Urteil des LG Frankfurt am Main vom 30.03.2009

LG Frankfurt: versetzung, grad des verschuldens, rechtspflege, disziplinarverfahren, strafbefehl, verantwortlichkeit, gefährdung, vollstreckung, hessen, richteramt

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Gericht:
Hessischer
Dienstgerichtshof
für Richter
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
DGH 3/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 31 Nr 2 DRiG, § 70 RiG HE, §
184b Abs 4 StGB
Leitsatz
(Keine weiteren Angaben)
Tenor
Die Berufung des Antragsgegners gegen das Urteil der 2. Kammer des Hessischen
Dienstgerichts für Richter bei dem Landgericht Frankfurt/Main vom 6. Juni 2008 -
Az.: 2 DG 2/06 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Antragsgegner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Der Gegenstandswert wird auf 65.182,10 € festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
(Anmerkung der Dokumentationsstelle: Der nachfolgende Entscheidungstext
wurde aus Gründen des Schutzes des Persönlichkeitsrechts sowie des
Datenschutzes gekürzt und anonymisiert. Die nicht dargestellten Textstellen
werden durch (…) kenntlich gemacht.)
Durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Marburg (2 Js 7904/06) vom
09.01.2007 ist der Antragsgegner zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten – für
die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt – verurteilt worden.
Strafrechtlich steht damit fest, dass der Antragsgegner (…) sich (…) Bilder
verschafft hat, die kinderpornographische Schriften darstellen (strafbar nach § 184
b Abs. 4 Satz 1 StGB), (…).
In Anbetracht dieser Umstände hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom
21.9.2006 – beim Dienstgericht eingegangen am 25.9.2006 – das vorliegende
Verfahren mit dem Ziel in Gang gesetzt, die beabsichtigte Versetzung des
Antragsgegners in den einstweiligen Ruhestand für zulässig zu erklären.
Außerdem hat er gegen den Antragsgegner eine – am 2.8.2007 beim
Dienstgericht eingegangene - Disziplinarklage erhoben (Az.: 2 DG 1/07). Mit Urteil
vom 8.8.2008 hat das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Frankfurt/Main
die Entfernung des Antragsgegners aus dem Richterverhältnis ausgesprochen;
dieses Verfahren ist mittlerweile in der Berufung vor dem Dienstgerichtshof
anhängig (Az.: DGH 5/08).
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In einem weiteren Verfahren hat das Dienstgericht mit Beschluss vom 25.2.2008
angeordnet, dass der Antragsgegner bis zum Abschluss des
Disziplinarklageverfahrens vorläufig seines Dienstes enthoben wird. Zugleich hat
es angeordnet, dass ab September 2007 10% und ab November 2007 20% der
monatlichen Bruttodienstbezüge des Antragsgegners einbehalten werden (Az.: 2
DG 2/08). Die hiergegen eingelegte Beschwerde (Az.: DGH 2/08) hat der
Dienstgerichtshof durch Beschluss vom 23.1.2009 zurückgewiesen.
Im vorliegenden Verfahren hat der Antragsteller die Auffassung vertreten, dass
infolge der Straftaten das Vertrauen in den Antragsgegner als Richter sowie das
öffentliche Vertrauen in die Rechtspflege derart beeinträchtigt sei, dass mit der
beantragten Maßnahme zu reagieren sei.
Im Hinblick darauf hat der Antragsteller beantragt,
die im Interesse der Rechtspflege beabsichtigte Versetzung des
Antragsgegners in den einstweiligen Ruhestand gemäß den §§ 50 Nr. 2, 70 HRiG
i.V.m. §§ 30 Abs. 1 Nr.3, 31 Nr. 2 DRiG für zulässig zu erklären.
Der Antragsgegner hat beantragt,
das Verfahren wegen eines absoluten Verfahrenshindernisses einzustellen, weil
das Disziplinarklageverfahren im Verhältnis zum vorliegenden Verfahren vorrangig
sei;
hilfsweise,
den Antrag zurückzuweisen.
