafen abgehenden Bus eskortieren zu lassen, so dass offen bleibt, ob die
Beklagte tatsächlich Polizeischutz hätte erwirken können. Schließlich ist auch
zweifelhaft, ob sich die zahlreichen schwerbewaffneten Täter durch eine
Polizeieskorte von ihrer Tat hätten abbringen lassen.
Nicht um allgemeines Lebensrisiko handelt es sich dann, wenn nicht das im
Zielgebiet allgemein herrschende Kriminalitätsrisiko in Rede steht, sondern eine
gegenüber dem allgemeinen Risiko deutlich erhöhte Überfallgefahr besteht (BGH
NJW 1981, 1521 (noch zum alten Recht); OLG Karlsruhe NJW-RR 1993, 1076, 1077;
Führich, Reiserecht, Rn. 247). Der Kläger hat aber trotz ausdrücklicher
Aufforderung des Gerichts nicht substantiiert dargetan, dass auf der hier in Rede
stehenden E eine solche Gefahr bestanden hätte.
Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes finden sich Warnungen hinsichtlich
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Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes finden sich Warnungen hinsichtlich
Transfers von Touristen von und zu den Flughäfen R und S, nicht aber im
Zusammenhang mit dem Flughafen S. Der vage Vortrag des Klägers zu "ähnlichen
Überfällen in der Vergangenheit" ist nichtssagend. Wertlos ist auch die zitierte
Internetquelle vom 6. November 2007, da bereits nicht ersichtlich ist, wer deren
Urheber ist und in welchem Kontext sie steht. Soweit sich diese Informationen aus
dem kompletten Internetausdruck ergeben sollten, kann dieser, abgesehen davon,
dass er in portugiesischer Sprache abgefasst und ohne Übersetzung vorgelegt
worden ist (§ 184 Satz 1 GVG), schon wegen § 296a Satz 1 ZPO nicht mehr
berücksichtigt werden (vgl. Zöller-Greger § 128 Rn. 14 zur Anwendung des § 296a
ZPO im schriftlichen Verfahren), ohne dass dies Anlass zur Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung gibt. Auch die weiteren Texte sind unergiebig. Die eine
Quelle bezieht sich auf einen Vorfall im Februar 2008, also nach den
streitgegenständlichen Ereignissen, bei der anderen ist bereits nicht ersichtlich,
dass die E gemeint ist.
Die Beklagte hat auch keine Hinweispflichten verletzt. Auf die allgemein in Brasilien
herrschende Kriminalität brauchte sie nicht hinzuweisen, da diese aus zahlreichen
Medienberichten als bekannt vorausgesetzt werden konnte (vgl. OLG München
NJW-RR 2004, 1698). Eine besondere Gefahr speziell für den Urlaub des Klägers
und seiner Familie, auf die womöglich hätte hingewiesen werden müssen, ist
hingegen nicht ersichtlich, wie soeben dargetan.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709
Satz 2 ZPO.
Der Schriftsatz des Klägers vom 10. September 2008 kann gemäß § 296a Satz 1
ZPO nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. oben). Er gibt keinen Anlass zur
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
Streitwert: 9.035,70 Euro (5.585,20 Euro + 2.220,50 Euro + 1.230 Euro)
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.