Urteil des LG Frankfurt am Main vom 01.11.2000

LG Frankfurt Main: strafvollstreckung, wiedereinreise, vollzug, resozialisierung, ermessensfehler, abschiebung, inhaftierung, rechtfertigung, albanien, entlassung

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 VAs 45/00
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 456a Abs 1 StPO, § 456a
Abs 2 StPO
(Rückkehr eines abgeschobenen Straftäters in die
Bundesrepublik: Voraussetzungen eines erneuten
Absehens von der Strafvollstreckung)
Tenor
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Geschäftswert wird auf 3.000,- DM festgesetzt.
Gründe
Durch Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 14.4.1994 - Az.: 86 Js
42368.5/93 - wurde gegen den Antragsteller eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten
und durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30.3.1995 - Az.: 730 Js
19275.6/94 - wegen versuchten Totschlags eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren
verhängt. 2/3 beider Strafen sind verbüßt, das Strafende ist auf den 1.12.2002
notiert. Durch Verfügungen der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt am
Main vom 20.7.1998 und vom 28.7.1998 wurde nach Verbüßung der Hälfte der
oben genannten Strafen gemäß § 456 a Abs. 1 StPO von der weiteren
Vollstreckung der gegen den Antragsteller verhängten Strafen abgesehen. Ferner
wurde eine Anordnung gemäß § 456 a Abs. 2 S. 1, 3 nebst Haftbefehl erlassen und
der Antragsteller am 20.8.1998 ausdrücklich darüber belehrt, daß er bei einer
Rückkehr nach Deutschland mit der Fortsetzung der Strafvollstreckung rechnen
müsse. Am gleichen Tage wurde der Verurteilte nach Albanien abgeschoben. Am
5.9.1998 wurde der Verurteilte bei der grenzpolizeilichen Einreisekontrolle des
Schnellzuges D 200 in Lörrach versteckt im Dachhohlraum eines Waggons
angetroffen, wurde festgenommen und verbüßt seither die Strafreste aus den
vorgenannten Verurteilungen. Seinen Antrag, ihn gemäß § 57 Abs. 1 StGB nach
Verbüßung von 2/3 der genannten Strafen bedingt zu entlassen, lehnte die
Strafvollstreckungskammer Marburg mit Beschluß vom 19.1.2000 ab. Die
hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde verwarf der Senat mit Beschluß vom 2.
März 2000 (3 Ws 219 - 220/00). Den im Anschluß gestellten Antrag des
Verurteilten, erneut nach § 456 a StPO zu verfahren, lehnte die Staatsanwaltschaft
beim Landgericht mit Bescheid vom 26.4.2000 ab. Die hiergegen eingelegte
Beschwerde des Verurteilten verwarf die Staatsanwaltschaft beim
Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Bescheid vom 13.7.2000. Der dagegen
gerichtete Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung ist zwar zulässig,
hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das nach § 456 a Abs. 1 StPO mögliche
erneute (vgl. OLG Karlsruhe, ZfStrVO 1997, 369, 370) Absehen von der weiteren
Strafvollstreckung der Freiheitsstrafen ist eine Ermessensentscheidung der
Vollstreckungsbehörde, die nur unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 3
EGGVG der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Gegenstand der gerichtlichen
Überprüfung nach § 23 ff. EGGVG ist hierbei der Ablehnungsbescheid in der
Gestalt des Beschwerdebescheids, so daß grundsätzlich die
Ermessenserwägungen der Beschwerdebehörde, hier also der Staatsanwaltschaft
beim Oberlandesgericht, maßgeblich sind. Die Beschwerdeentscheidung läßt
Ermessensfehler nicht erkennen. Ihr rechtlicher Ausgangspunkt, ein erneutes -
nach erfolgter Anordnung, die Vollstreckung gemäß § 456 Abs. 2 StPO
nach erfolgter Anordnung, die Vollstreckung gemäß § 456 Abs. 2 StPO
nachzuholen - Absehen von der Strafvollstreckung komme nur unter besonderen
Umständen in Betracht, die so gewichtig sein müßten, daß gegenüber der
grundsätzlich angezeigten Durchsetzung des Vollstreckungsanspruchs eine
weitere Inhaftierung des Verurteilten nicht vertretbar erscheine, ist zutreffend.