(…)
Durch das angefochtene Urteil hat das Richterdienstgericht dem Antrag des
Antragstellers entsprochen. Es hat die formellen Voraussetzungen (…) für
gegeben erachtet und auch kein Verfahrenshindernis in Gestalt einer
Voreingenommenheit des Gerichts bzw. der Gefährdung eines fairen Verfahrens
feststellen können.
Auch einen Einstellungsgrund hat das Gericht verneint, weil im
Versetzungsverfahren eine der Maßnahmen nach § 31 DRiG für zulässig zu
erklären bzw. abzulehnen sei und verfahrensrechtliche Einstellungsgründe nach
der VwGO nicht gegeben seien.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Dienstgericht ausgeführt, dass nach
dem insoweit maßgeblichen § 31 Nr. 2 DRiG, dessen Anwendbarkeit § 70 HRiG für
Richter im Dienst des Landes Hessen vorsehe, ein Richter dann in den
einstweiligen Ruhestand versetzt werden könne, wenn Tatsachen außerhalb seiner
richterlichen Tätigkeit eine solche Maßnahme zwingend gebieten, um eine schwere
Beeinträchtigung der Rechtspflege abzuwenden. Eine solche liege dann vor, wenn
das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Person des Richters in so hohem Maße
Schaden genommen hätte, dass seine Rechtsprechung nicht mehr glaubwürdig
erscheine und durch sein Verbleiben in dem ihm anvertrauten Amt das öffentliche
Vertrauen in eine unabhängige und unvoreingenommene Rechtspflege beseitigt
oder gemindert würde. Ein Verschulden des Richters sei nicht erforderlich, da es
anders als im Disziplinarverfahren nicht in erster Linie um die persönliche
Verantwortlichkeit des Richters gehe, Schutzobjekt des § 31 DRiG sei vielmehr das
Ansehen der Justiz als dritte Staatsgewalt in der Öffentlichkeit, dessen Verletzung
nach rein objektiven Maßstäben zu bemessen sei. Wegen der unterschiedlichen
Zielrichtungen beider Verfahren könne ein und dasselbe Verhalten Gegenstand
sowohl eines Disziplinarverfahrens als auch eines Versetzungsverfahrens nach §
31 DRiG sein. Angesichts der zu würdigenden unterschiedlichen Gesichtspunkte
hätten im Versetzungsverfahren Umstände, die den Richter in subjektiver Hinsicht
entlasten könnten, hinter die objektive Beurteilung der Auswirkungen seines
Verhaltens auf das Ansehen der Justiz zurückzutreten.
Das im Strafbefehl festgestellte und vom Antragsgegner nicht bestrittene
Fehlverhalten außerhalb seiner richterlichen Tätigkeit beinhalte Straftaten, die
nach allgemeiner Auffassung als in besonderem Maße verwerflich gälten und von
der Öffentlichkeit mit Abscheu und Widerwillen betrachtet würden. Das Vertrauen
der Öffentlichkeit in die Rechtspflege nehme schweren Schaden, wenn ein Richter,
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der Öffentlichkeit in die Rechtspflege nehme schweren Schaden, wenn ein Richter,
der derartige Straftaten in erheblichem Umfang begangen habe, in seinem Amt
verbleibe. Es bestünde des weiteren die ernsthafte Gefahr, dass die Öffentlichkeit
Zweifel an der Integrität der Richterschaft insgesamt entwickele, wenn ein Richter
weiterhin Rechtsprechungsaufgaben ausüben könnte, obwohl er aufgrund seines
Fehlverhaltens persönliches Vertrauen nicht mehr in Anspruch nehmen könne.