Maßgebend für diese Auslegung des § 456 a StPO sind die mit der Vorschrift
verfolgten Zwecke: Die gegenüber der Regelung des § 57 StGB erhebliche
Besserstellung des ausgewiesenen oder ausgelieferten Ausländers findet ihre
Rechtfertigung allein darin, daß eine Sicherung vor gefährlichen Straftätern in der
Regel nicht mehr erforderlich ist und auch eine Resozialisierung nicht sinnvoll
erscheint; außerdem werden die Justizvollzugsanstalten entlastet (vgl. Senat,
Beschluß vom 22.3.1995 - 3 Ws 207/95; OLG Düsseldorf, NStE Nr. 1 zu § 456 a
StPO; OLG Hamm NStZ 1993, 524; Groß StV 1987, 36). Diese Situation ändert
sich aber grundlegend, wenn der ausgelieferte oder ausgewiesene Verurteilte
freiwillig zurückkehrt. In diesem Falle unterwirft er sich wieder der Rechts- und
Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, u. z . mit dem Zeitpunkt der
freiwilligen Rückkehr und unabhängig von deren Dauer. Damit muß er aber
nunmehr allen anderen abgeurteilten Straftätern in einer vergleichbaren Situation
rechtlich gleichgestellt werden. Dazu gehört auch die Gleichstellung hinsichtlich
des bisher noch nicht verbüßten Teils der Strafe, zumal die Freiheitsstrafe mit der
Rückkehr des Verurteilten ihre Funktion der Sicherung und Resozialisierung (§ 2
StVollzG) wiedererlangt (vgl. Senat u. OLG Düsseldorf a.a.O.). Vor allem aber
gewinnt das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Strafvollstreckung an
Bedeutung und ist nunmehr vorrangig in die Gesamtabwägung aller für und gegen
ein Absehen von der weiteren Vollstreckung in Betracht kommenden Umstände
einzustellen. Die im öffentlichen Interesse liegende Durchbrechung des auch im
Strafvollstreckungsrecht grundsätzlich geltenden Legalitätsprinzips durch § 456 a
StPO verliert im Falle der freiwilligen Rückkehr eines Ausgewiesenen oder
Ausgelieferten ihren tatsächlichen Ansatz. Das der Vollstreckungsbehörde
zugewiesene Recht auf Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs lebt wieder
auf und verdichtet sich in aller Regel zu einer Vollstreckungspflicht für die
Vollstreckungsbehörden (OLG Düsseldorf, NStZ Nr. 4 zu § 456 a StPO; OLG
Karlsruhe ZfStrVo 1997, 369, 370; OLG Hamburg, NStZ - RA 1999, 123 ff.). Aus
der dargestellten Evaluierung des Zwecks der Bestimmung des § 456 a StPO hat
die Rechtsprechung (vgl. OLG Düsseldorf, OLG Karlsruhe und OLG Hamburg -
jeweils a. a. O.; OLG Hamm, NStZ 1983, 524, 525; OLG Schleswig, SchlHA 1974,
114; teilweise a. A. OLG Celle, NStZ 1981, 405) gefolgert, daß bei der gemäß § 456
a Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung in der Regel nur besondere Umstände
und Abwägungsgesichtspunkte die Ermessensentscheidung beeinflussen könnten
und diese so gewichtig sein müßten, daß sie gegenüber der grundsätzlich
angezeigten Durchsetzung des Vollstreckungsanspruchs eine erneute Inhaftierung
des Verurteilten unangebracht erscheinen ließen. Dem ist die Literatur gefolgt (vgl.
Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 456 a StPO Rdnr. 6, Wendisch, in:
Löwe/ Rosenberg, StPO, 25. Aufl. § 456 a Rdnr. 12). Diese bei der Frage der
Anordnung der Nachholung der Vollstreckung nach erfolgter Wiedereinreise
entwickelten Grundsätze beanspruchen auch Geltung bei der vorliegend in Rede
stehenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, ob von einer gemäß § 456 a
Abs. 2 StPO angeordneten und im Anschluß auch vollzogenen nachgeholten
Vollstreckung erneut gemäß § 456 a StPO abgesehen werden soll. Auch hier sind
neben dem vorrangigen Vollstreckungsinteresse in die Ermessensentscheidung
grundsätzlich die Art des begangenen Delikts, die Umstände der Tat, der Umfang
der im Urteil festgestellten Schuld, die Gefährlichkeit des Verurteilten, die Höhe
des Strafrestes, die zwischen der Entlassung aus dem Vollzug und der Rückkehr in
die Bundesrepublik verstrichenen Zeitspanne, einzustellen. Zusätzlich ist
allerdings die Entwicklung des Verurteilten im weiteren Vollzug nach Beginn der
erneuten Vollstreckung zu berücksichtigen. Die vorerwähnte Gesamtabwägung
unter vornehmlicher Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einer
nachhaltigen Strafvollstreckung hat die Staatsanwaltschaft beim
Oberlandesgericht in ihrer Entscheidung vom 13.7.2000 vorgenommen. Daß sie
hierbei besondere Umstände und Abwägungsgesichtspunkte, die ausnahmsweise
für ein erneutes Absehen von der Vollstreckung sprechen könnten, nicht hat
erkennen können, ist nicht zu beanstanden. Entgegen dem Vorbringen des
Antragstellers hat sie insbesondere auch berücksichtigt, daß zwischenzeitlich mehr
als 2/3 der Strafen verbüßt sind. Mit Blick auf die nach wie vor ungünstige
Sozialprognose des Verurteilten liegt hierin aber kein besonderer Umstand. Auch
deutschen Strafgefangenen ist in einem solchen Fall eine Entscheidung nach § 57
Abs. 1 StPO verwehrt. Soweit der Antragsteller als "Ermessensfehler" rügt, die
Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen,
er habe sich bewußt und gewollt wieder in das Gebiet der Bundesrepublik
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er habe sich bewußt und gewollt wieder in das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland begeben, stellt er die Voraussetzungen für den Vollzug der
Anordnung gemäß § 456 a Abs. 2 StPO - freiwillige Wiedereinreise in die
Bundesrepublik (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 456 a Rdn. 6 m.
w. N.) - in Abrede. Es kann dahinstehen, ob diese Voraussetzungen im
vorliegenden Verfahren erneut zu prüfen sind, oder ob der Antragsteller hierzu auf
das Verfahren nach §§ 458 Abs. 2, 462 StPO verwiesen ist, das er nicht beschritten
hat. Denn eine freiwillige Wiedereinreise des Verurteilten lag vor. Der Verurteilte
war sich des Risikos, das mit einer freiwilligen Wiedereinreise verbunden ist, im
Klaren. Denn er ist vor seiner Abschiebung über die möglichen Folgen seiner
Rückkehr, nämlich die Nachholung der Vollstreckung des noch nicht verbüßten
Teils der Freiheitsstrafen, belehrt worden (vgl. dazu LG Berlin, NStV 1987, 258).
Seine nunmehrige Einlassung, er sei sich nicht bewußt gewesen, daß der Zug, mit
dem er reiste, die Bundesrepublik durchqueren würde, vermag an dem Vorliegen
einer freiwilligen Wiedereinreise nichts zu ändern. Wie der Senat bereits
entschieden hat (Beschluß vom 22.3.1995 - 3 Ws 207/95 = NStZ - RR 1996, 93)
reicht für eine Rückkehr im Sinne des § 456 a Abs. 2 S. 1 StPO auch eine bloße
Durchreise durch das Gebiet der Bundesrepublik aus. Auch die übrige
obergerichtliche Rechtsprechung (OLG Hamburg, NStZ - RR 1999, 123; KG,
Beschluß vom 8.12.1999 - 3 Ws 474/99 - Juris) läßt einen bloßen Grenzübertritt
ausreichen. Die Tatsache, daß der vom Verurteilten benutzte Zug ersichtlich über
Basel badischer Bahnhof nach Freiburg fuhr und der Verurteilte sich bei seinem
Auffinden im Dachraum des Zuges verborgen hielt, läßt keinen anderen Schluß zu,
als denjenigen, daß der Verurteilte sich zumindest darüber bewußt war, daß er die
Bundesrepublik durchqueren würde. Selbst wenn er diesen Vorgang in seiner
Laiensphäre nicht als Wiedereinreise im Sinne § 456 a Abs. 2 StPO und damit als
Verstoß gegen die ihm bei der Abschiebung erteilte Belehrung gewertet haben
sollte, ist dies ohne Bedeutung. Die Rückkehr eines ausgewiesenen Verurteilten
setzt als eine rein tatsächliche Bedingung für die Nachholung der
Strafvollstreckung nach § 456 a Abs. 2 S. 1 StPO kein Verschulden voraus (vgl.
OLG Hamburg a. a. O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 30 Abs. 1 EGGVG in Verbindung mit § 130
KostO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes findet ihre gesetzliche Grundlage
in § 30 Abs. 3 EGGVG, 30 KostO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.