Im vorliegenden Fall habe das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Person und die
Amtsführung des Antragsgegners durch sein Fehlverhalten in hohem Maße
Schaden genommen. Damit sei eine schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege
verbunden, die das Verbleiben des Antragsgegners in dem von ihm bekleideten
Amt ausschließe, auch wenn – wie von ihm vorgetragen - eine
Wiederholungsgefahr (…) ausgeschlossen sein sollte.
(…)
Des Weiteren hat das Dienstgericht ausgeführt, dass die Maßnahme der
Versetzung in den einstweiligen Ruhestand sich auch als verhältnismäßige
Maßnahme erweise. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das
angefochtene Urteil Bezug genommen.
Gegen dieses seinem Verfahrensbevollmächtigten am 20.6.2008 zugestellte Urteil
hat der Antragsgegner mit einem am 18.7.2008 beim Hessischen Dienstgericht
für Richter eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz
vom 18.8.2008 – eingegangen beim Dienstgerichtshof am gleichen Tag –
begründet.
Er macht geltend, dass für das vorliegende Verfahren das Rechtsschutzbedürfnis
entfallen sei, nachdem mit der Anklageschrift vom 31.7.2008 das
Disziplinarklageverfahren eingeleitet worden sei.
Das Dienstgericht habe ferner missachtet, dass der Antragsgegner bereits mit
Schreiben vom 10.10.2007 an das Hessische Ministerium der Justiz angeregt
habe, ihn – verbunden mit einem freiwilligen Statusverzicht – in den allgemeinen
Verwaltungsdienst zu versetzen. Im Hinblick darauf, dass durch eine derartige
Maßnahme den in der Entscheidung des Dienstgerichts genannten
Voraussetzungen Rechnung getragen würde, erweise sich das
Versetzungsverfahren nicht nur als unnötig, sondern auch als unverhältnismäßig.
Im Zusammenhang mit der Beachtung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit seien auch die persönliche Verantwortlichkeit des
Antragsgegners, mithin subjektive Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schriftsatzes des
Antragsgegners vom 18.8.2008 Bezug genommen.
Der Antragsgegner beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die beabsichtigte Versetzung des
Antragsgegners in den einstweiligen Ruhestand für nicht zulässig zu erklären und
den darauf gerichteten Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Nachdem beide Parteien sich hiermit einverstanden erklärt haben, konnte eine
Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen (§§
101 Abs. 2 VwGO, 68 HRiG)
Die Berufung des Antragsgegners ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Dienstgericht hat zutreffend auf der Grundlage von §§ 31 DRiG, 70 HRiG dem
Antrag des Antragstellers auf Versetzung des Antragsgegners in den einstweiligen
Ruhestand entsprochen. Auf seine ausführliche und in allen Punkten zutreffende
Begründung wird vollinhaltlich Bezug genommen.
Demgegenüber ist das Berufungsvorbringen des Antragsgegners nicht geeignet,
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Demgegenüber ist das Berufungsvorbringen des Antragsgegners nicht geeignet,
zu einer abweichenden Beurteilung zu führen.
Seine Einwände gegen die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand greifen nicht
durch.
Zunächst steht das gegen den Antragsgegner angestrengte Disziplinarverfahren
einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht entgegen. Abgesehen davon,
dass die im letzteren Verfahren zwischenzeitlich ergangene Entscheidung nicht
rechtskräftig ist, also keine endgültige Regelung bezüglich der Entfernung des
Antragsgegners aus dem Richterdienst vorliegt, sind das Verfahren auf Versetzung
in den einstweiligen Ruhestand und das Disziplinarverfahren – wie das
Dienstgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht inhaltsgleich. Sie beruhen auf
unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen und verfolgen
unterschiedliche Zielsetzungen. Aus diesem Grund wird die Durchführung des
einen Verfahrens durch das gleichzeitig betriebene andere Verfahren nicht
ausgeschlossen. Deutlich wird dies vor allem an der unterschiedlichen Zielrichtung
beider Verfahren. Geht es in dem einen um die des Richters in den
einstweiligen Ruhestand (unter Beibehaltung der ihm zustehenden
Versorgungsansprüche), gewährt das Disziplinarverfahren die Möglichkeit, zu
Lasten des Richters die anzuordnen, welche mit einem
Verlust der erworbenen beamtenrechtlichen Versorgung verbunden ist und damit
für den Betroffenen schwerwiegendere Folgen enthält.
Das vorliegende Versetzungsverfahren dient allein der Wahrung des Ansehens der
Rechtspflege in der Öffentlichkeit. Zu ihrem Schutz wird in § 31 DRiG sichergestellt,
dass ein Richter in ein anderes Richteramt oder in den einstweiligen oder
endgültigen Ruhestand versetzt werden kann, wenn Tatsachen außerhalb seiner
richterlichen Tätigkeit eine Maßnahme dieser Art zwingend gebieten. Letztere
Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Taten des Antragsgegners wirken sich derart
nachteilig auf das Ansehen der Justiz aus, dass ohne Rücksicht auf seine
persönliche Schuld eine Entfernung aus dem Dienst durch Versetzung in den
einstweiligen Ruhestand die gebotene und auch verhältnismäßige Maßnahme
darstellt. Auch insoweit wird vollinhaltlich auf das angefochtene Urteil Bezug
genommen. Die Bejahung einer so gravierenden Schädigung des Ansehens der
Justiz, welche die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand als erforderliche
Reaktion nach sich zieht, benachteiligt den Antragsgegner nicht
unverhältnismäßig, zumal ihm ausreichende Mittel verbleiben, um seinen
Lebensunterhalt zu sichern.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners kann der Antragsteller auch nicht
darauf verwiesen werden, gewissermaßen als milderes Mittel dem Begehren des
Antragsgegners auf Übernahme in den allgemeinen Justiz- oder Verwaltungsdienst
zu entsprechen. Soweit sich der Antragsgegner darauf beruft, dass eine solche
Vorgehensweise aufgrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit geboten sei, vermag der Dienstgerichtshof dem nicht zu
folgen. Eine solche Maßnahme ist weder in den Vorschriften des Deutschen
Richtergesetzes noch in denjenigen des Hessischen Richtergesetzes vorgesehen,
so dass es schon an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlt.
Im Übrigen wird dem Verhältnismäßigkeitsgebot bereits durch den abgestuften
Katalog der nach § 31 DRiG zulässigen Maßnahmen Rechnung getragen, die von
der Versetzung des Richters in ein anderes Richteramt mit gleichem
Endgrundgehalt über die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand bis zur
Versetzung in den (endgültigen) Ruhestand reicht.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es entgegen der Auffassung des
Antragsgegners auch nicht, im Versetzungsverfahren subjektive in seiner Person
liegende Gründe zu beachten. Im Rahmen des § 31 DRiG kommt es – wie
dargelegt - nur auf die Gefährdung des Ansehens der Justiz an. Für
subjektive Erwägungen, wie z.B. den Grad des Verschuldens, die im Rahmen des
Disziplinarverfahrens zu beachten sind, ist in diesem Zusammenhang kein Raum.
Nach alledem war die Berufung des Antragsgegners gegen das Urteil des
Dienstgerichts zurückzuweisen.
Als unterlegene Partei hat der Antragsgegner die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen (§ 154 Abs.2 VwGO i.V.m. § 68 Abs.1 HRiG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708
Nr. 10, 711 ZPO i.V.m. § 68 Abs. 1 HRiG.
Die Wertfestsetzung beruht auf § 52 Abs.5 S.1 Nr.1 GKG, wobei angesichts der
Versetzung in den Ruhestand das Zehnfache des Bruttoeinkommens
zugrunde gelegt wurde. Eine Reduzierung auf das 6,5fache Endgrundgehalt nebst
Zulagen kommt nicht in Betracht, da Streitgegenstand die Versetzung in den
einstweiligen Ruhestand als solche und nicht nur deren Zeitpunkt ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.